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Updated: 18.12.2012 15:51
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Kritische Anmerkungen zum geplanten kollektiven Hungerstreik
gegen Hartz IV

Armin Kammrad, 03.03.2007

Eine Initiative von ca. 25 Hartz IV-Betroffenen soll nach dem Willen der Initiatoren Peter Grottian, Michael Maurer, Tommi Sander und Pia Witte ab dem 02. April in Berlin einen auf 14 - 21 Tage befristeten Hungerstreik gegen Hartz IV unter dem Motto "Existenzielle Zumutungen mit existenziellen Protestformen beantworten" durchführen
(vgl. http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/hungerstreik3b.pdf pdf-Datei, alle folgenden Zitate aus dieser überarbeitenden Fassung). Nachdem ich diesen Aufruf gelesen habe, möchte ich dazu einige kritische Anmerkungen machen.

Selbstgefährdung oder Widerstand?

Was mir vor allem beim Lesen des Aufrufs auffällt, ist die Widersprüchlichkeit in der Begründung. Einerseits als "existenzieller Notschrei" gedacht, wird schwerpunktmäßig das Projekt "Hungerstreik" als Protestform zur Durchsetzung politischer Forderungen verstanden. Allerdings bleiben irgendwelche Erfolgsaussichten auch wiederum total vage. Soll es dabei um einen "Testfall der politisch-menschenrechtlichen Qualität der Bundesrepublik Deutschland" gehen, stellt sich mir hier die Frage, was mensch - nicht zuletzt auch wegen der Hartz-Hungergesetze - hier noch testen will? Was erwarten die Initiatoren des Aufrufs eigentlich noch von der herrschenden Politik? Die Zeit für Appelle an diese Gruppe asozialer und menschenverachtender Täter, ist doch hoffentlich langsam vorbei.

Den Initiatoren scheint nicht bewusst zu sein, dass gerade bei einem Aufruf zum Einsatz der eigenen Gesundheit, an die strategischen Voraussetzungen besonders hohe Anforderungen zu stellen sind. Zwar mahnt der Aufruf zur Vorsicht beim Einsatz dieser Protestform, verlangt, "dass auf keine Beteiligte und keinen Beteiligten Druck ausgeübt wird", dem steht jedoch eine Konzeption gegenüber, dem bereits das Entscheidende fehlt - Widerstand. Protest allein wird gegen die Strategie der politisch derzeit Herrschenden nichts ausrichten können, sei es in Gestalt größerer Demonstrationen, sei es in Gestalt von Hungern in aller Öffentlichkeit. Die Initiatoren des Aufrufs stellen zwar immer wieder die Behauptung auf, dass alle (anderen) Protestformen gegen Hartz ausgereizt seien, nur ist einerseits der öffentliche Protest gegen die Hartz-Hungerpolitik bisher noch sehr gering und vereinzelt, andererseits ist die Annahme, dass Protest allein die politisch Herrschenden zur Änderung ihre Politik bewegen könnte, eine sehr abstrakte und u.U. auch illusorische Annahme. Die gegenwärtige Situation in Deutschland erfordert eher aktiven Widerstand, statt neue Formen des Protestes.

Zweifellos blieb bei den jüngsten Streiks gegen eine Rente mit 67 das Drohpotenzial der Gewerkschaft eher "defensiv und symbolisch". Dieser Kritik der Initiatoren in ihrem Aufruf kann ich nur zustimmen. Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass ein Hungerstreik mit einem Streik innerhalb des Produktionsprozesses nicht zu vergleichen ist. Eine Weigerung nicht mehr zu arbeiten kann Druck auf die gegnerische Seite ausüben, ein Hungerstreik gegen die Verantwortlichen der Hartz-Hungerpolitik nicht. Boykottieren lässt sich hier höchstens die Nahrungsaufnahme.

Völlig korrekt sprechen die Initiatoren des Aufrufs bei ihrer Hungerstreik-Strategie nicht von Widerstand, sondern von einer "Protestform", von einem Hungerstreik als "extreme(s) Mittel der gewaltfreien Demonstration". Übersehen wird dabei jedoch eine der wichtigsten Formen gegen die Hungergesetze - Widerstand und nicht nur (legaler) Protest. Wie ohne aktiven Widerstand das Ziel erreicht werden soll, "die Große Koalition dazu zu bringen, fest zuzusagen keine realen Hartz IV-Senkungen zu verfügen", erscheint mir ziemlich stark von Glaubensgrundsätzen geprägt. Warum gegen "Zwangsumzüge und unerträgliche Schnüffelmaßnahmen" Protesthungern? Warum einfach mal nicht freiwillig aus der alten Wohnung ausziehen, warum die Schnüffler nicht ggf. auch mit vereinter Gewalt aus den eigenen Vierwände befördern oder einfach mal sich vom Nachbarn den Schäferhund zum Schutz gegen rechtwidrige Wohnungsobservationen ausleihen? Und wenn schon Streik, dann gemeinsam keine 1-Euro-Jobs (mehr) machen.

Großen Wert scheinen die Initiatoren auf den Aspekt der Gewaltfreiheit zu legen. Scheinbar mit Blick auf die gesuchte breite öffentliche Resonanz, möchte mensch möglichst "legal" erscheinen. Nur ist es wirklich legal Menschen für eine politische Zielsetzung zum Hungern aufzurufen?

Der Aufruf betont nachdrücklich die Freiwilligkeit. Doch wie "freiwillig" ist das Hungern gegen die Hungergesetze wirklich, wenn für die meisten Hartz IV-Abhängigen hungern gesetzlich verordnet und die eigene existenzielle Situation total bedrohlich ist? Nur einmal davon abgesehen - worauf beruht eigentlich bei den Initiatoren die Hoffnung, ein Hungerstreik könnte etwas auf der politischen Ebene durchsetzen?

Zwar kann u.U. ein vor der ARGE öffentlich Hungernder "Gnade vor Recht" erfahren, also erreichen, dass rechtswidrige Kürzungen zurückgenommen werden. Einfluss auf die Hartz-Politik gewinnt er damit sicher nicht. Das Problem besteht ja gerade darin, dass die verfassungsfeindliche Hartz-Gesetzgebung bisher weitgehend als verfassungskonform behandelt und betrachtet wird, was sich auch auf das Verständnis von "Legalität" bei den Hartz-Gegnern auswirken sollte.

Politische Änderungen, inkl. des Streichens der gesamten Hunger-Gesetze, wäre legal, aber - nach geltendem Recht - eben nicht durch Erpressung, da nach geltender Rechtsauffassung zwar politische Änderungen möglich sein müssen, aber die gesetzgebende Politik sich keinerlei Erpressung beugen muss. Wenn dem aber so ist, warum dann nicht gleich auf den Anspruch von "Legalität" bei der Verteidigung sozialer Grund- und Menschenrechte verzichten?

Da selbst die freiwillige Schädigung der eigenen Person bei uns verboten ist, ist für die herrschende Politik dafür ganz legal der Weg zu Zwangsernährung offen. Wer sich etwas mit den Zuständen in den sog. "Bezirkskrankenhäuser", im Volksmund "Klapsmühlen" genannt, auskennt, weiß wie schnell Menschen, mit der Gefahr von Selbstschädigung bei Widerstand "fixiert" (d.h. angeschnallt) werden - natürlich nur "zu ihrem eigenen Schutz". Im Übrigen proben die ARGEN ja bereits immer wieder, widerspenstige Hatz IV-Betroffene zwangsweise zum Psychologischen Dienst zu schicken. Die Richtung ist also bereits vorgegeben.

Es ist schade, dass scheinbar die Initiatoren zur Legalität der Hartz IV-Gesetze keine eindeutige Position haben. Schließlich hängt die Frage nach der Legalität eng mit der nach den berechtigten Formen des Widerstandes zusammen. Weil eine bestimmte, extrem reaktionäre Politik für die Mächtigen in der Wirtschaft bestimmte Gesetze bastelt, sind diese noch lange nicht legal. Die Propaganda für eine geänderte Form von Legalität, ist gerade eine Art Markenzeichen der gegenwärtig reaktionären, koalierenden Kräfte an der Regierung. Sie wollen damit sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik Erpressung, Mord, Folter und Rassismus gegen Ausländer salonfähig machen. Überwachung, Einsatz der Bundeswehr im Inneren (also gegen Streiks) bis hin zur Durchsetzung von Zwangsarbeit - mit all diesen verfassungsfeindlichen Maßnahmen wollen die derzeit Herrschenden Opposition verhindern und notfalls auch mit allen denkbaren Mitteln bekämpfen. Der derzeitige "Verfassungsschutz" ist nichts anderes als eine westdeutsche Ausgabe der sog. Staatssicherheit. Das erpresserische Aushungern von Arbeitslosen ist Ausdruck einer Art stiller "Ausrottungspolitik" im Unterschied zu offenen Diktaturen, im scheinbar "demokratischen" Gewand. Gibt es innerhalb des armen Teils der Bevölkerung nach unausgesprochener Ansicht der politisch Herrschenden sowieso zu viele Menschen, wird man Hartz IV-Betroffene sicher nicht an ihrer öffentlichen Selbstgefährdung mit Drohung der Selbstzerstörung hindern. Und wenn, dann zum Zwecke der völligen Entrechtung durch rechtliche Absprache der Fähigkeit selbst zu entscheiden, was für einem gut oder schlecht ist.

Bezüglich Legalität hoffen die Initiatoren ganz offensichtlich auf die öffentliche Meinung. Hunger-Gesetze können nicht legal sein. Sie werden aber genau so behandelt. Es käme deshalb gerade darauf an, diese weit verbreitete Vorstellung von "Legalität" durch Widerstandsaktionen in Frage zu stellen. Beim Naturschutz erscheint das Ignorieren von Legalität öffentlich breite Toleranz zu finden (z.B. gegen Genfelder). Warum funktioniert dies bei den Hartz-Gesetzen nicht? Nun ja, vielleicht wird hier einfach noch zu wenig probiert.

Zweifellos sind die von der Hartz-Hungerpolitik Betroffenen gegenwärtig ziemlich machtlos, ja, selbst von anderen linken politischen Gegenbewegungen oft allein gelassen. Zwangsläufig damit verbunden sind kaum vorhandene Formen solidarischer Unterstützung auch bezüglich ganz existenzieller Dinge wie Wohnraum oder Ernährung. Die regierungsamtliche "Eigenverantwortung" lässt sich auch so umdeuten, dass unbedingt eigene Arbeits- und Unterstützungsformen aufgebaut werden müssen. Hierbei geht es (noch) gar nicht primär um grundsätzlich neue alternative Arbeits- und Lebensformen zur herrschenden Zwangs- bzw. Lohnarbeit, sondern um die nackte Existenzsicherung, die nicht mehr von oben gewährleistet ist, sondern nur noch von unten erreicht und durch Solidarität unten gesichert werden kann.

So verständlich es auch sein mag, Hilfe nicht ohne weiteres anzunehmen (schließlich hat mensch ja seinen Stolz), so wenig zeitgemäß ist diese Bescheidenheit. Die Befürchtung der Initiatoren, dass ihre Hungeraktion sich dem Verdacht einer "mitleidserheischenden Moralkeule" aussetzten könnte, trifft gerade dann zu, wenn die Not nicht echt ist, sondern eher als politisches Kalkül benutzt wird. Hungern als Protestform für eine andere, soziale Politik in Deutschland, schadet so letztlich den Menschen, die gerade Hilfe benötigen. Gerade die entschiedenen Gegner der Hartz-Hungerpolitik sollten gegen und nicht mit der Not der Menschen Politik machen. Was gegenwärtig fehlt, ist keine abstruse Protestform, sondern - nochmals - gemeinsamer und mutiger Widerstand. Dazu brauchen wir all unsere Kräfte.


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