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Updated: 18.12.2012 15:51
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Diskussion mit Elke Breitenbach meines Papiers: "ÖBS=Öffentlicher Beschäftigungssektor - Ausweg mit Perspektive oder Sackgasse als Einbahnstrasse?"

Bezug: Elkes Schreiben vom 17.02.2009 pdf-Datei

Interessierte finden meine Präsentation zum ÖBS unter http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/realpolitik/amarkt/oebs_rudek.pdf pdf-Datei

Inhaltlich zusammengefasst besagt meine Präsentation im Kern, dass

  • die Umsetzung des ÖBS in Berlin den Niedriglohnsektor festigt;
  • der ÖBS im Vergleich zum 1-Euro-Jober eine ökonomische Benachteiligung darstellt;
  • erst ein monatliches Brutto in Höhe von 1700 Euro garantiert, dass der Arbeitnehmer im ÖBS keinen Nachteil erleidet;
  • eine einkommensabhängige Inflationsanpassung nach Hans Wolfgang Brachinger ein geeignetes Instrument sein kann, um der Armutsentwicklung entgegen zu wirken.

Hallo Elke,

zunächst Dir herzlichen Dank, dass Du auf meine kritische Einschätzung zum ÖBS öffentlich reagierst und mit Deiner Erwiderung ein aufschlussreiches Diskussionspapier anbietest. Ich habe mich über diese schnelle Reaktion gewiss auch deshalb sehr gefreut, weil leider Harald Wolf auf einen offenen Brief zum Thema "Wasserpreise in Berlin und das landeskartellrechtlich eingeleitete Preissenkungsverfahren in Hessen gegenüber Wasserversorgern" bis zum heutigen Tag NICHT reagiert hat. Ich wäre Dir dankbar, wenn Du den Brief (s. Anhang) an ihn weiterleiten könntest, zumal sich unterdessen auch die überregionale Presse wie der dlf erkundigt haben, ob eine Reaktion des Wirtschaftssenators vorliegt.

Zu Deiner Stellungnahme: Ein wenig irritiert mich Dein Statement, der Linken gehe es darum, mit dem ÖBS dem ausufernden Niedriglohnsektor entgegen zu wirken. Dieser Anspruch an sich ist unterstützenswert, zumal ich in meiner Präsentation herausstelle, dass die Gruppe der unteren Einkommensbezieher von den Reallohnverlusten in den vergangenen Jahren am stärksten betroffen ist. Doch wird diesem Anspruch, dem Niedriglohnsektor entgegen wirken zu wollen, mit dem ÖBS in seiner gegenwärtigen Umsetzung auch wirklich entsprochen? Du gibst selbst die Antwort, indem Du aktuelle Beispiele aus dem Tarifregister Berlin-Brandenburgs zitierst (Dein Papier, Seite 2 unten).

Durch die exakte Aufschlüsselung der Brutto-Stundenlöhne im Fall eines so genannten 1-Euro-Jobs zum Vergleich eines im ÖBS beschäftigten Arbeitnehmers habe ich nachgewiesen, dass von diesem Anspruch nichts übrig bleibt, sondern statt dessen der Niedriglohnsektor weiter zementiert wird! Stellen wir des weiteren in Rechnung, dass die 30stündige MAE-Beschäftigung durch eine Vollzeit-Beschäftigung (in der Regel) ersetzt wird, dann sehe ich in der Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit für die Personengruppe von Langzeitarbeitslosen mit multiplen Vermittlungshemmnissen (um diese Zielgruppe geht es) eine faktische Verschlechterung. Sollte nicht gerade dieser Personenkreis schrittweise an den regulären Arbeitsmarkt herangeführt werden?

Vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass der ÖBS in der bisherigen Umsetzungspraxis nüchtern als das bewertet werden sollte, was er letztendlich ist: Der Einstieg in eine dauerhafte, prekäre Beschäftigung. Wo hier für wen eine Perspektive geboten wird, erschließt sich mir jedenfalls nicht.

Unabhängig davon, dass ich in meinem Vergleich von 1-Euro-Jobs und ÖBS-Arbeitsplätzen keineswegs nur auf die Höhe des Einkommens abziele, ist zu Deiner Betonung des arbeitsrechtlichen Status der ÖBS-Beschäftigung folgendes anzumerken: Richtig ist, dass diesen prekär beschäftigten Arbeitnehmern die Rechtsansprüche eines jeden Arbeitnehmers zustehen. Das ist zu begrüßen und genau diese Rechte (Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, aktive und passive Mitbestimmung etc) habe ich auch immer wieder für die 1-Euro-Jober gefordert. Entscheidend ist jedoch die von Dir unberücksichtigte "Zwitterstellung" des Arbeitsverhältnisses im ÖBS: Dieses reguläre, sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnis erfordert nicht nur eine Wiedereingliederungsvereinbarung mit dem JobCenter, sondern läßt befürchten, dass im Fall einer durch den Arbeitnehmer erfolgten Kündigung Sanktionen folgen. Im Klartext: Über das Fortbestehen des Normalarbeitsverhältnisses wacht stets das Jobcenter mit dem Damoklesschwert drohender Sanktionen. Das ist ein gravierender Unterschied zu einem wirklichen Normalarbeitsverhältnis - ein Unterschied, der nicht unter den Tisch fallen sollte! Ein weiterer Unterschied aus der leidigen Praxis: Einem Bekannten ist eine Vollzeit-ÖBS-Stelle für die Betreuung von Demenzkranken für 1300 Euro Brutto angeboten worden, Schichtdienst inklusive. Von den tarifvertraglich üblichen Schichtzulagen war nicht die Rede - soviel zur arbeitsrechtlichen Gleichstellung mit ÖBS-Beschäftigten und regulär Beschäftigten. Doch gewiss handelt es sich hier lediglich um einen "Einzelfall".

Und da Du die Rentenanwartschaft erwähnst, ohne diese quantitativ zu beziffern, so sollte doch festgehalten werden, dass auch die von Dir zitierten Personen- bzw. Berufsgruppen aus dem Tarifregister am Ende ihrer Erwerbsbiografie aller Voraussicht nach beim Grundsicherungsamt und damit in der Altersarmut landen.

In Deinem Fazit stellst Du fest, dass es sich bei dem ÖBS um existenzsichernde Normalarbeitsverhältnisse handelt. Im Gegensatz zu dieser Überzeugung gelangte ich aufgrund der Berechnung des Bruttostundenlohnes eines 1-Euro-Jobers unter Berücksichtigung weiterer Vergünstigungen wie der GEZ-Befreiung, der Inanspruchnahme einer wichtigen Errungenschaft der Sozialsenatorin Knake-Werner, nämlich dem Sozialticket wie anderer Vergünstigungen, zu der Überzeugung, dass erst ein Bruttolohn von 1700 Euro garantiert, dass die ÖBS-Beschäftigten in ihrer Einkommenssituation nicht schlechter gestellt sind wie ein MAE-Beschäftigter (1-Euro-Jober). Eigentlich geht es hierbei lediglich um ein sehr simples mathematisches Modell mit einer sehr begrenzten Anzahl von Variablen (Mietkosten). Die einzelnen Kostenarten sind somit bekannt und sind lediglich für einen Vergleich zwischen 1-Euro-Job und ÖBS-Arbeitsverhältnis hochzurechnen. Und bei diesem ganz einfachen Vergleich kommt nur eines heraus: ÖBS-Arbeitnehmerinnen "fahren" schlechter (ohne Sozialticket) und noch schlechter fahren in mehrfacher Hinsicht Alleinerziehende, die im ÖBS ihre Brötchen verdienen müssen. Sollten mir in den Berechnungen auf Seite 4 meiner oben genannten Präsentation (Untertitel: "ÖBS Mit 1700 Brutto den Einstieg in den Abstieg verhindern") Fehler unterlaufen sein, wäre ich für entsprechende Hinweise wirklich dankbar!

Mit einem Monatslohn in Höhe von 1300 Euro Brutto wird der ausufernde Niedriglohnsektor jedenfalls nicht bekämpft. Immerhin nehme ich als positive Information mit, dass in Berlin über 12 Prozent der ÖBS-Beschäftigten über 1500 Euro Brutto erhalten. Wenn hingegen der überwiegende Teil für ein monatliches Salär in Höhe von 1300 Euro Brutto Vollzeit arbeiten muss, dann sollte nicht vergessen werden, dass die Mieten steigen. Der Antrag auf Wohngeld, das erhöht worden ist, mag hier kurzfristig aushelfen. Doch ob die Anpassungen des ÖBS-Tarifs an die Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst so schnell steigen wie die Mieten, das mag bezweifelt werden. Gerade vor dem Hintergrund sind meine Hinweise auf die Berechnungen eines einkommensbezogenen Inflationsausgleichs durch Prof. Hans Wolfgang Brachinger von so zentraler Bedeutung. Leider bist Du auf diese wichtige Anregung zur Armutsbekämpfung mit keinem Wort eingegangen.

Hoffentlich sehe ich Dich am Samstag auf der 2. Armutskonferenz der Evangelischen Kirche. Unter dem provokanten Titel "Über Ein-Euro-Jobs hinaus - Der Öffentliche Beschäftigungssektor in Berlin" wird auch ein Workshop angeboten. Möglicherweise findet sich hier die Gelegenheit eines weiteren konstruktiven Austausches.

Beste Grüße
Thomas Rudek (20.2.09)


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