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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Wenn die Menschen gehen und die Wölfe kommen Völkischer Antikapitalismus am Beispiel Sachsen "In Leipzig und Dresden ziehen neue Industrien ein. In der Oberlausitz die Wölfe" titelt das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in seinem Bericht "Deutschland 2020. Die demographische Zukunft der Nation". "Kaum ein Mensch", heißt es darin, "hat die Wölfe je zu Gesicht bekommen. Das liegt nicht nur daran, dass Wölfe ausgesprochen scheu sind, sondern auch daran, dass in der Region immer weniger Menschen wohnen." Bis 2020 soll die sächsische Oberlausitz, so die Prognosen, noch einmal rund 15 Prozent der ohnehin schon stark geschrumpften Bevölkerung verlieren. Die Region scheint abgeschrieben. Wer jung ist und gut ausgebildet, geht so schnell wie möglich, in der Regel in den Westen. Während das DGB-Bundesvorstandsmitglied Heinz Putzhammer in der Wochenzeitung Die Zeit noch ein Heilmittel darin sieht, das Programm "Aufbau Ost" zu einer gezielten Regionalentwicklung zu nutzen und dadurch den Menschen wieder eine Perspektive zu geben, üben sich andere in Galgenhumor ("Die Einzigen, die es jetzt noch freiwillig in die Lausitz zieht, sind die Wölfe") und betonen, dass es innerhalb dieses Systems überhaupt keine Lösung geben könne. Sie titeln ihrerseits zum gleichen Thema: "Wenn die Menschen gehen und die Wölfe kommen - vom alltäglichen Raubtierkapitalismus in der Lausitz". Sie - das sind die Neonazis des "Lausitzer Aktionsbündnisses", eines Netzwerks, dessen AkteurInnen sowohl im südlichen Brandenburg als auch in Ostsachsen aktiv sind. Einige Kameradschaften des Netzwerks, aus dessen Reihen auch maßgeblich die Mitteldeutsche Jugendzeitung entstammte, sind verboten worden, andere haben sich aufgelöst, um dem zu entgehen, wieder andere sind bei den Jungen Nationaldemokraten untergeschlüpft und prägen jetzt dort Erscheinungsbild, Aktionsformen und Ausrichtung. So gehört Sebastian Richter (Pseudonym: "Sepp Hagen"), langjähriger Kopf der Freien Aktivisten Hoyerswerda, nunmehr dem Landesvorstand der JN an. Gleichzeitig gilt er als einer der Wortführer der so genannten "Antikap-Kampagne" der Neonazis, in der mittels Demonstrationen und Materialien versucht wird, den in der Bevölkerung verbreiteten Unmut und die Perspektivlosigkeit für sich nutzbar zu machen. Nur folgerichtig ist es in dieser Strategie, wenn entsprechend besetzte Tage für die eigene Propaganda genutzt werden. Am 1. Mai 2006, während die NPD in Berlin vergeblich darauf wartete marschieren zu dürfen, marschierten die Kameraden des Lausitzer Aktionsbündnisses unangemeldet, ungehindert und nacheinander in den Lausitzer Städten Bautzen, Hoyerswerda und Weißwasser. Am diesjährigen 1. Mai, während in Erfurt, Dortmund und Nürnberg Tausende gegen die NPD auf die Straße gingen, tauchten sie ebenso unangemeldet und nahezu ungehindert in den mittelsächsischen Kleinstädten Roßwein, Riesa und Oschatz auf. Lausitz: Wer kann, der geht Das organisatorische Dach der NPD/JN nimmt dabei nicht nur den Verbots- und Verfolgungsdruck, sondern bietet zugleich die Möglichkeit einer genaueren Zielgruppenansprache. In einer Auflage von 20.000 Exemplaren wird alle paar Monate die regionale Kleinzeitung Blickpunkt Lausitz verteilt. Es ist nicht das einzige Blatt seiner Art andere wie der Blickpunkt Sächsische Schweiz oder der Blickpunkt Vogtland sind inzwischen gefolgt. Das Konzept ist überall gleich. Konkrete Probleme der Region, die den Menschen unter den Nägeln brennen, werden aufgegriffen, antikapitalistisch gedeutet und völkisch aufgeladen. Ergänzt wird die Mischung jeweils durch Rassismus und Propaganda für die parlamentarischen Initiativen der NPD im sächsischen Landtag. Die wiederum belässt es keineswegs bei sozialer Demagogie, hütet sich vor Abstraktheit und setzt sich stattdessen für konkret in ihrer Existenz bedrohte Betriebe ein. Ob es sich um die Lausitzer Textilfabrik Erba-Lautex oder den maroden Fahrradhersteller Biria handelt, stets nutzt die Fraktion der NPD die Gelegenheit, den wirtschaftlichen Niedergang etablierter und einstmals großer Firmen argumentativ als Folge einer "schleichenden Entnationalisierung" durch EU und Globalisierung darzustellen. Als die NPD die bevorstehende Schließung von Erba-Lautex im Landtag zum Thema machte, hatte sie zuvor intensiv mit der verbliebenen Belegschaft gesprochen. Rund 50 Arbeiter waren angereist, um mit Transparenten von der Landtagstribüne aus ihrem Unmut auf "die Politik" Luft zu machen. Im Gegensatz zu früheren wirtschaftsliberalen Positionen der extremen Rechten, denen der herrschende Neoliberalismus noch nicht weit genug ging, wie der Bund Freier Bürger Manfred Brunners oder der REPs in der Schlierer-Ära, setzen NPD wie auch die mit ihr verbündeten Freien Kameradschaften auf das, was einstmals die Gebrüder Strasser als "antikapitalistische Sehnsucht des deutschen Volkes" bezeichneten. Gerade in den "blühenden Landschaften" des Ostens ist es leicht, für diese ideologische Ausrichtung AnhängerInnen zu gewinnen. "Mitteldeutschland steht nahe am Bankrott. Nein, Mitteldeutschland ist bankrott. Denn dort, wo eine Bevölkerung sich nicht mehr fortpflanzen will und stattdessen den Wegzug in Kauf nimmt, hat der Kapitalismus seine Blütezeit überschritten", heißt es in dem Artikel "Wenn die Menschen gehen"", der sich auf der Internetpräsenz des Lausitzer Aktionsbündnisses findet. Nicht selten wird wegen der Kapitalismuskritik Zustimmung geerntet, und die AdressatInnen bemerken nicht oder ignorieren die nationalistische und bevölkerungspolitische Aufladung. Dass die Lausitz nicht in Mitteldeutschland liegt, sondern im äußersten Osten des Landes, wird bestenfalls zweitrangig. Die in dem Beitrag genannten "menschenleeren Dörfer" und "runtergekommenen Industriestädte" kennt hier jeder. Die Neonazis knüpfen an die Alltagserfahrung der Menschen an. Die Lausitz, so die Verbündeten der NPD, ist beispielhaft: "Regionen wie die Lausitz zeigen - vorerst noch im kleinen - was ein System anrichten kann, welches in einer begrenzten Welt auf unbegrenztes Wachstum schwört. Ein System, in dem nicht die Versorgungssicherheit und Weiterentwicklung des Volkes im Mittelpunkt steht, sondern die Gewinnmaximierung. Ein System, in dem das Volk der Wirtschaft und die Wirtschaft dem Geld dient. Ein System was sich einen Dreck darum schert was mit den Ausgebeuteten geschieht." Konkrete Probleme werden völkisch aufgeladen Zentraler Ansatzpunkt der Kapitalismuskritik ist hier wie anderswo stets das Volk. Das deutsche Volk, versteht sich. Das Volk ("wir hier unten") steht gegen die Verantwortlichen ("die da oben"), die VertreterInnen der anderen Parteien, die ihr Handeln nicht nach den Bedürfnissen des Volkes richten: "Es sind die selbst ernannten Demokraten von PDS bis Republikaner, die Profit aus dieser Entwicklung schlagen. Jene, denen unser Volk egal ist, solange sie ein fettes Leben führen können. Es sind die Mitarbeiter in den Parteistuben, deren Gehalt gesichert ist. Es sind die Staatsangestellten, die diesen Wahnsinn auch noch verwalten. Sie alle wissen was sie tun, denn sie erhalten bewusst dieses System." Dieses System, als "goldene Internationale" charakterisiert, ist der zu bekämpfende Feind. Dies ist keine soziale Demagogie, sondern bitter ernst gemeint. Ein Kapitalismus, der international geworden ist, ist - so die Logik der Autoren - zugleich anational und vertritt nicht mehr die Interessen des Volkes. Und natürlich sind die Nazis aller Schattierungen vor allem Nationalisten. Warum sollte es also Demagogie sein, wenn die gegen den Kapitalismus wettern? Kann ein deutscher Nationalist ein System, das ein Drittel des deutschen Volkes sozial aus der Volksgemeinschaft ausschließt, tatsächlich unterstützen? Nicht Reform am System sei daher die Lösung, sondern nur ein revolutionärer Bruch könne diese bringen. Denn auch rechte Gruppen, so unterstreichen sie, werden das Problem nicht lösen können, "solange sie auf dem Boden des liberalkapitalistischen BRD-Systems stehen. Denn wer die morschen Grundpfeiler dieses Systems nicht wegsprengt, um ein neues Fundament zu errichten, der wird als Grundlage für ein neues System eine ebenso wankende Basis haben, wie die alte Ordnung." Die Alternative zum System sei "die Abschaffung der Zinswirtschaft". Das klingt zwar allzu sehr nach der bekannten NS-Ideologie, doch wer dem Argumentationsstrang bis zu dieser Stelle gefolgt ist, wie häufig jetzt nicht mehr widersprechen. Der sichtbare Niedergang durch den Strukturwandel der Region, so geben sie letztlich neue Hoffnung, berge allerdings auch neue Möglichkeiten in sich. Dort, wo der Staat aufgegeben habe und sich zurückziehe, könnten sie selbst verstärkt ansetzen und aktiv werden. Denn "dort wo wird, den öffentlichen Raum prägen, dort hat das System schon heute verloren". Es sind Ideologen wie der NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen W. Gansel, die den AktivistInnen vor Ort die notwendigen Stichworte liefern, die sie in ihren Regionen und für diese übersetzen. Gansel selbst hebt die Detailkritik des Lausitzer Aktionsbündnisses auf eine allgemeine Ebene. Sein Thema ist "Der Globalisierungs-Angriff auf den ländlichen Raum". Wählerfang mit völkischer Globalisierungskritik Ausgangspunkt für Gansel ist die "Ressourcen-Umverteilung von unten nach oben", die für "krasse soziale Ungleichheiten" sorge. Interstaatlich verstärkten sich durch die Globalisierung die Entwicklungsunterschiede zwischen "prosperierenden Zentren und ausblutenden ländlichen Regionen". Implizit bezieht Gansel damit bereits in seinen Eingangssätzen eine Gegenposition zur sächsischen Regierung, die auf die Strahlkraft von industriellen "Leuchttürmen" auf das Umland setzt. Er braucht das gar nicht mehr zu erläutern, denn diese Leuchtturmpolitik ist als solche sprichwörtlich und kann als bekannt vorausgesetzt werden. Die nationalistische und rassistische Wende lässt nicht auf sich warten. Zehn Millionen Menschen seien es, zitiert er das Statistische Bundesamt, die "dem sozialen Siechtum verfallen", während andererseits "jedes Jahr Abermilliarden Euro für ausländische Sozialschmarotzer, interessenwidrige Auslandseinsätze der Bundeswehr und horrende Nettozahlungen an die erweiterungswütige Europäische Union verschleudert werden". Gansel erweitert seine Kritik an Kapitalismus und Globalisierung um einen Punkt, den die Neonazis des Lausitzer Aktionsbündnisses noch ausgeklammert hatten: den der demographischen Entwicklung. Die Erfahrung, dass die Menschen gehen und die Wölfe kommen, wird bei ihm Teil seines politisch-strategischen Konzeptes: "Das Grundproblem, das im ländlichen Raum durch eine regelrechte Landflucht verschärft wird, ist der Geburtenmangel in Deutschland, der die Gefahr des Volkstodes in sich birgt. Das Land des individualistisch-materialistischen Homo bundesrepublicanus weist mit 1,3 Kindern pro Frau eine der niedrigsten Geburtenraten in der Europäischen Union auf." Kapitalismus und Globalisierung rufen also das Schreckgespenst per se für jeden deutschen Nationalisten herauf: das Aussterben des deutschen Volkes. Die "demographische Katastrophe" drohe, die "politkriminelle Klasse" unternehme nichts zu ihrer Abwehr. Gansels kaum überraschende Schlussfolgerung: "Nur antideutsche Zyniker und durchgeknallte Tierfreunde können sich angesichts dieses Rückgangs von Siedlungsinfrastruktur über die Rückkehr der Wölfe in die Lausitz freuen." Die Wölfe seien eine Folgeerscheinung des "Wolfsgesetzes der Globalisierung". Das Volk sei "Solidarverband" und "sozialer Schutzraum", "binnennationale Verwerfungen" seien im Gegensatz zu den "natürlichen und vertretbaren sozioökonomischen Ungleichheiten zwischen Kontinenten und Nationen" nicht hinnehmbar. Gansel schreckt nicht davor zurück, an die Forderung des Grundgesetzes nach Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu gemahnen. Neu an all dem ist nur eines: die Übersetzung der völkisch-nationalistischen Kritik von Kapitalismus und Globalisierung auf das Level der Region. Genau das allerdings macht sie für die Zielgruppe, die Menschen in den benachteiligten Regionen, nachvollziehbar und plausibel. Der völkische Antikapitalismus verfeinert seinen Diskurs im Labor Sachsen. Der Erfolg der Strategie wird sich im September 2009, bei der nächsten Landtagswahl, überprüfen lassen. Man muss kein Prophet für die Voraussage sein, dass die Chancen für die NPD bis dahin weiter steigen werden. Jean Cremet Erschienen in ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis - Nr. 517 vom 18.5.2007 ak - analyse & kritik |