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Updated: 18.12.2012 15:51
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Steuerflucht, Gerechtigkeit und kapitalistische Normalität

Ein Bankangestellter in Liechtenstein klaut geheime Daten von Bankkunden. Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) kauft diese Informationen für vier Millionen Euro und leitet sie an die Steuerfahndung weiter, die mit den Daten steuerflüchtige BesserverdienerInnen fängt. Die Öffentlichkeit ist empört über die moralische Verkommenheit der Steuerflüchtlinge, das Kapitel "Managergehälter" in der permanenten Gerechtigkeitsdebatte wird verlängert. Von der Politik angeleitet, geht die Debatte zielsicher an den eigentlichen Skandalen vorbei und gerät zu einer einzigen Feier der herrschenden Verhältnisse.

Zunächst ist festzuhalten, was in der aktuellen Diskussion nicht als Skandal gilt, nämlich die Normalität der staatlichen Praxis, seinen BürgerInnen Geld abzuknöpfen, um damit Infrastruktur, Polizei, Gerichte, PolitikerInnen, Kriegsgerät oder die Armutsverwaltung zu bezahlen. Bei seiner Finanzierung achtet der Staat nämlich sehr streng auf die Unterschiedlichkeit der Einkommensquellen, an denen er sich bedient.

Am liebsten bedient sich der Steuerstaat am Lohn und am Konsum: Lohn- und Konsumsteuern (Mehrwertsteuer) machen den Großteil seiner Einnahmen aus (2007 etwa drei Viertel). Die Geldsummen, mit denen die Menschen lediglich ihren Lebensunterhalt bestreiten - Essen und Kleidung kaufen, Miete bezahlen etc. - sieht der Staat als belastbare Größe an. Denn hier geht es nur um das Wohlleben der Menschen. Ganz im Gegensatz dazu schont er Kapitaleinkommen - seien es Unternehmensgewinne oder Vermögenseinkommen. Denn sie dienen der Akkumulation. Kurz: Wer sein Eigentum bloß zum Leben braucht, wird geschröpft, wer es zur Produktion von mehr Kapital benutzt, wird geschont. Denn im Kapitalismus sollen die Erträge nicht aufgegessen werden, sondern in die Produktion von mehr Erträgen gesteckt werden.

Kein Skandal: Normalität des Steuerstaats

Dieser absurde Produktionszweck spiegelt sich im Steuersystem: Während LohnempfängerInnen hierzulande durchschnittlich 18,4 Prozent Steuern zahlen müssen, sind es bei Unternehmens- und Vermögenseinkommen nur 10,4 Prozent (1980: 20 Prozent). "Es komme darauf an, so argumentieren die Fachleute, weniger die Einkommensentstehung, also den Unternehmensgewinn, als vielmehr die Einkommensverwendung, also den Konsum zu besteuern, denn die Gewinnsteuern schmälerten die Fähigkeit zur Investition." Während der Staat per Steuer also das "Wirtschaftswachstum" schont, mindert er per Steuer das, was die LohnempfängerInnen (= die ProduzentInnen) vom Wirtschaftswachstum haben könnten. Das ist ungerecht, aber sachgerecht und gilt hierzulande nicht als Skandal.

Kein Skandal ist auch, dass der Staat dabei immer radikaler wird: Nach der deutlichen Absenkung 2000 wurden die Unternehmenssteuern 2008 schon wieder gesenkt und zwar "mutig", wie selbst das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft zugesteht. Die Einführung einer Vermögensteuer wird abgeblockt, um das Kapital nicht aus Deutschland zu verscheuchen. Stattdessen wird eine Abgeltungssteuer eingeführt, mit dem Ergebnis, dass Vermögende ab 2009 noch weniger Steuer auf ihre Dividenden- und Zinserträge zahlen müssen.

Um entstehende Lücken bei den Einnahmen zu stopfen, werden dem kleinen Mann und der kleinen Frau Steuererleichterungen gestrichen: Der Sparerfreibetrag wird gesenkt, was nur die KleinsparerInnen trifft; den Weg zur Arbeit kann der/die LohnarbeiterIn kaum noch steuerlich geltend machen; die Eigenheimzulage wird gestrichen, die Versicherungssteuer erhöht usw. Darüber hinaus erhöht der Staat immer wieder die Mehrwertsteuer - allein 2007 um drei Prozentpunkte, was die Preise um ein Prozent steigen ließ. Sprich: Wer einkaufen geht, ist heute um ein Prozent ärmer. Diese beständige hoheitliche Lohnsenkung trifft vor allem Menschen mit wenig Geld: Denn je ärmer jemand ist, umso größere Anteile des Einkommens gehen für den Konsum drauf. Anders als Reiche können Arme kaum sparen/anlegen.

Wer lohnarbeitet, dem zieht der Staat die Steuer zur Sicherheit gleich an der Quelle ab - der/die ArbeiterIn bekommt am Ende des Monats nur den Nettolohn, an dessen Differenz zum Bruttolohn er/sie erkennen kann, wie gern und intensiv ihn/sie der Fiskus als Geldquelle nutzt. Am Ende des Jahres darf der/die LohnempfängerIn per Einkommensteuererklärung versuchen, zuviel gezahlte Steuer zurück zu erlangen. Er gibt dem Staat also einen Vorschuss, den er - zunehmend schlechter - zurückholen kann. Umgekehrt beim Kapitalisten, der erst verdient und dann Steuern zahlt, vom Staat also bis zum endgültigen Steuerbescheid kreditiert wird. Auch das ist kein Skandal.

Kein Skandal ist zudem, dass der Staat - abgesehen von der Senkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 45 Prozent - den Besserverdienenden auch noch über zahlreiche Steuerschlupflöcher zusätzlich die Möglichkeit eröffnet, ihre Steuerlast zu drücken. Das gelingt ihnen sehr schön: Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung zahlten die GroßverdienerInnen Deutschlands im Jahr 2002 - dank der "beträchtlichen Steuervermeidungsmöglichkeiten" - nicht den Spitzensteuersatz, sondern lediglich 34 Prozent (heute dürften es weniger sein). Da KapitalistInnen ihre Steuer nicht sofort abgezogen wird, ergibt sich für sie zudem die Gelegenheit, sich dem Fiskus zu entziehen. Zum Beispiel über den Transfer ihres Vermögens in ein Land, das geringere Steuern erhebt. Dass sie dies tun, ist bekannt. Nach Schätzungen der Steuerbehörden haben die Deutschen weltweit rund 485 Mrd. Euro Schwarzgeld rumzuliegen. Dies wird staatlicherseits nur träge verfolgt. Denn Kapital darf man nicht vertreiben. Etliche Bundesländer "betrachten laxe Kontrollen als Bestandteil der Wirtschaftsförderung", so ein Sprecher des Bundesrechnungshofes im ARD-Magazin Monitor vom 21. Februar 2008.

Laxe Kontrollen als Wirtschaftsförderung

In Ländern wie der Schweiz, Luxemburg, den Cayman Islands oder den Bahamas ist der Wirtschaftsflüchtling in Gestalt des Steuerflüchtlings willkommen. So auch in Liechtenstein. Und hier beginnt der aktuelle Skandal. Das Fürstentum Liechtenstein lebt von ausländischem Geld, das bei ihm in Investmentfonds oder Stiftungen angelegt wird und kaum bis gar nicht besteuert wird. Zudem bietet es den Besserverdienenden der Welt einen Extraservice: Sie bleiben anonym, verborgen vor den Steuerbehörden ihrer Heimat, in der sie ihr Vermögen verdienen lassen. Das lohnt sich nicht nur für jene, die ihr Geld auf Reisen schicken, sondern auch für Liechtenstein: Mit 90.000 Euro erfreut sich das Herzogtum des höchsten Pro-Kopf-Einkommens der Welt.

In dieses System ist nun eine Lücke gerissen: In den Jahren 2001 und 2002 zog sich ein Mitarbeiter der Liechtensteiner Bank LGT, der Papierdaten von Bankkunden digitalisieren sollte, von diesen Daten einige Kopien, floh damit in die Schweiz und versuchte, die LGT zu erpressen - schließlich interessieren sich die Steuerbehörden der ganzen Welt für diese Informationen. Laut Berliner Zeitung ü berredete die der Fürstenfamilie gehörende LGT den Datendieb Heinrich Kieber zur Rückkehr nach Liechtenstein, bezahlte ihm einen Rechtsbeistand und eine Wohnung. "Darüber hinaus wirkte Fürst Hans Adam II. darauf ein, dass der ehemalige LGT-Angestellte vor Gericht mit einer Bewährungsstrafe wegen schweren Betrugs und Nötigung davonkam. Im Gegenzug gab Kieber die DVDs mit den Kundendaten zurück. Im Mai 2005 wurde auf Weisung der Fürstenfamilie schließlich noch angeordnet, dass Kiebers Strafregister unter Verschluss kommt." ( Berliner Zeitung , 26.2.08)

Das alles hat nix genutzt. Denn Kieber hatte von den Daten zuvor offenbar Kopien angefertigt. Die bot er verschiedenen Ländern an. Deutschland griff zu: Der BND zahlte Kieber 4,2 Mio. Euro für das gestohlene Material und übergab es den Steuerbehörden. Die wiederum inszenierten medienwirksam eine Jagd auf Steuersünder, unter anderem auf Post-Chef Klaus Zumwinkel. Bis Ende Februar hatte Deutschland dadurch 28 Mio. Euro an Steuermehreinnahmen verzeichnet - das sind etwa 0,005 Prozent des gesamten Steueraufkommens oder 0,02 Prozent dessen, was der Staat sich über die Lohnsteuer holt.

An diesen Vorgängen ist nun einiges krumm. Erstens ist es - freundlich ausgedrückt - bemerkenswert, wenn ein Auslandsgeheimdienst wie der BND so reibungslos mit anderen Behörden kooperiert. Zweitens ist das vom BND erworbene Material gestohlen. Der Kauf der Daten durch den BND erfüllt daher den Tatbestand der Hehlerei. Zudem besteht Liechtenstein darauf, dass die in Deutschland Angeklagten in Liechtenstein völlig legal gehandelt haben. Die Aufregung in Liechtenstein ist verständlich - was würde Deutschland wohl sagen, wenn der russische Geheimdienst Daten von russischen Steuerflüchtlingen kaufen würde, die von deutschen Banken geklaut wurden? Liechtenstein erwägt daher, auch gegen Kiebers Agentenführer vom BND zu ermitteln. Dazu wird es allerdings wohl nicht kommen. Denn für ein kleines Land wie Liechtenstein ist es riskant, sich mit einem großen Nachbarn wie Deutschland anzulegen.

Vom Nutzen eines demokratischen Skandals

Auch dieser Affäre folgt nun eine umfassende Moraldebatte, deren Nutzen schon sichtbar ist. CSU-Vize Horst Seehofer meint zum Beispiel, man dürfe sich angesichts der Affäre "nicht wundern, wenn immer mehr Menschen an der Ausgestaltung unserer sozialen Marktwirtschaft ihre zunehmenden Zweifel haben". Dabei dürften diese Zweifel in der Bevölkerung weniger durch seltene Fälle von Steuerhinterziehung genährt werden, sondern eher durch dauerhafte und flächendeckende Phänomene wie steigende Unternehmensgewinne, steigende Managergehälter bei gleichzeitig stagnierenden bis schrumpfenden Löhnen und Sozialleistungen - Phänomene, die von der Politik befördert werden. Seehofer schiebt die Schuld an dem öffentlichen Unmut aber lieber den Steuerhinterziehern zu und präsentiert sich als Anwalt der kleinen Leute.

Kapital aus der Debatte will auch Michael Fuchs schlagen, bei der CDU für den Mittelstand zuständig: "Je mehr der Staat zulangt", meint Fuchs, "desto größter ist die Neigung der Bürger, Steuern zu hinterziehen." Gegen Steuerhinterziehung würden also nur niedrigere Steuern helfen. Eine schöne Idee: Den SteuerhinterzieherInnen sollen per Steuersenkung jene Summen legal überlassen werden, die sie sich sonst umständlich per Gesetzesbruch sichern müssten. Da ist es kein Wunder, dass in einer Umfrage des Handelsblatts 59 Prozent aller Befragten der Meinung waren: Konsequenz aus der Liechtensteinaffäre müssten niedrigere Steuersätze in Deutschland sein. Ein härteres Strafmaß für SteuersünderInnen befürworteten nur 19 Prozent. Befragt wurden allerdings nur deutsche SpitzenmanagerInnen.

Die Steuerfluchtdebatte fügt sich nahtlos ein in die aktuelle Gerechtigkeitsdiskussion. Vom Konzernvorstand über PolitikerInnen, Niedriglöhner bis zum Hartz-IVler steht Deutschland zusammen und beklagt die Verkommenheit der deutschen Manager- und Geld-Elite, die ihre Einkünfte ins Ausland verschiebt, anstatt ihren zugemessenen Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens zu leisten. Der Staat und seine Finanzierung erscheinen so nicht mehr als Zwangsverhältnis, sondern als funktionales Miteinander, in der jedeR ihren/seinen Beitrag leistet. Dem kleinen Mann und der kleinen Frau wird durch den Skandal die Befriedigung zuteil, dass jetzt auch mal die Großen drankommen. Befriedigt wird so der Gerechtigkeitsfan, der glaubt, alles sei in Ordnung, solange sich nur alle an die geltenden (Steuer-)Gesetze hielten. Die Schuld an der eigenen Misere gibt er dem Regelverstoß, nicht den geltenden Regeln. Dabei sichern genau diese Regeln die Armut auf der einen und den Reichtum auf der anderen Seite. Die Steuerprogression modifiziert dies nur.

Und schließlich können sich die staatlichen Verfolgungsbehörden durch die Affäre noch in gutem Licht zeigen. Das Vorgehen des BND erscheint als geheiligtes Mittel zum Zweck des Reichenfangs. Das ist ein wertvoller Imageerfolg in Zeiten, in denen sich die Menschen Online-Durchsuchungen, Vorratsdatenspeicherung, Lauschangriffen, Video- und Tornadoüberwachung, also zunehmender Bespitzelung ausgesetzt sehen und der Staat nach innen aufrüstet. In Liechtenstein hat es auch mal "die da oben" erwischt. Bei der Überwachung, lautet die frohe Botschaft, sind den Behörden alle BürgerInnen gleich. Mehr Gerechtigkeit ist in der sozialen Marktwirtschaft nicht drin.

Artikel von Stefan Kaufmann, erschienen in ak - zeitung für linke debatte und praxis - vom 21.3.2008. Wir danken der Redaktion!

Materialien: DGB Wipo-Schnelldienst 4/2008: Positionspapier zum Steuerhinterziehungsskandal; ver.di: Wirtschaftspolitische Informationen 6/07: Steuern sprudeln - genug gespart; Hartmut Görgens: Sind die Löhne in Deutschland zu hoch? (2008)


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