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Updated: 18.12.2012 15:51
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Attac verdirbt das Spiel um ein "Gutes Leben" einer zukünftigen "Occupy-Wall-Street-Bewegung" (15. Oktober!)

Ein geniales Motto "Wir sind die 99 Prozent" und wie man es sinnverstellend entleeren kann

Ansatz einer Bewertung des Attac-Papieres zum 15. Oktober von Volker Bahl vom 14.10.2011

Als "Ansatz" möchte ich es verstanden wissen, weil es zunächst vermessen erscheint ,so als einzelner gegen die rund hundert-köpfigen Attac-Kapazitäten anzugehen - aber bevor der dringend erforderliche Protest "von links" dermaßen "verkopft" ins Abseits zu geraten droht, erscheinen mir diese kritischen Anmerkungen doch angebracht. Es soll ja doch gerade der linke Protest weiter "vorangebracht" werden. Das bleibt das gemeinsame Anliegen.

Es muss ja nicht jeder meine Meinung teilen, aber ich finde die US-amerikanische "Occupy-Wall-Street"-Bewegung in ihrem "breiteren" strategischen Ansatz - mit ihrem "Wir sind 99 Prozent" - einfach klüger.

Man braucht angesichts des wachsenden Unmuts über die neu sich verschärfende Finanzkrise (www.sueddeutsche.de/geld/buerger-gegen-finanzindustrie-steht-endlich-auf-und-empört-euch-1.1158036 externer Link) jetzt wohl nicht in Sorge verfallen, dass es den Menschen nicht reicht. Protestpotential ist wohl genügend vorhanden - auch wenn dieser Protest sehr uneinheitlich aussehen kann - siehe z.B. Tea Party und Occupy-Wall-Street (www.fr-online.de/meinung/kolumne-zaehe-jammerlappen,1472602,11000042.html externer Link): "der Unterschied ist in der Therapie: Occupy-Wall-Street-ler denken, dass die Regierung die einzige Instanz ist, die genügend Macht hat, die Wirtschaft von den ökonomischen Schweinereien abzuhalten und progressive Steuern durchzusetzen, was ja der Mittelschicht zugute käme. Teaparty-Mitglieder denken, dass die Regierung das Geld an "die Leute" zurückgeben sollte, da diese die Wirtschaft schon wieder selber reparieren." Vielleicht wäre es sinnvoll an solchen grundsätzlichen "Unstimmigkeiten" anzusetzen, die geläufig sind, die jede(r) kennt.

Auseinandersetzung im Protest dringend erforderlich

Es könnte sich rasch auch als ziemlich gefährlich erweisen, den sich in Deutschland entwickelnden Protest als "einheitlich" zu betrachten, denn schon mischen sich klar anti-europäische Formeln - wie z.B. "121 Milliarden für den EFSF - 121 Milliarden mal nein" - unter den Protest vom 15.Oktober, von dem wir eigentlich meinten es solle ein linker Protest - wie in den USA - werden. Nur die USA hat schon eine gewisse Tradition des rechten Protestes mit ihrer "Tea-Party", während bei uns der so tief nationalistisch grundierte Protest gegen Griechenland und den Euro gerade mit einem deutschen Protest erst so richtig im Entstehen ist - und dieser sich direkt als "Trittbrettfahrer" aufdrängt.

Und sehr geschickt wird hier von den marktradikalen Rechstpopulisten bei uns mit den Ängsten der Bevölkerung gespielt (www.nachdenkseiten.de/?p=10924 externer Link). Und so könnte es leicht - auch am 15. Oktober? - zu einem "rechten Ritt der Empörung" werden. Und für Deutschland ist dieses politische Potential nicht zu unterschätzen, denn laut einer Emnid-Umfrage könnte sich jeder Dritte bei uns vorstellen, eine anti-europäische, eurokritische Partei zu wählen (www.nachdenkseiten.de/?p=10973 externer Link).

Sich hier als linker Protest deutlich abzugrenzen, wird also eine wichtige politische Auseinandersetzung werden müssen, sonst könnte dieser Protest allzu schnell ins rechte - marktradikale - Fahrwasser abdriften.

Ansetzen an den Bedürfnissen der Menschen

Also platte Politik-Parolen bieten auch die rechten Proteste, deshalb kann es dennoch nicht ausreichen, die Parole für den 15.Oktober auszugeben "Die Finanzmärkte kontrollieren, statt die Bevölkerung von Schuldnerstaaten auszupressen" (Attac). So etwas als - meist doch nicht ganz verstandene - "Formel" zu verwenden, kann allzuleicht mit der so pur nationalistisch- ausgerichteten Formel "121 Milliarden für den EFSF - 121 Milliarden mal nein" vertauscht werden. Wahrscheinlich tut sich hier in Deutschland der Protest mit der "Eurokrise" - mit den ganzen nationalen Differenzierungen -einfach auch noch schwerer als der Protest in den USA.

Es wird zwar in dem Papier betont, dass so etwas wie das Entwerfen einer "Roadmap" des Krisenverlaufs auch kontrovers gezeichnet werden wird. "Da machen sich unterschiedliche Einschätzungen und politische Orientierungen geltend". (Vorbemerkung)

Sorry, ich habe meine Zweifel bezüglich eines solchen "Überstülpens von Orientierungen von oben", von welcher Seite auch immer. Ich habe nichts gegen das Beziehen von Standpunkten - und mache das selbst auch immer wieder (siehe zuletzt "Crisis meets IG Metall" www.labournet.de/diskussion/wipo/finanz/krise08gew_bahl.html ) - aber ich habe so meine Zweifel bezüglich der "Massentauglichkeit" solcher längeren und notwendigerweise auch ins Abstraktere gehenden Argumentationen - so "richtig" sie sein mögen, wenn sie ausreichend empirisch unterlegt werden können - sonst wird gerade in dieser "Allgemeinheit" der Abstraktionen allzuschnell und allzuleicht auch einiges an Realität - und vor allem in den jeweiligen Zusammenhängen - verloren gehen.

Das heißt, wenn der wissenschaftliche Beirat von Attac für den 15. Oktober eine "Zündung" hätte vollbringen wollen, dann hätte er sich besser an Stephan Hessels und seinem "Empört euch" u.a. orientieren sollen (vgl. z.B. www.nachdenkseiten.de/?p=8081 externer Link oder ziemlich schnell bei www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/perspektiven05.html) als solch eine "nüchterne akademische Seminararbeit zur Krise" vorzulegen.

Dabei hätte ein Besuch in einem Buchladen genügt, um bei den Bestsellerlisten schnell festzustellen, was der Deutsche gerne noch zur Krise liest - nämlich gerade noch einmal Stephan Hessels sprachgewaltigen Essay.

Streit um eine "gutes Leben" für die 99 Prozent

Und so bin ich der Ansicht, man kann hier - außer von Hessels - dann durchaus von der "Occupy-Wall-Street-Bewegung" in den USA etwas abgucken: Was unterscheidet diese Bewegung von 68? "Manche sprechen von einem Aufstand ohne Zeichen oder postmodernen Protest - und meinen die Unklarheit, das Diffuse, fehlende Forderungen. Es gibt da nicht einen gemeinsamen Slogan, außer vielleicht "Wir sind 99 Prozent". Aber das ist ja keine Forderung, das ist etwa wie "Wir sind das Volk". Die fordern nicht unbedingt eine Finanztransaktionssteuer, die fordern das Leben ein, das ihnen durch die neoliberale Durchökonomisierung fast aller Lebensbereiche genommen wurde. Die fordern ein besseres Leben, ein gutes Leben - und in einem solchen Streit um ein gutes Leben kann man dann - sozusagen vor einer wachsenden sozialen Bewegung - ruhig - von den verschiedenen "Seiten" - darüber streiten, welche Instrumente dazu am besten taugen . Dann haben wir eine breite gemeiname Basis gelegt, von der aus sich dann fruchtbar die Argumente um den besten praktischen Weg aus der Krise heraus und zu einem "guten Leben" miteinander austauschen lassen. Die Protestierenden in den USA zeigen, dass sie nicht einverstanden sind, mit dem was ist!... Es geht eben nicht mehr um Bewegungen, deren "sektiererischen Regeln" man/frau sich mit Haut und Haar unterwerfen muss (!) ...

Das was klassische linke Verbände aber an diesem Protest vermissen und bemängeln, könnte gerade ihre Stärke sein. Man ist unberechenbarer, weil man nicht gespalten und gegeneinander ausgespielt werden kann. (so ein professioneller Beobachter dieser Szene www.fr-online.de/politik/kulturwissenschaftler-klaus-schoenberger---die-fordern-das-leben-,1472596,10974764.html externer Link)

Letztendlich sind es die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise, die immer mehr Menschen aus eigener bitterer Erfahrung zu der Einsicht kommen lassen, dass die gegenwärtige Gesellschaft ihnen keine Zukunftsperspektive bieten kann.

Diese Protestwelle artikuliert somit nur die in der Bevölkerung weitverbreitete Ahnung, dass das bestehende Gesellschaftssystem fundamentale Fehlentwicklungen aufweist. Und wir sollten gerade in Deutschland ganz besonders aufpassen, dass dieses Unbehagen nicht ins "rechte-nationalistische" Fahrwasser gerät.

Es ist somit zunächst wohl nicht so entscheidend, wogegen die Demonstranten sind (was ihnen das Attac-Papier jetzt so "vormachen" will), sondern es könnte zum Modell einer neuen Gesellschaft werden - als ein Weg etwas Neues zu formulieren. (Vgl. "Eine neue Bewegung entsteht" www.heise.de/tp/artikel/35/35663/1.html externer Link)

Dazu passt es dann wesentlich besser, wenn einfach erst einmal ganz grob ein wenig mit einigen falschen "Orientierungen" aufgräumt wird - gerade auch zur "Abgrenzung" gegen den rechten Protest, wie das z.B. Robert Reich angegangen hat mit "The seven biggest economic lies" (www.nachdenkseiten.de/?p=10976#h03 externer Link).

So aber scheint der normale Protestierer erst einmal durch diese Weisheit eines so vielköpfigen und vielleicht auch vielschichtigen Attac-Beirates erschlagen zu werden (http://www.attac.de/fileadmin/user_upload/bundesebene/Pressegruppe/
111012%20Argumentarium%20zur%20Krise%20Wissenschaftlicher%20Beirat.pdf
externer Link pdf-Datei).

Besser aktuelle Prozess-Begleitung

Dabei könnte es doch - vielleicht auch in einzelnen "Häppchen" ganz aktuell immer wieder der Prozess dieses "Aufwachens" des Protetses, die wiederum in die sich jeweils ändernden Phasen der Krisenentwicklung "hineinfällt", begleitet werden - und von diesem so stolz angekündigten rund hundert-köpfigen Attac-Beirat aufbereitet werden - anstatt in solchen "Vollständigkeit" vortäuschenden (vorher hat man das "natürlich" abgelehnt: "Das vorliegende Argumentarium ist lückenhaft") Argumentationsstrang hinzulegen, in den einzusteigen, für jeden "Otto-Normal-Verbraucher" schon zu immer verständnisloserer "Gedankenschwerstarbeit" führen muss - vor lauter gedanklichen Klimmzügen und Überschlägen.

Wie einfach es gehen kann, z.B. den neoliberalen "Un"sinn im Gesundheitssystem mit klaren und jedem einsichtigen Worten darzustellen , haben gerade zwei US-amerikanische Wissenschaftler vorgemacht (vgl. "Rettet die Medizin vor der Ökonomie" www.sueddeutsche.de/wissen/gesundheitssystem-rettet-die-medizin-vor-der-oekonomie-1.1161506 externer Link) oder man kann auch "einfach" bei Griechenland anfangen ökonomisch die "ungemütlichen Fragen zu stellen, ohne dass dies in einem akademisierten Wortschwall unterzugehen droht (wie im Attac-Papier zumeist - d.h. es geht gar nicht um einen Streit "falsch oder richtig" - m.E. wird schon das Meiste auch richtig angesprochen - nur wie?) (vgl. z.B. "Die Krise des ökonomischen Denkens" www.nachdenkseiten.de/?p=10976#h01 externer Link)

Dann kann man auch eine gelegentlich plastischere Sprache verwenden, die aber doch Zusammenhänge für den einzelnen besser verdeutlicht, wie es Lafontaine kürzlich tat, indem er meinte "Die Banken beißen die Hand ab, die sie füttert" (www.handelsblatt.com/politik/deutschland/die-banken-beissen-die-hand-die-sie-fuettert/4695826.html?p4695826=all externer Link). Wieviel plastischer wird doch die Blindheit der Märkte gegenüber den Folgen damit?

Lasst mich noch einmal zurückkommen auf das "gute Leben", das so vielen Menschen immer mehr abgeht. Die Gewerkschaften haben einen leidvollen Weg - mit immer weniger Mitgliedern - hinter sich. Und so haben sie sich mit der Frage nach dem "guten Leben" den Menschen wieder genähert - auch wenn ihnen die größeren Zusammenhänge wie die Makroökonomie dabei mehr und mehr aus dem Blick gerieten.

Und so hat der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber jetzt nachdem auch die Mitglieder"wende" wieder erreicht werden konnte, einer neuen Kultur der Arbeit gewidmet (www.igmetall.de/cps/rde/xchg/SID-4920615C-FB63D2A7/internet/style.xsl/berthold-huber-fordert-einen-green-new-deal-8753.htm externer Link). Dies wurde dann von Robert Misik gewürdigt ("Was ist linker Reformismus" www.igmetall.de/cps/rde/xchg/SID-996ED0F1-3E869F0D/internet/style.xsl/robert-misik-zum-zukunftsreferat-von-berthold-huber-8759.htm externer Link).

Und mitten drin als Hürde die soziale Ungleichheit

Von dieser Grundlage eines guten Lebens jedenfalls könnte dann doch nach den weiteren Perspektiven gesucht werden - ganz einfach und im einzelnen vielleicht auch anstrengend - im Rahmen der Protestbewegung. Anstrengend weil das besonders in Deutschland virulente Problem einer wachsenden sozialen Ungleichheit (vgl. dazu Wolfgang Lieb www.nachdenkseiten.de/?p=7884 externer Link) auch zu einem wirtschaftlichen Problem wird (Vgl. Till van Treeck / Simon Sturn "Gefährliche Ungleichheit" www.monde-diplomatique.de/pm/2010/12/10.mondeText.artikel,a0007.idx,0 externer Link), nicht jeden gleichermaßen betrifft - und oft "jenseits" des gewerkschaftlichen Handlungsbereiches liegt.

Die einzelnen Wissenschaftler des Attac-Beirates könnten diesen Weg mit ihren systematischeren Vorschlägen immer wieder begleiten, anregen und vor allem auch vorantreiben (mir bleibt absolut schleierhaft, was und wie dieses Papier die weitere Entwicklung vorantreiben kann?) - anstatt mit für den Leser unzureichenden "Generalabrechnungen" mehr Hürden aufzubauen als Wege in eine bessere Zukunft zu ebnen - bei allem Respekt vor dem guten Willen der dahinter steckt!

P.S.: Meinen besonderen Kritikpunkt möchte ich nicht verheimlichen: wie Attac hier versucht in dem 6. Argument seine Wachstumskritik der zukünftigen "Occupy-Wallstreet-Bewegung" zum 15. Oktober wahrlich unterzujubeln. Dabei ist dieses Argument auch in der Linken reichlich umstritten (vgl. z.B. in Berthold Hubers Zukunftsreferat den "green new deal").

Warum ich das hier noch bemängele, dass entgegen der Ankündigung, kontroverse Standpunkte offen zu machen, hier nur der Attac-Standpunkt verdeutlicht wird, ist jedoch nicht, dass ich möchte, dass der "andere Standpunkt" auch aufgeführt wird. Hier wird die Wachstumskritik, deren Blößen in letzter Zeit schon offensichtlich wurden (vgl. die Anhörung von Jutta Allmendinger zur Frauen-Beschäftigungen - Vorbild "finnisches Modell"), durch die Hintertür scheinbar "mehrheitsfähig" gemacht. Jedoch es wird sich als zukunftsfähiger erweisen, wenn man - um bei dem Beispiel Frauenbeschäftigung (z.B. für alle - Männlein und Weiblein 30 Stunden) zu bleiben - wenn mit allen diese Entwicklung unter breiter Beteiligung entwickelt wird .

Lernprozesse für viele können nur so in der vollen demokratischen Breite organisiert werden, die an den "wohlverstandenen eigenen Interessen" der "99 Prozent" ansetzt!


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