letzte Änderung am 29. Januar 2004

LabourNet Germany ARCHIV! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Home -> Diskussion -> (Lohn)Arbeit -> Realpolitik -> PSA -> Unternehmen -> Maatwerk -> achtungmaat Suchen

Maatwerk? Achtung Maatwerk!

Maatwerk ist eine Zeitarbeitsfirma (in der Sprache des LabourNet Germany: Sklavenhändler) und gehört zu den niederländischen Dienstleistern im Arbeitsvermittlungsmarkt, die in den frühen 90er Jahren nach Deutschland expandierten. Nun ist Maatwerk einer der größten Betreiber der Personal-Service-Agenturen (PSA)[1], von denen mittlerweile bekannt ist, dass sie nicht "reibungslos" arbeiten: "... Besonders in der Kritik steht Maatwerk, das derzeit an mehr als zweihundert Standorten PSA betreibt mit derzeit 10.000 Leiharbeitnehmern. Die Gesellschaft habe bisher nicht einmal die nötige regionale Infrastruktur und vertröste die Arbeitsämter, lautet der Vorwurf. Maatwerk-Geschäftsführer Jos Berends indes kündigte an, daß bis Ende Juli die Vorbereitungen beendet seien, um 5000 Menschen einzustellen...." [2]

Auch uns erreichten seit dem Sommer 2003 mehrere Anfragen zum Gebahren von Maatwerk und Bitten um helfende Auskünfte. Ausdrücklich ohne das den Interessen der Erwerbslosen zuwiderlaufende Konzept der PSA an sich aus der Kritik nehmen zu wollen, schien daher das Unternehmen Maatwerk genauere Betrachtung wert zu sein. Daher fragten wir am 26. August 2003: "Wer hat welche Erfahrungen mit der Firma Maatwerk gemacht? Wie sehen die Arbeitsbedingungen und -verträge aus?"

Nun liegen uns bis jetzt Zuschriften von 22 betroffenen Personen aus fast allen Ecken der Republik vor. Sie sandten Informationen mit unterschiedlichem Grad an Details, oft auch ihre Arbeitsverträge und andere Dokumente. Die meisten von Ihnen sind (zu Recht!) sehr vorsichtig, schreiben anonym oder bitten nicht namentlich genannt zu werden (bis auf eine Ausnahme), was wir natürlich gerne befolgen und uns bemühen, die unten zitierten Zuschriften z.B. durch die Entnahme vom Datum des Arbeitsvertrages etc. nicht auf die ZusenderInnen rückführbar zu machen.

Im Nachfolgenden erfolgt eine Zusammenfassung dieser geschilderten Erfahrungen mit Maatwerk, illustriert durch wörtliche Zitate. Insgesamt bestätigt diese Zusammenfassung die ursprünglichen Vorbehalte gegenüber diesem Unternehmen, ausdrücklich ohne damit etwas über die Güte der Konkurrenz zu sagen. Was durch die Redaktion des LabourNet Germany nicht gelöst werden kann, ist der hohe juristische Beratungsbedarf: "Welchen Job muß ich annehmen?", "Welche Klauseln im Arbeitsvertrag sind zulässig?", "Wo kann ich mich über Maatwerk beschweren, wenn das Arbeitsamt nun für nicht mehr zuständig ist?" und sehr oft "Wie komme ich an mein Geld?". Am Beispiel PSA wird der Bedarf an einer Rechtsberatung für Erwerbslose, die sich auch von den Gewerkschaften im Stich gelassen fühlen, offensichtlich…

Wir danken allen unseren InformantInnen und versprechen am Ball zu bleiben!


1. "Muss ich zu Maatwerk?"

"Habe ich irgendwelche rechtlichen Möglichkeiten um diese Sache mit Maatwerk abzulehnen ohne negative Folgen durch das Arbeitsamt?????" (Informant 4) - das ist eine nicht pauschal zu beantwortende Frage und wir werden uns um die Erstellung eines Leitfadens bemühen (weshalb wir alle LeserInnen, die uns dabei mit Hinweisen helfen können, um Meldung bitten!) … Ob man diesen angebotenen Arbeitsvertrag annehmen muss, hängt von der Dauer der Arbeitslosigkeit, der Höhe der Lohnersatzleistungen (nur noch in diesem Jahr!) und leider immer weniger von den Qualifikationen ab.

Das Vorstellungsgespräch kann man kaum ablehnen: "Am [Tag X] erhielt ich vom A-Amt das "Angebot" ("sollten Sie dieses Angebot nicht annehmen, nicht antreten oder ein Zustandekommen durch ihr Verhalten verhindern, tritt eine Sperrfrist ein"!), mich am (…) bei "Maatwerk Gesellschaft für Arbeitsvermittlung mbH" persönlich vorzustellen …." (Informant 15).

Manche werden aber auch gar nicht genommen, obwohl sie es möchten ... [Hier wurde ein Teil des Textes entnommen, weil ein Informant Jahre nach der Maatwerk-Pleite nicht mehr namentlich genannt werden wollte, Redaktion im November 2008]

2. Unsicherheitsfaktor Arbeitsvertrag

Die Bewerbungen bei Maatwerk finden in der Regel in Form eines Gruppengesprächs, dem meist Einzelgespräche zur Vertragsunterzeichnung folgen. Fast alle InformantInnen berichten, dass es schwer ist, auf ihre Fragen zu den Vertragsbedingungen konkrete Antworten zu bekommen. Fehlende Berücksichtigung der Qualifikation, rückdatierte Verträge, geschummelter Urlaub, ungeklärte Fahrtkosten und Pendelbereich - das sind häufig genannte Probleme schon mit dem Arbeitsvertrag. (Siehe als Beispiel einen Standard-Vertrag von Maatwerk) Dieser Vertrag ist wie alle befristet auf 9 Monate[3] und sieht eine Probezeit von 3 Monaten vor, mehrfach ist uns aber auch eine Probezeit von 6 Monaten genannt worden.)

Folgendes schilderten uns unsere InformantInnen:

 

 

3. Unsicherheitsfaktor "Beratung"

Es kann an dieser Stelle nur spekuliert werden, ob die Schwierigkeiten, konkrete Informationen zu dem zu erwartenden Arbeitsvertrag bei Maatwerk System haben, oder mit der mangelnden Qualifikation der "Betreuer" zusammen hängen. Letztere scheint gesichert, auch wenn hierzu die verhältnismäßig wenigsten Informationen vorliegen:

 

Leider nur eine Zuschrift kam aus diesem Kreise der Maatwerk-Beschäftigten selbst:


4. Vermittelt zu Maatwerk - unvermittelt in Arbeit. Oder: "psa = ich muss aus der arbeitslosenstatistik" (Informant 2)

Personal-Service-Agenturen sind das Herzstück der Hartz-Reform und sollten zehntausende Erwerbslose vermitteln. Nach den neuesten Zahlen sind 31.000 Menschen bei einer der bundesweit 671 PSA angestellt und damit aus der Erwerbslosenstatistik verschwunden - nur knapp 2800 sind in eine Festanstellung vermittelt worden [4] (andere Quellen sprechen sogar von nur 117! [5] Aber auch die übrigen werden nur in den wenigsten Fällen - aktenkundig für Maatwerk ist eine Verleihquote von 5% [6] - verliehen und wenn, muß man die Angebote selbst suchen, während Maatwerk die Vermittlungsgebühren kassiert. Dies bestätigen unsere InformantInnen:

 

 

 

 

 

 

 

Weil die Vermittlung mangels Arbeits"angebote" in der Tat ein Problem darstellt, versucht nicht nur Maatwerk, auch andere Sklavenhändler [7] zu verhindern, dass ihre "Mitarbeiter" bezahlt werden müssen, obwohl sie nicht verliehen werden können.[8] Dies geschieht einerseits durch das Verschieben der Einstellung nach hinten:

Andererseits wird gern gekündigt, wenn jemand nicht vermittelt werden kann, Gründe finden sich schon:

Wer aber von Maatwerk gekündigt wird, weil er nicht vermittelt werden kann, ist dennoch erst mal seinen Vermittlungsgutschein los!

Informant 16 faßt die Erfahrungen wie folgt zusammen:


5. Vermittelt, aber unter "Wert" - fachlich wie finanziell

Seit der Sozialarbeiter Jos Berends 1991 im holländischen Nordbrabant Maatwerk gründete, rühmt sich das Unternehmen mit seiner Philosophie der individuellen Betreuung und Förderung von Langzeitarbeitslosen. Nachgesagt werden ihm besondere Erfolge bei "Problematischen Bevölkerunggruppen", sprich schwer vermittelbaren Menschen. "Maatwerk bildet vor Ort einheimische Betreuer aus, analysiert die Fähigkeiten und Neigungen der Arbeitslosen und sucht speziell auch nach verborgenen Kompetenzen. (…) Diese genaue Abstimmung von individuellen Fähigkeiten zum möglichen Arbeitsplatz halten die Eingliederungskosten und Enttäuschungen gering."[9] Das Konzept wird auch als "Betreuungsintensität" oder "Betreuung vom Mentor"[10]. Und was sagen unsere InformantInnen dazu?

 

 

 

 

 


6. "Wo bleibt mein Geld?"

Die Arbeitsämter zahlen bundesweit monatlich fast zehn Millionen Euro an Maatwerk.[11] Mit der Auszahlung hapert es aber…

 

 

Der "Fall Hannover" wird so bezeichnet, weil zu Maatwerk in Hannover und dessen Zahlungssäumnis mehrere Zuschriften bei uns eingingen sind:

 


Dieses Problem von Maatwerk in Hannover - oder besser gesagt, das Problem der bei Maatwerk in Hannover angestellten Menschen - wurde auch in der regionalen Presse behandelt:

 

 

Weitere Beiträge zu dem Thema erschienen in Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 11.10.2003 (Agentur ohne Service. Zahlungsweise bei Maatwerk in der Kritik") sowie vom 17.10.2003 ("Wieder kein Geld von Maatwerk"). In dieser Zeitung gab es übrigens allein im Jahr 1998 ca. 24 Artikel über Maatwerk in Hannover, damals im Vertrag mit der Stadt bzw. Sozialamt…

Und der drastischste der uns zugesandten Fälle (nicht aus Hannover) zum Schluß:

Fazit: Nix Maatwerk!

"Ich denke, mit denn PSA werden eh nur die Zahlen vom Arbeitsamt beschönigt." (Informant 6). Diese Einschätzung teilen auch andere:

Das Geld für die PSA wäre offensichtlich zumindest bei den meisten ABMs besser eingesetzt gewesen - aus gesellschaftspolitischer wie individueller Perspektive:

Was könnte die Konsequenz sein?

Das ist allerdings nicht so einfach umzusetzen, nicht ohne eine Änderung der gesetzlichen Zumutbarkeiten, die natürlich sowieso wichtig wäre… Ein anderer Vorschlag:

Vielleicht wird sich in diese Richtung etwas tun: "Anfang Juni erhielten die Maatwerker, die sich auch hier zu Lande einen Namen gemacht haben mit der Vermittlung von Sozialhilfeempfängern und Langzeitarbeitslosen, einen Brief aus Nürnberg. Darin diagnostiziert die BA "organisatorische Schwierigkeiten bei Maatwerk" und zieht daraus streng den Schluß, "dass sich Maatwerk mindestens bis Emde 2003 nicht mehr an PSA-Vergabeverfahren beteiligt und bei den Vergabeverfahren, bei denen noch keine abschließende Vergabeentscheidung durch das zuständige Arbeitsamt getroffen wurde, das jeweilige PSA-Angebot zurückzieht"…."[12]

Ich finde aber, das geht nicht weit genug: ob eine PSA oder "einfache" Sklavenhändler - sie gehören bekämpft, denn der Begriff der "Schmuddelecke", aus der die Gewerkschaften sie rausholen wollten, ist die Untertreibung des Jahres!

Mag Wompel


Anmerkungen

1) Siehe zu PSA Allgemein: Einrichtung und Betrieb von Personal-Service-Agenturen (PSA)
https://www.arbeitsagentur.de/vam/?content=/content/supertemplates/Content.jsp&docId=25934

2) Entnommen aus: Arbeitsämter sehen in PSA einen Flop. Wenige Plätze bisher besetzt / Kritik an Auswahl der Träger. Artikel aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.07.2003, Nr. 168 / Seite 11

3) Der Grund für die 9-Monate-Befristung könnte sein: "Die PSA finanzieren sich aus den Entleihgebühren und der Förderung der Bundesanstalt für Arbeit. Das von den Arbeitsämtern für die PSA-Tätigkeit gezahlte Honorar besteht aus einer Fallpauschale während der ersten neun Monate der PSA-Beschäftigung sowie einer Erfolgsprämie im Fall der Vermittlung. Beide Honorarbestandteile sinken mit der Dauer der Beschäftigung in der PSA." Zur Quelle siehe Fußnote 1)

4) Jobwunder Zeitarbeit floppt. Miserable Bilanz. Text der Sendung von Maja Helmer in Frontal21 (ZDF) vom 11.11.2003
http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/31/0,1872,2080735,00.html

5) Raubritter. Die Personal-Service-Agenturen fungieren als Vorreiter für flächendeckendes Lohndumping. Artikel von Dago Langhan in junge Welt vom 9.12.2003
http://www.jungewelt.de/2003/12-09/012.php

6) Siehe Fußnote 4

7) Vgl. Dumpinglöhne für Leiharbeiter. Ausbeutung durch Zeitarbeitsfirmen. Text der Sendung von Maja Helmer in Frontal21 (ZDF) vom 27.05.2003
http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/30/0,1872,2047966,00.html

8) Eigentlich gilt: "Die verleihfreien Zeiten sind von der PSA für arbeitsmarktliche Integrationsbemühungen und in diesem Zusammenhang sinnvolle Kurzzeitqualifizierungen zu nutzen." (Quelle Fußnote 1) - das ist aber bekanntlich zu teuer…

9) Maatwerk - ein Weg aus der Arbeitslosigkeit. Artikel ohne Datum auf der Homepage der FDP Ladenburg
http://www.fdp-ladenburg.de/maatwerk.htm

10) Der Arbeitslose wird zum Kunden. Die Erfolge privater Arbeitsvermittler. Artikel von Jeannette Goddar in Das Parlament 18/2002 vom 3.5.2002
http://www.das-parlament.de/2002/18/Panorama/037.html

11) Jobwunder Zeitarbeit floppt. Miserable Bilanz. Text der Sendung von Maja Helmer in Frontal21 (ZDF) vom 11.11.2003, Teil 2
http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/26/0,1872,2080826,00.html

12) "Private Vermittler mit Vermittlungsproblemen. Frankfurter Rundschau vom 27.6.2003

LabourNet Germany Top ^