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Updated: 18.12.2012 15:51
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Welche Utopie brauchen wir?

(Wider die Idealisierung der Lohnarbeitslosigkeit)

Harald Rein hat auf die Kritik Rainer Roths am BGE geantwortet und da ich* ein wenig an der Broschüre von Rainer mitgearbeitet habe, fühle auch ich mich angesprochen und will antworten, möglichst knapp und zugespitzt.

Vorab jedoch noch folgendes

  1. Zwischen Befürwortern und Kritikern des BGE gibt es eine Reihe praktischer Gemeinsamkeiten, die nicht preisgegeben werden sollten. Es handelt sich hier um Forderungen, wie sie etwa im Frankfurter Appell pdf-Datei formuliert sind.

  2. Es gibt grundsätzliche theoretische Widersprüche, die es klar und scharf herauszuarbeiten gilt. Das sollte auf sachlicher Grundlage erfolgen, was Polemik nicht ausschließt, wenn sie denn möglichst pointierter Gegenüberstellung dient und wo dies allein aus diesem Grund nötig ist. Ich werde also als Kommunist kein Blatt vor den Mund nehmen. (Rainer Roth wird manches sicher anders sehen und den Widerspruch nicht so schroff formulieren wollen.).

In meiner Stellungnahme zu Reins Ausführungen werde ich mich auf ein paar grundlegende Fragestellungen zu Kritik und Utopie beschränken und nicht den Versuch unternehmen, die Broschüre von Rainer in allen Einzelheiten zu verteidigen, dass gibt auch die Kritik von Rein nicht her. Die Beurteilung, ob der Autor von "Das Kartenhaus" und "Nebensache Mensch" nun plötzlich die Lohnarbeit idealisiert, wie es Rein behauptet, überlasse ich dem lesenden und denkenden Publikum.

Für Harald Hein handelt sich beim BGE bereits um einen "nicht mehr aufzuhaltenden Aufbruch einer Idee" . Ein erstaunliches Selbstbewusstsein kommt da zum Ausdruck, das mich allerdings an Leute erinnert, deren Ideen, die sie für unbesiegbar hielten, sich heute in null und nichts aufgelöst haben. Eine solche Gewissheit sollte sich mindestens auf solide Kenntnis und überzeugende Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse und Prozesse stützen. Dies sollte auch die Grundlage für Utopien sein.

Die Sache mit der Utopie sehe ich sowieso etwas anders als Rainer Roth (nicht so "eng") aber gänzlich anders als Harald Rein.

Letzterer schreibt: "BGE im Sinne von Existenzgeld ist eine perspektivische Forderung, deren Verwirklichung grundlegende gesellschaftliche Verhältnisse voraussetzt. Man könnte sie auch als utopisches Ziel bezeichnen ..."

Um das utopische Ziel einer anderen Gesellschaft zu umreißen, sollte man die reale existierende Gesellschaft, bzw. deren Grundlagen, schon auf der Reihe haben, sollte man sich Rechenschaft darüber ablegen, wie die Lebensgewinnung, der materielle Reproduktionsprozess hier organisiert ist. Utopische Ziele, der Wunsch nach Veränderung und sozialer Emanzipation resultieren ja immer aus den erlittenen Missständen einer gegebenen Gesellschaft. Soll soziale Emanzipation nicht zu einer inhaltsleeren Phrase werden, dann muss man konkret formulieren können, wovon man sich denn emanzipieren will. Diese konkreten Formulierungen und allgemeinen Ziele der sozialen Emanzipation liefert uns die Kritik. Sie kann uns nicht liefern die gesellschaftlichen Formen, in denen soziale Emanzipation realisiert wird. Hier ist soziale Phantasie gefragt, utopisches Denken und vor allem die praktischen Versuche. Geht die Kritik nicht an die Wurzel des Übels, wird sie nicht radikal zu Ende gedacht, dann kann auch nur eine sehr beschränkte Utopie herauskommen.

Fragen wir uns zuerst, was die Basis der materiellen Reproduktion der heutigen kapitalistischen Gesellschaft ist, denn wenn man die Gesellschaft grundlegend transformieren will, dann muss man Einfluss auf diese Basis bekommen. Die modernen kapitalistischen Gesellschaften reproduzieren sich materiell auf der Basis weltweit arbeitsteiliger industrieller Produktion. Fast alles was Menschen für ihr Leben und überleben in den kapitalistischen Ländern brauchen, wird von diesen Industrien erzeugt:

  • Häuser
  • Einrichtungen
  • Küchengerät
  • Nahrungsmittel
  • Kleidung
  • Verkehrsmittel

um nur einige zu nennen. Die inzwischen weltweit arbeitsteilig organisierten Industrien sind unter anderem:

  • Extrahierende Grundstoffindustrie
  • Energieindustrie
  • Stahlindustrie, Chemieindustrie
  • Metallverarbeitungsindustrie
  • Bauindustrie
  • Maschinenbauindustrie (einschl. Autos und andere Verkehrsmittel)
  • Elektrotechnische Industrie
  • usw.

In jedem halbwegs komplexen technischen Gerät sind heute Produkte aus aller Herren Länder zusammengebaut.

Diese Industrien, d.h. die Arbeit von Millionen von Menschen weltweit, die oft unter den elendesten Bedingungen verrichtet werden muss (Herrschaft ertragen sowieso, aber auch gefährliche und die Gesundheit ruinierende Arbeitsbedingungen und oft auch Armutslöhne) , liefern ein enormes materielles Mehrprodukt, von dessen Konsum in den kapitalistischen Ländern auch alle diejenigen leben - und das ist dort heute die Mehrheit - die nicht in diesen Industrien arbeiten. Um sich die gesellschaftliche Bedeutung der modernen Industriearbeit vor Augen zu führen, muss man sich nur folgende Tatsachen bewusst machen:

  • Ohne Ernährung können Menschen nicht einmal einen Monat überleben
  • Ohne Bekleidung, Behausung und Heizung kämen die meisten Menschen, die dort leben, wo es auf diesem schönen Planeten Frost gibt, nicht über einen Winter
  • usw.

Mensch kann - ohne Schaden zu nehmen - einen Monat oder ein Jahr ohne Telefon, Zeitung, Computer, Fernsehen, Film und Musik auskommen, aber nicht ohne die angesprochene materielle Grundversorgung.

Keine Frage, ohne Wissenschaft und Ausbildung könnte die Arbeit in diesen Industrien niemals so produktiv sein, aber auch die Wissenschaftler und Ausbilder müssen erst essen und trinken, etc. bevor sie ihren Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Reproduktion erbringen können. Frei nach Brecht: Erst kommt das Essen!

Alle anderen gesellschaftlichen Arbeiten, "Tätigkeiten" bauen auf dieser materiellen Grundversorgung auf, auch dann, wenn sie direkt auf sie zurückwirken, um die industrielle Arbeit noch produktiver zu machen (Wissenschaft). Mehr noch, diese "Tätigkeiten" wurden überhaupt erst durch die Erzeugung eines gesellschaftlichen Mehrproduktes geschaffen und ermöglicht.

Diese elementaren Zusammenhänge gesellschaftlicher Reproduktion werden durch Kapital und Geld verdunkelt. Es legt sich ein Nebelschleier über sie, dem heute auch die sogenannte Linke erlegen ist, ob sie nun "fundamental wertkritisch" daherkommt, oder das richtige Leben im falschen verlangt. (Wer 1und 1 zusammenzählen kann, auch dann, wenn es nicht ums Geld zählen geht, und ein bisschen Marx studiert, statt Gorz, Holloway, Kurz und andere "moderne" Gesellschaftskritiker zu einem unappetitlichen Eintopf zu verkochen, der kann das eigentlich verstehen.)

Alle Produktivkraft scheint vom Kapital auszugehen, von angelegtem Geld, von Produktionsmitteln, über die die Geldanleger verfügen. Die Produktion des Reichtums auf der Basis des Privateigentums an Produktionsmitteln erzeugt Waren und deren Austausch das Geld. Geld ist Reichtum der Gesellschaft in abstrakter Form. Eine Form des Reichtums, die es auch egal erscheinen lässt, was mensch tut, Hauptsache, es bringt Geld ein und damit einen Anspruch und Teilhabe an dem materiellen Reichtum. (Auch die "großartigen" Produzenten von Kritik des Kapitals haben ihre gesellschaftlichen und privaten ZuarbeiterInnen, ohne die sie ihre famose Kritik nicht zu Papier bringen könnten, weil es ihnen an allen materiellen Voraussetzungen dafür fehlte.)

Nein, die in der Industrie Tätigen, sind - unter Berücksichtigung der Form des gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozesses - keine besondere Klasse, aber die IndustriearbeiterInnen sind eine sehr besondere Abteilung der sozialen Klasse von Menschen, die von nichts anderem leben kann, als vom Verkauf ihrer Arbeitskraft.

Jede Gesellschaftskritik, speziell jede Ökonomiekritik, die die oben angeführten elementaren Grunderkenntnisse des historischen Materialismus, der philosophischen Grundlage der wissenschaftlichen Kritik der Politischen Ökonomie, "vergisst" oder gar explizit für falsch erklärt, entwickelt sich zu einer Variante bürgerlicher Sozialwissenschaften!

Nein, es geht auch nicht darum, vor den "produktiven" LohnarbeiterInnen auf die Knie zu fallen und die Lohnarbeit zu "idealisieren", aber jede Utopie, die nicht von diesen gesellschaftlichen Tatsachen ausgeht und sich nicht explizit auf sie bezieht, ist den Namen Utopie nicht wert!

  • Es geht darum, die Art und Weise einer gesellschaftliche Reproduktion, in der Kapitalbesitzer das durch gesellschaftliche Arbeit erzeugte materielle Mehrprodukt ihr eigen nennen können, zu revolutionieren. (Die Kapitalbesitzer verfügen über das Mehrprodukt. Sie verkaufen es in Form von Waren, damit es in Form von Mehrwert wie selbstverständlich, ohne Brachialgewalt, an sie zurückfließt. Wert- und Kapitalverhältnis sei Dank!)
  • Es geht darum, die spontane, weitgehend unkontrollierte gesellschaftliche Arbeitsteilung zu beenden, die Arbeit allein deshalb schafft, weil sie Mehrwert verspricht, egal welcher Scheiß dadurch erzeugt wird.
  • Es geht also darum, Schluss zu machen damit, dass die gesellschaftliche Arbeit in der Form der Privatarbeit verausgabt wird.
  • Es geht darum, dass die Masse der lohnabhängigen Menschen sich das Mehrprodukt aneignet, gesellschaftliche Kontrolle ausübt, über die Art und Weise, wie es produziert wird und die Arbeit und ihre Produkte solidarisch unter sich verteilt!

Nur wer sich damit beschäftigt, kann Utopie entwickeln. Unter den Bedingungen internationaler Arbeitsteilung ist das wirklich nicht einfach, aber es wäre schön und nützlich, wenn sich Leute neben der wissenschaftlichen Kritik des Bestehenden auch damit beschäftigten würden.

Harald Reins utopischer Ansatz ist ein anderer: " Tatsächlich sind Erwerbslose tätig, künstlerisch, politisch, sportlich, in der Hausarbeit, bei der Kindererziehung, in Selbsthilfenetzwerken, in ökonomischen Kollektiven usw.
Aus diesen Erfahrungen ziehen (nicht nur) Erwerbslose Schlüsse, dass es auch noch etwas anderes geben muss als Profitmaximierung, Arbeitszwang und Verarmungspolitik, dass es ein universelles Menschenrecht auf ein Leben in Würde geben kann und dieses Grundrecht von niemanden erarbeitet werden muss , sondern als bedingungslos gilt.
Existenzgeld ist Bestandteil einer umfassenden grundlegenden Gesellschaftsveränderung."

Ausgangspunkt für seine Utopie sind tatsächlich die Tätigkeiten von Erwerbslosen. Rainer Roth wirft er vor: "Die gesellschaftliche Produktivkraft von freiwilligen Tätigkeiten und künstlerischen, familiären sowie kooperativen Aktivitäten kann er nicht erkennen."
Ich auch nicht!

Können uns die "künstlerischen, familiären sowie kooperativen Aktivitäten" mit ausreichend Energie versorgen, sind sie in der Lage das Erz, etc. aus dem Boden zu holen und all die Dinge zu liefern, die wir zum Leben brauchen?

Man nehme so einen einfachen, uns selbstverständlichen Gegenstand, wie ein Küchenmesser (was wären wir ohne das Küchenmesser?) und verschwende ein paar Gedanken daran, mit welcher Technologie und Arbeit es in ausreichender Zahl erzeugt wird.

  • Eisenerz, Chrom und Nickel müssen aus dem Boden gebuddelt werden.
  • Kohle für den Koks muss aus dem Boden gebuddelt werden.
  • Dann gilt es Roheisen und den hochlegierten Edelstahl zu schmelzen.
  • Dieser muss gegossen und gewalzt werden. Man muss ihn auf verschiedene Art weiter verarbeiten (sägen, schleifen, etc.), bis am Ende ein nicht rostendes, scharfes Küchenmesser entseht.
  • Für all dies ist neben menschlicher vor allem eine riesige Menge nicht menschlicher Energie erforderlich, die ebenfalls durch modernste Großtechnologie erzeugt und bereit gestellt wird.
    (Hier detaillierter auf Werkstofftechnologie und Produktionsverfahren für die Produkte unseres alltäglichen Gebrauchs einzugehen, würde zu weit führen.)

Nein, "künstlerische und familiäre Tätigkeit oder die Kooperativen von Erwerbslosen" können das nicht liefern. Der "Große Sprung nach vorn" in China, mit seiner kleinen Stahlerzeugung durch Kooperativen fabrizierte mehr Schrott als brauchbaren Stahl und das Ganze endete in einem ziemlichen Desaster. Der Weg zu einem brauchbaren Küchenmesser ist wirklich nicht so einfach. Er erfordert ein Menge an Wissen, Fertigkeiten und technischen Hilfsmitteln, die keinesfalls selbstverständlich sind und erarbeitet sein wollen. Das liefert uns kein "Grundrecht".

Und selbst wenn wir genau wüssten, wie diese "kapitalistisch geprägten Produktionsmittel" zu verändern wären, (dazu müssten sich die tollen Kritiker der gesellschaftlichen Form allerdings mal mit Technologie, dem Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur beschäftigen) ohne dass wir an schierem Mangel verzweifeln, etwa weil wir unser Nahrungsmittel nicht mehr mit Küchenmessern zerkleinern könnten, so können wir sie nicht verändern solange der Grund- und Boden, aus dem wir die Grundstoffe holen, Privatbesitz bleibt, solange alle gegenständlichen Bedingungen unserer Reproduktion Privatbesitz sind.

Wer meint, die materielle Grundversorgung, von der hier die Rede ist, sei ein selbstverständlich einzuforderndes Grundrecht, das von niemandem erarbeitet werden müsse, der weiß nicht, wovon er redet. Die "gesellschaftliche Produktivkraft" der Arbeit ist sicher da, um diese Grundversorgung für alle sicher zu stellen, sie liegt jedoch nicht in der "freien Selbsttätigkeit" von "Erwerbslosen", sondern in der großen Industrie. Der soziale Preis, den die unmittelbaren ProduzentInnen des materiellen Reichtums für diese "gesellschaftliche Produktivkraft" ihrer Arbeit zahlen müssen, ist hoch.

Solange die Massen der Menschen nicht im Stande ist zu bestimmen, wie, unter welchen Bedingungen, die banalsten Dinge des Alltags (Küchenmesser, Schuhe, Hemden etc.) produziert und verteilt werden, von einem "richtigen" Leben auch nur zu sprechen, das kommt mir mehr als absonderlich vor.

Es ist unschwer zu erkennen, dass Reins Utopie eines freien und selbstbestimmten Lebens und Arbeitens die Bereitstellung des Grundstocks unserer materiellen Versorgung einfach voraussetzt. Mit der "gesellschaftlichen Produktivkraft" von "künstlerischer, familiärer und kooperativer Aktivität" ist es wirklich nicht weit her, es sei denn, die Kooperativen bemächtigen sich der Industrie. Wie aber sollte das geschehen, ohne das kapitalistische Privateigentum mit Macht zu brechen? Wer im Sinne sozialer und ökologischer Vorsorge ändern will, was die Industrien produzieren und wie sie es produzieren, der muss die Verfügungsmacht über sie erlangen, also das Privateigentum abschaffen und gesellschaftliche Formen des Eigentums an seine Stelle setzen. Dies ist der Eckpunkt jeder Ernst zu nehmenden gesellschaftlichen Utopie, die diesen Namen verdient. Womit Harald Rein wiederum seine Schwierigkeiten hat. Er orientiert sich lieber an Hirschs Strategie eines (scheinbar) "radikalen Reformismus":
"Dabei handelt es sich um eine Strategie, die "nicht vorrangig auf ,Eroberung' und Gebrauch der Staatsmacht, sondern ihre Zurückdrängung, nicht auf bürokratische Kontrolle, sondern Selbstorganisation , nicht Verstaatlichung der kapitalistisch geformten Produktionsmittel, sondern auf ihre grundlegende Umgestaltung ".

Welch ein Gegensatz!

Aber wie bitteschön soll man die "kapitalistisch geformten Produktionsmittel" umgestalten, wenn man nicht über sie verfügen kann? Wie sollen "Kooperativen", Assoziationen sich dieser Produktionsmittel im Namen ihrer Veränderung bemächtigen ohne Macht zu haben? Ich weiß, die antimarxistisch gewendete politische Linke hat lange die "Eroberung und den Gebrauch der Staatsmacht" als ein Grundübel der bisherigen Versuche, soziale Emanzipation vom Kapital ins Werk zu setzen, "erkannt". Nicht die Diktatur von politischen Parteicliquen, nicht die durch sie bestimmte Organisation des Staates, die nichts mit einer "freien Assoziation" der ProduzentInnen zu tun hatte, war danach das Problem, sondern die Staatsmacht als solche. Die Prinzipien der Pariser Kommune, die Marx als die endlich entdeckte Form der "Diktatur des Proletariats" feierte und die niemals in einem der sogenannten Staaten verwirklicht wurden, die sich "Diktatur des Proletariats" nannten, interessieren heute niemanden mehr. Es möge unseren Utopisten nützen! (Bei den Prinzipien der Pariser Kommune handelt sich tatsächlich um ganz "unverbrauchte" Prinzipien! Liest man den "Bürgerkrieg in Frankreich" von Marx aufmerksam, dann hält man sowohl eine vernichtende Kritik am "Realsozialismus" in Händen als auch ein Stück Utopie, wie der Staat beschaffen sein müsste, dessen letzte Tat es ist, als Instrument der Enteignung der Kapitalisten zu dienen.)

Ohne politische Macht, die dazu genutzt werden muss, den kapitalistischen Privateigentümern die Produktionsmittel zu entreißen, um sie unter gesellschaftliche Kontrolle zu bringen, die durch freie ProduzentInnenassoziationen (damit sollte sich soziale Phantasie, Utopie, die ihren Namen verdient, des weiteren beschäftigen!) ausgeübt wird, bleibt die "grundlegende Umgestaltung" der "kapitalistisch geformten Produktionsmittel" eine Luftnummer.

Aber, um es noch einmal klar zu sagen, diese hier nur kurz angesprochenen Fragen und Überlegungen zur Aneignung der gegenständlichen Bedingungen für die materielle Reproduktion der modernen Gesellschaft spielen in der BGE-Utopie überhaupt keine Rolle, man geht diesen Fragen gar nicht weiter nach, sondern behandelt sie allenfalls, um sich ihrer zu entledigen. Ausgangspunkt der BGE-Utopie sind wie gesagt die beschränkten Möglichkeiten im "hier und jetzt" anders zu leben. (Das bedeutet auch, dass der Anspruch auf Kenntnis und Beherrschung des durch industrielle Arbeit vermittelten Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur zunächst einmal preisgegeben wird. Von Aneignung der eigenen allgemeinen Produktivkraft (Marx) als Orientierungspunkt für die Utopie somit nicht die Rede sein kann.)

Das richtige Leben im falschen zu führen, darin besteht die Utopie des Harald Rein. Das ist der Dreh- und Angelpunkt! Und wieder ist die ganze Geschichte des utopischen Kommunismus und der Alternativbewegungen, ihres Scheiterns, wie ausgelöscht. Die "Undogmatischen" haben es nicht nötig ihre Dogmen zu überprüfen. Ich kenne keinen Beitrag im Kontext der BGE-Konzepte, der sich damit so auseinandergesetzt hätte, das erkenntlich würde, was man denn jetzt besser machen will, um das Scheitern, das sich den Zwängen des kapitalistischen Marktes beugen, zu vermeiden.

Mit Holloway wird sogar so getan, als würden wir heute gar nicht leben. "Leben trotz Kapitalismus bedeutet, nicht zu warten, um zu leben. Wir können nicht darauf warten, dass die Zeit reif ist. Wir müssen jetzt revoltieren, wir müssen jetzt leben." (John Holloway) Phrasen! Die Menschen leben, trotz Kapitalismus und auch dann, wenn sie nicht revoltieren. Sie leben überwiegend beschissen, aber diese Bedingung reicht ganz offenbar nicht für eine grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft, sonst gäbe es längst keinen Kapitalismus mehr. Haben alle nur auf die Idee des BGE gewartet? So soll es wohl sein, denn die Idee ist nicht mehr aufzuhalten! Dass es sich bei einer auf Kapitalreproduktion beruhenden Entwicklung der Gesellschaft noch immer um einen "naturgeschichtlichen Prozess" (Marx) handelt, bei dem mensch mit Bedingungen und Entwicklungen rechnen muss, die er nicht selbst beeinflussen kann, dieser sozialwissenschaftliche Ausgangspunkt liegt außerhalb jeder Betrachtung. Man wird jedoch warten müssen, bis die Bedingungen reif sind. Allen gegenteiligen siegesgewissen Ausrufen über den unaufhaltsamen Aufbruch von Ideen zum Trotz! Das Kapital arbeitet unermüdlich daran, diese Bedingungen zu schaffen und die Lohnabhängigen werden sich der Produktionsmittel bemächtigen müssen, auf größerer Stufenleiter, als das etwa in Argentinien nach dem ökonomischen Zusammenbruch geschah. Bis dahin gilt es den ebenso nervigen und frustigen aber notwendigen Kleinkrieg mit dem Kapital zu führen, sich auf der Grundlage gut begründeter Forderungen zusammenzuschließen sowie das Verlangen nach sozialer Emanzipation zu wecken und wach zu halten, statt von einem richtigen Leben im falschen zu träumen.

Nach Meinung von Rein ist die Sicherstellung der materiellen Reproduktion der menschlichen Gesellschaft ein "Grundrecht" , das "von niemandem erarbeitet werden muss." Alles was wir brauchen, liefern uns die Automaten des hochtechnisierten Produktionsprozesses und wir kaufen es im Supermarkt. Man gebe uns das Geld, um die Dinge kaufen zu können, damit wir hernach künstlerisch, sportlich, familiär und in Kooperativen mit (wie hoher???) "gesellschaftlicher Produktivität" tätig sein können. Auf dem Gebiet von materieller Produktion und Reproduktion ist er wirklich Spezialist! So erfährt man nebenher von Rein auch, dass "aufgrund Automatisierung und Technisierung ganzer Produktionszweige" "körperliche Arbeit nur noch eine untergeordnete Rolle" spielt. Die Menschen arbeiten heute eben überwiegend "körperlos" vor allem natürlich in "Dienstleistungsbetrieben". Etwa der LKW-Fahrer, der doch den ganzen Tag sitzen kann und sich trotzdem Wirbelsäule und Magen kaputt macht, oder die Kassiererin an der Kasse im Supermarkt, die körperlos unter dem HWS-Syndrom leidet, was sich niemand erklären kann, weil sie doch nur so leichte Teile bewegt. Früher, ja früher, da gab es Bergarbeiter, die körperlich arbeiten mussten, lernen wir von Harald Rein, aber die gibt es ja kaum noch. Aus den Augen, aus dem Sinn. Dass die Kohle heute unter erbärmlichsten und gefährlichsten Arbeitsbedingungen in China aus der Erde geholt wird, muss unsere Utopie vom richtigen Leben im falschen nicht berühren. Was Harald Rein hier schreibt, gebe ich zu, das macht mich extrem zornig, weil ich in meinem mittlerweile über 30jährigen Berufsleben so viele Industrie-Jobs kennen lernen "durfte", und weil ich beruflich mit den heutigen arbeitsmedizinischen Erkenntnissen zu tun habe und einigermaßen vertraut bin. Das hier weiter auszuführen, hieße mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Nur soviel noch abschließend dazu: wer meint, heute spiele körperliche Arbeit nur noch eine untergeordnete Rolle in der Lohnarbeit, dem nehme ich seine äußerst dünn und allgemein gehaltenen Sprüche von der notwendigen Veränderung auch der industriellen Arbeit nicht ab. Die soziale Emanzipation beginnt hier gerade im Kampf gegen Arbeitsbedingungen, die die körperliche und seelische Gesundheit ruinieren.

Es mag sein, dass der Aufbruch der Idee des BGE nicht mehr aufzuhalten ist, aber dafür das Wort Utopie auch nur zu benutzen erscheint mit schon unangemessen in Anbetracht der Utopien großer Utopisten. Dies spricht keineswegs gegen die aufgeführten Aktivitäten von "Erwerbslosen", schon gar nicht gegen die Bildung von Kooperativen. Man muss sich nur darüber im Klaren sein, dass "Alternativökonomie" unter gegebenen gesellschaftlichen Reproduktionsverhältnissen (Kernstruktur des Kapitals mit Markt) immer eine Sache auf Zeit ist, die meist früher als später den ökonomischen Sachzwängen erliegt. Schließlich müssen die Kollektive alles zukaufen, was sie brauchen und genügend verkaufen, um weiter existieren zu können. Mit einer gesellschaftlichen Utopie hat das nichts zu tun. Es ist machbar im hier und jetzt. Eine solche Alternativökonomie durch ein BGE, also ein garantiertes Geldeinkommen, absichern zu wollen, das ist zwar neu, verleiht aber den Alternativ-Projekten kein Deut mehr den Charakter einer sozialrevolutionären gesellschaftlichen Utopie. Gerade das BGE würde die Alternativprojekte zu einer ganz erbärmlichen, (klein-)bürgerliche Utopie verfestigen, die "für mich persönlich ganz uninteressant ist" (Becker/Schmickler). Ihren unaufhaltsamen Aufbruch aufhalten zu wollen, ist der Mühe nicht wert. Sie wird sich totlaufen. Ich wollte nur mal anmerken, was ich davon halte.

Abschließende Anmerkung über "Verwertung":

Eigentlich wäre es fällig hier noch längere Ausführungen über kapitalistische Produktionsverhältnisse und das ökonomische Bewegungsgesetz der bürgerlichen Gesellschaft folgen zu lassen. Aber da Harald Rein schon Rainer Roths Kritiken am BGE als "ökonomistisch-dogmatisch" versteht, traue ich mich gar nicht ihm damit zu kommen. Er kann ja schon mir Rainer Roths Kritik am Geld buchstäblich nichts anfangen. Den wenigen interessierten LeserInnen dieser Kritik möchte ich aber noch eine echte Perle mit auf den Weg geben. Spricht Rein doch tatsächlich von dem "kapitalistischen Zwang der Verwertung der eigenen Arbeitskraft " . Das kann ja nur meinen, dass die Lohnabhängigen ihre eigene Arbeitskraft "verwerten". "Ökonomistisch-dogmatisch", also im Sinne der wissenschaftlichen Kritik der Politischen Ökonomie verstand mensch mal unter Verwertung den Prozess, wie das Kapital aus einer Mark zwei macht. Ganz undogmatisch hat Rein so mal eben dem Begriff der "Verwertung" eine neue Bedeutung verliehen, die rein gar nichts mehr mit der Produktion und Aneignung des Mehrwert durch das Kapital zu tun hat. Oder realisieren jetzt die Lohnabhängigen den Mehrwert, in dem sie ihre Arbeitskraft verkaufen? So ist das eben, wenn das Kaninchen die Schlange aus dem Auge verliert, gerade dann wird sie gebissen und gefressen. ("Indem er (Rainer Roth, R.S.) wie das Kaninchen auf die Schlange starrt, kann er sich ein "richtiges" Leben im falschen System nicht vorstellen." )

Anhang:
Wie ich mir "radikalen Reformismus" vorstelle

Stichworte der Vermittlung von sozialer Reform und sozialer Emanzipation, sowie möglicher Antizipation

Wie kann der Kommunismus soziale Reform und soziale Emanzipation miteinander vermitteln, den unsäglichen Gegensatz überwinden? Wie kann dies, ihrem Inhalt gemäß auch in internationaler Form geschehen?

Der heutige Kapitalismus wie die vom Neoliberlismus verlangten "Reformen" bieten reichlich Ansatzpunkte, um die kapitalistische "Alltagsreligion" in Frage zu stellen und Forderungen und Lösungen zu entwickeln in denen der sozialrevolutionäre, kommunistische Standpunkt nicht nur konkret und nachvollziehbar wird, sondern sich auch bewähren kann. Die zu formulierenden Forderungen müssen dabei immer die Tendenz aufweisen, die Freiheit des Privateigentums einzuschränken, im ersten Schritt "die als gesellschaftlich gesetzten Bedürfnisse der Individuen" (Marx) auch unmittelbar gesellschaftlich zu produzieren und zu konsumieren und so dem Anspruch auf gesellschaftliche Kontrolle des Reproduktionsprozesses Geltung zu verschaffen. Nur so kann ein Kommunismus als Bewegung entstehen, die den jetzigen Zustand aufhebt.

1. Eine der heute selbstverständlichen und unhinterfragten Weisheiten der "Alltagsreligion" besteht darin, dass gesellschaftliches Eigentum und eine am Bedürfnis orientierte Produktion "Unfreiheit" bedeutet und zu nichts als Mangel und schlechter Qualität führt. Bestätigung findet dieser Glaubenssatz immer wieder durch Verweis auf den "Realsozialismus". Blenden wir den mal aus und schauen uns verbliebene Reste der "öffentlichen Daseinsvorsorge" im Kapitalimus an, solange noch welche existieren. Der Neoliberalismus wird nicht mehr lange etwas davon übrig lassen, denn als bewusster Ausdruck der unbewussten Tendenz des Kapitals strebt er die "höchste Entwicklung des Kapitals" an, in der "auch die als gesellschaftlich gesetzten Bedürfnisse des Individuums, .... deren Weise der Konsumtion der Natur der Sache nach eine gesellschaftliche ist, auch dies durch den Austausch, den individuellen Austausch nicht nur konsumiert, sondern auch produziert." (Grundrisse, S. 431)

Also lautete und lautet sein Credo Privatisierung der Telekommmunikation, Privatisierung der Energieversorgung, Privatisierung des öffentlichen Verkehrs, Privatisierung von Gesundheitswesen und schulischer Ausbildung, ja selbst Privatisierung von Gefängnissen und Krieg (USA als Schrittmacher). Motor dieser Entwicklung ist die strukturelle Überakkumulation, die Umwandlung respektive Verdoppelung von immer mehr Kapital in produktives Kapital und Aktienkapital, die damit einhergehende Dominanz des Finanzkapitals in Gestalt von Shareholder-Value. Die ungeheure Anhäufung von Anlage suchendem Geld in Privathand, von nach Verzinsung gierenden Eigentumstiteln, brandet an gegen die letzten Reste der "öffentlichen Daseinsvorsorge". Zu niedrige Renditen in den bestehenden Industrien verlangen nach neuen Anlagemöglichkeiten. Also blinken die Dollarzeichen in den Augen, wenn Hand an die Privatisierung der "öffentlichen Daseinsvorsorge" gelegt wird.

Nehmen wir als Beispiel die Wasserwirtschaft in Deutschland, die ein grundlegendes materielles Bedürfnis der Menschen sehr effekiv und obendrein vergleichsweise ökologisch nachhaltig ohne Privateigentum, Markt und Konkurrenz befriedigt hat. Die Wasserversorgung liegt noch immer in den Händen der Kommunen, ist monopolisiert, sozusagen eine Stück "Planwirtschaft", vom Schutz der Wassereinzugsgebiete, der Rückgewinnung, bis zur unmittelbaren Versorgung der "Verbraucher". Kein "Verbraucher" käme auf den Gedanken, die Wasserwirtschaft privatisieren zu wollen, etwa, weil es Mangel an Wasser gäbe, schlechte Qualität oder gar, weil er sich in seiner Freiheit eingeschränkt fühlte, zwischen verschiedenen Sorten Wasser wählen zu können. Aber genau dahin soll der Zug Rollen, wie bei der Energieversorgung, dem öffentlichen Verkehr etc. Am Schluss stehen dann vermutlich tatsächlich 10 verschiedene Wassersorten, mit 20 verschiedenen Tarifen - gestaffelt nach der Tageszeit der Entnahme - und obendrauf eine Flatrate, die uns in etwa den heutigen Zustand verspricht, aber doppelt so teuer ist. Endlich könnte der "kostenbewusste Verbraucher" sich auch hier austoben und hätte ein Stück bürgerlicher Freiheit gewonnen. Entscheidend aber wäre der Freiheitsgewinn der Geldanleger, sie hätten nicht nur Freiheit gewonnen, sondern ebenfalls eine "Spielwiese" für Kostenreduzierung. Aus anderen Ländern mit fortgeschrittenerer Privatisierung ist bekannt, dass die Privaten gern an der teuren Pflege des Netzes sparen, was zu Leckagen, großen Verlusten kostbaren Trinkwassers und Verunreingigungen führt, die dann durch verstärkten Zusatz von Chemikalien wieder neutralisiert werden müssen. Im März 2004 weist das Umweltbundesamt auf folgende Risiken hin:

"Eine mögliche Einsparstelle mit hygenischen Auswirkungen wäre die Rohrnetzpflege. So war in der Folge der Liberalisierung des Strommarktes zu beobachten, dass Instandhaltungsinvestitionen teilweise drastisch zurück gefahren wurden."(zitiert nach der Veröffentlichung im Internet)

Aber was macht es schon, wenn im Münsterland die Strommasten umknicken ( November 2005 , also fast mit Ansage), wenn man dafür auch "yellow" strom haben kann. Wenn mensch schon sonst nicht zwischen Strom und Strom unterscheiden kann, kann können die Profitgeier dem Strom doch wenigstens eine Farbe andichten, damit der "Freiheitsgedanke" und der "kostenbewusste Verbraucher" in den Genuss dieser "Freiheit" kommt.

Die antikommunstischen Freiheitsapostel tun sich schwer mit ihrem "Pragmatismusanspruch" und "Ideologievorwurf", wenn es um die Privatisierung "öffentlicher Güter" geht. Der Ideologievorwurf fällt wie ein schwerer Stein auf ihre eigenen Füße! So meine Erfahrung in vielen Gesprächen, mit einigen "netten" Kollegen.

Die Forderung müsste lauten: Verhinderung jeder weiteren Privatisierung, Ausbau der "öffentlichen Daseinsvorsorge".

Stärkung und Ausbau des gesellschaftlichen Eigentums, Stärkung/Entwicklung von Organen der Selbstverwaltung. Eine erste jener Forderungen, in denen Schulterschluss mit den Kämpfen in vielen Ländern der Peripherie hergestellt werden könnte. (Von Bolivien über Venezuale bis nach Russland)

2. Eine andere der unhinterfragten Weisheiten der "Alltagsreligion" behauptet, dass es nur da Innovation und Fortschritt gibt, wo sich das private Unternehmertum frei entfalten kann. Jede Form der Produktionsgemeinschaft, die nicht vom Privatinteresse nach Bereicherung bestimmt ist, sei ein Feind von Erfindergeist. Ein Beispiel gegen diesen bürgerlichen Aberglauben ist die Linux-OpenSource-Community, auch wenn mit zunehmendem Erfolg der Kommerz immer stärker Einzug hält. Die Bedeutung der OpenSource-Community für den Nachweis, dass Erfindergeist und Innovation im Rahmen der Reproduktion von Gemeineigentum erblühen können, ist trotzdem nicht zu unterschätzen. Mensch darf nur nicht den Fehler vorschneller Verallgemeinerung oder Verklärung begehen und muss die Besonderheiten berücksichtigen, durch die OpenSource überhaupt möglich wurde.

Wesentlich ist zunächst, dass die erforderlichen Produktionsmittel für die Erzeugung von Software, die nicht Privateigentum ist, für viel Menschen verfügbar sind. Diese Produktionsmittel (Rechner und Software) sind zwar selbst nicht gesellschaftliches Eigentum, sondern in der Regel selbst Produkt von Privatproduktion, sie können aber von vielen Lohnabhängigen erworben werden. (Für große Maschinen gilt das nicht, wie für die meisten Produktionsmittel der Industrie, die für einzelne unerschwinglich und nicht anwendbar sind, weshalb OpenSource auch nicht einfach als Modell zu übertragen ist.)

OpenSource zeichnet sich durch eine grundlegend andere, gesellschaftliche - und zwar weltumspannd gesellschaftliche - Produktentwicklung aus, an der "Konsumenten" (Anwender) und "Produzenten" (Programmierer) beteiligt sind. In zahllosen Foren des Internets spiegelt sich die für diese Art der Produktentwicklung typische Kommunikation wieder. Was dabei herauskommt, kann sich sehen lassen und braucht den Vergleich mit den Ergebnissen der reinen Profitproduktion nicht zu scheuen.

Zweck der Produktenwicklung ist hier gerade nicht die Produktion und Reproduktion von Privateigentum, sondern von gesellschaftlichem Eigentum (Programme, die sich alle Besitzer eines Rechners und eines Internetzugangs kostenlos herunterladen und nutzen können). Entscheidend ist nicht der Profit sondern der Nutzen des Produkts. Kosten, Preise und Profit spielen nur bei den großen Distributionen die entscheidende Rolle. Das Geschäft dieser Distributionen ist jedoch nicht identisch mit der Produktentwicklung.

OpenSource zeigt beispielhaft, dass dynamische Innovation und Produktentwicklung nicht etwas sind, was nur im Rahmen von Privatproduktion funktioniert (der berühmte Erfindergeist, die Tugenden des sogenannten "Freien Unternehmertums"). Die Community zeigt ansatzweise die große Überlegenheit von unmittelbar gesellschaftlicher Produktion und beweist, dass die Beschränkung von Privateigentum, Privatinteresse und des Strebens nach Bereicherung, keineswegs Stillstand bedeuten, weil angeblich kein Motiv für die Produktentwicklung mehr vorhanden sei. Die Produktentwicklung in diesem Bereich ist mindestens so dynamisch und erfolgreich wie die im rein privatwirtschaftlichen Sektor (Microsoft und Company) und teilweise sind die Produkte der Community schon heute denen des rein privatwirtschaftlichen Bereichs überlegen.

Nein, Linux ist mit Sicherheit (leider) nicht kommunistisch und nicht einmal ein kommunistisches Projekt, aber es provoziert die Auseinandersetzung über Kommunismus (siehe Microsofts Polemik), weil im Rahmen der OpenSource-Community kommunistische Momente wirksam sind, die quer stehen zur Logik der Kapitalverwertung und den Interessen von Monopolisten wie Microsoft. Eine kommunistische Bewegung kann sich positiv auf diese Momente einer gesellschaftlichen Entwicklung von Gemeineigentum beziehen und sollte sie gegen Versuche zunehmender Beeinflussung und Vereinnahmung durch Privatinteresse verteidigen.

3. In Russland kämpfen Menschen um die Beibehaltung kostenloser Bereitstellung einer bestimmten Grundversorgung und wehren sich gegen die Monetarisierung. Im Kontext dieser Kämpfe kommt es sogar zu einer Widerbelebung des Rätegedankens. Eine solche Bewegung ist sicher nur zu verstehen aus der besonderen Geschichte Russlands und der positiven Erfahrung mit bestimmten Einrichtungen des "Realsozialismus". Trotzdem ist sie von internationaler Bedeutung und gleichzeitig ein Affront gegen die bürgerliche Variante von Sozialreformismus, weil sie auf die Freiheit, die das Geld verspricht, pfeift. Solange der Kapitalismus existiert, können die Lohnabhängigen auf die Freiheit, die das Geld verspricht, nicht grundsätzlich verzichten und müssen sie wahrnehmen. Aber es gibt Bereiche, in denen diese Freiheit des Geldes, sich zu kaufen, was mensch will, schon im Kapitalismus von der Allgemeinheit als völlig unsinnig erfahren werden kann.

Nehmen wir als Beispiel zunächst die grundlegenden Versorgung von Kindern. Die verheerende Verquickung von Familienideologie und Anbetung des Geldfetischs verhindern beispielsweise in Deutschland eine grundlegende Existenzsicherung von Kindern, jenseits der privaten Versorgung. Wenn der bürgerliche Staat hier etwas tun will, dann geht es meist um Geldleistungen an die Familie, Kindergeld, Erziehungsgeld etc. nicht um gesellschaftliche Einrichtungen, die den Kindern unmittelbar, nicht über den Umweg der Geldleistung an die Eltern, zu Gute kommen. Bürgerliche Grundrechte auf ein menschenwürdiges Leben sind somit nur vermittelt über die Einkünfte der Eltern. Fallen die Eltern ins Nichts, dann mit ihnen die Kinder. Was nützt es, einer Familie Kinder- oder Erziehungsgeld zu geben, wenn diese die Freiheit haben das Geld zu versaufen oder es für Ernährung und Bekleidung der Kinder auszugeben. (Nicht selten wird das Geld bedürftiger Kinder durch Eltern im Kapitalismus "versoffen".) Der Kommunismus beruht auf Freiheit in sozialer Verantwortung, nicht auf der bürgerlichen Freiheit, mit seinem Geld machen zu können, was mensch will. Ein kommunistischer Standpunkt in der gesellschaftlichen Verantwortung gegenüber den Kindern käme also darin zum Ausdruck, dass nicht die Eltern Kindergeld erhalten, sondern unmittelbar gesellschaftliche Einrichtungen erzwungen werden, die den Kindern eine soziale Grundversorung sichern.

Daher in diesem Punkt Stärkung und Schaffung gesellschaftlicher Einrichtungen für die grundlegende Versorgung und Erziehung von Kindern, kostenlose Krippen, Kindergärten und kostenlose schulische Ausbildung.

Wenn es insgesamt um die sozialen Sicherungssysteme geht, dann muss ein auf kommunistischen Grundpositionen beruhender Sozialreformismus immer diese Richtung verfolgen. Unendgeldliche Bereitstellung einer gewissen Grundversorgung durch Schaffung entsprechender gesellschaftlicher Einrichtungen, Stärkung und Entwicklung von Organen der Selbstverwaltung.
Z. B. kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel durch ALGII-Empfänger, kostenlose Bereitstellung von Wohnraum, Energie und Wasser.

Hier wird nicht der generellen Ersetzung von Geldleistungen durch "Naturalleistungen" im Rahmen eines bürgerlichen Sozialstaates das Wort geredet, denn dass würde eine unzulässige Beschneidung der eh begrenzten Freiheiten der Lohnabhängigen entsprechen. Wie es aber darum geht die Spielräume des Privateigentums einzuschränken und sozialen Ansprüchen Geltung zu verschaffen, so geht es auch darum dem Geld als Spender einer willkürlichen, sozial rücksichtslosen Freiheit die Flügel zu beschneiden. Hier und jetzt! Daher kostenlose soziale Grundsicherung! Wo immer es im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft Sinn macht.

4. Das alles geht natürlich nur, wenn der Staat über die entsprechenden Mittel verfügt, sowohl Produktionsmittel als auch Geld. Entlang der Kapitallogik weist der Neoliberalismus einen eindeutigen Weg: weg mit den progressiv steigenden direkten Steuern, alles abdecken durch indirekte Steuern. Womit klar ist, das das Privateigentum entlastet werden soll und die Masse der Lohnabhängigen diese Kosten für ein arg beschränktes Budget tragen sollen.

Exkurs zum "Bedingungslosen Grundeinkommen":

Auch der Boss der DM-Märkte hat sich einen Namen gemacht mit dem "Bedingungslosen Grundeinkommen". Finanziert werden soll diese famose Utopie durch Abschaffung der direkten Steuern und drastische Anhebung der Verbrauchersteuern. Allmählich versteht sich. Da so manche "radikale Linke" von der Aufhebung des Zwangs zur Lohnarbeit in den Grenzen des Lohnsystems träumen, wurde auch das in den Kanon der Verfechter der Abkoppelung von Arbeit und Einkommen mit aufgenommen. Ein auf kommunistischen Positionen gegründeter sozialer Reformismus, der danach trachtet, gesellschaftliche Einrichungen zu stärken und zu schaffen und die auf bloßen Geldbesitz gegründete Freiheit einzuschränken, kann sich damit nicht anfreunden. Für Kommunisten geht es um soziale Grundsicherung und nicht um "Grundeinkommen". Daher müssen sie für die gebundene Stärkung der Staatseinkommen eintreten. Das Motto muss umgekehrt lauten: Rauf mit den direkten Steuern, stark progressive Besteuerung für die Besitzenden und weg mit den Verbrauchsteuern! (Dies übrigens schon Foderung der Kommunisten in Deutschland 1848, wie manch anderes, an dem mensch sich orientieren könnte auch!)

5. Ein solcher auf kommunstischen Grundpositionen gestützter Reformismus, wie er hier nur kurz angedeutet werden konnte, unterscheidet sich in einem Punkt grundlegend von einem Sozialreformismus, der das Kapitalverhältnis akzeptiert und es sozial gestalten will (Memorandum, SOST). Er formuliert und erhebt seine Forderungen niemals im Namen der "ökonomischen Vernunft", also um Nachfrage zu Stärken, um für ökonomisches Wachstum und Vollbeschäftigung zu sorgen. Er formuliert seine Forderungen ausschlielich im Interesse der Lohnabhängigen mit der Perspektive, das Lohnsystem selbst aus der Welt zu schaffen. Er nutzt die sozialen Auseinandersetzungen um Reformen für eine radikale Kritik des Kapitalverhältnisses und nicht, um sich als bessere Ökonomieschule anzubieten, die im Namen größerer ökonomischer Vernunft nach politischer Macht strebt. In jeder einzelnen Forderung muss die sozialemanzipatorische Perspektive möglichst deutlich zum Ausdruck kommen (gesellschaftliche Einrichtungen, Selbstverwaltung, nicht-monetäre Grundversorgung).

Der grundsätzliche Widerspruch zwischen ökonomischer und kommunistischer Begründung sozialer Reformen sollte jedoch einen gemeinsamen Kampf für bestimmte Forderungen nicht behindern.

"Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen.
Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten.
Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.
Der nächste Zweck der Kommunisten ist derselbe wie der aller übrigen proletarischen Parteien: Bildung des Proletariats zur Klasse, Sturz der Bourgeoisherrschaft, Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat. Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien, die von diesem oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind."
(Marx/Engels, "Kommunistisches Manifest")

Die Geschichte der kommunistischen Weltbewegung des letzten Jahrhunderts erscheint mir heute als einen nahezu durchgängige Verletzung der hier formulierten Grundsätze des Selbstverständnisses. Die dabei begangenen Fehler des Dogmatismus und Sektierertums wogen um so schwerer, als sie begleitet wurden von der Preisgabe der Kritik der Politischen Ökonomie, ihrer Umwandlung in eine Politische Ökonomie, die spätestens seit Stalins denkwürdiger Schrift über die Ökonomischen Probleme des Sozialismus, das Wertgesetz in ein ewig wirkendes Naturgesetz umwandelte, mit dem mensch zu rechnen habe. Die Kritik des Kapitalverhältnisses wurde überlagert von der Theorie des monopolistischen und staatsmonoplistischen Kapitalismus, in der die Macht als Regulator an die Stelle des Wertes trat. Die sektiererische Politik fußte auch auf einer Klassenanaylse, die mehr und mehr schwindende, "arbeiterständische" Momente (orientieren sich an der konkreten Arbeit und nicht an "abstrakter Arbeit" und Lohnabhängigkeit) zum Bezugspunkt der Organisierung machte.

Robert Schlosser im August 2006


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