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Updated: 18.12.2012 15:51
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EU gegen Sozialstaat

Armin Kammrad, 29.10.2006

Bei der laufenden Auseinandersetzung um die EU-Dienstleistungsrichtlinien sollte nicht übersehen werden, dass bestimmte Aspekte des geplanten Angriffs auf den Sozialstaat bereits realisiert und sogar rechtlich festgeschrieben wurden. Dank des bestimmenden Einflusses der Unternehmenslobby in Brüssel, können sich bereits jetzt deutsche Unternehmer völlig ihrer Pflicht zur Zahlung von Sozialbeiträgen entziehen. Was bei Arbeitslosen in strafrechtliche Bereiche gerückt wird, ist für Unternehmer "legal".

Dies entschied zumindest am 24.10.2006 der Bundesgerichtshof (BGH 1 StR 44/06). Konkret ging es um einen Münchner Bauunternehmer, der seine Beschäftigten pro forma in Portugal anmeldete, um keine Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland zahlen zu müssen. Anders wie die unteren Instanzen, sah der BGH keine strafbare Handlung vorliegen, wenn deutsche Unternehmer ihre deutschen Beschäftigten einfach in einem anderen EU-Land anmelden, obwohl sie dort überhaupt nicht arbeiten - vorausgesetzt sie verfügen über die EU-Bescheinigung E 101.

Für Unternehmer, die diese Bescheinigung besitzen, ist es egal, ob sie nun tatsächlich im dem EU-Land arbeiten lassen, das diese Bescheinigung ausstellt. Wie der Europäische Gerichtshof bereits in mehren Urteilen entschied, entfällt die Versicherungspflicht für entsendete Arbeiter mit der Bescheinigung E 101 auch dann, wenn sie diese gar nicht - in diesem Fall nach Portugal, wo die Sozialbeiträge nur halb so hoch sind wie in Deutschland - entsenden.

Wie gefährlich dieser undemokratische Moloch "EU" wirklich ist, konnte der BGH nicht besser unterstreichen als mit diesem Urteil. Denn dank dem rechtlichen Konstrukt, dass EU-Recht dem nationalen Recht übergeordnet sein soll, lässt sich über Brüssel all das realisieren, was sich national nicht bzw. nicht so unauffällig realisieren ließe. Wie der BGH unterstrich, sind deutsche Gerichte "grundsätzlich daran gehindert" geltendes EU-Recht in Frage zu stellen.

Dem über die EU legalisiertem Recht auf eine Briefkastenfirma, steht die große Gruppe der Beschäftigten gegenüber, die sich nicht in Portugal anmelden dürfen, um in Deutschland keine Sozialbeiträge zahlen zu müssen. So kann sich propagandistisch die herrschende Politik bei der sog. "Schwarzarbeit" weiterhin mit der Formel "Sozialmissbrauch" austoben ohne erwähnen zu müssen, dass über die EU sich jeder Unternehmer vor seinem Beitrag zum Sozialstaat drücken kann.

Es ist nicht bekannt, ob das gleiche Münchner Bauunternehmen, dass sich über seine Briefkastenfirma in Portugal vor der Zahlung von Sozialbeiträgen drückt, dafür, dass es zuvor Arbeitslose beschäftigt, Zuschüsse genau aus den Kassen bekommt, in die es nichts einzahlt. Rechtlich möglich wäre dies - sofern das Urteil des BGHs das letzte Wort in Sachen EU-Bescheinigung E 101 bleibt.


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