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Updated: 18.12.2012 15:51
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Harald Rein, Juli 2006

Idealisierung der Lohnarbeit

Anmerkungen zu Rainer Roth's Polemik zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE)

 

Vorbemerkung

Innerhalb der letzten Monate hat die öffentliche Auseinandersetzung um das BGE quantitativ zugelegt. Geschuldet ist dies nicht nur der Suche nach Alternativen zu herrschender Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, sondern auch und insbesondere dem Engagement bekannter Persönlichkeiten wie Götz Werner, dem Chef der Drogeriekette "dm" und anderer, deren Stimme durch ihre gesellschaftlich "höher" bewertete Stellung von den Medien eher wahrgenommen wird.

Dieser nicht mehr aufzuhaltende Aufbruch einer Idee bringt natürlicherweise verschiedene KritikerInnen mit unterschiedlichem politischem Hintergrund auf den Plan.

Rainer Roth, Professor an der Fachhochschule für Sozialarbeit in Frankfurt/M. hat sich sowohl in diversen Papieren [1], als auch in einer eigens hergestellten Broschüre mit dem BGE auseinandergesetzt [2]. Er kommt unter anderem zu dem Schluss: "Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens bedeutet, dass sich die einen von der Lohnarbeit verabschieden und andere sie über Lohnarbeit finanzieren müssen."[3] So würden "die vorgeblichen Interessen von Erwerbslosen . über die Interessen von Beschäftigten gestellt und ohne Rücksicht auf sie formuliert."[4]. Dies untergrabe das "notwendige Bündnis zwischen Erwerbslosen und Beschäftigten."[5]

Roths kritische Anmerkungen machen unübersehbar, dass ihm offenbar die unterschiedlichen Diskussionsstränge im Zusammenhang mit dem BGE nicht vertraut sind. Mit zum Teil aus den Zusammenhängen gerissenen Zitaten, samt polemischen Behauptungen versucht er seiner Kritik ein inhaltliches Fundament zu geben. Eine derartige Polemik scheint mir in der gegenwärtigen Debatte wenig hilfreich zu sein, da sie "Kriegsschauplätze" etabliert, die so nicht existieren.

Entgegen dem Eindruck den Roth erwecken will gibt es nicht das BGE. Es gibt nur VertreterInnen von Positionen zum BGE. Das heißt, wenn ich mich mit Götz Werner oder Thomas Straubaar beschäftige, kritisiere ich deren Konzepte. Will ich andere Ansätze diskutieren, muss ich diese studiert haben. Alles in einen Sack zu stecken und draufzuschlagen, in der Hoffnung man trifft schon die richtigen, hat mit solidarischen Auseinandersetzungsformen nichts zu tun. Zwar gibt Roth zu, unterschiedliche Ansätze zu kennen, aber seine Argumentation zielt allein darauf ab, "Gemeinsamkeiten" zu konstruieren, und die macht es ihm leicht, pauschale Urteile zu fällen. Für Differenzierungen ist da kein Platz. Deshalb spricht er auch immer von dem BGE und sucht sich die passenden Zitate unterschiedlicher Befürworter des BGE, um Beweise für das "reaktionäre" Wesen der Forderung zu finden.

Existenzgeld eine Forderung von Erwerbslosen- und Sozialhilfegruppen

Schon bei der Darstellung des Ansatzes "Existenzgeld" der unabhängigen Erwerbslosen- und Sozialhilfegruppen, die er als "linke Vertreter des BGE" kennzeichnet, lässt sich fehlerhaftes Wissen erkennen:

Mit Beginn der Achtziger Jahre verlangte ein gewichtiger Teil der Arbeitslosengruppen in Deutschland ein Existenzgeld[6]. Die Forderung entstand aus der Analyse der sozialen Realität von prekär Beschäftigten, Erwerbslosen und SozialhilfebezieherInnen. Als direkt Betroffene erkannten sie, dass Versprechungen der Politik und Wirtschaft nach Vollbeschäftigung in der Praxis scheiterten und gleichzeitig stellten sie eine Lebensperspektive in Frage, die ausschließlich die Lohnarbeit als Sinn des Lebens akzeptiert. Seitdem ist die Protestbewegung der Erwerbslosen und prekär Beschäftigten die einzige, in der das Existenzgeld als bedingungsloses Grundeinkommen eine wichtige politisch-inhaltliche Rolle spielt.

Erste Publikation aus diesem Zusammenhang waren die "13 Thesen gegen falsche Bescheidenheit und das Schweigen der Ausgegrenzten"[7] im Februar 1992. Sie verdeutlichte in ihrem Kern, dass unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen eine Verwirklichung eines Existenzgeldes unmöglich ist. Sie zeigte aber auch gleichzeitig auf, dass die materielle Voraussetzung für eine existenzielle Absicherung für alle vorhanden ist und der Weg hin zu einem BGE politisch erkämpft werden muss.

Einfluss auf die Formulierung der Forderung nahmen auch Fraueninitiativen, die sich zwischen 1983 und 1987 autonom trafen und den Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Nichtanerkennung häuslicher Arbeit und den finanziellen Abhängigkeiten von Männern problematisierten.

Einige Jahre später war dieser politische Ansatz, ausschließlich auf eine vermeintlich bessere Zukunft zu verweisen, allerdings nicht mehr ausreichend. Denn unberücksichtigt blieb der innerhalb der Erwerbsloseninitiativen vorhandene vielfältige Erfahrungsschatz in Bezug auf konkrete politische Inhalte und Forderungen. In einer aktualisierten Auflage (1996)[8] wurden diese Einsichten und Kenntnisse als Verbindungsglieder zwischen Gegenwart und Zukunft integriert.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgten auch die Sozialhilfeinitiativen, die gemeinsam mit den Erwerbslosengruppen 1992 ihre Überlegungen zu "Existenzgeld für alle statt ein Leben in Armut" veröffentlichten. Diese wurde 1998 nochmals aktualisiert und unter dem Titel "Thesen zum Existenzgeld"[9] herausgegeben.

Für diesen Teil der Erwerbslosen- und Sozialhilfegruppen war und ist klar: Ein erfolgreicher politischer Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit braucht eine gesellschaftliche Perspektive, ohne diese verlieren Kämpfe für Tagesforderungen ihre mögliche Radikalität.

Als sozialpolitisches Fernziel strebt die Forderung nach einem Existenzgeld die Aufhebung der Spaltungen sowohl innerhalb der Armutsbevölkerung als auch zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen an. Existenzgeld für Alle provoziert, weil darüber verdeutlicht werden kann, das auch gut und ausgiebig gegessen werden darf, ohne sich dem kapitalistischen Verwertungsprinzip unterwerfen zu müssen und es beinhaltet als aufklärerische Komponente die Aussage, dass Lohnarbeit kein unveränderbares Schicksal darstellt.

Für ein anderes, ein besseres Leben kann es nicht um die Bewahrung der vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen gehen, sondern um eine grundlegende Veränderung. Wenn "was und wie produziert und wie das Produzierte ausgetauscht wird"[10] die zentralen Elemente aller Gesellschaftsordnung ist, muss auch die kapitalistischen Produktionsweise bzw. die Funktion von Lohnarbeit nicht nur reflektiert, sondern auch zur Disposition gestellt werden.

Bereits zu einem frühen Zeitpunkt haben Erwerbslose erklärt: ,Arbeit für Alle' als Lohnarbeit/Erwerbstätigkeit wird es nicht mehr geben. Der Kapitalismus ist aufgrund der Notwendigkeit, immer mehr Profit zu realisieren, gezwungen, Rationalisierung und Automatisierung voranzutreiben. Neue, existenzsichernde Erwerbsarbeitsplätze entstehen nur in geringem Maße, vorhandene Vollzeitarbeitsplätze werden zugunsten prekärer Arbeitsverhältnisse systematisch abgebaut. Diese soziale Realität verlieh vielen Betroffenen die Möglichkeit ihren politischen Blickwinkel auf Alternativen jenseits der Lohnarbeit zu richten, denn der Mensch will tätig sein, aber will er deshalb Lohnarbeit? Oder anders formuliert, ist es erstrebenswert den Großteil seiner Lebenszeit in entfremdeter, abhängiger Erwerbstätigkeit zu verbringen?

Tatsächlich sind Erwerbslose tätig, künstlerisch, politisch, sportlich, in der Hausarbeit, bei der Kindererziehung, in Selbsthilfenetzwerken, in ökonomischen Kollektiven usw.

Aus diesen Erfahrungen ziehen (nicht nur) Erwerbslose Schlüsse, dass es auch noch etwas anderes geben muss als Profitmaximierung, Arbeitszwang und Verarmungspolitik, dass es ein universelles Menschenrecht auf ein Leben in Würde geben kann und dieses Grundrecht von niemanden erarbeitet werden muss, sondern als bedingungslos gilt.

Existenzgeld ist Bestandteil einer umfassenden grundlegenden Gesellschaftsveränderung. Ohne diesen Zusammenhang wäre ein BGE nur eines von vielen Mosaiksteinchen zur Bewahrung und Fortentwicklung kapitalistischer Strukturen. Zur Beurteilung unterschiedlicher Positionen zum BGE lassen sich verschiedene Fragen formulieren:

  • in welchem politischen Kontext steht die Forderung nach BGE?
  • welche politischen Zwischenschritte werden angegeben, die zum BGE führen?
  • besteht ein individueller Rechtsanspruch?
  • werden an den Erhalt eines BGE Bedingungen gestellt?
  • wird klar benannt, was ein ausreichendes BGE umfasst?

Mit der Beantwortung von solcherart Fragen ist es möglich zu erkennen, welche politischen Inhalte bzw. Vorstellungen bei Straubhaar, Werner etc. vorhanden sind und in welcher Weise sie reaktionär oder fortschrittlich einzuordnen wären.

Ein Vorgehen, dem sich Rainer Roth verschließt, da es ihm, so scheint es, nicht um eine differenzierte Auseinandersetzung geht.

Tagesforderung oder was?

Rainer Roth behauptet, das "BGE tritt als Tagesforderung und gleichzeitig als anderes Gesellschaftsmodell auf"[11] und es "besteht in einer Summe an Geld"[12].

Beide Aussagen sind natürlich barer Unsinn. BGE im Sinne von Existenzgeld ist eine perspektivische Forderung, deren Verwirklichung grundlegende gesellschaftliche Verhältnisse voraussetzt. Man könnte sie auch als utopisches Ziel bezeichnen, aber nicht im Rothschen Sinne, der für Utopien nur Spott übrig hat, als "Land, das nirgends ist und nirgends sein kann". Ähnlich wie Engels es in einem bekannten Aufsatz beschreibt, sehe ich Utopien als "Wunschbilder eines zukünftigen Zeitalters", für die es sich praktisch zu kämpfen lohnt.

Auf der einen Seite geht es um Überzeugung, um die Kraft der Argumente für ein BGE, gegen "die breite Akzeptanz des Leistungsprinzips und der Lohnabhängigkeit als einziger Quelle der Existenzsicherung"[13]. Auf der anderen Seite aber auch um die Bestimmung von konkreten Orientierungen auf dem Weg zum Existenzgeld: "Bis zur Durchsetzung des Existenzgeldes geht es um Zwischenschritte, die es hier und jetzt umzusetzen gilt. Dazu haben die Erwerbsloseninitiativen zentrale Forderungen aufgestellt:

  • Arbeitslosengeld für alle für die gesamte Dauer der Erwerbslosigkeit sowie deren Erhöhung
  • Abschaffung von Sperrzeiten und Anwartschaftszeiten
  • Abschaffung aller Formen von Zwangsarbeit und Pflichtdiensten
  • Nulltarif für öffentliche Verkehrsmittel sowie Bildungs- und Kultureinrichtungen"[14]

usw. So die Forderungen 1996, die heute noch genauso aktuell sind, aber auch ergänzt werden mussten (im Zusammenhang mit der Entwicklung zu Hartz IV). Insbesondere in den letzten Jahren, im Zusammenhang verschiedenster sozialpolitischer Protestereignisse und im gemeinsamen Diskussionsprozess mit Gewerkschaftslinken und globalisierungskritischer Bewegung entwickelte sich die Triadenforderung nach radikaler Arbeitszeitverkürzung, Mindestlohn und BGE. [15] Gleichzeitig entstanden in dieser Zeitspanne erste Diskussionsergebnisse über den Ausbau einer umfassenden sozialen Infrastruktur als Alternative zum lohnarbeitsbezogenen Sozialstaat [16], die direkt in unsere Debatten über Existenzgeld einflossen. So z.B. die Frage was eigentlich Prinzipien einer Sozialpolitik als Sicherung der sozialen Infrastruktur sein können und wie sich Bildung oder Gesundheit als Infrastruktur neu denken lässt.

In seiner stark ökonomistisch-dogmatischen Kritik wirft Roth den BefürworterInnen eines BGE vor, sie würden die Gesetze des Marktes, der Warenproduktion und Kapitalverwertung aus ihren Überlegungen ausklammern. Indem er, wie das Kaninchen auf die Schlange starrt, kann er sich ein "richtiges" Leben im falschen System nicht vorstellen. Erst mit der Beseitigung des kapitalistischen Systems sei ein solches Leben überhaupt denkbar.

Alles andere führe dann unweigerlich zu einer Bezugnahme auf und Integrationstendenzen in kapitalistische Strukturen ("abgemilderter Kapitalismus").

Diese Argumentation "vergisst" einen wesentlichen Aspekt: "Leben trotz Kapitalismus bedeutet, nicht zu warten, um zu leben . Wir können nicht darauf warten, dass die Zeit reif ist. Wir müssen jetzt revoltieren, wir müssen jetzt leben." (John Holloway)

Ein richtiger Gedanke wird nicht automatisch zum Massengedanken. Es braucht, wie bereits betont, Zwischenschritte, die überzeugend auf eine weitergehende gesellschaftliche Perspektive hinweisen. Orientierungspunkt für mich ist der von Joachim Hirsch geprägte Begriff des "radikalen Reformismus". Dabei handelt es sich um eine Strategie, die "nicht vorrangig auf ,Eroberung' und Gebrauch der Staatsmacht, sondern ihre Zurückdrängung, nicht auf bürokratische Kontrolle, sondern Selbstorganisation, nicht Verstaatlichung der kapitalistisch geformten Produktionsmittel, sondern auf ihre grundlegende Umgestaltung . "[17] zielt. Es geht darum, "kapitalistische Reformpolitik, die notwendig etatistisch sein muss und die die materielle Bedingungen und Spielräume zu schaffen hat für die Durchsetzung und Praktizierung alternativer Lebensformen, der Erweiterung von Selbstverwaltung und Selbstorganisation sowie für außerinstitutionelle politische Bewegung."[18] Entscheidend bei der Aufstellung von Strategien und Forderungen, die nicht in eine kapitalbestimmte Strategie eingebettet sind, ist die Analyse, inwieweit sie das herrschende Bewusstsein umwälzen können, sie in der Lage sind, eine breite außerparlamentarische Bewegung zu formieren und ob sie substantiell eine gesellschaftliche Perspektive enthalten.

Aber auch ein Zusammenspiel sozialer Bewegungen mit gelebten Alternativmodellen ist unumgänglich. Und hier finden sich auch die Schnittmengen zur Debatte um ein BGE. Es gilt bereits jetzt Umrisse einer anderen Gesellschaft zu konzipieren und wo möglich auch zu leben. Ziel wäre, in Anlehnung an Gorz, die Arbeit in kontinuierlicher Form von der Tyrannei des Lohnsystems zu befreien und in Selbsttätigkeit aufzuheben.

Mit diesen kurzen Ausführungen sollte klar geworden sein, dass die Mutmaßungen Rainer Roth's, das BGE sei heute oder morgen einführbar und deshalb eine Tagesforderung, nichts mit den realen Positionen der BGE-VertreterInnen gemein haben. Genauso wenig ist BGE nur eine Geldforderung, sondern eine gesellschaftliche Konzeption oder ein Diskussionsvorschlag, wie eine andere Welt auch aussehen könnte, an der sich möglichst viele MitkämpferInnen theoretisch und praktisch beteiligen sollen. Nur in den tagtäglichen individuellen und kollektiven Kämpfen von Erwerbslosen und Erwerbstätigen wird sich langsam der Wille zu einer freiheitlicheren Form des Tätigseins manifestieren!

Bedingungslosigkeit, was sonst?

Für Rainer Roth ist die Bedingungslosigkeit der Forderung nach Grundeinkommen ein wahrhaft rotes Tuch. Keine Bedürftigkeitsprüfung mehr, dann bekommen ja besser Verdienende ebenfalls Grundeinkommen, kein Arbeitszwang mehr, dann will ja keiner mehr arbeiten und die, die noch arbeiten, sind die Dummen. Zudem baut er ein Szenarium auf, mit der Behauptung, die Einführung eines BGE führe zu massiven Lohnsenkungen und öffne das Tor für Kombilöhne. "Das BGE wirkt, . aus seiner ökonomischen Logik heraus von vornherein als Kombilohn, fördert also Lohnsenkungen."[19]

Man sieht sehr schnell, auch hier ist ihm wieder etwas durcheinander geraten, denn er argumentiert so, als würde behauptet, das BGE sei sofort einführbar (und trifft damit die Position von Werner und Straubhaar, aber nicht die der Erwerbslosengruppen). Ein Grundeinkommen als praktikable, weitergehende Alternative würde aus einer Fülle von Bewusstseinsveränderungen, Erfahrungen und Kämpfen entstehen, die andere Gerechtigkeitsvorstellungen umfassen, direktere Demokratieformen hervorbringen und Ansätze solidarischer Ökonomie beinhalten. Unter diesen politischen und sozialen Voraussetzungen wäre ein BGE so hoch einzusetzen, dass es keine Kombilohnfunktion beinhaltet. Ein starkes BGE hat keinerlei Lohnsubventionsfunktion, kann aber die Entscheidung beeinflussen, schlecht bezahlte Jobs, ohne Sanktionen, abzulehnen und sich aus Tätigkeiten zu verabschieden, die aus unterschiedlichsten Gründen gesundheits- oder persönlichkeitsgefährdend sind, oder mit denen sinnlose oder umweltschädliche Produkte hergestellt werden. Aber sofort kommt der erhobene Zeigefinger von Roth: "Fragt sich wer den Unterhalt für diejenigen zahlt, die ihn so selbstbewusst einfordern."[20] Klingt ein bisschen wie der bekannte patriarchalische Spruch: ,Solange du deine Füße unter meinen Tisch hast, hast du das zu tun, was ich sage', denn Roth ist der Meinung Lohnabhängige würden, wenn sie denn regieren könnten, sehr wohl Bedingungen stellen. "Im Idealfall wären sie auf die Wünsche und Fähigkeiten, die Qualifikation, Vermittlungschancen und die Möglichkeiten der Erwerbslosen abgestimmt, zu ihrem Lebensunterhalt beizutragen."[21] Also wieder Bedingungen setzen, Auflagen erteilen in Zeiten einer überhöhten Erwerbszentrierung, mit dem Ziel für den Erhalt von materieller Unterstützung irgendeine, auf ,die Möglichkeiten der Erwerbslosen abgestimmte' Leistung zu verlangen. Der idealisierte Lohnabhängige setzt hier - anstelle des Staates - die Bedingung, - eine Vision, die nachgerade zur Spaltung von Erwerbstätigen und Erwerbslosen drängt.

Dem ist entgegenzusetzen: Bereits zum heutigen Zeitpunkt finanziert eine Minderheit eine Mehrheit. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten in 2002 nur noch 40% der erwerbsfähigen BewohnerInnen von Lohn und Gehalt. Zudem bekommt ein großer Teil der Erwerbslosen vor Hartz IV Arbeitslosengeld, eine Versicherungsleistung, in die, in der Regel weit mehr Beiträge eingezahlt wurden.

Sowohl Erwerbslose wie auch Arbeitnehmer profitieren vom BGE, schon einfach dadurch, das die Freiheit besteht einfach nein zu sagen, ohne seine Existenz oder die seiner Familie zu gefährden. Roth's Frage wer den Unterhalt für wen bezahlt, schürt eine Spaltung zwischen verschiedenen sozialen Gruppen und unterstützt den bei vielen Lohnabhängigen verinnerlichten Moralkodex: ,nur wer lohnarbeitet ist wer'.

Der Gedanke "dass alle Erwerbslosen keinerlei Arbeitsverpflichtungen haben sollen"[22], ist ihm ein Graus, denn schließlich unterliegen alle Lohnabhängigen einem allgemeinen Arbeitszwang, der nicht einfach für Erwerbslose aufgehoben werden kann! Dass der Ruf nach Abschaffung aller Zwangs- und Pflichtdienste für Arbeitslose eine alte Forderung der Erwerbslosenbewegung ist, scheint er zu vergessen, den er verwechselt den kapitalistischen Zwang der Verwertung der eigenen Arbeitskraft zwecks Überlebens mit dem staatlichen Zwang zur Arbeit, als Voraussetzung um überhaupt soziale Leistungen zu beziehen. Im letzteren handelt es sich um einen staatlich organisierten Arbeits- und Unterwerfungszwang gegenüber denjenigen, die von Sozialamt oder Arbeitsagentur abhängig sind. Ihnen wird die Möglichkeit eines menschenwürdigen Lebens verweigert. Aus diesem Zusammenhang heraus, entwickelte sich die Forderung nach Unterstützungsleistungen ohne Arbeitszwang. Auch der Hinweis von Roth "das BGE verspricht die Emanzipation von Lohnarbeit, obwohl es Lohnarbeit zwingend voraussetzt."[23] überzeugt nicht wirklich. Schließlich setzt jede Lohnforderung und jede Grundsicherungserhöhung die Lohnarbeit zwingend voraus. In dieser Widersprüchlichkeit bewegen sich alle Emanzipationsbewegungen.

Bündnisfähigkeit?

Roth identifiziert die Protagonisten des BGE als kleine Selbständige oder Ich-AGler, die für ihre "verrückten" Ideen nun auch noch die Steuergelder von Lohnabhängigen erhalten wollen. Oder anders ausgedrückt: "Selbständige sollen für ihre Arbeit auch dann Geld bekommen, wenn sie keine Waren produzieren und verkaufen können, sondern Privatexistenzen geworden sind. Die Bedingungslosigkeit der Zahlung schützt dann nicht nur vor Lohnarbeit, sondern auch davor, sich mit dem Verkauf von Waren und Dienstleistungen ernähren zu müssen, schützt also vor den sozialen und ökonomischen Risiken der Selbständigkeit."[24] Für ihn hat nur Lohnarbeit gesellschaftliche Relevanz, die Werte schafft, andere Tätigkeitsformen sind dem unterzuordnen. Sie bekommen bei Roth den Hauch von Nischenproduktion, individuellen Spinnereien und sind demnach zu vernachlässigen. Die gesellschaftliche Produktivkraft von freiwilligen Tätigkeiten und künstlerischen, familiären sowie kooperativen Aktivitäten kann er nicht erkennen. Stattdessen hofft er auf einen Art Eingliederungsvertrag zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen: "Das Verhältnis zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen muss das einer gegenseitigen Verpflichtung sein ." [25] Nun zu was soll sich denn der Einzelne verpflichten? Pflichten wie "Fördern und Fordern" oder die Ergebnisse von schlecht verhandelten Tarifverträge gibt es zur genüge, aber Lust und Freude am Arbeiten, am Tätigsein kann nicht verordnet oder paraphiert werden, sie muss erkämpft werden und steht im Widerspruch zum Arbeitszwang. Scheinbar will Roth den kapitalistischen Druck auch für die Erwerbslosen: die protestantische Arbeitsmoral schlägt hier hohe Wellen. Diese Moral hat allerdings immer eher dazu gedient, Menschen Herrschaftsansprüchen Anderer auszusetzen und Wünsche und Ansprüche an ein anderes Leben erst gar nicht entstehen zu lassen.

Des Weiteren behauptet Roth der Anspruch auf ein BGE wende sich "gegen die wichtigsten Forderungen des Frankfurter Appells"[26]. Da sich ein Großteil der BGE-BefürworterInnen, neben der Hauptforderung auch auf Mindestlohn und radikaler Arbeitszeitverkürzung festgelegt haben, muss Roth schon tief in die Trickkiste greifen. Mit der Behauptung: "Die Reproduktionskosten der arbeitenden Arbeitskräfte, . sind höher als die der Nicht-Arbeitenden."[27] plädiert er für einen generellen Unterschied bei der Höhe des Mindestlohnes und einer möglichen Höhe eines Mindesteinkommens von Erwerbslosen. Ein Art Lohnabstandsgebot der linken Art. Es mag sein, das in früheren Zeiten und auch noch heute z.B. im Bergbau sozialversicherungspflichtige Lohnarbeit reale, höhere Reproduktionskosten beinhaltete. Doch aufgrund Automatisierung und Technisierung ganzer Produktionszweige spielt körperliche Arbeit nur noch eine untergeordnete Rolle. Kosten der Reproduktion bei Erwerbstätigen sind kaum zu unterscheiden von denen der Erwerbslosen. Letztere müssen zum Beispiel mit höheren Heizungs- und Stromkosten rechnen und können kein verbilligtes Kantinenessen zu sich nehmen.

Perspektivisch müsste der Mindestlohn so hoch sein, wie das BGE.

In der derzeitigen, aktuellen Debatte über Zwischenforderungen bezüglich der Erhöhung des Regelsatzes für Arbeitslosengeld II-BezieherInnen liegt sowohl die von Roth präferierte Forderung von 500 Euro, als auch der von einigen Initiativen vertretene Anspruch auf einen doppelten Regelsatz unterhalb des im Frankfurter Appell anvisierten Mindestlohns von 10 Euro[28]. Von einer Verabschiedung der Mindestlohnforderung kann also keine Rede sein.

Ebenso wichtig ist die radikale Arbeitszeitverkürzung in einigen Konzepten des BGE. Roth behauptet der "Kampf für kollektive Arbeitszeitverkürzung (würde) aufgegeben"[29]. Es ginge nur noch um individuelle Arbeitszeitverkürzung. Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, seien es 30 Stunden oder noch weniger war und bleibt eine der Kernforderungen der Erwerbslosenbewegung[30]. Dass sie kollektiv erstritten werden muss, ist genau so klar, wie, das sie individuell umgesetzt wird, d.h. unterschiedliche Konsequenzen für den einzelnen Arbeitnehmer haben kann, ebenso. Allerdings teile ich nicht den Optimismus von Roth, das Arbeitszeitverkürzung automatisch zu einer geringeren Arbeitslosenquote führen würde. Erst die Kombination von Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung und BGE bringt Interessen zusammen und zeigt eine Perspektive über die Lohnarbeitsgesellschaft hinaus. Ein BGE hätte einen Arbeitszeitverkürzungseffekt (je höher das Grundeinkommen umso größer der Arbeitszeitverkürzungsanreiz für Gutverdienende und umso geringer der Arbeitszeitverlängerungsanreiz für Schlechtverdienende) und es kommt allen zugute, nicht nur den Erwerbstätigen. Ein BGE hat einen Mindestlohn-Effekt, weil es bei entsprechender Höhe die Ablehnung von Armuts- und Niedriglöhnen ermöglicht und es kommt allen zugute, nicht nur den Erwerbstätigen. "Das BGE stärkt einerseits im entscheidenden Maße die Wirksamkeit von Mindestlöhnen und die Umverteilung von Arbeit. Andererseits können Mindestlöhne mögliche Probleme bei der Einführung eines Grundeinkommens minimieren. Die kollektive Arbeitszeitverkürzung befördert und stabilisiert den emanzipatorischen Effekt des BGE."[31]

Gerade die Verbindung verschiedenster Forderungen mit dem BGE zeigt die Perspektive für ein breiteres und schlagkräftigeres Bündnis zwischen Erwerbslosen und Lohnarbeitern auf, als wir es uns bisher vorstellen konnten. BGE entlastet nicht nur von Lohnarbeit, sondern lässt die Möglichkeit zu, ohne Sanktionsgefahr, Lohnarbeit abzulehnen oder aufzugeben, bekämpft die Armut, verhindert Entrechtung und erschließt bzw. sichert neue Tätigkeitsfelder jenseits des Erwerbslebens. Dafür lohnt es sich zu kämpfen!

Anmerkungen

1) www.labournet.de/diskussion/arbeit/existenz/roth.html www.labournet.de/diskussion/arbeit/existenz/index.html

2) Rainer Roth: Zur Kritik des bedingungslosen Grundeinkommens, Frankfurt 2006

3) Ebenda, S. 34

4) Ebenda, S. 35

5) Ebenda, S. 34

6) Genauer nachzulesen: Hans-Peter Krebs/Harald Rein: Existenzgeld , Münster 2000

7) Existenzgeld . 13 Thesen gegen falsche Bescheidenheit und das Schweigen der Ausgegrenzten, Hg.: Bundesarbeitsgruppen der Initiativen gegen Arbeitslosigkeit und Armut 1992

8) Existenzgeld . 10 Positionen gegen falsche Bescheidenheit und das Schweigen der Ausgegrenzten externer Link, Hg.: Bundesarbeitsgruppen der Initiativen gegen Arbeitslosigkeit und Armut 1996

9) Zur weitern Entwicklung siehe: BAG der Sozialhilfeinitiativen (Hg.): Existenzgeld für Alle, Neu-Ulm 2000

10) Engels, Friedrich: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, in: Marx/Engels: Ausgewählte Schriften, Band II, Berlin 1970, S. 122

11) Roth, S. 36

12) ebenso, S. 37

13) Wompel, Mag: Vom Protest zur Revolte?

14) Existenzgeld . 10 Positionen ., S.19

15) Die noch ergänzt wurden mit den Forderungen für eine Legalisierung von Flüchtlingsrechten und zum Aufenthalt von Illegalisierten sowie gegen die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur.

16) www.links-netz.de externer Link

17) Hirsch, Joachim: Für einen radikalen Reformismus, in: "links", Heft 11/1986, S. 21

18) ebenda, S. 22

19) Roth, S. 22

20) ebenda, S. 6

21) ebenda, S. 7

22) Ebenda, S. 6

23) Ebenda, S. 40

24) Ebenda, S. 66

25) Ebenda, S. 7

26) Ebenda, S. 2

27) Ebenda, S. 24

28) Mit dem doppelten Regelsatz von 690 Euro und durchschnittlichen Unterkunftskosten in Höhe von 340 Euro kämen Erwerbslose auf einen Betrag von 1030 Euro. Demgegenüber stehen 10 Euro brutto bei 38,5 Stunden mit 1103 Euro netto.

29) Roth, S. 29

30) Rede von Anne Alles auf der Aktionskonferenz am 18.01.2005 in Frankfurt/M. externer Link

31) Blaschke, Ronald: Bedingungsloses Grundeinkommen, Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung, 2006 externer Link pdf-Datei, S. 2


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