Home > Diskussion > Arbeit: Aktionen > Protestformen > Gew > rente67
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Perspektive politischer Streik

Vom Breitbandprotest zur Verhinderung der Rente mit 67

Die Mobilisierung gegen die Agenda-Politik von Rot-Grün im Frühjahr 2004 war eine Sternstunde für die Gewerkschaften und den sozialen Widerstand in Deutschland. Über eine halbe Million Menschen waren am 3. April dieses Jahres auf den Straßen - eine gute Basis eigentlich, um die Proteste zuzuspitzen und eine weiterführende Dynamik zu entwickeln. Stattdessen wurde die Mobilisierung suspendiert bzw. in Widerstandsrinnsale wie Unterschriftensammlungen kanalisiert - als ließen sich gesellschaftliche Bewegungen taktisch zurücknehmen und beliebig wieder aufrufen.

1. Kein Plan

Die Kritik an diesem Abgesang schien jedoch angekommen zu sein. Das nächste Mal solle der Protest strategischer angegangen werden und vor allem über einen einmaligen Höhepunkt hinaus eine Fortsetzungs- und Durchsetzungsperspektive haben.

Das nächste Mal war der 21. Oktober 2006 - und nichts von diesen Lehren scheint eingelöst. Mit gut 200000 TeilnehmerInnen blieb die Mobilisierung deutlich unter der Marke, die mit dem 3. April 2004 gesetzt war, und auch unter den jeweiligen, ohnehin bescheidenen Zielvorgaben für die regionalen Demonstrationen. Unterschiede bestanden allerdings in der gewerkschaftlichen Mobilisierungsfähigkeit zwischen der IG Metall mit ihren traditionell verbindlicheren Organisationsstrukturen und ver.di, die sich mit ihrer berüchtigt hohen Selbstbeschäftigungsquote selbst behinderte. So war der ver.di-Apparat zeitgleich beschäftigt mit hochkomplizierten Organisationskonferenzen und -wahlen in der Matrixstruktur, mit Auseinandersetzungen um die Auswechslung ihres örtlichen Leitungspersonals zur Durchsetzung der Frauenquote und mit einer ohne jedes politische Gespür vom Vorstand betriebenen Kündigung der betrieblichen Altersversorgung der ver.di-Beschäftigten.

Was längst vor dem 21. Oktober hätte entwickelt werden müssen, fehlt auch Wochen danach noch: eine politische Strategie, die über einen Demonstrationshöhepunkt hinausweist und dem beträchtlichen Protest in Bevölkerung und Betrieben gegen die fortgesetzten Zumutungen - erst von Rot-Grün und jetzt von Rot-Schwarz - hätte organisierten Ausdruck verleihen und eine Erfolgsperspektive eröffnen können.

Eben dieser Mangel erklärt nicht nur das bescheidene Ergebnis des 21. Oktober, sondern schmälert die Chancen, in das auf vollen Touren laufende Räderwerk der neoliberalen Reformmaschinerie noch wirksam einzugreifen. Eine vertane Chance, ein politisches Organisationsversagen, das viel weniger als noch 2004 vor allem der Führung angelastet werden kann, weil die Option Mobilisierung anders als 2004 über alle Organisationsebenen und -strukturen offen war und ist.

2. Zwischen Radikalität und Resignation

Die Diskussionen und Befindlichkeiten in Betrieben und Gewerkschaftsstrukturen sind derzeit von einer eigentümlichen Ambivalenz gekennzeichnet: auf der einen Seite eine überschäumende Wut über die zunehmende soziale Deklassierung und immer tiefere Einschnitte in die aktuelle Einkommenssituation, in die Absicherung gegen gesellschaftliche Risiken und Notfälle und in die Zukunftssicherheit im Alter.

Eine Wut, auf die die mindeste Reaktion die oft bemühten französischen Verhältnisse wären. Auf der anderen Seite aber die mangelnde Bereitschaft, eine Busfahrkarte zur nächsten Demonstration abzunehmen (nicht: zu kaufen).

Kern der Sache ist: die KollegInnen trauen den Gewerkschaften kaum mehr zu, diese Mega-Entwicklung zu stoppen oder auch nur zu beeinflussen, jedenfalls nicht so, wie wir es gerade anstellen. Den wesentlichsten Vertrauensverlust, der sich auch massiv auf die politische Mobilisierungsfähigkeit auswirkt, erleiden die Gewerkschaften täglich in den betrieblichen Auseinandersetzungen und in der Tarifpolitik. Seit Jahren kommen wir nicht an gegen die Erpressungspotentiale der Gegenseite und müssen ein ums andere Mal den Rückzug flankieren, in dem wir Absenkungstarifverträge unterschreiben und betriebliche Standortsicherungen organisieren, die immer zu Lasten Dritter - ArbeitnehmerInnen in anderen Betrieben der gleichen Branche in Deutschland oder andernorts auf der Welt - gehen, wie derzeit z.B. zu Lasten der VW-Belegschaft in Brüssel oder der Scania-Belegschaft in Schweden.

Demoralisierender noch als diese objektive Malaise ist die nach wie vor fehlende Bereitschaft der Gewerkschaften, sich ernsthaft mit dieser Lage zu befassen, sie politisch und ökonomisch zu analysieren und überzeugende Auswegstrategien zu entwickeln. Selbst ein Schlüsselerlebnis wie die Tarifkämpfe im Öffentlichen Dienst Anfang 2006, in denen sichtbar wurde, welch ein Erpressungspotential nicht mehr tarifeinheitlich organisierte Wirtschaftsstrukturen der Gegenseite verschaffen, scheinen nach ersten Aufarbeitungsanstrengungen im Sande zu verlaufen. Auch die Entwürfe für ein neues ver.di-Grundsatzprogramm, an denen sich viele KollegInnen seit Monaten kritisch abarbeiten, zeigen, wie meilenweit entfernt von dieser Krisenrealität die offiziellen gewerkschaftlichen Diskurse laufen. Als wäre es gerade die gewerkschaftliche Tagesaufgabe, die politischen Wunschkataloge auf den neuesten Stand zu bringen, statt sich mit der Frage auseinander zu setzen, warum von alledem nicht nur nichts mehr umgesetzt wird, sondern wir vielmehr alle Hände voll zu tun haben, weitere Einbrüche abzuwehren.

Mit dieser nicht von heute auf morgen abzutragenden Hypothek belastet müssen sich die Gewerkschaften den politischen Angriffen auf ihre Errungenschaften, auf den Sozialstaat stellen. Ausschlaggebend für die Entscheidung, ob man sich in einen Bus zur Demo setzt oder nicht, ist für die vielen, denen es keine Selbstverständlichkeit mehr ist, einem Gewerkschaftsaufruf zu folgen, die Frage nach dem Nutzen des Einsatzes: Gibt es eine Aussicht, dass die Bundesregierung sich durch eine Großdemonstration von ihren Vorhaben wie Rente mit 67, Mehrwertsteuererhöhung, Gesundheitsreform, Kündigungsschutz etc. abhalten lässt und stattdessen z.B. einen Mindestlohn einführt? Da haben viele Zweifel.

  • Es erscheint nicht sehr aussichtsreich, einem überlegenen Gegner an allen Fronten gleichzeitig Widerstand entgegen setzen zu wollen. Die Hoffnung, möglichst viele Betroffene zu mobilisieren, wenn möglichst keine der Zumutungen ausgenommen wird, hat eher geschadet. Es musste der Eindruck entstehen, dass eine so angelegte Veranstaltung zwar der allgemeinen Empörung Ausdruck verleiht, letztlich jedoch nur eine laute und wütende Orchestrierung der herrschenden Politik darstellt und weder etwas verhindern noch ändern kann.
  • Einen anderen Stellenwert hätte eine so breit angelegte Demonstration, wenn sie Teil und Auftakt einer strategischen Mobilisierung gewesen wäre, in der breit gestartet und dann und mit längerem Atem eine Zuspitzung geplant gewesen wäre. Davon war jedoch nichts zu erkennen, außer einiger verbaler Ankündigungen (ein »Warnruf« ist gemeinhin eine erste warnende Ankündigung weiterer Taten im Falle der Nichtberücksichtigung). So werden viele gedacht haben, dass ein singulärer Protest nichts bewirken kann, selbst wenn er die Dimension des 3. April 2004 erreicht hätte. Angesichts der politischen und ökonomischen Kräfteverhältnisse wird einer so angelegten Manifestation nicht die für eine Veränderung dieser Verhältnisse erforderliche Wirkung zugetraut.
  • Es besteht weithin der Eindruck, dass der neoliberale mainstream so fest im Sattel sitzt, dass er auch Großdemonstrationen als derzeit äußerstes politisches Kampfmittel der Gewerkschaften aussitzen werde. In der Selbstwahrnehmung der herrschenden Eliten spiegelt sich diese Sichtweise in der Devise, man müsse eben auch unpopuläre Maßnahmen durchsetzen, den Druck der Straße, sprich gewerkschaftliche Großdemonstrationen, aushalten.

3. Zurück auf die Grundlinie: Politischer Streik!

Diese verbreiteten Sichtweisen drücken sehr realistisch die Kräfteverhältnisse in der aktuellen Auseinandersetzung um die neoliberale Reformagenda aus. Wenn Deklamationen, zumal strategisch nicht verankerte, nicht den ausreichender Druck entfalten und dies von Betroffenen durch ihre sinkende Folgebereitschaft bestätigt wird, müssen diejenigen gewerkschaftlichen Handlungsmöglichkeiten wieder in die Diskussion kommen, die nicht nur deklamatorische, sondern erzwingende Wirkungen haben. Eine erzwingende, zumindest ruhestörende Wirkung erzielen ArbeitnehmerInnen durch das Vorenthalten ihrer Arbeitskraft. Zu diskutieren ist also die Frage der Rückbindung des Protestes in die Betriebe, die Frage des Streiks gegen politische Maßnahmen der Umverteilung und des Sozialstaatsabbaus, die Frage des politischen Streiks.

Politische Streiks gelten aber seit der Niederlage im Kampf gegen die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes 1952, wo sich Massendemonstrationen mit einem politischen Streik (der RedakteurInnen und DruckerInnen) verbanden, als illegal, gar verfassungswidrig, und sind bis tief ins gewerkschaftliche Bewusstsein hinein tabuisiert.

Vor der politisch-juristischen Überprüfung dieses Tabus steht jedoch die Frage, wie angesichts der strukturellen Defensive der Gewerkschaften in der Betriebs- und Tarifpolitik gerade aus diesem Bereich eine Stärkung der Bewegung gegen die herrschende Abbaupolitik kommen soll - zumal die Gegenseite sowohl in der Tarif- und Betriebspolitik wie in ihrer politischen »Reform«agenda auf die gleichen Argumentationen und Erpressungsinstrumente der Wettbewerbsfähigkeit zurückgreift. Was betrieblich/tariflich zu hohe Lohnkosten oder zu kurze Arbeitszeiten im Vergleich zu Konkurrenten sind, ist auf politischer Ebene der internationale Steuerwettbewerb (niedrigere Unternehmenssteuern durch weniger Sozialstaat) und der Druck auf die Lohnnebenkosten (geringere Arbeitgeberbeiträge durch Senkung (oder Verlagerung auf die ArbeitnehmerInnen) der Ausgaben für Rente, Krankheit, Arbeitslosigkeit).

Dennoch unterscheiden sich das Erpressungspotential auf der betrieblichen/tariflichen und auf der politischen Ebene ganz erheblich. Während hier Lohnkostensteigerungen oder die Verweigerung von Absenkungen erheblich in die Konkurrenzbeziehungen der Unternehmen eingreifen, weil die Gewerkschaften kaum mehr in der Lage sind, für alle gleiche Bedingungen (nämlich Flächentarifverträge) durchzusetzen, ist der Erpressungsdruck auf der politischen Ebene viel indirekter. Wenn eine Gewerkschaft an einem deutschen Industriestandort oder im deutschen Teil einer globalen Branche die Löhne erhöhen oder nicht absenken will, dann zeitigt das erpresserische Argument der Produktionsverlagerung seine Wirkung, weil es im Einzelfall sehr real sein kann. Wenn aber die deutschen Gewerkschaften in einer politischen Aktion einen Mindestlohn, die Verlängerung der Altersteilzeit, höhere Renten durchsetzen oder gegen die Rente mit 67 mit Streiks kämpfen würden, griffe das nicht direkt in einzelnen Konkurrenzbeziehungen ein, würde allenfalls mittelbar über eine Erhöhung des Steuer- und Sozialabgabenniveaus den »Standort Deutschland« betreffen, was angesichts der exzellenten internationalen Wettbewerbslage der deutschen Unternehmen wenig akutes Drohpotential für einzelne Betriebe oder die Arbeitsplätze einzelner KollegInnen bedeuten würde.

Dennoch würden auch hier, wie in der Tarifpolitik, die Durchsetzungschancen größer, wenn die Auseinandersetzungen und politischen Streiks von vornherein transnational, z.B. europäisch organisiert würden. Das wäre auch insofern hilfreich, als deutlich würde, dass es in sonst keinem europäischen Land eine derartige Beschneidung gewerkschaftlicher Rechte gibt, die nicht nur bei einem Großteil der Themen, die die Verteilungsrelation zwischen Kapital und Arbeit betreffen, nämlich allen gesetzlich bzw. politisch zu entscheidenden Fragen, das Recht auf Streik vorenthält, sondern mit den BeamtInnen ganzen Beschäftigtengruppen die Durchsetzung ihrer Rechte als Arbeitnehmer per Arbeitskampf verwehrt (Hensche 2006, S.119 [1]). Auf europäischer Ebene koordinierte Streiks gegen politische Eingriffe in ArbeitnehmerInnenrechte könnten in diesem Sinne rechtlich auch als ein Beitrag zur EU-Harmonisierung des deutschen Arbeitskampfrechts verstanden und politisch als Kampf gegen eine Benachteiligung gegenüber anderen EU-Ländern organisiert werden.

Politische Streiks, d.h. Streiks, die sich nicht unmittelbar gegen den Arbeitgeber richten, sondern gegen den Staat, der Verteilungsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften/ArbeitnehmerInnen regelt, sind nicht qua Verfassungsvorgabe verboten, sondern qua Verfassungsauslegung in der Folge des Zeitungsstreiks gegen die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 illegalisiert. Die sich daran anschließende Debatte - Ernst Forsthoff / Hans Carl Nipperdey auf Arbeitgeberseite, Wolfgang Abendroth auf Gewerkschaftsseite - zieht eine Trennlinie zwischen einem >legalen<, gegen den Arbeitgeber gerichteten, um Arbeitsbedingungen geführten und einem >illegalen< Streik, der sich gegen den Gesetzgeber wendet. Mit dieser letztendlich von den Gewerkschaften akzeptierten Niederlage in der Folge von 1952 gilt die Phase der kapitalistischen Restauration, die bis dahin noch offen war, als abgeschlossen. [2]

Der historische Kompromiss - Grundlage des Rheinischen Kapitalismus - fixierte in diesem Sinne die Kräfte und Rollenteilung zwischen Kapital und Arbeit: hier die garantierte Tarifautonomie mit der Option nationaler Flächentarifverträge, die die Lebenslage der ArbeitnehmerInnen tatsächlich über viele Jahre hin verbessern konnten; und dort die akzeptierte politische Abstinenz, der Verzicht der Gewerkschaften auf das Streikrecht, wo es um die politische/gesetzliche Regulation ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen geht.

Dieser Klassenkompromiss ist mit dem Ende des Rheinischen Kapitalismus perdu. Das Streikrecht der Gewerkschaften in wirtschaftlichen Fragen ist durch die Erosion der Flächentarifverträge infolge geänderter ökonomischer Rahmenbedingungen erheblich entwertet. Mit der Herausbildung globaler Arbeitsmärkte haben die Arbeitgeber eine wirksame Option, sich den (ursprünglich als Flächentarife funktionierenden) Tarifverträgen zu entziehen. [3] Die historischen Voraussetzungen für den Nachkriegskompromiss und den Verzicht der Gewerkschaften auf ihr politisches Streikrecht sind entfallen.

Die Arbeitgeberseite ist auf die Grundlinie zurückgegangen. Um wieder zu einer Gegenmacht zu werden, müssen sich auch die Gewerkschaften wieder auf die Grundlinie begeben und sich ihr uneingeschränktes Streikrecht zurückerobern. Und sage niemand, dadurch nähmen sich die Gewerkschaften das Recht heraus, frei gewählte demokratische Parlamente unter Druck zu setzen. Schließlich üben sie kaum mehr als mittelbaren Druck aus, dessen unmittelbarer Adressat der Arbeitgeber ist. Was ist das schon angesichts der sehr effektiven Einflussnahme tausender hochbezahlter Lobbyisten im inneren Kreis des politischen Geschehens in Berlin, die sich mitunter schon der Vorformulierung ganzer Gesetzestexte rühmen?

Auch wenn vielleicht so oder ähnlich eine neue verfassungsrechtliche Position der Gewerkschaften zum Streikrecht begründet werden könnte, muss die Durchsetzung eines solchen Rechts natürlich in der Praxis stattfinden. Gerade angesichts der derzeit geplanten tiefen Einschnitte in gewerkschaftliche und sozialstaatliche Errungenschaften muss die Diskussion über Streiks nicht nur zum Zecke der politischen Meinungsbekundung, sondern zum Zwecke der Erzwingung und Verhinderung arbeitnehmer- und sozialfeindlicher Maßnahmen wieder auf die Tagesordnung der gewerkschaftlichen Strategiedebatten, auch in den Betrieben. Schrittweise müssen die Spielräume ausgelotet und ausgeweitet werden.

Wenn sich der gewerkschaftliche Protest gegen die geplanten Maßnahmen der großen Koalition über die breite Unmutsäußerung hinaus zu einer Durchsetzungsoption weiterentwickeln soll, braucht er ein erreichbares klares Ziel. Vom Breitbandprotest zur Entschlossenheit, ein Projekt des neoliberalen Kartells zu Fall zu bringen. Dieses Projekt kann nach Lage der Dinge nur die Rente mit 67 sein. Wie kein anderes der großkoalitionären Vorhaben greift die Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters in die persönlichen Lebensplanungen der Menschen ein, in dem sie ihnen entweder längeres Arbeiten zumutet oder auf Rentenkürzungen hinausläuft.

Rente mit 67 ist sozial rücksichtslos, indem sie Menschen zum längeren Arbeiten nötigt, die nach einem langen Arbeitsleben mit ständiger Arbeitsintensivierung erschöpft sind. Sie ist eine gigantische Arbeitszeitverlängerungsmaßnahme mit verheerenden Auswirkungen auf den Jugendarbeitsmarkt und müsste besonders bei jüngeren Auszubildenden oder Erwerbslosen gute Mobilisierungsmöglichkeiten bieten. Sie ist ein gesellschaftliches Querschnittsthema mit breiten Bündnismöglichkeiten. Und die Rente mit 67 ist eine besondere Provokation und Herausforderung für die Gewerkschaften, deren Kernstrategie gegen Massenarbeitslosigkeit die Arbeitsumverteilung u.a. durch Verkürzung der (Lebens-)Arbeitszeit ist.

Während die IG Metall die Focussierung auf die Auseinandersetzung um die Rente mit 67 bereits vorgenommen hat, steht dieser Schritt für ver.di und andere noch aus. Die Entscheidung über die Rente mit 67 wird nach aktuellem Informationsstand in der 2. und 3. Lesung des Bundestags am 9. März 2007 fallen. In der Zeit bis dahin muss eine betriebliche Informations- und Diskussionskampagne zum Thema Rente mit 67 und zur Enttabuisierung des politischen Streiks, seinen historischen Hintergründen, rechtlichen Risiken und vor allem langfristigen gewerkschaftlichen Chancen im Vordergrund stehen.

Die Bereitschaft, einen deutlichen Schritt weiter zu gehen, besteht bzw. ist entwickelbar, wenn die Organisationen endlich eine glaubwürdige Strategie anbieten, mit der es klappen könnte, nicht nur begleitend zu protestieren, sondern die Rente mit 67 zu verhindern.

Artikel von Werner Sauerborn, erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/06

Anmerkungen:

1) D. Hensche: »Soziale Kämpfe sind stets auch Kämpfe um Verfassungspositionen«, in: H.-J. Urban/M. Buckmiller/F. Deppe (Hrsg.): »Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie«, Hamburg 2006; s. auch: »Politischer Streik illegal? D. Hensche über die vermeintliche Rechtswidrigkeit politischer Streiks«, in: SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2004, S. 5

2) s. hierzu die sehr informative Diplomarbeit von L. Redler: »Der politische Streik nach 1945« (bei F. Haugg), Hamburg 2004

3) B. Riexinger/W. Sauerborn: »Einer der sich selbst versteht, wie soll der aufzuhalten sein? Vom Gewerkschaftsmodell des Rheinischen Kapitalismus zu transnationaler Handlungsfähigkeit«, in: C. Buchholz / K. Kipping (Hrsg.): »G8 - Gipfel der Ungerechtigkeit«, Hamburg 2006


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang