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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Der "Seitensprung" des DGB: Der jetzige Lokführer-Streik unter der Drohung eines Gesetzes ihn zu verbieten - und zwei brandaktuelle Gutachten (Wolfgang Däubler und RWI) Stellen wir uns doch eingangs noch einmal der Frage, die gerade jetzt der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman noch einmal aufgeworfen hatte:"Werden dadurch die Gewerkschaften für die Aufgabe, für gute Löhne zu kämpfen gestärkt - oder nicht?" (www.fr-online.de/politik/meinung/bildung-ist-nicht-alles/-/1472602/8117202/-/index.html ) Nach der neoliberalen Wende Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts mit der fortlaufenden Schwächung der Gewerkschaften - in Deutschland eingeleitet durch das sog. "Lambsdorff-Papier" - muss es jetzt wichtig werden, die Gewerkschaften wieder "potent" für ihre Aufgabe zu machen, angemessene Löhne für alle zu erreichen. Wie also ist dieser aktuelle Vorstoß des DGB - zusammen mit den Arbeitgebern - in der "endlosen Geschichte" der Rolle der Gewerkschaften - stark oder schwach? - in dieser Gesellschaft zu bewerten? (vgl. auch "Vorstoß zu der Kernfrage eines "Gleichgewichtes" im Sozielen: Starke Gewerkschaften. Nur wem gelingt es, die Gewerkschaften stark zu machen - etwa der Politik?" Jetzt jedenfalls findet in einer hochpolitisierten Situation der aktuelle Lokführerstreik statt. Steht er doch unter der Bedrohung, dass solch kleinen Gewerkschaften die Durchsetzung von Tarifverträgen - und damit die "selbstständige" Bestimmung von Löhnen und Gehältern - grundsätzlich untersagt werden soll. Noch gilt aber den Lokführern die Sympathie der Bevölkerung in ihrem Arbeitskampf (ARD-Umfrage: 73 Prozent können den Arbeitskampf nachvollziehen und nur 25 Prozent haben gar kein Verständnis). Nur damit das so nicht bleibt, gibt es in den Medien auch schon eine Hetze gegen die GDL (www.nachdenkseiten.de/?p=8642#h11 ) und in der schwarz-gelben Regierung wettert populistisch der Verkehrsminister Ramsauer (CSU) - auch mit der Drohung eines Gesetzes - gegen den Streik der Lokführer (www.fr-online.de/wirtschaft/mobilitaet/ramsauer-attackiert-gdl/-/1473636/8115072/-/index.html ) Interessanterweise (aber dazu weiter unten) tritt dem Verkehrsminister der Wirtschaftsminister Rainer Brüderle entgegen: "Gewerkschaften nicht bedrohen". Er hält nichts davon wegen dieses Arbeitskampfes der Lokfüher das deutsche Streikrecht zu verschärfen (www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bruederle-unterstuetzt-lokfuehrer-gewerkschaften-nicht-bedrohen-1.1071455 ). So geht es den Lokführern jetzt eben just in diesem Tarifkonflikt ums Ganze - denn nicht nur die Lohnerhöhungen stehen auf dem Spiel, sondern die eigene und bisher erfolgreich praktizierte Existenz als Gewerkschaft (www.nachdenkseiten.de/?p=8592#h07 ). Selbstbewußte Tarifforderungen, wie die der Lokführergewerkschaft GDL, sind nicht nur dem BDA, sondern auch dem DGB (Deutschen Gewerkschaftsbund) ein Graus (www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/in-gegnerschaft-geeint/ ). Und so haben BDA und DGB es gemeinsam unternommen - in einer "Nacht- und Nebel-Aktion" - einen gemeinsamen Gesetzentwurf gegen solche "Sparten"-Gewerkschaften vorzulegen. Die gemeinsame Initiative von DGB und BDA zur Schaffung einer neuen Form von Tarifeinheit Ausgangspunkt für diese Anstrengungen dieser "Einheit" von Arbeitgebern und DGB-Gewerkschaften war das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes zur Aufhebung der Tarifeinheit vom 23. Juni 2010 (vgl. www.nachdenkseiten.de/?p=6564 ) wo das ehemalige DGB-Bundesvorstandsmitglied Ursula Engelen-Kefer in Erinnerung rief: Politik und Gesetzgeber ist anzuraten, den konkurrierenden Spartengewerkschaften nicht die Luft abzudrehen. Ohne die Möglichkeit zu Tarifverträgen mit den erforderlichen Arbeitskampfmaßnahmen wären die im Grundgesetz verankerte Vereinigungsfreiheit und Tarifautonomie als "Eckpfeiler unseres Sozialstaates" und unserer Demokratie nicht durchzusetzen. Und darauf wird jetzt oft zurückzukommen sein, auf diese Bedeutung der grundgesetzlich garantierten Grundrecht auf Tarifautonomie (Art. 9 GG). Als einer der ersten sah wohl der ehemalige Präsident des Bundesarbeitsgerichtes Thomas Dieterich die heraufziehenden Gefahren eines solchen Gesetzes - und schrieb in einem Kommentar der Süddeutschen deutlich: "Das Gesetz, das ein Irrsinn wäre" (www.sueddeutsche.de/wirtschaft/aussenansicht-das-gesetz-das-ein-irrsin-waere-1.967581 ). Nun haben gerade in jüngster Zeit zwei Gutachten mit recht unterschiedlichen Ausgangspunkten und Blickwinkeln diese Problemlage noch einmal untersucht: 1.) der renommierte Arbeitsrechtler Prof. Wolfgang Däubler: "Verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Probleme der gemeinsamen
Initiative von DGB und BDA" (im Auftrag von 6 Gewerkschaften - u.a. der GDL und dem Marburger Bund) zu 1.) Allgemein macht Wolfgang Däubler zunächst klar:"Es bleibt also bei der Feststellung, dass die von DGB und BDA vorgeschlagene Regelung die Minderheitsgewerkschaften faktisch vom Abschluss von Tarifverträgen und vom darauf bezogenen Streikrecht ausschließt." zu 2. ) vom RWI wird in den Handlungsempfehlungen festgestellt:"Der Gesetzgeber könnte die Tarifpluralität selbst einschränken, so wie es etwa der gemeinsame Gesetzentwurf von DGB und BDA vorsieht. Für diesen massiven Eingriff in die Koalitionsfreiheit eine Rechtfertigigung zu finden, dürfte sowohl aus verfassungsrechtlicher als auch aus ökonomischer Sicht äußerst schwer sein." - und weiter: "Bezüglich der Struktur der sozialpartnerschaftlichen Beziehungen lässt das BAG-Urteil eine Stärkung der Spartengewerkschaften und eine Schwächung der DGB-Gewerkschaften erwarten. Wie bei der empirischen Untersuchung deutlich wurde, sind hierbei jedoch weder dramatische Veränderungen zu beobachten noch zu erwarten. Des Weiteren ist zweifelhaft, ob eine solche Entwicklung,sollte sie doch eintreffen, ein massives Eingreifen des Gesetzgebers rechtfertigt." Im weiteren wird noch ausgeführt , dass die Lohnspreizung nicht vorwiegend ihre Ursache im Tarifsystem hat... So kommt auch hier unter einem ganz anderen Blickwinkel das Ergebnisheraus, lasst die Finger von solch einem Gesetz. Oder anders ausgedrückt: Es kann für die Arbeitgeber eigentlich nie so schlimm kommen, dass man die Situation durch solch ein Gesetz verbessern könnte. Das Gesetz als gewerkschaftlicher Schildbürgerstreich? Ganz zentral jedoch für die Beurteilung solcher gewerkschaftlicher Konkurrenz ist die Frage, handelt es sich um Unterbietungs- oder Überbietungskonkurrenz (siehe z.B. www.nachdenkseiten.de/?p=7784#h16 (= dort den letzten Link zu dem WSI-Paper)). Und wenn dann müsste es den Gewerkschaften wie dem DGB darauf ankommen, die Unterbietungskonkurrenz zu unterbinden. Aber genau auf diesen Punkt macht Detlef Hensche, früheres Vorstansmitglied von Verdi und auch ausgefuchster Arbeitsrechtler, noch aufmerksam: "Jüngstes prominentes Beispiel für die Unterbietungskonkurrenz ist die Leiharbeit. Zu dieser durch Tarifflucht und Unterbietungskonkurrenz ausgelösten Krise des Tarifvertragssystems schweigt sich das Papier von BDA und DGB aus. Kein Wort zum systematischen Ausstieg aus der Tarifbindung; kein Wort der Distanzierung von der Inanspruchnahme der Handlangerdienste christlicher und arbeitgeberfinanzierterGewerkschaften (vgl. z.B. www.nachdenkseiten.de/?p=8619#h03 ). Doch genau deren Eindämmung war bei dieser Initiative offensichtlich nicht gewollt. Es kann ja an dieser Stelle noch angefügt werden, dass das Bundesarbeitsgericht dem grenzenlosen Ausufern der Unterbietungskonkurrenz - vor allem durch die christlichen Gewerkschaften - einen gewissen Riegel vorgeschoben hat, indem es einer von ihnen einfach die "Tariffähigkeit" abgesprochen hat - mit ziemlichen Folgen für die Arbeitgeber an Nachzahlungen. (www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zeitarbeitsfirmen-ausbeutervor-dem-aus-1.1066141 , www.nachdenkseiten.de/?p=7784#h15 nebst http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&Datum=2010-12&nr=14828&linked=pm und http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&Datum=2010-12&nr=15001&pos=7&anz=17 ) Wenn also genau der Unterbietungskonkurrenz durch die Rechtsprechung schon wieder gewisse Schranken eingezogen worden sind , dann erscheint dieses Projekt "Tarifeinheit" des DGB zusammen mit den Arbeitgebern im gewerkschaftlichen Sinne wie ein Schildbürgerstreich, der dem Lohndumping in Deutschland keinen Riegel vorzuschieben vermag - sondern eher das Gegenteil ist zu erwarten bei einem Ausschalten der Überbietunsgkonkurrenz. Es erscheint nötig an dieser Stelle noch einmal die Geschichte der politisch gewollten Zerstörung des traditionellen deutschen Lohnfindungssystems ausführlicher zu skizzieren, um diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes mit all seinen Folgeprojekten in seinen ökonomischen Kontext eines exportgetriebenen Wachstumsmodells durch Lohndumping - und damit auf Kosten eines immer größeren Teils der Bevölkerung - zum einen zu verstehen - um dann in der Folge auch die angemessenen Hebel zu finden, um es zu überwinden - im Interesse von Deutschland und Europa. (www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/tarifpolitik/tarifeinh_bahl.html oder siehe auch "Für eine Renaissance der Gewerkschaften - und des Sozialen" ww.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/real/dgbstruktur_bahl.html ) P.S : Eine hervorragende Zusammenstellung und Übersicht über die Diskussionzur "Tarifeinheit" nach dem Urteil des BAG bietet Labournet: www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/tarifpolitik/tarifeinheit.html ... Aber noch einmal zurück zur Ausgangsfragestellung (Paul Krugman): stärkt dieser Vorstoß die Gewerkschaften in Deutschland? Angesichts der Problemkonstellation kann man eigentlich festhalten, dass diese Episode im Gewerkschaftsgeschehen - dieser "unendlichen Geschichte" - einem Seitensprung des DGB auf das Lager der Arbeitgeber ähnelt. Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 15.3.2011 |