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Updated: 18.12.2012 15:51
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Europäisches Innenministertreffen in Cannes verabschiedet "Einwanderungspakt"

Am Montag dieser Woche, 7. Juli, waren die Innenminister der 27 Staaten der Europäischen Union in Cannes versammelt, um den vom derzeitigen EU-Ratspräsidenten Nicolas Sarkozy vorgeschlagenen "Einwanderungspakt" ( Pacte d'immigration ) zu verabschieden. Dieses Projekt war durch das französische "Ministerium für Einwanderung und nationale Identität", das unter Präsident Sarkozy im Mai 2007 neu eingerichtet worden und mit Sarkozys "rechter Hand" Brice Hortefeux besetzt worden ist, ausgearbeitet worden.

Zu den wesentlichen Bestandteilen dieses Pakts zählt der "Verzicht auf massive Legalisierungsoperationen für illegale Einwanderer". Im Hintergrund steht der Streit zwischen Frankreich und Spanien: Paris erhob seit nunmehr drei Jahren heftige Vorwürfe gegen Madrid unter Premierminister Zapatero (und, abgeschwächt, auch gegen Rom unter der vorherigen Regierung unter Romano Prodi), weil deren Regierungen mehreren Hunderttausend auf ihrem Staatsgebiet lebenden Menschen nachträglich Aufenthaltspapiere verschafft hatten. Dies nennt man im Französischen eine "Legalisierungsoperation" oder opération de régularisation .

Die italienische und insbesondere die spanische Regierung fanden dabei durchaus ihr Interesse: Spanien, das unter dem 1975 verstorbenen Diktator Franco noch überwiegend ein Agrarland - zuzüglich Kolonial-Rente für die Oberklassen plus einen gewissen Anteil Tourismusindustrie - war, hat seit 1990 einen sprunghaften Wachstumsschub erfahren. Sieben Millionen neue Zuwanderer haben in den letzten beiden Jahrzehnten dazu beigetragen, Industrie und Dienstleistungsgewerbe auf- und auszubauen, die Bauwirtschaft anzukurbeln und entvölkerte dörfliche Gebiete im Landesinneren wieder zu besiedeln. Viele unter diesen Einwanderer waren "illegal", und sie kamen oft aus spanischsprachigen Staaten in Lateinamerika (Ecuador, Peru.) oder aus Osteuropa. Ihr Platz in der Nationalökonomie gilt der Mehrheit der spanischen politischen Klasse inzwischen als unverzichtbar. Gleichzeitig fand die Staatsmacht ihr eigenes Interesse an der nachträglichen "Legalisierung" der bisherigen "illegalen" Situation dieser Einwanderer: Wurden diese bis dahin "schwarz" beschäftigt, werden nunmehr Sozialbeiträge für sie abgedrückt. Waren die Sozialversicherungskassen vorher in den roten Zahlen, wurden sie dadurch in die schwarzen Zahlen gehoben.

In Frankreich sah man dies, auf offizieller Seite, völlig anders. Auch hierzulande gehören "illegale" Einwanderer zwar als fester Bestandteil zum Arbeitskräftereservoir mehrerer Wirtschaftsbranchen: insbesondere Bauindustrie, Gaststätten-, Reinigungsgewerbe. Nur verweigert man hier den ,Sans papiers', jedenfalls in ihrer überwiegenden Mehrzahl, die "Legalisierung" bzw. gewährt selbige nur nach "Einzelfallprüfung" und ausnahmsweise. Dies bedeutet nicht, dass es künftig keine "illegalen" Einwanderer in den entsprechenden Wirtschaftsbranchen mehr gäbe - nur verweigert man ihnen die Rechtspositionen und den Zugang zu sozialen Sicherungssystemen, die mit einer "Legalisierung" ihres Aufenthalts verbunden wäre. Dadurch behält man sie in einer prekären und (relativ) rechtlosen Situation, in einem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber ihrem Arbeitgeber.

Darum drehte sich der heftige Streit innerhalb der EU, bei dem (leicht vergröbert und vereinfacht) sich Paris und Berlin auf der einen Seite, die südeuropäischen Länder auf der anderen Seite gegenüber standen.

Nunmehr wurde dieser Streit weitgehend zugunsten der französischen Position entschieden. Allerdings hat Spanien, nach längerem hinhaltendem Widerstand, die Aufnahme einer oberflächlichen Kompromissformulierung in die entscheidende Passage des Beschlusses erreicht. Und so verabschiedete die europäische Innenministerkonferenz folgenden Satz: "(Der Ministergipfel) kommt überein, sich im Rahmen der nationalen Gesetze auf fallweise und nicht allgemeine Legalisierungen aus humanitären oder wirtschaftlichen Gründen zu beschränken. " Dadurch hat sich, völlig eindeutig, die französische Position - zugunsten von "Einzelfallprüfungen", die je nach politischem Gusto ausfallen, und gegen kollektive "Legalisierungs"regeln - durchsetzen können.

Hingegen fantasiert und halluziniert die ,taz', wenn sie dies als "Niederlage" für Frankreichs Hardlinerpräsidenten Sarkozy bewertet und gar behauptet, dass damit dessen so genannter Einwanderungspakt nun "vom Tisch" sei. (Vgl. http://www.taz.de/1/politik/europa/artikel/1/legalisierung-von-illegalen-nicht-illegal/ externer Link) Da sind wohl mit ihrer "europhilen" respektive pro-EU-blinden und naiven Brüsselkorrespondentin, Daniela Weingärtner, mal wieder die Gäule durchgegangen. Sämtliche französische Zeitungen, ob nun Sarkozy-kritisch oder -unkritisch, bezeichnen unterdessen die Verabschiedung des "Einwanderungspakts" durch die europäische Innenministerkonferenz am Montag in Cannes als faktischen Triumph für Sarkozy und Hortefeux.

Dieser "Pakt" beinhaltet noch weitere wichtige Punkt, neben dem Ausschluss kollektiver und allgemein gehaltener "Legalisierungs"regelungen zugunsten von "Einzelfallprüfungen". Da findet sich etwa der klare Vorzug, der dem Zuzug von nach ökonomischen Nutzbarkeitskriterien ausgewählten Migranten (de facto zu Lasten von Familienzusammenführung und Asylrecht) gegeben wird. Auch sollen die Zuwanderer dazu verpflichtet werden, nicht nur die jeweiligen Landessprachen der betreffenden EU-Länder zu erlernen und zu beherrschen, sondern auch deren "nationale Identitäten" zu studieren und zu respektieren. Diese Wortwahl widerspiegelt haargenau die Namensgebung unsäglichen des Ministeriums "für Einwanderung und nationale Identität", das durch die Herren Sarkozy und Hortefeux eingerichtet wurde.

Zu diesen und anderen Punkten und den Auseinandersetzungen um die französische Migrationspolitik werden wir in den kommenden Tagen noch eine ausführliche Analyse folgen lassen.

Artikel von Bernard Schmid vom 9.7.08


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