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Updated: 18.12.2012 15:51
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Unbestechlichkeit war damals die Voraussetzung für Widerstand

Die Korruptionsaffäre bei VW, bei der auch der BR-Vorsitzende und weitere Betriebsräte beteiligt sind, ist von Ereignissen wie Naturkatastrophen und der vorgezogenen Neuwahl längst überdeckt worden. Dieses Kurzzeitdenken sollte jedoch für bewußte und kritische Gewerkschafter nicht gelten. Die Bestechlichkeit von VW-Betriebsräten zeigte schlaglichtartig Wesen und Tiefstand der sozialdemokratischen Gewerkschaftsideologie.

Mitbestimmung und Betriebsratswesen sind nach dem zweiten Weltkrieg von Staat und Kapital als Ordnungsmacht zugelassen worden, sie sind von ihrer Konstruktion her auch nicht als politische Gegenmacht nutzbar.

Dennoch wäre es zynisch zu argumentieren: wenn wir schon an der kapitalistischen Ordnung teilnehmen, wollen wir auch individuell-finanziell von ihr profitieren. Für die Beschäftigten und erst recht für die organisierten Kollegen sind die Betriebsräte von ihnen gewählt und haben trotz ihrer Einbindung in die Ordnungsmacht-Strukturen auf Seiten der Belegschaft zu stehen.

Wahrscheinlich haben die beteiligten VW-Betriebsräte nicht mal ein schlechtes Gewissen bei der Annahme der materiellen Vergünstigungen für sich und ihre Frauen und Freundinnen gehabt. Weil das Motto galt: das haben unsere Vor- und Vorvorgänger schon genau so gemacht. Ihr Maßstab ist das Einkommensniveau und der Lebensstil der Geschäftsführung von VW. Die Löhne und Arbeitsbedingungen handelt man seit Jahrzehnten unter Kumpanen aus, schiedlich-friedlich. Warum soll man nicht auch am großen Euter von VW mitsaugen, ein bischen zumindest?

Die VW-Betriebsräte sind ganz einfach zynisch-pragmatische Kinder der Zeit. Es ist zu vermuten, daß nach Jahzehnten des Funktionierens die Geschäftsleitung jetzt ihre eigene Korruptionspraxis auffliegen ließ, weil sie die Gegenseite schwächen will, z.B. bei dem geplanten Stellenabbau. Und Peter Hartz, IGM, Personalvorstand, Schröder-Intimus und Konstrukteur der Agenda 2010 wird gleich mit entsorgt als kleiner Seitenhieb gegen Schröder und SPD, auf die man nicht mehr setzt. Alles Zufall und Verschwörungstheorie?

Jetzt will VW 10 000 Arbeitsplätze vernichten, nicht durch Entlassung, weil das tarifvertraglich nicht
möglich ist. Wie werden die Kollegen reagieren? Sehen sie den Arbeitsplatzabbau als Sachzwang an, als Standortsicherung, die von ihren Betriebsräten im Detail auszuhandeln ist? Oder wollen sie dagegen den Kampf aufnehmen, zusammen mit ihrem Betriebsrat? Wer kämpfen will kann das allerdings nicht mit bestechlichen Vertretern. Es bedarf Betriebsräte, die ihre Aufgabe nicht Privilegien wegen sondern der Sache wegen machen.

Daß die Arbeitgeberseite korrumpiert oder es zumindest versucht, das war schon immer so. Folgendes Beispiel aus den 50er Jahren soll es zeigen. Es geht um den Betriebsratsvorsitzenden der (gewerkschaftseigenen) Großdruckerei der GEG in Hamburg, Jupp (Pep) Bergmann. Er ist Anfang dieses Jahres gestorben. Sein Kollege Wolfgang, damals Druckerlehrling, hielt auf der Trauerfeier eine Rede, aus der hier ein Auszug gebracht wird.

Dieter Wegner


Liebe Mitmenschen, Liebe Trauergemeinde,

es fällt mir schwer, bei diesem Anlass zu reden, aber ich habe das Bedürfnis, Pepp wenigstens nachträglich danke zu sagen.

Vor genau 51 Jahren begann ich meine Druckerlehre in der GEG-Druckerei, in der Pepp als Drucker arbeitete - als einer von 600 Beschäftigten. Seine Kollegen sagten von ihm: »Er ist ein prima Kumpel, nur schade, dass er Kommunist ist«, darin sahen sie einen Makel. Ich konnte damals nichts damit anfangen, wusste weder was ein Kommunist ist, noch was eine Gewerkschaft, obwohl ich gerade eingetreten war. In der GEG waren alle organisiert.

Meine erste Begegnung mit Pep war, als ich durch Unachtsamkeit eine Maschine in die »Grütze« gefahren hatte. Das mag wohl im ersten Lehrjahr gewesen sein und ich hatte Schiss, dass die Firma meinen Lehrvertrag kündigen könnte, wegen erwiesener Unfähigkeit, den Druckerberuf zu erlernen. Ich wandte mich an Pepp, vermutlich, weil ich spürte, dass er der einzige war, der mir helfen würde. Er schickte sofort einen Kollegen zum Meister in den Glaskasten, um ihn abzulenken, damit er nicht zu uns herüber sah, holte einen Vorschlaghammer und brachte damit die Maschine wieder zum Laufen, die lief jetzt etwas anders und machte zudem Geräusche, wie vorher nicht, und dann sagte er zu mir: »Tu so, als wenn nichts gewesen ist, und wenn sie was merken, dann stellst du dich dumm - dürfte dir doch nicht schwer fallen.« Er hat nie wieder darüber geredet. Das hat mich schwer beeindruckt, deshalb habe ich diesen Vorfall in Erinnerung behalten.

Einige Zeit später wählten wir ihn zu unserem Betriebsrat und verstanden nur nicht, warum er sich nicht »freistellen« lassen wollte, warum er eine Errungenschaft, die von den Gewerkschaftskollegen erkämpft worden war, einfach aufgab. Er machte das weniger aus dem Grund, weil er Privilegien ablehnte, sondern vielmehr, weil er sich den Kollegen nicht entfremden wollte. Hätte er sich freistellen lassen, hätte er in seinem Betriebsratsbüro gesessen und Kollegen, die was von ihm wollten, hätten erst zum Meister gehen müssen, um sich die Genehmigung zu holen, die Maschine abzustellen, dann hätte der Meister wissen wollen, was für ein Grund besteht usw. Er hätte dann auf die Uhr geschaut, wie lange er fort ist. Das allein hätte schon viele abgeschreckt. Wenn er dagegen Seite an Seite mit den Kollegen arbeitet, erfährt er stets, wo sie der Schuh drückt.

Kurz vor Weihnachten bekam er eine Kiste von der Geschäftsleitung. Er bat den Ersatzbetriebsrat, sie bei ihm abzuholen und ich habe dabei geholfen. Wir haben sie dann im Betrieb geöffnet, sie war voll edler Fressereien, »Aufwandsentschädigung« nannten sie das. Damals befand sich das Bestechungswesen noch in den Kinderschuhen, wenn man das vergleicht, wie heute Bundestags-Abgeordnete geschmiert werden, und die finden das ganz in Ordnung.

Wir holten eine Liste mit dem Krankenstand aus dem Personalbüro und teilten das Paket in vielleicht 20 kleinere Präsente auf, die den Kranken vorbei gebracht wurden. Pepps Vorgänger hatten vermutlich auch solche Weihnachtsgeschenke bekommen, aber nie etwas darüber verlauten lassen.

Dann waren die Aufsichtsratswahlen. Die Kollegen schlugen Pepp vor, obwohl er das nicht wollte. Abgesehen davon, dass er nicht glaubte, genug Stimmen zu bekommen, wusste er, dass im Falle eines Wahlsieges das Unternehmen alles tun würde, ihn 'rauszuschmeißen, weil sie in ihm eine Provokation sehen würde, abgesehen davon, gab es einen Konflikt zu den Gewerkschaften, die hatten eigene Listen mit Sekretären aus dem Gewerkschaftsapparat mit SPD-Parteibuch. Pepp wurde tatsächlich gewählt.

Als erstes machte er bekannt, wie hoch die Bezüge als Aufsichtsrat waren und stellte die 2600 DM der Belegschaft zur Verfügung, denn er erhielt ja nach wie vor seinen Druckerlohn. Die Summe erscheint niedrig, aber wenn man bedenkt, dass ein Stundenlohn damals bei 1,25 DM lag, könnt ihr euch ja ausrechnen, wie viel Monatslöhne das waren. Pepp hatte recht behalten: Die Geschäftsleitung ließ nichts unversucht, sich von ihm zu befreien. Sie betrieb seine Kündigung auf eine sehr dreckige und hinterhältige Weise, aber das ist eine lange Geschichte und hier ist nicht der Ort, sie darzustellen.

Zum Schluss noch ein Ereignis, das mich damals sehr beeindruckt hat und bei dem er eine Rolle spielte: Konrad Adenauer forderte 1956 Atomwaffen, und gleichzeitig beschloss der Bundestag die Wiederaufrüstung und Aufstellung der Bundeswehr. Als wäre es gestern gewesen und nicht schon 50 Jahre her, erinnere ich mich, wie ein Aufschrei durch den Betrieb ging: »Jetzt fangen die schon wieder an, kaum dass der letzte Krieg zu Ende ist«.

Das kann nur verstehen, der weiß, dass viele Kollegen gerade erst aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt waren, einige Kollegen waren im KZ gewesen, es gab so gut wie keine Kollegen, die nicht Angehörige unter den Bombenopfern verloren hatten. Jeden Morgen liefen wir zu der Zeit noch durch die Trümmerlandschaft von Rothenburgsort, wenn wir zur Arbeit gingen. Damals wussten die Arbeiter noch, wer ihnen den letzten Krieg eingebrockt hatte.

Aber auch die Gewerkschaften waren damals anders als heute. Sie riefen auf zu einer Hamburger Großkundgebung gegen Wiederaufrüstung und atomare Bewaffnung - im Gegensatz zu 1999, wo sie für den Krieg waren. Pepp berief eine Betriebsversammlung ein zu diesem Thema, also eine politische Versammlung, das wäre heute undenkbar, und alle Kollegen nahmen daran teil bis auf einen Lehrling, der im Maschinensaal zurückblieb und Flugblätter druckte zu dem Thema, die wir an andere Betriebe verteilen wollten. Durch irgendeinen Umstand hat die Geschäftsleitung davon erfahren und wollte den Lehrling fristlos entlassen, formal war sie zweifellos im Recht. Pepp konnte die Entlassung verhindern.

Auf der Betriebsversammlung beschlossen wir, während der Arbeitszeit zur Kundgebung auf dem Rathausmarkt geschlossen hinzumarschieren. In der Spätschicht hatten Kollegen ein Transparent mit Druckfarbe gemalt: »Sowas wie in Hiroshima findet Adenauer prima.« Das nahmen wir dann mit. Wir kamen nur bis zum Hauptbahnhof, weil alles dicht von Menschen war. Es sollen 200.000 gewesen sein. In Hamburg habe ich seitdem keine größere Kundgebung erlebt. Am 1. Mai danach trugen wir das Transparent wieder, über das sich die Bürger in der »Welt« so aufgeregt hatten, aber diesmal im Jugendzug. Damals mussten die Gewerkschaften noch nicht über Nachwuchsmangel klagen. Als zwei zivile Beamte vom Verfassungsschutz uns das Transparent wegnahmen, hat uns keiner verteidigt.

Als wir das am nächsten Morgen im Betrieb erzählten, war der Bär los. Pepp rief sofort beim DGB an: ob neuerdings der Verfassungsschutz bestimmt, welche Parolen am 1. Mai getragen werden dürfen und er sagte weiter, dass die Kollegen sauer sind und er für nichts garantieren könne. Da wurde der vom DGB nervös. Die waren ja alle in der SPD, da rief also der Genosse DGB-Vorsitzender beim Genossen Polizei-Senator an und der machte das konfiszierte Transparent ausfindig und ließ es per Taxe zur GEG-Druckerei transportieren, wo es beim Pförtner abgegeben wurde. Wir nagelten die Trophäe über die große Durchgangstür im Maschinensaal, wo der Chef mehrmals am Tag durch musste, häufig mit Kunden. Ihr mögt denken, das sind kleine Dinge, aber sie ließen mich seinen persönlichen Mut und seine Unbestechlichkeit wahrnehmen und brachten mich dazu: Wenn einer sich so verhält, kann das, was er sonst noch zu sagen hat, nicht verkehrt sein.

Ich habe von ihm gelernt, dass das Wort Proletarier kein Schimpfwort ist, dass die Arbeiterklasse eine Geschichte hat, auf die sie manchmal stolz sein kann, dass sie das mühsam Errungene verliert, wenn sie es nicht verteidigt, dass der Arbeitnehmer, wie wir inzwischen getauft wurden, nicht nimmt, sondern ihm wird genommen, im Kriegsfall sogar das Leben, und der Arbeitgeber gibt nicht, höchstens, wenn wir ihn zwingen, aber er nimmt reichlich, kann gar nicht genug kriegen. Binsenweisheiten mag jemand denken, aber für mich waren diese Erkenntnisse damals vor 50 Jahren ganz neu, öffneten mir ein Fenster zu einer Welt, die mir bis dahin verschlossen war. Dafür, Pepp, bin ich dir dankbar.

Wolfgang


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