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Updated: 18.12.2012 15:51
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"Dieses Gesetz verstösst gegen EU-Recht"

Interview von Peter Nowak mit Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat zu den Folgen der Neuregelung des ALGII für ausländische Betroffene

Frage: Was verändert sich für Ausländer durch die aktuellen Änderungen des Arbeitslosengeld II?

C.G.: Die Leistungen für bestimmte Gruppen von Ausländern werden eingeschränkt. In erster Linie
können davon EU-Bürger betroffen sein, die in Deutschland einen Arbeitsplatz suchen, und hier noch nicht mindestens 12 Monate gearbeitet haben.
Außerdem wird im Gesetzestext der „gewöhnliche Aufenthalt“ zur Bedingung für die Bewilligung von Leistungen gemacht. Das kann in der Praxis zu dem (verfassungswidrigen) Zustand führen, dass Betroffene zwischen den zuständigen Behörden für das Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe und Asylbewerberleistungen hin- und hergeschoben werden und im Endergebnis von keiner Stelle Unterstützung bekommen.
Dabei ist festzuhalten, dass nachrangig zum Arbeitslosengeld II ein Rechtsanspruch auf Sozialhilfe oder aber Asylbewerberleistungen besteht, der allerdings beim missbräuchlicher Einreiseabsicht zum Zweck des Sozialleistungsbezugs abgelehnt werden kann.

Frage: Sind davon EU-Bürger getroffen, die tatsächlich in Deutschland gearbeitet haben, deren Lebensmittelpunkt überwiegend in Deutschland war?

G.C.: Unionsbürger sind voraussichtlich dann von dem neuen Leistungsauschluss betroffen, wenn sie

  • als Arbeitsuchende neu einreisen und noch garnicht hier gearbeitet haben, oder
  • nach weniger als 12 Monate dauernder Beschäftigung länger als 6 Monate arbeitslos werden, oder
  • nach weniger als 12 Monate dauernder Beschäftigung aus eigenem Verschulden arbeitslos werden, und hier auch noch kein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen haben (z.B.als
    Ehepartner eines Deutschen oder eines Ausländers mit gefestigten Aufenthaltsrecht).

Es ist nicht einzuschätzen, wie viel Menschen davon betroffen sind. Der Passus vom „gewöhnlichen Aufenthalt“ ist so unklar und auslegungsbedürftig, dass die Befürchtungen durchaus berechtigt sind, dass davon außer Unionsbürgern auch noch andere Ausländergruppen betroffen sein könnten. Schon heute werden zahlreiche ALG II-Anträge von Ausländern rechtswidrig abgelehnt. Das liegt häufig an der Überforderung der Jobcenter-Mitarbeiter.

Frage: Wie können sich die Betroffenen dagegen wehren?

G.C.: Im Kern richtet sich das Gesetz gegen EU-Bürger. Das ist eindeutig europarechtswidrig. Es ist relativ wahrscheinlich, dass der Europäische Gerichtshof das Gesetz aufheben wird. Man kann daher nur allen betroffenen Ausländern raten, sich rechtlich vertreten zu lassen, wenn ihre Anträge
abgelehnt werden.

Frage: In der letzten Zeit gab es immer wieder Meldungen, dass EU-Bürger Sozialleistungen gleich in mehreren Ländern bekamen. Ist die Gesetzesänderung nicht eine Reaktion darauf?

G.C.: Der Doppelleistungsbezug an mehreren Wohnorten ist ein Problem, das genauso auch Deutsche betreffen kann. Um dagegen vorzugehen, müssen die dafür vorgesehenen gesetzlichen Kontrollmechanismen angewendet werden, um einen entsprechenden Datenabgleich zu gewährleisten.
Ein genereller Leistungsentzug ist da bestimmt keine Lösung.

Frage: Neben dem Inhalt monieren Sie auch die Art, wie das Gesetz verabschiedet wurde. Was ist dabei Ihre Kritik?

G.C.: Die Pläne für diese Verschärfungen gegenüber Ausländern wurden zwar bereits vor Monaten von der bayerischen Staatsregierung über den Bundesrat in die politische Diskussion gebracht. In den Gesetzentwurf zum Arbeitslosengeld II wurden diese Verschärfungen allerdings erst nach der Debatte in erster Lesung im Bundestag, nach der Diskussion in den Fachausschüssen, einen Tag nach erfolgter Anhörung der Sachverständigen und zwei Tage vor der Schlussabstimmung in 2. und 3. Lesung im Bundestag nachträglich eingefügt.
Damit wurde das Recht des Parlaments, sich mit der Gesetzesvorlage inhaltlich auseinandersetzen, gezielt umgangen. Und die Sachverständigenanhörung war unter diesen Umständen eine reine Farce. Auch die Oppositionsparteien wurden durch die Art des Gesetzgebungsverfahren überrollt und haben sich anlässlich der Verabschiedung des Änderungsgesetzes öffentlich zu den vorgenommenen Einschränkungen für Ausländer nicht geäußert.

Frage: Wie würden Sie dieses Prozedere interpretieren?

G.C.: Es ist eine Pervertierung von Demokratie und Parlament, wenn ganz entscheidende Regelungen erst in aller letzter Minute aus der Schublade gezaubert und in Gesetzesvorlagen eingebaut werden. Dafür sind eindeutig die die Regierungskoalition tragenden Bundestagsfraktionen von SPD und CDU/SU sowie federführend das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter Müntefering verantwortlich.
Ich fürchte allerdings, dass ist erst ein Vorgeschmack auf das, was wir durch die große Koalition noch zu erwarten haben.

Interview: Peter Nowak


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