letzte Änderung am 7. Januar 2004 | |
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Vom 27. bis 30. November 2003 fand die fünfte internationale TIE/express-Konferenz
in Oberwesel statt. Für eine Zusammenfassung der Vorträge, Ergebnisse bzw.
Ereignisse in dieser Ausgabe hat die Zeit nicht mehr gereicht – das holen
wir nach.
Ein kurzer (und notwendig unvollständiger) Blick auf die Umstände,
unter denen diese Konferenz stattfindet:
Der gegenwärtig fortschreitende Prozess der Konzentration, Zentralisierung
und Internationalisierung des Kapitals ist eine Antwort auf sinkende Durchschnittsprofitraten
und verschlechterte Wachstumsbedingungen. Zu den veränderten Rahmenbedingungen
gegenwärtiger Kapitalakkumulation gehört zudem eine rapide Verknappung wichtiger
Ressourcen. Zugleich hat sich die politische Macht des Kapitals unerhört verstärkt.
Die »neue Weltordnung« ist gekennzeichnet durch zunehmende Repression,
Sozialabbau (dort, wo es etwas abzubauen gibt), Entdemokratisierung (dort,
wo es so etwas Ähnliches wie Demokratie gab), durch einen ideologischen Neokonservativismus
und einen neuen kriegerischen Imperialismus.
Über die Internationalisierung des Kapitals, die Neustrukturierung
der Produktion (Lean Production, neue Technologien) sowie die Expansion des
Agrarkapitals und die damit verbundene millionenfache Vernichtung bäuerlicher
Existenzen ein weltweiter Arbeitsmarkt entstanden. Er ist gekennzeichnet durch
die Entwicklung eines wachsenden »Billiglohnsektors« mit einer äußerst – auch
räumlich beweglichen – großen »Reservearmee«. Diese Sektoren sind nicht mehr
regional auf die so genannte 3. Welt oder »unterentwickelte Regionen« innerhalb
der alten Metropolen begrenzt. Auch finden sie sich keineswegs mehr allein
in den »klassischen Leichtindustrien« (Textil, Nahrungsmittel etc.). Längst
schon wurde auch die für die großen Konzerne strategisch wichtige Produktion
in »gewerkschaftsfreie« Zonen und in Gebiete mit repressiven politischen und
juristischen Regimes verlagert.
Es entsteht eine in ihrer Zusammensetzung neue Arbeiterklasse. Die
Existenz eines internationalen Arbeitsmarktes bedeutet, dass die jeweiligen
Umstände für die Arbeiterklasse weniger vereinheitlicht sind denn je. Die
heutige Arbeiterklasse reicht von Emigranten, Tagelöhnern, Heimarbeitern bis
hin zum Facharbeiter und proletarisierten »Kopfarbeiter« – und sie ist mehrheitlich
weiblich. Es herrschen enorme Unterschiede in der allgemeinen Lebenslage,
hinsichtlich der politischen und kulturellen Traditionen und im Selbstbewusstsein.
Künstliche Hierarchisierung, Sexismus und Rassismus verstärken in den Köpfen
diese Fragmentierungen und heizen die Konkurrenz an.
Gewerkschaften vertreten dabei heute weltweit nur noch eine Minderheit
der Arbeiterklasse. Auch dort, wo sie zahlenmäßig noch relativ stark sind,
haben sie ihre herkömmlichen Waffen stumpf werden lassen. In ihrer jetzigen
Form sind sie überwiegend Kinder der vergehenden Epoche. Bei ihren im abgelaufenen
Zeitalter der »Kompromissbereitschaft« ausgebildeten Organisationen, Strategien
und ihren Öffentlichkeitsformen handelt es sich im Wesentlichen um zentralisierte
»Stellvertreterveranstaltungen«, die den aktuellen sozialen und politischen
Rückschritt kaum mehr aufzuhalten vermögen. Auch die altehrwürdige strategische
Entscheidung, »Arbeiterparteien« die politische Offensive anzuvertrauen, hat
durch deren Entwicklung zu »Parteien der Mitte« keine Grundlage mehr. Als
solche sind diese Parteien manchmal sogar die treibende Kraft bei der neoliberalen
»Entstaatlichung und Deregulierung der Ökonomie«. Überhaupt ist die nationale
Staatsmacht als wesentlicher Bezugspunkt im langfristigen strategischen Kalkül
der Arbeiterbewegung (die Eroberung der Staatsmacht war für viele die Bedingung
der sozialen Revolution, Staatsmacht war empfänglich für »Reformdruck« etc.)
durch die Internationalisierung des Kapitals und die zunehmende Dezentralisierung
der Produktionsketten fragwürdig geworden.
In den gegenwärtigen Formen von Protest und Widerstand sind zwei Stoßrichtungen
zu unterscheiden. Protestiert wird gegen den radikalen Abbau eines zuvor erkämpften
Fortschritts. Protestiert wird aber auch gegen die Zumutungen der Lohnarbeit
dort, wohin man sie aus Kostengründen auszulagern versucht (in gewerkschaftsfreie
Zonen, Billiglohnländer etc.). In diesen Bewegungen kommt zum Ausdruck, dass
ein nicht mehr sozial »abgefederter« Kapitalismus deutlich an Legitimation
verliert (in der öffentlichen Diskussion überwiegt allerdings bei weitem der
Ruf nach einer neuen Zähmung des Kapitalismus).
Wir wollen den Prozess beginnen, indem wir einige sehr grundsätzliche
theoretische Annahmen darlegen, die die Arbeit von TIE bestimmen. Sie entstammen
aus Erfahrungen, die wir in TIE, aber auch außerhalb gemacht haben (ja, es
gab ein Leben vor TIE, es gibt ein Leben außerhalb von TIE). Wir wollen dabei
aber auch nicht verbergen, dass die Theorien von Marx, Rosa Luxemburg – um
nur die beiden »Klassiker« zu nennen – uns am brauchbarsten erscheinen, diese
Erfahrungen auf den Begriff zu bringen. Theoretische Annahmen sind immer auch
Ansprüche, die es überhaupt erst einzulösen gilt. Überwiegend enthalten sie
mehr Fragen als Antworten. Immer müssen sie weiterentwickelt werden.
Der Kapitalismus ist ein menschenfeindliches System mit begrenzter
Lebensdauer. Wir sollten bei der Suche nach einer ›freieren und gerechteren
Welt‹ nicht zu früh aufhören, Fragen zu stellen und zu suchen. Trotz der Schwierigkeit,
was dies über die Kritik der bestehenden Verhältnisse hinaus heißen mag, geht
es darum, dass wir mehr als gute Gewerkschaftspolitik wollen. Mehr als bloße
Reform bestehender Herrschaftsverhältnisse. Wir wollen eine andere Gesellschaft,
in der Arbeit und gesellschaftliche Bedürfnisse anders organisiert und produziert
werden und Herrschaftsverhältnisse tatsächlich abgeschafft sind. Es geht darum,
»alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes,
ein verlassenes, ein verächtlichtes Wesen ist« (Marx, Einleitung zur Kritik
der Hegelschen Rechtsphilosophie MEW 1, S. 385) und für eine Gesellschaft
ohne Ausbeutung und Ausgrenzung zu kämpfen, in der Menschen in Anerkennung
ihrer Würde und Freiheit ihr Leben aktiv zu entwerfen und zu bestimmen in
der Lage sind. Wir sind zuversichtlich, dass das Bedürfnis nach einer solchen
Gesellschaft zwar vielfach verschüttet werden kann, aber nicht wirklich auszurotten
ist.
Die Arbeit von TIE ist internationalistisch. Dabei versteht TIE sich
aber nicht als eine Art »ideeller Gesamtaußenminister« der Projekte, mit denen
wir zusammenarbeiten. Die Arbeit von TIE ist immer lokal verankert. Von dort
aus werden internationalistische Perspektiven entwickelt. Worum geht es dabei?
Um Solidarität und praktische internationale Zusammenarbeit. Im Gegensatz
zur allgemeinen Rhetorik ist internationale Solidarität in der Arbeiterbewegung
und in der Gewerkschaftsbewegung keine Erfolgsgeschichte. Solidarität bleibt
vielfach auf Demoaufrufe, Bankettreden etc. beschränkt. Internationale Zusammenarbeit
beschränkte und beschränkt sich vielfach auf paternalistische ›Armenhilfe‹.
Internationalismus war oft genug Identifikation oder Mythologisierung. Was
man im eigenen Land nicht erreichen kann, wird auf andere Wirklichkeiten projiziert
(in den Solidaritätsbewegungen zu Italien in den 70ern, zu der lateinamerikanische
Guerilla, bis hin zu den Zapatistas). In TIE geht es uns aber darum, lebendige
internationale Beziehungen aufzubauen und zu unterstützen, die sich entwickeln
und sich nicht auf ›gewerkschaftliche Ziele‹ im engeren Sinn beschränken,
sondern auf Befreiung und die Einrichtung einer gleichen und solidarischen
Gesellschaft gerichtet sind: In ihr geht es um die Bemühung, gemeinsame Interessen
zu formulieren (oder auch gegenseitige Hilfe zu üben) und immer auch darum,
die jeweils eigenen Verhältnisse zu verändern.
Der Gegensatz von Kapital und Arbeit zeigt sich nicht nur an den Produktionsstätten,
sondern im gesamten Leben der Lohnabhängigen. Die bestehende Herrschaft greift
nicht nur auf Fabriken oder Büros zu, sondern auch auf die Gemeinde, Familie,
Freizeit, Ausbildung, Sexualität etc. Hier setzen alle möglichen Spaltungen
an. Nicht zuletzt hier (und eben nicht nur in der Produktion) kommt es zu
Interessenkonflikten und Zusammenstößen, in denen alle möglichen chauvinistischen,
sexistischen und rassistischen Einstellungen entstehen, gefördert werden und
sich verfestigen können. Konflikterfahrungen aus dem gesamten Lebensbereich
der Lohnabhängigen müssen deshalb unbedingt in unsere Reflexion und unsere
politische Praxis einbezogen und nicht als »Nebenwidersprüche« irgendwie ausgeklammert
werden.
Zum Abschluss der unvollständigen Liste noch eine Bemerkung zur allgemeinen
Stoßrichtung unserer Praxis:
Es kommt uns weniger darauf an, den Herrschenden einen gehörigen Schreck
einzujagen und damit in die Medienöffentlichkeit zu gelangen, auch wenn man
nicht verkennen sollte, dass damit die ideologische Hegemonie dieser Herrschenden
angegriffen wird. Wir wollen ihre Herrschaft durch langfristige Projekte geduldig
und zäh – wie Maulwürfe – unterhöhlen. Wir wollen gute Maulwürfe sein.
Ich möchte mit ein paar Beobachtungen und Anmerkungen zu den gegenwärtigen
Umständen schließen, von denen wir hoffen, dass sie hier ebenso intensiv diskutiert
werden. Sie beziehen sich auf nächste praktische Schritte und Inhalte unserer
Politik:
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