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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Antikapitalismus als soziale Bewegung von rechts Völkischer Antikapitalismus - Erfolgsmodell der Neofaschisten? "Antikapitalismus von rechts" kann als neue strategische Ausrichtung der wichtigsten Strömungen in der deutschen extremen Rechten aufgefasst werden. Arbeitslosigkeit, Niedriglohn und "prekäre Beschäftigungsverhältnisse" werden als Krisenerscheinungen des Kapitalismus aufgerufen und zum Ausgangspunkt für "notwendige Alternativen" gemacht. Die extreme Rechte inszeniert sich als revolutionäre Opposition, inhaltlich und in Bezug auf die politischen Formen. Zentral ist dabei ein Aufgreifen und Verschieben linker Argumentationen, Strategien und Ästhetiken. Als die Sozialdemokratie in den 1990er Jahren ihr Programm auf einen "reformierten Neoliberalismus" umstellte, konnte sie in fast allen europäischen Ländern Regierungsverantwortung übernehmen. Sie machte die Positionen der Interessenvertretung der Beschäftigten frei und rief dadurch eine Situation hervor, die man mit Antonio Gramsci als Krise der Repräsentation bezeichnen kann. Die Interessen von relevanten Teilen der Bevölkerung, besonders der arbeitenden, werden vom herrschenden Parteienspektrum nicht mehr repräsentiert. "Wenn diese Krisen eintreten", so Gramsci, "wird die unmittelbare Situation heikel und gefährlich, weil das Feld frei ist für die Gewaltlösungen, für die Aktivität obskurer Mächte, repräsentiert durch die Männer der Vorsehung oder mit Charisma." (1) Vor dem Hintergrund dieser Repräsentationskrise kommt es europaweit zu Wahlerfolgen rechtspopulistischer Parteien. Sie gewinnen nicht mit dem neoliberalen Programm der 1980er Jahre, sondern gerade mit der Kritik an den Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen. Der französische Front National etwa wandelte sein neoliberales Entstaatlichungsprogramm, das auf Deregulierung, Steuersenkung und Verschlankung des öffentlichen Dienstes beruhte, zu einem Programm, das die "internationale Wirtschaftsideologie" als Feind Nummer 1 ansah. Parallel wandelte sich die Wählerbasis aus traditionellen, aber radikalisierten konservativen Rechten zum Kleinbürgertum, zur Arbeiterschicht und dann zunehmend auch zu Arbeitslosen und JungwählerInnen. Den rechten Parteien gelingt es, in die "Lücke in der Repräsentation" vorzudringen und sich als neue Vertreter der "guten alten ehrlichen Arbeit" darzustellen; für die von "der Globalisierung" erzwungenen Verschlechterungen der Lebenssituation vieler bieten sie MigrantInnen als Verursacher der Probleme an. Profiteure der "Lücke in der Repräsentation" Selbst rechtsextreme Politikprojekte, die mit dem Neoliberalismus weiter im Bunde sind, bieten die Kritik der durch ihn hervorgebrachten gesellschaftlichen Veränderungen. So ergänzt die italienische Lega Nord, die sich aggressiv auf die Ersetzung staatlicher Regulationen durch Marktmechanismen als einem zentralen neoliberalen Ideologem bezieht, ihren Ökonomismus durch einen positiven Bezug auf den Lebenszusammenhang, in den spezifische Kultur und die eigene Ethnie eingeschmolzen und Entfremdung aufgehoben sind. Gerade das Zusammenbringen unterschiedlicher, zum Teil divergierender sozialer Milieus und Interessen zeigt bei einigen rechten Konstellationen eine politische Stärke, auch wenn sie auf inkonsistenten Programmen und Theorien basiert. Das ideologische "Mischungsverhältnis" der beiden Traditionen rechtsextremer bzw. autoritär-populistischer Ideologien in den europäischen Rechten hängt dabei auch von den Konstellationen zwischen Regierung und Opposition ab. Die NPD in Deutschland - die von jeder Regierungsbeteiligung weit entfernt ist, allerdings um den Preis, dass autoritär-populistische Positionen sich als "Unterströmung" durch fast alle Parteien ziehen - hat 1996, als Udo Voigt den Parteivorsitz übernahm, ihre ideologische Ausrichtung korrigiert: "vom besitzbürgerlich ausgerichteten Deutsch-Nationalismus" (2) zu einem völkischen Sozialismus. Den Linken soll die soziale Frage entwunden werden: "Die Positionen des Antikapitalismus" seien "aus den Traditionsbeständen der beamteten APO-Opas heraus zu brechen, um sie mit nationalen Inhalten aufzuladen. Entweder es kommen endlich die ,linken Leute von rechts` oder es kommen keine Leute von rechts" (3). Mit Schulungen und gemeinsam getragenen Kampagnen haben vor allem die JN in den letzten Jahren versucht, die Kluft zwischen parteinahen und "freien" Kameradschaften zu überbrücken. Ein Beispiel ist die sogenannte "Anti-Kapitalismus-Kampagne", die seit ca. zwei Jahren vor allem in Sachsen und Thüringen von der JN betrieben wird und die zusammenführt und systematisiert, was sich in den letzten Jahren verstärkt als Bezugspunkte rechtsextremer Mobilisierungen gezeigt hat (4): Arbeitslosigkeit, Niedriglohn und "prekäre Beschäftigungsverhältnisse" werden als Krisenerscheinungen des Kapitalismus gefasst. In der Schulungsbroschüre "Privatisierung" (5) wird das "Volkseigentum" gegen die "Ausplünderung" verteidigt. Die Sachzwanglogik herrschender Politik wird angegriffen und eine "mögliche Alternative zum bestehenden System" entgegengestellt. Der "Antikapitalismus" der JN grenzt sich von der "Falschlehre" von Marx ab. Zwar wird Ausbeutung als Aneignung von Mehrwert referiert, daraus folgt aber keine grundsätzliche Ablehnung von Eigentum oder gar Klassenkampf. Propagiert wird eine sozialpartnerschaftliche Marktwirtschaft, die Eigentum schützt "solange es dem Volk dient". Dagegen sei der aktuelle Kapitalismus von "Händlertum" und "Karawanserei" gekennzeichnet. Dabei bedient die Ablehnung des "Mammonismus" antisemitische "Kritiken" des Kapitalismus, die in der Nationalzeitung oder in Nation und Europa durch Karikaturen mit einschlägigen Stereotypen untermalt werden. "Privatisierungswahn, Monopolbildung, Steuererhöhung und Hartz IV" seien nicht das Grundübel "unserer Probleme", sondern "die herrschende Zinswirtschaft des Kapitalismus". Der Zinseszins zwinge die Wirtschaft zum endlosen Wachstum und führe so zu "Umweltzerstörung, Lohnsklaverei, Globalisierung, Massenentlassungen und Armut". "Linke Wirrköpfe", die diesen Zusammenhang nicht in den Mittelpunkt stellen, bezichtigen die Autoren einer "verkürzten Kapitalismuskritik" - eine Umkehrung linker Kritiken an personalisierten und verschwörungstheoretischen Charakterisierungen des Kapitalismus. "Volkseigentum" wird gegen die "Ausplünderung" durch Privatisierung verteidigt. (6) Zentrales Thema der JN/NPD ist der völkische Nationalismus, dem etwa rassistische Argumente nachgeordnet sind, bzw. diese werden vom Nationalismus abgeleitet. Grundlage ist ein Verständnis von Nation, die auf einem einheitlichen Volk basiert, das eine gemeinsame Abstammungsgeschichte hat. Die Selbstbestimmung des "Volkes" werde untergraben durch Fremdeinflüsse - genannt Imperialismus - der auf politischen, ökonomischen und kulturellen Ebenen agiere und dort zu bekämpfen sei. Die "Fremdeinflüsse" sind äußere und innere Feinde: äußere wie etwa multinationale Konzerne und supranationale Organisationsformen (EU, NATO), die nicht auf Grundlage des "Ethnopluralismus" (7) existieren; innere Feinde wie etwa die ausländische Wohnbevölkerung. Der Kampf gegen den "Imperialismus der Multis und der USA" nimmt dabei einen zentralen Stellenwert ein. Völkische Kritik des Kapitalismus Gegen das US-Imperium gelte es, einen "eurasischen Block der Völker" als Element einer antiimperialistischen Abwehr und einer neuen völkerorientierten Weltordnung herzustellen. In völkischer Reartikulation der zapatistischen Losung "eine Welt, in der viele Welten Platz haben", rufen sie zur Ablösung der "einen Welt des Kapitals" durch eine "Welt der Tausend Völker" auf. Kulturelle Vielfalt wird als "Vernichtung der Kultur" und damit als "Vernichtung des Volkes" gesehen. Entsprechend sind die Anwesenheit von "Volksfremden" in der Gesellschaft - hier vor allem Ausländer, aber die Argumentation ist offensichtlich anschlussfähig, um auch gegen andere, innere "Volksschädlinge" gerichtet zu werden - und die gesellschaftlichen Prozesse Globalisierung, Verbreitung transnationaler Unternehmen und supranationale Organisierung Aspekte des gleichen, existenziell bedrohlichen Vorgangs: der imperialistische Kampf gegen das Volk, dem der Nationalismus als "Befreiungsbewegung" gegenübergestellt wird. Gegen die Fremdeinflüsse wird die Einheit und Gleichheit des Volkes gestellt. Die Volksgemeinschaft verspricht auch soziale Absicherung: "Der Nationalismus erstrebt soziale Gerechtigkeit und nationale Solidarität." (8) Versorgt wird, wer zum Volk gehört. Gleichzeitig ist der nationale Schutzraum Voraussetzung dafür, dass das geeinte Volk zu großen Gemeinschaftsleistungen befähigt werde. Wie im historischen Faschismus sollen hier zwei Bedeutungsaspekte des "Volkes" zusammengebracht werden: die "kleinen Leute", die Mehrheit, die unter die Herrschaft Gestellten werden angerufen und gleichzeitig als völkische Gemeinschaft konstruiert. Anknüpfungspunkte im Alltagsverstand finden diese Formulierungen gerade in der ehemaligen DDR, wo der emanzipatorische Bezug auf das "Volk" in der Tradition der Arbeiterbewegung stärker präsent war als im Westen. Hier kann das Sprechen vom "Volk" womöglich aufgreifen, was Heitmeyer et al. im Konzept der "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" als "Anomia" bezeichnen. (9) Orientierungslosigkeit, das Gefühl, dass "früher alles besser war, weil man wusste, was man zu tun hatte", hängt mit Ängsten vor sozialem Abstieg zusammen, die sich seit der Einführung von Hartz IV verstärkt haben. (10) Dieses Verständnis korrespondiert mit "Querfrontstrategien", in denen Verbindungen von rechts nach links gesucht werden, um gegen "das System" "für das Volk" zu arbeiten. Indem multinationale Konzerne und die Anwesenheit von Flüchtlingen, von ausländischen Mitbürgern etc. in Deutschland vom rechten Standpunkt aus als zwei Seiten der gleichen Medaille gedacht werden, scheint das eine im anderen bekämpft werden zu können. Rassistische Gewalt ist dann unmittelbar Antiglobalisierungspolitik. Die Komplexität der realen Zusammenhänge muss nicht gedacht werden, die Erfahrung von politischer Hilflosigkeit angesichts globaler Prozesse kann in Handlungen umgesetzt werden. Dabei werden die Passivierungseffekte der Sachzwangargumentationen aktiv aufgegriffen: "Stoppt die Demontage Deutschlands! Es gibt Alternativen". Die Slogans werden ergänzt durch ein alltägliches Ringen um (kulturelle) Hegemonie: Kinderfeste, Nachbarschaftshilfe, Aufgreifen kommunaler Probleme, kulturpolitische Offensiven auf Schulhöfen etc. hinterlassen den Eindruck, "die tun wenigstens was". Seit den 1990er Jahren arbeitet die NPD am "3-Säulen-Konzept": Kampf um die Köpfe (11), um die Straße und um die Parlamente. Es gelte an "veränderte Lebenswelten" (12) der Menschen anzuknüpfen, die von "nationalen Ideologen in ihren Elfenbeintürmen" nicht erreicht würden: "Sie erleben heute eine riesige Betonwüste. Sie erleben Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Verwahrlosung, trostlose Supermärkte und eine völlig gleichgeschaltete Gesellschaft. Sie erleben eine Ellenbogengesellschaft, von welcher entfernt anonym und weit weg die ,Bonzenschweine` hausen und über ihre Köpfe regieren." Hier zeigt sich ein gutes Gespür für die Bedeutung der Politik um Lebensweisen in Verbindung mit einem gesellschaftlichen "Großkonzept" für den Kampf um kulturelle Hegemonie. Ernst Bloch analysierte in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, wie die faschistische Bewegung ihre Propaganda mittels "Entwendungen aus der Kommune" (13), wie die rote Fahne der Arbeiterbewegung, ihre Aufmärsche, ihre Lieder etc., mit revolutionärem Schein ausstaffierte. Entsprechend hat sich das Auftreten der Neonazis stark gewandelt: Kleidung, Webseiten, Transparente zitieren und kopieren linke, globalisierungskritische und antifaschistische Codes. Palästinenser-Tuch und schwarzes Kapuzenshirt verdrängen die "klassische" Skinhead-Kultur. "Antikapitalismus von rechts" behauptet Anknüpfungspunkte an die Revolutionen in Kuba, Vietnam und bebildert den Artikel mit Che Guevara: "Vaterland oder Tod". "Mögen auch viele dieser Bewegungen der Geschichte angehören, so geht von ihnen bis auf den heutigen Tag eine große Faszination aus. Angesichts der Globalisierung könnten aus den Funken der Erinnerung lodernde Flammen des nationalen und sozialen Widerstands emporschießen." (14) In die revolutionären Bewegungen werden Nationalsozialisten und "Nationalsyndikalisten", Faschisten, Falangisten, Peronisten, die Bewegung von Hugo Chavez und die DDR eingereiht. Nationalismus als "Befreiungsbewegung" "Nazitum bildet (...) einen Schutzraum für die widersprechende Unruhe, damit sie ja nicht erwache", schrieb Bloch (15) über die Widersprüche des aufziehenden deutschen Faschismus, in dem sich auch der Kampf gegen veraltete Lebensweisen und die Sehnsucht nach dem Gewesenen zusammenfanden. Die Bildung des geschichtlichen Blocks gelang damals mit der Bei- und Unterordnung der völkisch-antikapitalistischen Fraktion unter die Fraktion des Großkapitals. (16) Das Nebeneinander von neoliberalem Rechtspopulismus und extremer "Bewegungsrechter" macht die Rechte nicht für die Bildung geschichtlicher Blöcke uninteressant: Sie organisieren Zustimmung für die parteimäßig verfassten Formen des Rechtsextremismus. Und sie sammeln die "anderen" Parteien unter einer Fahne, zwingen linke Politikoptionen in den "Konsens der Demokraten", im Zweifelsfall delegitimieren sie Kritik am Sozialabbau. Nach ihrer Abwahl haben die rechten Parteien den gesellschaftlichen Konsens deutlich nach rechts verschoben. Doch was sind die "Widersprüche", die hier ruhig gestellt werden? Die SIREN-Untersuchung (17) konnte das Ineinandergreifen von subjektiven Erfahrungen neoliberaler Umstrukturierungen und dem Hinwenden zu rechtsextremen Argumentationen zeigen. Zentral scheint die Erfahrung, dass die Einzelnen ihre Position in der sozialen Welt aufgrund der veränderten (je konkret, für die hoch qualifizierte IT-ArbeiterInnen wie prekarisierte Putzfrauen herausgearbeiteten) gesellschaftlichen Anforderungen überdenken müssen. Es entstehen Gefühle von Ungerechtigkeit und Frustration, weil die Menschen trotz schwerer Arbeit und schmerzlicher Unterordnung nicht in der Lage sind, die angestrebte Position zu erreichen. Das Gefühl des "aufgekündigten Gesellschaftsvertrages" bezieht sich auf die implizite Vorstellung, dass "harte Arbeit" sich gegen gesellschaftliche Absicherung, Lebensstandard und Anerkennung "tausche". Die Enttäuschten äußern durchaus Bereitschaft, härter zu arbeiten und mehr zu leisten, müssen aber feststellen, dass ihre legitimen Erwartungen an verschiedene Aspekte von Arbeit, Beschäftigung, sozialen Status oder Lebensstandard dauerhaft frustriert werden: Der Vertrag ist einseitig gekündigt worden. Dies führt zu Ungerechtigkeitsgefühlen und Ressentiments in Bezug auf andere soziale Gruppen, die sich den Mühen der Arbeit anscheinend nicht in gleichem Maße unterziehen und für die besser gesorgt wird oder die ihre Sachen (illegal) selbst arrangieren: einerseits ManagerInnen, PolitikerInnen mit hohem Einkommen, die sich großzügige Pensionen zusprechen, andererseits Menschen, die von der Wohlfahrt leben, statt zu arbeiten, oder Flüchtlinge, die vom Staat unterstützt werden. Unmittelbare individuelle Sicherheit "Diese gestörte Balance in ihrem Bezug zur Arbeit bei gleichzeitigem Mangel an legitimen Ausdrucksformen für das Leiden scheint in vielen Fällen der Schlüssel für das Verständnis des Zusammenhanges zwischen sozioökonomischem Wandel und politischen Reaktionen zu sein." (18) Politische Botschaften und Ideologien des Rechtspopulismus, die die zweifache Abgrenzung "des Volkes" von Eliten oben und Ausgestoßenen unten in Anschlag bringen, finden hier Resonanz. Die Abgrenzung von angeblichen untätigen LeistungsempfängerInnen, also Flüchtlingen, SozialhilfeempfängerInnen, Kranken und Behinderten, findet sich dabei bis in die höchsten Hierarchieebenen der Beschäftigten (oft auch als Wohlstandschauvinismus bezeichnet) und ist auch in gewerkschaftlichen Kreisen verbreitet. Zentral ist auch die Angst vor Deklassierung, Unsicherheit und Ohnmachtsgefühlen, die mit industriellem Niedergang, prekärer Beschäftigung und Entwertung von Fähigkeiten und Qualifikationen verbunden sind. Die Erfahrung, Spielball der ökonomischen Entwicklung oder scheinbar anonymer Mächte zu sein, wird verbunden mit rechtspopulistischen Mobilisierungen, die die Bevölkerung als passives Opfer von übermächtigen Gegenspielern ansprechen. Ähnlich "funktioniert" die nostalgische Wertschätzung der guten alten (Arbeiter-)Zeiten und die populistische Glorifizierung von traditionellen Gemeinschaften. Die öffentliche Anerkennung der Probleme von Prekarisierung und sozialem Abstieg ist hier ein Vorteil für die extreme Rechte. Ebenso vermag ihre Thematisierung von nationalen oder subnationalen Einheiten als Träger kollektiver Interessen die Ohnmachtgefühle anzusprechen, die sich nicht nur auf die individuelle Ebene beziehen, sondern auch kollektive Einheiten wie Regionen, die Arbeiterklasse, die Nation. Die extreme Rechte thematisiert die Alltagserfahrung der Subjektanforderungen der neuen Produktionsweisen und löst sie in Richtung der Volksgemeinschaft. Die "völkische Identität" birgt das Versprechen von sozialer Sicherheit und Gleichheit, Solidarität und Zugehörigkeit. Die Aufwertung entlastet von der Sorge, ob man selbst dazu gehören wird, ob die im neuen Sozialstaat geforderte eigene "Aktivierung" ausreichen wird. Gleichzeitig wird das Prinzip der Konkurrenz für den verschärften Kampf um gesellschaftliche Ressourcen gegen "undeutsche" Elemente genutzt. Rechtsextremes Denken ermöglicht also ein widersprüchliches Bewegen in den neoliberalen Subjektanforderungen. Einerseits werden sie zurückgewiesen und im rechtsextremen Modell von volksgemeinschaftlichem Sozialstaat aufgelöst, andererseits werden ihre Formen der Ausgrenzung, Brutalisierung, Mobilisierung des Subjekts aufgegriffen und gegen die gesellschaftlich Marginalisierten gewendet. Es ermöglicht damit ein "Denken in den Formen", das sich inhaltlich dennoch als Opposition geriert, mithin die Grundlagen gesellschaftlicher Konkurrenz und Verwertung affirmiert. Dabei hilft es wenig, von "Demagogie" oder "Instrumentalisierung" der sozialen Frage durch die extreme Rechte zu sprechen, weil so nicht verstanden werden kann, welchen Stellenwert und auch inhaltliche - problematische - Konsistenz die rechten Argumentationen zur Sozialpolitik haben und warum sie für viele Menschen attraktiv erscheinen. Der aktuelle Rechtsextremismus "beschwindelt" die Menschen nicht einfach, sondern er greift subjektive Erfahrungen mit gesellschaftlichen Umbrüchen auf, bietet ein Modell für ihr Verständnis und ihre Veränderung und muss dabei nicht mit den eigenen Grundlagen - völkischer Nationalismus, Rassismus und Ungleichheitsideologien und Ablehnung von Demokratie zugunsten von Volksentscheiden und strafferen Führungskonzepten - brechen. Der Kampf um Lebensweise als Kampf um Hegemonie Die Zustimmung zu rechten Politikoptionen kann also als "völkisches Wohlfahrtsstaatsbewusstsein" gefasst werden. Um die "Entwendungen aus der Kommune" in emanzipatorische Konzepte zu überführen, muss es der Linken gelingen, diese Aspekte neu einzubetten. Zentral sind dabei die Momente sozialer Sicherheit ebenso wie die Fähigkeit, ein "Gesamtkonzept" zu bieten, vor dessen Hintergrund die gesellschaftlichen Entwicklungen interpretiert und veränderndes Handeln begründet werden können. Die Linke stößt hier immer wieder auf Grenzen: Wie lässt sich die Verteidigung sozialer Rechte der Bevölkerung in den ehemaligen "Zentren" in eine emanzipatorische Konzeption einbetten, die den Korporatismus nicht einfach von Deutschland auf die EU ausweitet? Andererseits wird eine globale Perspektive kaum vermitteln können, dass sie auch für die alltäglichen Probleme Verbesserungen zu bieten hat. Die Passivierungseffekte der fordistisch-sozialdemokratischen Regierungen wie der neoliberalen Sachzwangdebatten können nicht einfach "von oben" beantwortet werden. Durchaus nicht alle Interviewten der SIREN-Untersuchung haben die gesellschaftlichen Umarbeitungen rechts verarbeitet: Andere, die aufgrund von Umstrukturierungen sich plötzlich in Konkurrenz mit gesellschaftlich unterlegenen Gruppen wiedergefunden haben, haben sich trotzdem nicht dem Rechtsextremismus zugewandt. Sie konnten auf andere theoretische Verarbeitungsformen, eine Biografie des politischen Engagements, Erfahrungen mit Organisation von Demonstrationen und Widerstand etc. zurückgreifen. Holzkamp verweist auf die Notwendigkeit einer "kooperativen Integration" (19), damit für die Subjekte überhaupt ein Denken funktional wird, in dem nicht das ideologisch nahe gelegte sich einfach reproduziert, ein "Denken über die Formen" möglich wird. Diese kooperative Integration kann neu gefasst werden als Formen von gegenhegemonialen Bewegungen, Diskursen, als gesellschaftliche Repräsentation von Kritik und Utopie, die aber "stark", "wahrnehmbar" genug sein müssen, um überhaupt potenziell in die Prämissen von Handlungsbegründungen eingehen zu können. Als "subjektive Seite" der Repräsentationskrise kann verstanden werden, dass die Menschen, die aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Anforderungen sich gezwungen sehen, ihre Position in der Welt zu überdenken und neu zu begründen, kaum Denk- und Deutungsangebote finden. Die hegemoniale Sichtweise beleuchtet vor allem die Hochglanz- und Erfolgsgeschichten der neuen Produktionsweise. Das Leiden an den Anforderungen ist in der "Mitte" kaum repräsentiert, die linken Thematisierungen sind vielfach schwach. Teile der Linken rufen in Kritik an der neoliberalen Globalisierung den fordistischen Wohlfahrtsstaates auf. Die extreme Rechte ihrerseits wuchert mit dem "repressiven Subtext" fordistischer Lebensweisen und versprechen gleichzeitig den radikalen Bruch mit dem Bestehenden. Indem die extreme Rechte Kritik an Produktionsweise, Globalisierung, Kapitalismus und politischer Passivierung "revolutionär" artikuliert, ist sie zwar für aktuelle Einbindung in den Block an der Macht unbrauchbar. Dennoch leistet sie eine passive Hilfe, indem sie diese Kritik absorbiert und kanalisiert und emanzipatorische Perspektiven schwächt. Der Erfolg der Linkspartei bei der letzten Bundestagswahl zeigt, dass die Kritik von Sozialstaatsreformen, Globalisierung und Kapitalismus nicht per se rechts kodiert ist. Daraus ergibt sich die Anforderung an linke Politik, die Entwicklung popular-demokratischer Positionen voranzubringen, in denen die alltäglichen Erfahrungen, das Leiden und die Widersprüche der Produktionsweise repräsentiert sind und Perspektiven auf eine nach-kapitalistische Gesellschaft eröffnet werden. Eine abstrakte und ausschließliche Fundamentalkritik oder eine Orientierung auf realpolitisch mögliche, kleine Schritte, die notwendig im Rahmen des bestehenden argumentiert, werden es nicht vermögen, Perspektiven auf eine veränderte Gesellschaft mit den Erfahrungen der Umarbeitung von Lebensweisen bei den Menschen zu verbinden und wird ihnen so auch keinen Grund geben, dieses politische Projekt als ihr eigenes zu übernehmen. Christina Kaindl Erschienen in ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis - Nr. 517 vom 18.5.2007 Anmerkungen: 1) Antonio Gramsci: Gefängnishefte. Berlin/Hamburg 1991ff., Bd. 7, S. 1577f. 2) Arnim Pfahl-Traughber: Globalisierung als Agitationsthema des organisierten Rechtsextremismus in Deutschland. Eine Analyse inhaltlicher Bedeutung und ideologischer Hintergründe. In: Thomas Greven/Thomas Grumke (Hg.): Globalisierter Rechtsextremismus? Die extremistische Rechte in der Ära der Globalisierung. Wiesbaden, S. 30-51, hier S. 33 3) Nation und Europa , 10/98 ("16 Thesen zum Kapitalismus: dem Geld dienen oder dem Volk?") 5) http://snbp.info/files/Privatisierung.pdf 6) Schulungsbroschüren "Privatisierung - Wirtschafts- und Plünderungsstandort Deutschland" (Hg.: Initiative für Volksaufklärung) 7) Ethnopluralismus kann als "Rassismus ohne Rassen" bezeichnet werden; er stellt eine völkische Konstruktion dar, die vor allem auf die "Reinheit" von Völkern zum Erhalt ihrer Identität und Lebensfähigkeit abzielt. Vermischung von "Völkern" wird hier als Existenzgefährdung gedacht. 8) http://www.jn-buvo.de/index.php?option=com_content&task=view&id=108&Itmid=33 9) Wilhelm Heitmeyer: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Die theoretische Konzeption und erste empirische Ergebnisse. In: Ders. (Hg.): Deutsche Zustände. Folge 1. Frankfurt/M. 2002, S. 15-33 10) Sandra Hüpping: Anomia. Unsicher in der Orientierung - sicher in der Abwertung. In: Heitmeyer, W. (Hg.): Deutsche Zustände. Folge 4. Frankfurt/M. 2006, S. 86-100. 11) So zuerst in dem Strategiepapier des Nationaldemokratischen Hochschulbundes "Schafft befreite Zonen" ( Vorderste Front , Nr.2, Juni 1991) und später eingebettet in eine Gesamtstrategie bei Holger Apfel (Hg.): Alles Große steht im Sturm. Tradition und Zukunft einer nationalen Partei. Stuttgart 1999. 12) JN-Bundesvorstand: "Nationalismus heißt Kapitalismuskritik", www.junge-nationaldemokraten.de 13) Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit. Gesamtausgabe Bd.4, Frankfurt/M.m 1926, S. 70 14) "Antikapitalismus von rechts", (Hg. AG Zukunft statt Globalisierung/Sachsen, 3/2006) 16) Die erste Fraktion wurde allerdings bereits 1934 kaltgestellt und die Ideologieelemente in völkischen Rassismus der Nazis reartikuliert. 17) Eine europaweite qualitative Untersuchung zu Veränderung der Anforderungen in der Arbeit und rechtspopulistischen Denkweisen, vgl. www.siren.at und Jörg Flecker/Gudrun Hentges: Rechtspopulistische Konjunkturen in Europa. In: Joachim Bischoff u.a. (Hg.): Moderner Rechtspopulismus. Hamburg 2004. 19) Klaus Holzkamp: Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/M. 1983 ak - analyse & kritik |