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Updated: 18.12.2012 15:51
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Arbeitszeitverkürzung oder die fehlende Radikalität der Gewerkschaften

Kommentar zu einer verspäteten Debatte von Armin Kammrad, 11.10.2009

Im Express 7-8/2009 stieß der baden-württembergische Ver.di-Funktionär Werner Sauerborn die Debatte um Arbeitszeitverkürzung neu an, welche er als " die Königsdisziplin gewerkschaftlicher Tarifpolitik, gewerkschaftlicher Politik überhaupt" auffasst. Mag Wompel wies in der gleichen Ausgabe daraufhin, dass Werner Sauerborn mit seiner Forderung zwar " Weit - und doch zu kurz gesprungen" sei. Denn der "Mensch, sofern er sich das ohne Angst eingestehen darf, will nämlich gutes Leben, nicht gute (Lohn-)Arbeit. Eine dafür notwendige humane finanzielle Grundsicherung wäre mit all den bisherigen Verzichtsleistungen und Subventionen längst finanzierbar", antwortete Mag in der gleichen Ausgabe.

Zunächst in "junge welt" vom 30.09.2009, dann auf LabourNet (1) schaltet sich Daniel Behruzi in diese Debatte ein und erinnert daran, dass die Befürworter von Arbeitszeit gut daran täten, den von Mag Wompel betonten "Humanisierungsaspekt in ihrer Argumentation zu berücksichtigen" . Allerdings schränkt er den von Mag betonten Aspekt, dass das Leben nicht nur aus Lohnarbeit bestehen kann. zugleich wieder ein, wenn er behauptet: " Die abhängig Beschäftigten sind im Kapitalismus auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft, also auf den Erhalt des (einen oder eines anderen) Arbeitsplatzes angewiesen." Denn genau dies ist ja das Hauptproblem, wie nicht nur "ein Blick auf Karstadt, BenQ oder Opel", sondern auf die gesamte gegenwärtige Wirtschaftskrise zeigt. Es ist die Arbeit als Ware, welche die überwiegende Mehrheit der Menschen (weltweit) existenziell am Werden und Vergehen der kapitalistischen Wirtschaft kettet. Marx mag mit seiner radikalen Kritik nun beliebt sein oder nicht - was er als entscheidende Aufgaben der Gewerkschaft definierte, darüber sollte man zumindest einmal nachdenken: " Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. (.) Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems" (MEW Bd. 16, S. 152).

Daniel Behruzi betont zwar, dass Verzicht keine Arbeitsplätze sichert, bietet jedoch einen Mechanismus an, der die Hauptaufgaben der Gewerkschaften - nach Marx, die Abschaffung des Lohnsystems - gerade ausspart: "Diese, dem Kapitalismus inhärente Unsicherheit zu erkennen, ist Voraussetzung dafür, den kollektiven Kampf für gesellschaftliche Veränderung als Ausweg zu begreifen. Die Angst um den Arbeitsplatz wird also zum Ausgangspunkt eigener Aktivität, ohne die Veränderung unmöglich ist. Die Forderung nach einer »humanen Grundsicherung« kann das nicht ersetzen." (1)

Hier ist schon kritisch anzumerken, dass die Angst um den Arbeitsplatz irgendwie zum Hebel eigner Aktivitäten in Richtung Veränderung werden soll. Eher ist es oft die Wut und das Selbstbewusstsein, aber teilweise auch Enttäuschung über das Ergebnis zunächst als Ausweg gesehener Verzichte, die praktisch was bewirken. Und angesichts des nationalen Ausspielens von Belegschaften des gleichen Konzerns, stärkt offensichtlich die Angst um den Arbeitsplatz nationale Absonderung, statt ein kollektives Vorgehen über die Grenzen des deutschen Ländchens hinaus.

Zur fehlenden Kritik der Lohnarbeit

Das System der Lohnarbeit wird nicht nur von der Kapitalseite als nicht zu hinterfragende Selbstverständlichkeit genommen. Gegenüber Menschen aus nicht-europäischen Ländern, aber mehr und mehr auch im deutschen Ländchen selbst, wird nach wie vor erfolgreich eine Ausgrenzungspolitik betrieben. Erschreckend sind dabei auffällige historische Parallelen. So heißt es in Punkt 1 einer von Himmler am 26. Januar 1938 erlassenen Anweisung: "Arbeitsscheue im Sinne dieses Erlasses sind Männer im arbeitsfähigen Lebensalter, deren Einsatzfähigkeit in der letzten Zeit durch amtsärztliches Gutachten festgestellt worden ist oder noch festzustellen ist, und die nachweisbar in zwei Fällen die ihnen angebotenen Arbeitsplätze ohne berechtigten Grund abgelehnt oder die Arbeit zwar aufgenommen, aber nach kurzer Zeit ohne stichhaltigen Grund wieder aufgegeben haben." (2)

Hier einzuwenden, dass ja heute kein die Arbeit ablehnender Hartz IV-Berechtigter ins Konzentrationslager kommt, verfehlt die eigentliche Problematik und verbleibt auf der Ebene der Wirkung, ohne die Ursachen zu benennen. Denn eine Ideologie des "Arbeitsscheuen" ist nur dort möglich, wo die wirtschaftlichen Verwertungsbedingungen keine praktizierte Ablehnung zu lassen. Wer aus grundsätzlichen Überlegungen Lohnarbeit abgelehnt hätte, wäre im Rahmen der faschistischen Arbeitsideologie sicher nicht der Einstufung als "arbeitscheu" entkommen. Die Angst spielte bezüglich des Faschismus übrigens auch eine maßgebliche, jedoch negative Rolle.

Aber nicht nur aufgrund dieses historischen Hintergrundes, ist es notwendig gegen den Anspruch wirtschaftlicher Verwertbarkeit entschieden aufzutreten. Denn die Lohnarbeit unterliegt stets dem Prinzip von Angebot und Nachfrage, also marktwirtschaftlichen Maßstäben. Diese hat der deutsche Faschismus zwar stark eingeschränkt, ja, letztlich mit dem Konzept der offenen Zwangsarbeit aufgehoben, dazu bedienter er sich jedoch einer Ideologie, die gerade typisch für die Marktwirtschaft ist: Nämlich, dass eine entschiedene Ablehnung des Prinzips Lohnarbeit nur negativ gewertet werden kann. Wenn heute immer noch völlig widerspruchslos die "fleißige" Arbeitsideologie von der herrschenden Wirtschaftspolitik durch die Lande bzw. Medien getragen wird, ist mit der Erkenntnis des Zusammenhangs von Lohnarbeit und Arbeitslosigkeit allein nichts getan. Es kommt darauf an der Ursache von prekärer Beschäftigung und Erwerbslosigkeit den Kampf anzusagen - also der Lohnarbeit. Zumindest die Gewerkschaften können wohl nicht mit dem Angstfaktor argumentieren. Hier sollte eher einmal nüchtern über die Ursachen gesprochen werden. Die kann man nun darin sehen, dass der Kapitalismus "zurzeit" nicht mehr "so richtig funktioniert" oder eben eine anti-kapitalistische Haltung einnehmen und das Prinzip Lohnarbeit im Mittelpunkt der Kritik und der gewerkschaftlichen Aktivitäten stellen.

Dies mag unangenehm sein. Denn das Problem bei der Lohnarbeit ist, dass über Generationen hinweg, sie als "natürlich" gilt. "Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen", lautet die vorherrschende Ideologie auch in den Köpfen vieler abhängig Beschäftigter. Ob nun "natürlich" oder nicht, faktisch ist der herrschende Arbeitsbegriff nur eine (bewusste oder unbewusste) Übernahme des herrschenden Prinzips der kapitalistischen Marktwirtschaft. Dabei geht es nicht nur darum, ob eine Ablehnung dieses Prinzips vielleicht das gesamte System in Frage stellen könnte. Dass sich die Verwertungsbedingungen für die Lohnarbeit verschlechtern, ist kein "Ausrutscher" bei einem sonst glänzend funktionierenden System, sondern gerade umgekehrt Ausdruck, dass dieses System immer noch gut funktioniert. Dass Bewusstsein passt sich dem nur mehr oder weniger an, wenn es sich darüber beschwert, dass selbst 100 Bewerbungen im Monat nichts bringen. Leistungsbereitschaft ist ja schön und gut. Der Kapitalismus funktioniert jedoch nach dem Bedarfsprinzip. Es reicht nicht für Arbeitsleistungen bereit zu sein, diese muss auch benötigt werden und schließlich muss der Preis stimmen. Geiz ist hier immer noch "geil".

Das kapitalistische Prinzip des Wirtschaftens erzeugt bestenfalls Widersprüche, welche selbst leidenschaftliche Befürworter kapitalistischer Grundprinzipien dazu veranlassen können, radikale Veränderungen zu fordern. Zu dieser Gruppe gehört der, wegen seiner Theorie des "dynamischen Unternehmers" in Kapitalkreise sehr beliebte Ökonom Joseph A. Schumpeter, der schon in der 40ziger Jahren die selbst gestellte Frage: "Kann der Kapitalismus weiterleben?" mit einem eindeutigen "Nein, meines Erachtens nicht" beantwortete (3).

Auch wenn man sich an Schumpeters abwertende Haltung gegenüber der Arbeiterbewegung als Gewerkschafter sicher kein Beispiel nehmen kann, so bleibt doch feststellen, dass die Gewerkschaften sowohl theoretisch als auch praktisch hinter der Radikalität der Gegenseite immer noch zurückbleiben. Anders lässt sich, meinem Eindruck nach, auch nicht erklären, weshalb man auf Biegen und Brechen die Lohnarbeit retten will bzw. dessen Kritik immer wieder umgeht. Wer die Lohnarbeit rettet, rettet den Kapitalismus, rettet Lohnsenkungen, Erwerbslosigkeit und Ausgrenzung. Allerdings stimmt mir in diesem Punkt Daniel Behruzi wohl - bedingt - zu. Er betrachtet Lohnarbeit nur abweichend von mir als Hebel für entscheidende Veränderungen. Ich sehe den entscheidenden Hebel in einer deutlich veränderten Haltung zur Lohnarbeit, sei es individuell, sei es als Kollektiv. Es geht für mich in sofern vorrangig auch nicht um eine " Forderung nach einer »humanen Grundsicherung«" (1), sondern um ein deutlich anderes Verhältnis zur Lohnarbeit. Zur Existenzangst kann sich nämlich noch eine andere Angst gesellen. Nämlich das Gefühl, mit seiner Angst allein dazustehen. Kollektiv ist dann das Gefühl gemeinsamer Ohnmacht und Perspektivlosigkeit, also das, was gerade häufig die Ursache für Kompromisse mit der Kapitalseite ist. Wer glaubt denn heute noch, dass Kompromisse mit der Kapitalseite, wie besonders Lohnverzicht, Arbeitsplätze sichern? Ich habe eher den Eindruck, dass es schlichtweg an Alternativen fehlt.

Eine »humane() Grundsicherung« kann sich auch in einer Forderung niederschlagen, aber was die Gewerkschaften diesbezüglich betrifft, scheint der Weg dorthin noch weit zu sein. Er wird allerdings deutlich verkürzt, wenn die Basis beginnt, Lohnarbeit als historisch überholte Form des tätigen Lebens zu betrachten und auch praktisch in der alltäglichen Maloche zu behandeln. Übrigens ist genug da, um es so zu verteilen, dass jeder ein genügend hohes Grundeinkommen erhalten könnte, ohne dafür sich als LohnarbeiterIn verdingen zu müssen. Dazu muss (zumindest in Deutschland) das existierende Vermögen einfach nur umverteilt werden. Schließlich zeigt gerade die gegenwärtige Krise, dass man Vermögen auch sinnlos verspielen kann und deren permanente Zunahme durch die damit verbundene wachsende Inflationsgefahr sich selbst jene Grundlage zu entziehen droht, welche man vorgibt gerade zu brauchen. Zwar rettet ein Bedingungsloses Grundeinkommen nicht das System.. Aber vor der Systemfrage sollte sowie so zunächst etwas eher Praktisches stehen, nämlich eine ausreichende Existenzsicherung aller. Erst dann kann es auch keine Ausgrenzung mehr nach den Kriterien der wirtschaftlichen Verwertbarkeit mehr geben, ein Herangehen, was zwangsläufig zu einem neuen Systemverständnis führt. Wer das nicht will, wird zwangsläufig seine Existenz nur durch Lohnarbeit sichern können. Dies ist zwar verständlich und gegenwärtig für die Mehrzahl der Menschen praktisch nahe liegend, aber - trotz aller denkbaren Kritik am Kapitalismus - die für den Kapitalismus gerade typische Art der Existenzsicherung. Wohl dem, bei dem sie noch funktioniert.

Vorteil und Grenzen der Arbeitzeitverkürzung

Arbeitszeitverkürzung hat ökonomisch betrachtet eigentlich keinen Vorteil, auch wenn es vorteilhafter erscheint, weniger zu arbeiten, wenn andere "draußen bleiben" müssen. Arbeitzeitverkürzung basiert auf der Logik, dass mit der Produktivität auch die Möglichkeit wächst, ohne Produktivitätseinbußen weniger zu arbeiten. Wer mit seiner freien Zeit ohne den Zwang, der von Lohnarbeit ausgeht, nichts Sinnvolles anzufangen weiß, dem ist jedoch mit weniger Arbeit kaum geholfen. Dabei ist noch etwas anderes sehr wesentlich. Für uns ist heute mehr Freizeit der Ausgleich zur Maloche, ja, im gewissen Sinne der "bessere" Teil davon. Deshalb lässt sich auch sagen, dass eine bedingt das andere - oder auch wiederum wirtschaftlich betrachtet: In der Arbeit sind wir produktiv, in der Freizeit konsumieren wir, sind also in Arbeit und Freizeit für den Werdegang der kapitalistischen Wirtschaft (mehr oder weniger) aktiv. Dass wir nicht alle 12 Stunden arbeiten und dann totmüde ins Bett fallen, macht also auch wirtschaftlich betrachtet Sinn. Wer sollte denn bei soviel Arbeit noch die ganzen Shoppingmiles besuchen und die ganzen schöne Dinge kaufen? Sehr treffend betonte Gianluca Falanga aus anarchistischer Sicht einmal, dass "der Begriff ,Freizeit' komplementär zu(r) Arbeit ist, also eine kapitalistische Kategorie darstellt" (4).

Werner Sauerborn betrachtet diese Thematik allerdings eher "tariflich", als " Königsdisziplin gewerkschaftlicher Tarifpolitik" (vgl. oben). Tatsächlich wäre es ein Vorteil, wenn statt Erwerbslosigkeit die "Restarbeit" für alle günstiger verteilt werden würde. Dies setzt jedoch voraus, dass nicht nur zugunsten von Arbeitszeitverkürzungen die Löhne gesenkt werden, sondern die bisher Erwerbslosen ebenfalls in den Genuss von angemessen hohen Löhnen kämen. Denn eine Umverteilung von Arbeit durch entsprechende Wirtschafts- und Sozialpolitik haben wir ja bereits. Es kommen ja als zwangsvermittelte Niedriglöhner bereits schon immer mehr Menschen quasi durch die Tür zurück, durch welche sie zuvor "betriebsbedingt" entlassen wurden. Hier wird also nicht die Arbeitszeit gesenkt, sondern der Lohn, entweder direkt oder indirekt über den Weg gesamtgesellschaftlicher Arbeitszeitverkürzung, also Erwerbslosigkeit. Die Frage ist somit, wie statt dieser Art Lohnsenkung die Arbeitszeit so verkürzt werden kann, dass gerade kein Effekt der Lohnsenkung eintritt. Dies kann nur funktionieren, wenn die Verteilung zwischen Kapital und Arbeit zugunsten der Arbeit verbessert wird. Faktisch ist eine Arbeitzeitverkürzung ohne Lohnsenkung eine Lohnerhöhung, welche sich nur statt in Lohn in mehr Freizeit darstellt. Denn der Lohnkostenanteil steigt und der Anteil an der Produktivität nimmt zu. Wird dies auf den Preis umgelegt, kann zwar der Lohnkostenanteil relativ zum Preis auf gleichem Niveau gehalten werden. Solche Preiserhöhungen sind jedoch nicht Ausdruck höherer Produktivität, sondern eines höheren Preises für eine Produktivität, die sich gerade nicht erhöht hat.

Umgekehrt bedeutet eine Arbeitzeitverkürzung ohne Lohnausgleich eine Senkung des Lohnkostenanteils. Diese Form wird immer bestimmender und sie stellt sich in der Zunahme der sog. "atypischen" Beschäftigung dar, durch welche immer mehr die Arbeitszeit abgesenkt wird, um die Löhne zu drücken und somit den Anteil der Löhne an der Produktivität. Dies fällt manchmal nur nicht so auf, weil sich diese Lohnsenkung auf den Durchschnitt beziehen, d.h. dass sich die Situation in der einen oder anderen Branche durchaus anders darstellen kann.

Arbeitszeitverkürzung kann deshalb nur gesamtgesellschaftlich sinnvoll betrachtet werden. In diese Sinne bezog sich auch Marx auf die dahinter stehende Grundlogik, dass mit dem Wachsen der Produktivität immer mehr frei verfügbare Zeit entsteht ( disposable time), die allen gleichermaßen zur Verfügung stehe soll ( MEW 26.3, S.252). Wesentlich ist hierbei jedoch, die Verteilung - sowohl der noch gesellschaftlich notwendigen als auch der individuell frei verfügbaren Zeit - auf ausnahmslos alle Mitglieder der Gesellschaft, da sonst marktwirtschaftliche Mechanismen Ungleichheit sowohl in der freien Zeit als auch im Lohn erzeugen (5).

Mit seiner "Königsdisziplin" stapelt Werner Sauerborn deutlich tiefer. Und natürlich spricht nichts gegen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich im Konzern bzw. Betrieb XYZ. Tariflich gesehen wäre dies sowie so nur ein Nachholen des Anteils der Löhne an der Produktivität, nach Jahren permanenter Lohnsenkung. Unklar ist allerdings der Vorteil von Arbeitszeitverkürzung gegenüber deutlich höheren Löhnen. Denn dass die Arbeitszeitverkürzung zu mehr Einstellung führt, ist fraglich. Eher besteht die Gefahr, dass für die Kapitalseite Arbeitszeitverkürzungen mit vollem Lohnausgleich zu einer versteckten Form von Abfindung werden. Wer sowie so Arbeitsplätze abbauen will, käme auch dann mit einer Reduzierung der Arbeitzeit zurecht, wenn sie relativ teuer kommt. Er hält so sogar "seine" Stammbelegschaft, statt sie aufgrund von erhöhtem Bedarf an Arbeitskräfte ersetzen oder Neueinstellungen vornehmen zu müssen.

So gesehen liegt das Hauptproblem weniger in der Arbeitszeitverkürzung der (noch) abhängig Beschäftigten, sondern in der tarifpolitischen Schaffung von Arbeitsplätzen für die wachsende Zahl Erwerbsloser. Hier schließt sich jedoch der Kreis: Denn wenn Arbeitszeitverkürzung aufgrund der gewachsenen Produktivität möglich ist, bedeutet dies für alle diejenigen, welche erwerbslos sind, dass sie genau deshalb nicht mehr gebraucht werden. Die wachsende Produktivität kann nämlich nur entweder weniger an menschlicher Arbeitskraft erfordern oder eben mehr. Nur im letzten Fall haben Erwerbslose die (vage) marktwirtschaftliche Chance auf Verwertung ihrer Arbeitskraft (von der strukturellen Seite der Erwerbslosigkeit einmal abgesehen).

Eine zugegeben radikale Form der Arbeitzeitverkürzung wäre ein Bedingungsloses Grundeinkommen in ausreichender Höhe. Zwar bleibt dann das oben bereits erwähnte Problem, was mensch mit der vielen freien Zeit nun anfangen soll. Der Anfang für einen neuen Begriff von sinnvoller Tätigkeit wäre allerdings gemacht. Auch müssten sich die höher dotierten LohnarbeiterInnen nicht grämen. Ihre Nachfrage und somit ihr Marktpreis würde deutlich steigen, wenn kein Zwang mehr besteht, sich möglichst billig anzubieten, nur um auch für Lohn arbeiten zu dürfen. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen wirkt also im Sinne einer Verknappung von Lohnarbeit, was - marktwirtschaftlich betrachtet - zwangsläufig zu höheren Löhnen führen würde. Allerdings bricht die Bedingungslosigkeit nachhaltig mit einem wesentlichen marktwirtschaftlichen Prinzip, der Arbeit als Ware. Deshalb lassen sich marktwirtschaftliche Betrachtungen nur sehr bedingt auf ein Bedingungsloses Grundeinkommen anwenden.

Bedingungsloses Grundeinkommen kontra liberales Bürgergeld

Dass es sich beim Einkommen ohne Arbeit keinesfalls um irgendeine "utopische Spinnerei" handelt, macht aktuell das liberale Konzept von einem Bürgergeld deutlich. So verfasste die, der FDP nahe stehende, Friedrich Naumann Stiftung ein Positionspapier, indem sie sich vehement gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen mit dem Argument wendet, dass damit "nicht nur der Exitus des Sozialstaates zu befürchten" wäre. "Auch der soziale Zusammenhalt und der Leistungswille der Bevölkerung wäre gefährdet" (6).

Natürlich ist das mit dem Exitus des Sozialstaates beim liberalen Bürgergeld etwas deplatziert. Denn gerade dieses soll sämtliche sozialen Leistungen, so fern sie über Steuern finanziert werden, ersetzen. Es handelt sich also um eine weitere Kürzung von Sozialleistungen, nachdem bereits Dieter Althaus und besonders das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut nachgerechnet hatten, dass sich so etwas rechnen würde - allerdings nur, wenn es nicht von seiner Höhe und seinen Modalitäten her bedingungslos ist. Die Neoliberalen übernehmen nun gerne die Idee eines Bürgergeldes als Streichinstrument für Sozialleistungen und wenden es gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE): "Im Gegensatz zum BGE verbindet das Bürgergeld ein Existenz sicherndes Einkommen mit wirksamen Arbeitsanreizen" (6). Dies ist bei Liberalen allerdings nicht überraschend. "Für die Freiheit" , sind sie nur beim Eigentum, oder wie einer ihrer wichtigen Vordenker, Ludwig von Mises, es einmal ausdrückte: "Nur durch die Freiheit des Eigentums sind auch andere Grundfreiheiten gewährt". (7) Der Warencharakter der Arbeit ist dafür marktwirtschaftliche Bedingung, da neben dem Besitz der Arbeitskraft, bei der Mehrzahl der Menschen kein (nennenswertes) Eigentum existiert und folglich deren Grundfreiheiten von den Eigentümern an Produktsmitteln abhängen, oder - wie die Stiftung es selbst ausführt - : "Nur das Bürgergeld sorgt für eine leistungsgerechte, wachstumsorientierte und dennoch soziale Risiken berücksichtigende Reform der Sozialen Marktwirtschaft. Demgegenüber bedeutet ein BGE, dass zum ersten Mal der Zwang zur Arbeit nicht für einige wenige, sondern für alle im arbeitsfähigen Alter entfällt" (6). Mit diesen "wenige(n)", die dem Zwang zur Arbeit nicht unterliegen, meint die Stiftung natürlich ihr ureigenstes Klientel, die Vermögenden, den reichen Privatbesitz und eine Gesellschaft des "sozialen Zusammenhalts" (6), bei dem Arm und Reich in trauter Eintracht zusammenleben sollen.

Dass sich mit einem BGE überhaupt auf Seiten kapitalistischer Ideologie auseinandersetzt wird, liegt wohl wesentlich an bereits erfolgten Veränderungen im Bereich der Lohnabhängigkeit. Denn schon längst wird versucht eine Grundsicherung durchzusetzen, die sowohl bei Nachfrage als auch bei Erwerbslosigkeit nur noch eine minimale Existenz sichern soll, welche jedoch keinesfalls den Betroffenen eine Unabhängigkeit von Lohnarbeit gewährt. Faktisch soll der Einsatz von Arbeitskraft immer konsequenter nur noch auf deren Verwertbarkeit reduziert werden, sei es durch Schaffung eines Niedriglohnsektors, durch Abbau des Kündigungsschutzes sowie Erweiterung von Leiharbeit und Befristung oder durch staatlich durchgesetzte Zwangsarbeit (1-Euro-Jobs). Existenzielle Unabhängigkeit vom Markt passt da nicht, weshalb ein Bedingungsloses Grundeinkommen auch in den schwärzesten Farben gemalt wird.

Dieser verstärkten Anpassung an die Verwertungsbedingungen der Arbeitskraft, kann jedoch die Gewerkschaft umso weniger etwas entgegensetzen, je weniger sie selbst nicht die dahinter stehende Verwertungslogik in Frage stellt. Wenn es nicht mehr möglich sein soll, dauerhafte und existenzsichernde Lohnarbeit zu bekommen, muss die Existenz zwangsläufig unabhängig von der Nachfrage nach Arbeitskraft gesichert werden. Sie trotzdem an die marktwirtschaftlichen Verwertungsbedingungen anzupassen, kann nur zur Entwertung führen, weil deren Preis mit dem Überangebot zwangsläufig sinkt. Dieses Überangebot wurde im Wesentlichen auf gesetzgeberischem Weg geschaffen, geleitet von einer Angebotsideologie, welche einerseits das Kapital entlastet und andererseits die Arbeit belastet. Die Leistungsbereitschaft auf der Angebotsseite wird so marktwirtschaftlich adäquat erhöht: Für das Kapital durch lukrative Anreize, für die Seite der Arbeit durch unattraktive Schikanen bei Leistungsverweigerung. Das trotz Krise wachsende Vermögen übt hier einen großen Einfluss allein durch die Möglichkeit (Freiheit) der Verlagerung und ungebremsten Umschichtung aus. Es ist nicht nur die direkte Korruption, sondern auch die Angst der herrschenden Politik, dass die großen Vermögen abwandern könnten. Mit deren Zunahme wächst folglich auch deren destruktiver Einfluss, weshalb es auch von daher sinnvoll erscheint, ein bedingungsloses Grundeinkommen durch Umverteilung zu erreichen, um den Einfluss des großen Geldes auf sämtliche staatliche Bereiche abzubauen.

Mit dem liberalen Bürgergeld wird sich an der Grundproblematik des Warencharakters der Arbeit also nichts ändern. Es verschärft jedoch die gesellschaftliche Auseinandersetzung, umso mehr es zur bedingten Grundsicherung wird. Arbeitszeitverkürzungen sind hierin impliziert. Allerdings nur im Rahmen einer von Lohnarbeit weiterhin abhängigen Bevölkerungsmehrheit. Dies ist kein Zufall, ist kein "Irrweg" und auch kein "Turbo-Kapitalismus". Dies ist nur die Konsequenz aus dem Warencharakter der Arbeit unter Bedingungen, in denen sich immer deutlicher das Prinzip Lohnarbeit als Mittel der Existenzsicherung überlebt hat. Es käme deshalb darauf an, dass nicht die Kapitalseite das Prinzip der Lohnarbeit umstrukturiert, sondern endlich die Gewerkschaften das Prinzip der Lohnarbeit einer Kritik unterziehen und Wege zu dessen Überwindung suchen. Statt Arbeitszeitverkürzung wäre eine radikale Abkehr von Lohnarbeit auch deshalb sinnvoll, weil die Kapitalseite schon längst damit begonnen hat, der Lohnarbeit ihren Schleier von ausreichender Existenzsicherung zu nehmen. Die Notwendigkeit Wege für eine alternative Existenzsicherung zu suchen, ergibt sich auch daraus, dass - wie Mag Wompel treffend betont - Lohnarbeit sicher nicht das ist, was die meisten Menschen unter einem " gute(n) Leben" verstehen. Statt auf die verändernde Wirkung von Angst, lässt sich wohl nahe liegender auf die verändernde Wirkung realistischer Perspektiven bauen. Angst macht die Kapitalseite. Die Aufgabe der Gewerkschaften wäre es Mut zu machen.

Anmerkungen

1) http://www.labournet.de/diskussion/arbeitsalltag/az/azv_behruzi.html

2)  zit. nach Anne Alex / Dietrich Kalkan "ausgesteuert - ausgegrenzt .. angeblich asozial", AG SPAK Bücher, Neu-Ulm 2009, S. 156

3) Joseph A Schumpeter "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie", Tübingen, Basel 2005, S. 105

4) Falanga, Gianluca "Befreiung von der Arbeit: Arbeitsverweigerung als anarchistische Strategie" in "telegraph" 116/117, Berlin 2008, S.162

5) dazu lesenswert: Cockshott, W. Paul / Cottrell, Allin "Alternativen aus dem Rechner - Für sozialistische Planung und direkte Demokratie", Köln 2006

6) Peter Altmiks "Liberales Bürgergeld kontra bedingungsloses Grundeinkommen", Friedrich Naumann Stiftung, Potsdam, S.30: http://www.freiheit.org/files/62/PA-Buergergeld_Grundeinkommen.pdf externer Link pdf-Datei

7) vgl. Ludwig von Mises " Vom Wert der besseren Ideen: Sechs Vorlesungen über Wirtschaft und Politik", München 2008


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