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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Linke Internetprojekte und rechte Netzattacken Das Internetforum chefduzen und die Erfahrungen mit Angriffen von Ausbeutern und dem Umgang mit rechten Internetaktivisten Das Projekt chefduzen.de wurde gegründet aus Verzweiflung über den desolaten Zustand der linken Szene. Wir wollten uns nicht an den Scheingefechten, die ohnehin meist nur innerhalb des geschlossenen Zirkels stattfinden, beteiligen, wir wollten versuchen die Opfer neoliberaler Politik direkt zu erreichen um dort eine Gegenwehr der Betroffenen zu organisieren. Das Defizit an Politischen Wissen, auch in der Antifaszene, ist durchaus problematisch. Wir erwarten ja nicht, daß jeder eine marxistische Schulung über ökonomische Zusammenhänge durchgemacht haben muß. Aber als Grundlage für linke Politik sollte man zumindest einen simplen Klassenstandpunkt haben, die Erkenntnis, daß es ein Oben und Unten gibt, Ausbeuter und Ausgebeutete. Unter den aktuellen Entwicklungen wird es selbst unpolitischen Menschen klar, daß der Kapitalismus eine Mehrheit von Verlierern hervorbringt und nur sehr wenige davon profitieren. Es muß also darum gehen jetzt diese Mehrheit zusammenzubekommen um die herrschenden Verhältnisse ins Wanken zu bringen. Es geht also darum die ganzen Spaltungen und Ghettos aufzubrechen. Der Kapitalismus beruht auf der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft. Und genau an dieser Stelle ist er auch am verletzbarsten. Kollektive Arbeitsniederlegungen gehören zu den schärfsten und zu wenig genutzten Waffen in der Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen. Deshalb hatten wir auch nie Interesse ein reines Erwerbslosenforum zu betreiben, sondern wir wollen versuchen alle zusammenzubringen, auch die Facharbeiter, genauso wie diejenigen, die sich mit prekären Jobs durchschlagen oder auch die, die sich mit illegalem Kram versuchen über Wasser zu halten. Als das Forum allmählich angenommen wurde und man sich auch über Firmen und deren Internas austauschte, dauerte es nicht lange, bis Ausbeuter versuchten mit juristischen Mitteln die offene Diskussion zu unterbinden. Dank der Roten Hilfe und verschiedener Unterstützer, die Solikonzerte organisierten, konnte dem Forum nicht finanziell das Genick gebrochen werden. Der folgende Pressewirbel sorgte dann erst für die breite Bekanntheit des Forums der Ausgebeuteten und für erheblich schlechte Propaganda für die jeweiligen Firmen. Das HANDELSBLATT riet daraufhin den Unternehmen zu einem weicheren Umgang mit der neuen Situation, das Internet zu beobachten und frühzeitig mit Kritikern zu "kommunizieren" (=drohen?) und empfahl sogar, eigene Blogs aufzumachen. Von der Seite gab es damit vorerst relative Ruhe. Probleme ganz anderer Art ergaben sich daraus, daß auch die rechte Szene auf das Forum aufmerksam geworden ist. Es gab dabei völlig unterschiedliche Formen des Umgangs mit dem Forum, das ja ersteinmal für jeden offen ist. So tauchten im Forum hin und wieder plumpe rassistische Hetzartikel auf, die man einfach kurzerhand löschen konnte. Bei Artikeln, wie "deutsche Goldreserven in den USA" brauchte es wenig Recherche um zu erkennen, daß sie aus der Deutschen Nationalzeitung herauskopiert waren. Es gab jedoch auch clevere Analysen der Verhältnisse, geschrieben mit Witz und geistreichen Formulierungen. Während sich die Autoren hinter unverdächtigen Nicks, wie "Indianer" oder "Frührentner" verbargen, enthielten die Beiträge am Ende völkische Lösungsvorschläge auf die herrschenden Verhältnisse. Wir müssen uns verabschieden von dem Glauben, bei Rechten handle es sich nur um stumpfe, glatzköpfige Dummköpfe, die nur gewalttätig, aber nicht intelligent sein können. Das Spektrum der Rechten ist breit gefächert und man kennt dort wenig Berührungsängste. Um die herrschenden Verhältnisse und Möglichkeiten des Kampfes zu studieren, greift man selbst zu Schriften linker Theoretiker, beschäftigt sich mit Erfahrungen aus militanten Kämpfen in Lateinamerika und Italien, mit der Stadtguerilla oder den Autonomen in den frühen 80er Jahren. Und natürlich läßt man auch zeitgemäße Formen der Propaganda nicht aus. Neben Aktivitäten innerhalb musikalischer Subkulturen und der CD Produktion gewinnt das Internet bei den Neuen Rechten enorm an Bedeutung. Neben interner Kommunikation wird auch versucht, sozialpolitische Foren und linke Netzprojekte zu unterwandern. Zum Teil betreiben sie auch selbst Websites, die sowohl in Thematik, als auch Sprache und Optik mit linken Seiten verwechselt werden könnten. " Die Kommenden " orientieren sich zum Beispiel an dem Lebensgefühl der Autonomen der frühern 80er. Nachdem bei chefduzen auch die Beiträge von Frührentner und Indianer sofort ins Datennirvana befördert wurden, versuchte sich ein bekannter rechter Netzaktivist (wie ausgiebige Recherche ergab) darin, politisch Unverfängliches zu posten. Seine Beiträge waren kenntnisreich, wuterfüllt gegen den Sozialkahlschlag und auch humorvoll. Wir können nur mutmaßen, daß dieser IT-Spezialist sich auf diesem Wege beliebt machen wollte, um von uns Moderationsrechte zu erhalten, womit er (zumindest kurzfristig) die Kontrolle über die Forensoftware übernehmen könnte. Als sich diese Tür für ihn nicht öffnete, verschwand er urplötzlich nach einigen hundert Postings. Einen ähnlichen Fall gab es einige Zeit danach, wo sich ein weiterer Rechter als aktiven Dauergast des Forum hervortat. Dieser machte eher den Eindruck, als wolle er nicht unterwandern, sondern, als würden wir alle irgendwie zusammengehören.. schließlich gibt sich ein Teil der Rechten einen sozialrevolutionären Touch. In privaten Mails an den Admin machte er wenig Hehl aus seiner Gesinnung. Die meisten Beiträge waren auch wirklich gut. Doch hin und wieder ließ er völkisches und rassistisches Gedankengut am Rande seiner Beiträge durchschimmern. Dieser Daueruser war durch seine bissigen und bisweilen auch witzigen Beiträge in der Community sehr beliebt. Wenn es auf rechtes Gedankengut sofort Entgegnungen anderer "Chefduzer" gab, sollte es kein größeres Problem sein. Doch die unwidersprochene rechte Ideologie stellte die Grundlagen des "Forums der Ausgebeuteten" in Frage. Hier gerieten wir an ein grundsätzliches Problem, das wohl für viele linke (Netz-) Projekte ungeklärt scheint. Meinungsfreiheit und die Gegnerschaft zu Zensur sind hohe und verteidigungswerte Ziele. Wir dürfen dabei jedoch Verschiedenes nicht übersehen: Eine Meinungsfreiheit im Internet, insbesondere, wenn man einen deutschen Server nutzt und somit zu einem Impressum verpflichtet ist, besteht nicht! Die deutsche Linke macht sich bei diesem Medium noch weitaus zu viele Illusionen! Das Internet bietet nicht nur Möglichkeiten der staatlichen Überwachung im orwellschen Ausmaß, sondern es ist bereits Repressionen ausgesetzt, die zahllose firmenkritischer Sites und politische Foren hat unbemerkt verschwinden lassen. Razzien und Serverbeschlagnahmungen bei LabourNet, Indymedia und einem Kanadischen gewerkschaftlichen Portal haben noch ein wenig Öffentlichkeit bekommen. An dieser Stelle möchten wir uns noch bei der Roten Hilfe bedanken nicht nur uns finanziell unterstützt zu haben sondern auch die politische Unfreiheit des Internets zu thematisieren! Chefduzen.de hatte nie den Anspruch die fehlende Meinungsfreiheit in der Gesellschaft zu ersetzen, sondern es versteht sich als Werkzeug dem Monopol an Medienmacht entgegenzutreten, indem den Ausgebeuteten und ihren Interessen eine Stimme verliehen wird! Chefduzen ist parteiisch ohne Wenn und Aber! Man kann sich mit rechtem Gedankengut auch auseinandersetzen, es im Forum sichtbar stehenlassen und es im Anschluß inhaltlich auseinanderpflücken. Doch das kann von den Moderatoren, die nur "nebenher" täglich rund 50 neuen Beiträge zu überfliegen haben, nicht immer erledigt werden. Als aber ein rassistischer Beitrag auch nicht von der Community kommentiert wurde, entschieden wir uns nicht nur das Posting zu löschen, sondern mit einer öffentlichen Begründung den Autoren bleibend den Zugang zum Forum zu verwehren. Es folgte unerwartet große Aufregung bei den Chefduzen-Nutzern. Man sprach von Zensur und einige gingen sogar soweit sich gegen den Angriff auf die Meinungsfreiheit mit dem Rechten zu solidarisieren. Ein deutliches Zeichen dafür, wie wenig man sich darüber einig ist, wie mit Rechten (die nicht dem Klischee des baseballschlägerschwingenden Glatzkopfes entsprechen) und deren Ideologie umzugehen ist. Wenn es unwidersprochen ist, daß (Werbe-)Spammer, Forentrolle (Provokateure, die nur im Mittelpunkt stehen wollen ohne an einer inhaltlichen Auseinandersetzung Interesse zu zeigen) ,Leute, die mit dem Posten rechtwidriger Inhalte das Forum gefährden oder andere User beleidigen, sofort aus dem Forum zu kicken sind, dann sollte das erst recht für Rechte gelten, denn Faschismus ist keine Meinung - Faschismus ist ein Verbrechen! Mit unserer überraschenden Erfahrung mit einer weit verbreiteten Verwirrung und Haltungslosigkeit zum Thema, mußten wir erkennen mit dem virtuellen Projekt in der wirklichen Welt angekommen zu sein. Schließlich berichtete LabourNet , daß auch fast jedes 3. Gewerkschaftsmitglied mit rassistischem Gedankengut infiziert ist. An dieser Stelle können wir nur alle sozialen und politischen (Netz-)Projekte aufrufen sich mit dieser Problematik stärker auseinanderzusetzen und der rechten Ideologie viel entschiedener entgegenzutreten, egal in welchem Gewand sie daherkommt. Jede öffentlich bekanntgegebene Löschung oder Sperrung eines rechten Users hatte eine Art "klärendes Gewitter" zur Folge: Jedes Mal outeten sich bisher unbekannte braune U-Boote, die sich zumeist "aus Solidarität" selbst verabschiedeten und in ihrer wütenden Aufregung noch einige Informationen über interne Kontakte und Netzwerke preisgaben. Gleichzeitig braucht man auch etwas Fingerspitzengefühl für den Umgang mit Leuten, deren Ansichten nicht immer ganz koscher sind, die trotzdem aber (noch) nicht zu der rechten Subkultur gehören. Als Grundlage linker Politik braucht man den Glauben daran, daß Menschen sich ändern und auch dazulernen können. Die Erfahrung zeigt, daß man da aber ein gehöriges Maß an Humor und ein verdammt dickes Fell braucht, wenn man sich mit Dummheit und Verirrung auseinandersetzen will. Es ist notwendig sich an weiter Front mit faschistischer Ideologie politisch auseinderzusetzen. Schließlich müssen wir davon ausgehen, daß immerwieder organisierte Nazis unerkannt in Foren wie unserem mitmischen, um die Interessen und den Tonfall eines unruhigen Teils der Bevölkerung zu studieren. Wer vom Faschismus spricht, darf vom Kapitalismus nicht schweigen! Um den herrschenden Verhältnissen wirkungsvoll entgegenzutreten ist es notwendig die einfachen Menschen zusammenzubringen gegen die Minderheit derjenigen, die über Reichtum, die Produktionsmittel und somit die politsche Macht verfügen. Von Rechts hingegen sollen wir gespalten werden entlang nationaler, ethnischer, religiöser (u.a.) Linien. So ist es kein Zufall, daß heutige führende Nazis selbst aus dem Lager der Reichen stammen: Gerhard Frey, DVU-Gründer ist Spross einer vermögenden Familie, sein heutiges Vermögen wird auf mehrere hundert Millionen Mark geschätzt. Nicht nur das ist entgegenzuargumentieren, wenn sich die Rechten als Sprecher des kleinen Mannes ausgeben. Wenn dieses Pack versucht an Montagsdemos teilzunehmen und sich gar als Hartz IV - Gegner präsentieren, ist klarzustellen, daß dies nur billige Propaganda ist, daß sie nirgendwo, wo sie in Landesparlamenten vertreten sind auch nur den geringsten Versuch unternommen haben etwas gegen diese asoziale Regierungspolitik zu unternehmen. Wir sollten auch lernen mit der blinden Wut umzugehen, die weit verbreitete Realität bei vielen perspektivlosen Jugendlichen ist. In den militanten Kämpfen im Italien der 70er haben sich einige Jugendgangs über Hinterhof-Klitschen hergemacht, in denen sich die Mitarbeiter gegen Ausbeutung und oft ausbleibende Lohnzahlung nicht zu wehren vermochten. Die Kids ließen ihren Haß an den Ausbeutern, deren Autos und Häusern aus. Es sollte durchaus diskutiert werden, inwieweit auch hier die herrschende Wut nach oben gerichtet werden kann, während die Rechten für ein Ventil nach unten zu den Migranten, Obdachlosen und Behinderten anbieten. Der Erfolg der Rechten ist eine Folge der Schwäche der Linken! Eine zeitlang inszenierten sich Faschos als Beschützer von Kinderspielplätzen gegen die von den Medien geschaffene Angst vor drogensüchtigen Kriminellen. Heute haben wir es nicht mit einer eingebildeten Angst zu tun, denn inzwischen fehlt fast jedem Geld, nur waren es keine Handtaschenräuber. Wir haben jetzt zu beweisen, daß nur wir gemeinsam eine Verteidigung organisieren können. Und genau darum müssen wir uns kümmern, wir müssen effektiv handeln gegen Ausbeutung und Sozialkahlschlag, um nicht nur in unseren Worten, sondern in unserem Handeln klarmachen auf welcher Seite wir stehen. Wenn wir vorhaben uns die Welt zurückzuerobern, sollten wir unsere Ghettos und kleinkarrierten Subkulturen verlassen und uns auch ohne Berührungsangste auf Territorien bewegen, die nicht bereits politisch korrekt besetzt sind. Die linke Retrokultur ist eher ein Zeichen von ängstlicher Rückwärtsgewandtheit. Als rechte Bands in Ost-London versuchten Einfluß in dem Arbeiter- und Migrantenstadtteil zu gewinnen, kam es zu einem Pub-Rock-Battle. Antifaschistische Bands aller Musikrichtungen traten kostenlos in jeder Eckkneipe in der Gegend auf um zu zeigen, daß sie nicht nur die besseren Menschen sind, sondern auch coolere und aufregendere Musik machen. Wir müssen lernen in diesen bitteren Zeiten wieder verstörend und mutig aufzutreten ohne zu Schlaumeiern und uns sektiererisch zu geben, schließlich wollen wir Ausbeutung und ein würdeloses Leben hinter uns lassen. Ein besseres Leben wird uns nicht geschenkt werden. Artikel von Karsten Weber Erschienen in Enough Is Enough , Zeitung für antirassistische und antifaschistische Politik in Schleswig-Holstein und Hamburg, Ausgabe Nr.24 / Frühjahr 2006 - wir danken der Redaktion für die Freigabe! |