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Updated: 18.12.2012 15:51
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Mapping statt Mobbing

oder: Methoden gegen Individualisierung und Psychologisierung

Widerstände gegen eine erweiterte Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz treten nicht nur von Seiten des Managements auf, das bestimmte Formen der Belastung, wie sie sich aus neuen entgrenzten Arbeitsformen und dem damit verknüpften Verantwortungs-, Termin- und Flexibilisierungsstress ergeben, nicht unbedingt thematisiert sehen möchte, sondern auch auf Seiten der Beschäftigten: Gerade wenn »psychische Belastungen« thematisiert werden sollen, verstehen viele hierunter psychische Krankheiten. Man denkt an Depressionen, mentale Auffälligkeiten, Suchterkrankungen. Das gilt als Thema für den Sozialdienst, aber man selber fühlt sich hier nicht angesprochen. Psychische Belastungen sind jedoch keineswegs mit seelischen Erkrankungen gleichzusetzen. Zwar kann aus Überforderung auch eine Depression entstehen, vielleicht reagiert der Betroffene auch mit gesteigertem Alkoholkonsum. Aber mehr noch resultieren aus psychischen Belastungen wie Stress Erkrankungen des Herz-Kreislauf- oder des Magen-Darm-Bereichs. Der Beschäftigte fühlt sich in seinem Selbstbild beschädigt, wenn er (sich) eingesteht, dem Stress nicht gewachsen zu sein. Er muss vielleicht fürchten, dass seine Klage über zu hohe Stressbelastung vom Arbeitgeber gegen ihn gewendet wird. Gleichwohl spielen die Wahrnehmungen der Beschäftigten und ihre Selbstbeobachtung gerade für die psychologische Arbeitsanalyse eine unverzichtbare Rolle. Deshalb ist es wichtig, Methoden zu entwickeln, wie die Betroffenen selbst trotz – und unter Berücksichtigung – der genannten Probleme in die Identifikation von Gefährdungen einbezogen werden können.

Ein verschiedentlich angewandtes Mittel, um das Thema »Gute Arbeit« indirekt, über die Analyse von Belastungen und Missachtungserfahrungen aufzurollen, ist die Mitarbeiterbefragung. Hierfür gibt es eine Reihe von Konzepten, in denen die Beschäftigten in unterschiedlichem Grade aktiv teilnehmen. In einer Bank wurde vom Gesamtbetriebsrat ein »Selbstcheck« durchgeführt. Die Beschäftigten erhielten die Gelegenheit, einen Fragebogen auszufüllen und eine persönliche Situationsschilderung anzufügen. Der Rücklauf lag bei etwa 1300 Fragebögen, mit mehrheitlich gravierenden Belastungsdiagnosen. Über die Bestandsaufnahme hinaus sollte diese Aktion die Beschäftigten anregen, sich mit ihrer Belastungssituation auseinanderzusetzen und mit KollegInnen auszutauschen. In den letzten Jahren haben weitere Untersuchungsverfahren Aufmerksamkeit geweckt, die den Versuch machen, das vorhandene Laienwissen der Beschäftigten für eine Gefährdungsbeurteilung und darüber hinaus generell für die Formulierung von Aufgaben und Zielen betrieblicher Gesundheitspolitik nutzbar zu machen. Es handelt sich um Beobachtungsverfahren, Interviewtechniken, Gruppendiskussionen und um Visualisierungsverfahren wie das Gesundheitsmapping.

Beim »Body-Mapping« beispielsweise geht es um die Ermittlung und Darstellung von Gesundheitsproblemen. Auf einem großen Blatt Papier wird eine grobe Körperskizze aufgezeichnet. Die KollegInnen sollen auf die Bereiche des Körpers Punkte kleben, an denen sie gesundheitliche Probleme haben. Danach werden die Gesundheitsprobleme neben die Punkte geschrieben. Was sind die Ursachen der Probleme, gibt es Häufungen? Lassen sich Schlussfolgerungen zur Arbeit ziehen? Das »Arbeitsplatzmapping« zielt auf Gesundheitsgefährdungen am Arbeitsplatz. Die KollegInnen zeichnen den Arbeitsplatz (Büro, Werkstatt, Arbeitsbereich), kennzeichnen und notieren darauf ihre existierenden Probleme und Gesundheitsrisiken. Mit dem Mapping »Deine Welt« sollen die Auswirkungen der Arbeit und der mir ihr verbundenen Probleme auf das Leben herausgearbeitet werden. Wie wirkt sich die Arbeit aus auf die Familie, auf soziale Aktivitäten, auf Hobbies und Freizeitbeschäftigungen, auf körperliches und seelisches Befinden? Die unterschiedlichen Lebensbereiche können mit Symbolen oder Worten dargestellt werden. Wie bestimmt die Arbeit das Leben? Wie beansprucht sie Zeit, Gedanken, Wohlbefinden und Energie? Was für Auswirkungen gibt es?

Das Gesundheitsmapping und verwandte Ansätze versuchen das praktische Expertenwissen der KollegInnen zu nutzen und sie dabei als Subjekte zu beteiligen. Dies soll ihnen dabei helfen, über ihren Arbeitsplatz und ihr Leben nachzudenken und Zusammenhänge zu erkennen. Ziel ist es, sie zu eigenem Handeln und zum Engagement für ihre eigenen Interessen anzuregen. Sinnvoll ist es, die eigenen Erfahrungen der Beschäftigten artikulierbar, erzählbar zu machen und die Ergebnisse mit anderen Formen der Erhebung und Dokumentation von Belastungen am Arbeitsplatz zu vergleichen und zu verknüpfen. Entscheidend sind hier nicht vermeintlich objektive Indikatoren, sondern subjektive Wahrnehmung und deren Kommunikation im Kreise der Betroffenen mit der Perspektive auf reale Veränderungen der Arbeitsbedingungen. Ein Ziel des Mappings ist es, ein Prioritätenliste der Probleme zu erstellen und gemeinsam mit den Betroffenen zu diskutieren, auf welcher Ebene (unmittelbarer Arbeitsplatz, Abteilung, Betrieb, Konzern, Gesellschaft...) welches Problem angesiedelt ist und welches womöglich auch mit Hilfe der Betroffenen gelöst werden kann.

Hier ist ein gewisses Defizit nicht nur der Beiträge des besprochenen Sammelbands, sondern auch der generellen Diskussion über das Thema »Gute Arbeit« zu konstatieren. Es genügt nicht zu erheben, wie viel Prozent der Beschäftigten ihre Arbeit als gut oder als schlecht beschreiben und auf welche Aspekte der Arbeit sie sich dabei in erster Linie beziehen. Entscheidend ist es, den Befragten gleichzeitig ein Instrument an die Hand geben, das neue Wahrnehmungs- und Artikulationsmöglichkeiten eröffnet und das Alltagswissen über Gesundheit und Krankheit zu nutzen versteht. Barefoot research, Gesundheitsmapping und verwandte Konzepte versuchen gerade die Teilnehmerperspektive der betroffenen unfreiwilligen ExpertInnen zu nutzen. Dabei geht es nicht darum, primär einen objektivierenden Expertendiskurs zu initiieren, sondern darum, zunächst einmal im Arbeitsalltag auftretende Probleme zur Sprache zu bringen und sich die dabei zu Tage tretenden Artikulationsschwierigkeiten einzugestehen und zu kommunizieren. Was gute Arbeit ist oder sein könnte, lässt sich vielfach erst aus dem Widerstand gegen existierende Formen schlechter Arbeit begreifen.

Hermann Kocyba

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/09


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