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Updated: 18.12.2012 15:51
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Königsdisziplin Arbeitszeitverkürzung

Arbeitsumverteilung: Strategischer Hebel gegen Erwerbslosigkeit oder zur Verbesserung der Lebensbedingungen? Mit vollem oder »maximalem« Lohnausgleich? Ein Debattenbeitrag *

Angesichts drohender Massenentlassungen wird in den Gewerkschaften wieder über die Forderung nach kollektiver Arbeitszeitverkürzung diskutiert. Auf einer von der ver.di-Linken NRW organisierten, bundesweiten Konferenz am 11. Oktober in Dortmund soll es darum gehen, der Forderung im Rahmen der anstehenden Tarifrunde bei Bund und Kommunen Nachdruck zu verleihen (Infos: www.arbeitszeitappell.de ). Auch in der Sommerausgabe der Zeitschrift Express nimmt die Frage in Beiträgen des baden-württembergischen ver.di-Funktionärs Werner Sauerborn und der Labournet-Redakteurin Mag Wompel breiten Raum ein.

»Im Grunde ist Arbeitszeitverkürzung die Königsdisziplin gewerkschaftlicher Tarifpolitik, gewerkschaftlicher Politik überhaupt.« So eröffnet Sauerborn, der für den ver.di-Landesbezirk Baden-Württemberg arbeitet, seinen Artikel. Arbeitszeitverkürzung sei der zentrale strategische Hebel der Gewerkschaften gegen Massenarbeitslosigkeit, denn: Die stetige Steigerung der Produktivität – in Deutschland nahm diese zwischen 1991 und 2006 um 32,4 Prozent zu – führt ohne Arbeitszeitverkürzung oder entsprechendes Wachstum automatisch zur Vernichtung von Arbeitsplätzen. Dabei ist die ständige Rationalisierung etwas »urkapitalistisches«. »Entsprechend muß es zu den ›Basics‹ von Gewerkschaften gehören, diesen Mechanismus durch Arbeitsumverteilung zu kontern«, fordert Sauerborn. Die Massenarbeitslosigkeit sei letztlich »nicht durchgesetzte Arbeitszeitverkürzung und erst recht: nicht verhinderte Arbeitszeitverlängerung«.

Angesichts der anrollenden »Riesenwelle von Arbeitslosigkeit« grenze es für die Gewerkschaften an Selbstaufgabe, sollten sie die Verkürzung der Arbeitszeiten trotz aller Schwierigkeiten nicht wieder zum Thema machen, argumentiert Sauerborn, der eine entsprechende Tarifforderung für »plausibel, begründbar und bei guter Vorbereitung auch streikfähig« hält. Allerdings – und hier wird der Beitrag problematisch – plädiert der ver.di-Funktionär dafür, bei Arbeitszeitverkürzung nicht vollen, sondern »maximalen« Lohnausgleich zu fordern. Soll heißen: Gewisse Einkommensverluste könnten bei einer Reduzierung der Arbeitszeiten gegebenenfalls in Kauf genommen werden, damit deren beschäftigungspolitische Wirkung zum Tragen kommt, auch wenn eine volle Übernahme der Kosten durch die »Arbeitgeber« nicht durchsetzbar ist.

Diese scheinbare Vereinfachung des Kampfes um Arbeitszeitverkürzung – auch wenn voller Lohnausgleich nicht möglich ist, soll hierfür gestritten werden – erschwert diesen letztlich jedoch. Denn wie Sauerborn selbst zu bedenken gibt, ist die in den 1980ern schrittweise erfolgte Arbeitszeitreduzierung mit Lohneinbußen und Arbeitsintensivierung einhergegangen. »Dies hat die Arbeitszeitverkürzung diskreditiert und war eine der Ursachen, warum die Gewerkschaften vor etwa 20 Jahren ihre Arbeitszeitpolitik, wenn auch unfreiwillig, de facto eingestellt haben.« Das heißt aber: Soll die aktive Unterstützung der Beschäftigten für die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung gewonnen werden – und ohne ist deren Durchsetzung ohnehin nicht denkbar –, ist gerade die Verhinderung von Einkommensverlusten eine Voraussetzung. Denn die Verkürzung der Arbeitszeiten, die mit Einbußen einhergeht, wird von einem Großteil der Belegschaften mit Sicherheit abgelehnt. Ein Beispiel hierfür war der große – und berechtigte – Unmut der öffentlich Bediensteten des Landes Berlin über den 2003 geschlossenen Anwendungstarifvertrag, der die Absenkung der Arbeitszeiten bei entsprechender Gehaltsreduzierung zwischen acht und zwölf Prozent vorsieht.

Der Satz, daß die Beschäftigten, insbesondere in den unteren Lohngruppen »auf nichts mehr verzichten können«, ist mehr als bloße Tarifrhetorik. Für weite Teile des öffentlichen Dienstes ist das angesichts des Absenkungstarifvertrags TVÖD und jahrelanger Reallohnverluste bittere Realität. Wer diese Beschäftigten für die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung mobilisieren will, muß unmißverständlich klarmachen, daß die Einkommen dadurch nicht in Gefahr geraten. Und: Natürlich geht es in Tarifauseinandersetzungen vor allem um eine Umverteilung zwischen den Klassen, nicht innerhalb der eigenen. Bei entschlossener Mobilisierung und verbunden mit einer gesellschaftlichen Kampagne dürfte hier auch einiges durchsetzbar sein.

Mag Wompel hält in ihrem Beitrag die Forderung nach vollem Lohnausgleich bei Arbeitszeitverkürzung aufrecht. Sie greift allerdings von einem anderen Gesichtspunkt in die Debatte ein. Grundproblem sei die Erpreßbarkeit der abhängig Beschäftigten durch die Drohung des Arbeitsplatzverlustes. Aus dieser Situation heraus sei »eine Umkehr in der Arbeitspolitik nicht möglich und auch von den meisten Lohnabhängigen nicht erwünscht«, so die Journalistin. Denn vor dem Hintergrund drohender und unter den Bedingungen von »Hartz IV« entwürdigender Erwerbslosigkeit werde die eigene Lebenszeit und Freizeit für viele Beschäftigte nachrangig oder gar »zum einzigen Pfund, um Arbeitsplätze zu erhalten oder die abgepreßten Lohnverluste auszugleichen«.

»Wenn ›die Hand, die einen füttert‹, nicht gebissen werden darf, setzt sich der Lohnabhängige auch schon mal selbst auf Diät«, schreibt Wompel. Ungewollt reproduziert sie damit allerdings eine Illusion, die Unternehmer und Gewerkschaftsspitzen immer wieder zu verbreiten suchen: Die Vorstellung, durch Verzicht könnten die Arbeitsplätze tatsächlich gesichert werden. Ein Blick auf Karstadt, BenQ oder Opel zeigt, daß dies eben nicht der Fall ist. Aufgabe linker Gewerkschafter ist es, gegen diese Illusion zu argumentieren. Die abhängig Beschäftigten sind im Kapitalismus auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft, also auf den Erhalt des (einen oder eines anderen) Arbeitsplatzes angewiesen. Doch ist dieser durch ständige Rationalisierung, Dequalifizierung und kapitalistische Anarchie immer wieder bedroht. Diese, dem Kapitalismus inhärente Unsicherheit zu erkennen, ist Voraussetzung dafür, den kollektiven Kampf für gesellschaftliche Veränderung als Ausweg zu begreifen. Die Angst um den Arbeitsplatz wird also zum Ausgangspunkt eigener Aktivität, ohne die Veränderung unmöglich ist. Die Forderung nach einer »humanen Grundsicherung« kann das nicht ersetzen.

In einem Punkt hat Wompel allerdings recht: Arbeitszeitverkürzung ist nicht nur ein Mittel zur Umverteilung der Beschäftigung, sondern auch und vor allem zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen. »Mehr Zeit zum leben, lieben, lachen« eben. Die Protagonisten der Arbeitszeitverkürzung tun gut daran, diesen Humanisierungsaspekt in ihrer Argumentation zu berücksichtigen.

Ein Debattenbeitrag von Daniel Behruzi, zuerst erschienen in junge Welt vom 30.9.09

Express 7-8/2009, 16 Seiten, 3,50 Euro, Jahresabo 35 Euro. Anschrift: Niddastr.64, 60329 Frankfurt/Main. www.labournet.de/express


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