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Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Weit - und doch zu kurz gesprungen

Mag Wompel* zum Versuch, die Arbeitszeitdebatte >neu zu starten<

»Neustart Arbeitszeit« von Werner Sauerborn ist eine von mehreren gewerkschaftlichen Initiativen für die Neuaufnahme der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung durch die Gewerkschaften (siehe im LabourNet Germany www.labournet.de/diskussion/arbeitsalltag/az/azv.html).

Diese sind - ebenso wie die Forderungen nach »guter Arbeit« - sehr erfreulich und begrüßenswert. Endlich, nach Jahrzehnten einer auf den Arbeitsplatzerhalt begrenzten Arbeitspolitik, rücken auch die alltäglichen Arbeits- und damit auch die Lebensbedingungen in den Fokus gewerkschaftlicher Debatten. »Wir haben andere Probleme« oder »Hauptsache Arbeit« hieß es viel zu lange von Seiten der Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre, wenn Arbeitszeit, Arbeitsverdichtung oder Gesundheitsschutz angesprochen wurden.

Mit diesen Forderungen wird also gewerkschaftspolitisch weit gesprungen, sofern sie sich breit durchsetzen können. Und doch gilt für die Begründung dieser Forderungen, hier am Beispiel der Arbeitszeitverkürzung, dass sie zu kurz greifen und m.E. eben deshalb mit dieser Begründung kaum zum Erfolg führen können.

Denn all die massiven Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen seit den gegen uns gewendeten Ansprüchen an Autonomie, Souveränität und Humanisierung am Arbeitsplatz waren und sind unserer Erpressbarkeit durch die Drohung des Arbeitsplatzverlustes geschuldet. An dieser Erpressbarkeit hat sich nichts geändert, im Gegenteil, sie ist seit den Hartz-Gesetzen stärker denn je. Massenerwerbslosigkeit durch Lean Production, Globalisierung und Wirtschaftskrise(n) haben der Kampfkraft der Belegschaften und Gewerkschaften das Genick gebrochen und all die Zugeständnisse an Löhnen, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen bewirkt. Ausgerechnet nun soll Arbeitszeitverkürzung möglich sein und eine Umkehr dieser Verschlechterungen einleiten? Und dann auch noch über die damit erhoffte Arbeitsumverteilung zum »strategisch zentralen Hebel gegen Massenarbeitslosigkeit« werden?

Lohnarbeit als Selbstzweck?

Die Drohung mit und die Angst vor Arbeitsplatzverlust machen durch die Lohnabhängigkeit erpressbar und erzwangen die vorrangige Rücksichtnahme auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes, des Konzerns und/oder der Nation. Dafür wurden Arbeitszeitflexibilisierung und Produktivitätssteigerung zu Lasten der Lohnabhängigen, Arbeitsverdichtung (oft in Eigenregie), unbezahlte Arbeitszeitverlängerung weit über Pausenkürzungen hinaus, Jagd auf Kranke zur zusätzlichen Senkung der Personalkosten und weitere Schweinereien mitgemacht, wenn nicht gar aktiv mitgestaltet. Wenn »die Hand, die einen füttert«, nicht gebissen werden darf, setzt sich der Lohnabhängige auch schon mal selbst auf Diät. Und diese Erpressbarkeit hat dazu geführt, dass die (angeblich) zur Existenzsicherung im Kapitalismus alternativlose Lohnarbeit durch massive Lohnsenkungen, (akzeptierte) Tarifunterschreitungen, Ausweitung des Niedriglohnsektors und von den Lohnabhängigen finanzierte unzählige Subventionen für das Kapital längst diesen ihren Zweck der Existenzsicherung weitgehend verloren haben und zum (gewerkschafts-)politischen Selbstzweck wurden. Zu diesem Selbstzweckcharakter gehören neben Vollarbeitsplätzen, die nicht vor Armut schützen, auch künstlich am Leben erhaltene (Autoindustrie), überflüssige (Automatisierung), schädliche (Rüstung, Kernenergie, Verfassungsschutz oder Sozialschnüffler) sowie künstlich geschaffene Jobs in der Erwerbslosenindustrie.

Vor dem Hintergrund dieser Erpressbarkeit und der damit verbundenen Abhängigkeit von der Wettbewerbsfähigkeit des »Arbeitgebers« ist es daher richtig, dass nur eine gesetzliche, branchenübergreifende, für alle verbindliche Arbeitszeitverkürzung zumindest optional tatsächlich zur Arbeitsumverteilung führen kann - und dies angesichts der Globalisierung auch nur international! Die gesetzliche Form der Arbeitszeitverkürzung ist auch zum Schutz der Belegschaften und der Betriebsräte vor ihrer eigenen Erpressbarkeit, also gewissermaßen vor sich selbst nötig. Nicht richtig ist aber, dass damit das Argument der Wettbewerbsfähigkeit der »Hand, die einen füttert« ausgehebelt wäre. Richtig ist viel mehr, dass dafür alternative Futterquellen gesucht und erkämpft werden müssten.

Aus der erpressbaren Lage und den entsprechenden Kräfteverhältnissen heraus hingegen ist eine Umkehr der Arbeitspolitik nicht möglich und auch von den meisten Lohnabhängigen nicht erwünscht. Wenn das Geld knapp ist und die entwürdigende Erwerbslosigkeit droht, wird die eigene Lebenszeit und damit auch Freizeit nachrangig, wenn nicht gar zum einzigen Pfund, um Arbeitsplätze zu erhalten oder die abgepressten Lohnverluste auszugleichen.

Arbeitszeitverkürzung und/oder »gute Arbeit« im Sinne humanerer Arbeitsbedingungen können nur dann wirklich zu einer tagtäglichen Verbesserung der Lebensbedingungen der Lohnabhängigen - statt zur weiteren Abkoppelung des Selbstzweckes Arbeitsplatz von der ursprünglichen Funktion der Existenzsicherung - führen, wenn sie (notfalls) dem privaten oder staatlichen Kapital weh tun können und dürfen. Dafür müsste das Ziel der Verbesserung der Lebensbedingungen wichtiger werden als der »Besitz« oder »Erhalt« von Arbeitsplätzen - und zwar unabhängig von ihrer Eignung zur Existenzsicherung.

Eine Arbeitszeitverkürzung hingegen, die lediglich als »strategisch zentraler Hebel gegen Massenarbeitslosigkeit« statt zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Lohnabhängigen dienen soll, also dem (ungeeigneten) Mittel zum Zweck statt dem Zweck jeglichen menschlichen Tuns, droht eben die durch die Erpressbarkeit der Lohnabhängigen bewirkte Abkoppelung des Selbstzweckes Arbeitsplatz von der ursprünglichen Funktion der Existenzsicherung zu betonieren.

Es geht dabei nicht um die Frage, ob ein »echtes« bedingungsloses Grundeinkommen im Kapitalismus wirklich durchsetzbar wäre, da das Kapital unsere Lohnabhängigkeit und damit Erpressbarkeit braucht, um uns ausbeuten und disziplinieren zu können. Ausnahmsweise genügten bereits ernsthafte Bemühungen, diese Erpressbarkeit zu mindern. Aus dieser Sicht wäre ein Kampf gegen die sozialpolitischen Sparprogramme der letzten 30 Jahre (und nicht nur gegen das Symbol Lohnfortzahlung beim Beispiel des 50-Punkte-Sparprogramms am Ende der Kohl-Ära) samt der (aktiven Mitgestaltung der) Hartz-Gesetze wichtiger gewesen als die Arbeitszeitverkürzung von 1984, die nur wenige erreichte, mit Flexibilisierung zu unseren Lasten so-wie Arbeitsverdichtung einher ging und maßgeblich dadurch die Massenerwerbslosigkeit nicht verhinderte. Dagegen hätte der Kampf um möglichst gute Lebensbedingungen gerade der Erwerbslosen, der Ärmsten, Prekären und der Überflüssigen diese erstens nicht isoliert und entwürdigt (und damit die Arbeiterklasse gespalten) sowie zweitens die Erpressbarkeit aller Lohnabhängigen gemindert. Dann, ohne die Keule »Arbeitsplatzverlust = Armut und Entwürdigung«, wäre auch die Kampfkraft für Arbeitszeitverkürzung und gesündere, sinnvollere Arbeitsbedingungen längst da.

Wer hingegen, wie viele Gewerkschaftspublikationen und viele Gewerkschaftsfunktionäre, jahrelang »Hauptsache Arbeitsplatz« predigt und die Lebensbedingungen der Erwerbslosen höchstens unter dem Aspekt der geheiligten Binnennachfrage (schon wieder ein Mittel zum Zweck!) betrachtet, darf sich nicht wundern, wenn die Belegschaften nicht für die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung mobilisierbar sind!

Dies setzt nämlich in allen Köpfen den Bruch mit der bisherigen Akzeptanz der Wettbewerbsbedingungen der »Futterquelle Arbeitgeber« voraus, was bei Bemühungen um Minderung der oder Alternativen zur kapitalistischen Lohnabhängigkeit kein Problem sein dürfte. Ist doch zuletzt die gesteigerte Erpressbarkeit durch Lohnsenkung und Hartz-Gesetze gerade der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland geschuldet. Wer bei der durchaus notwendigen Forderung nach Arbeitszeitverkürzung den für die Lohnabhängigen notwendigen Lohn- und Personalausgleich als Kostenbelastung der Arbeitgeber betrachtet und daher zur Disposition stellt, verbleibt leider in dieser Tradition, die Wünsche des Kapitals vor die Bedürfnisse der Menschen zu stellen. Auch hier sollte gelten: Die Menschen retten, nicht die Banken!

Der Mensch, sofern er sich das ohne Angst eingestehen darf, will nämlich gutes Leben, nicht gute (Lohn-)Arbeit. Eine dafür notwendige humane finanzielle Grundsicherung wäre mit all den bisherigen Verzichtsleistungen und Subventionen längst finanzierbar. Dann könnte man durchaus über gute, sinnvolle Arbeit statt erzwungener Lohnarbeit reden. Und dann wären Produktivitätssteigerung und Arbeitsplatzabbau ein begrüßenswerter zivilisatorischer Fortschritt und nicht die (gewerkschaftlich mitverschuldete und nun bejammerte) Keule gegen die Gewerkschaftsbewegung.

Artikel von Mag Wompel, erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 7-8/09

* Mag Wompel ist Industriesoziologin und Redakteurin des LabourNet Germany


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