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Updated: 18.12.2012 15:51
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Leserbrief zum Artikel »Das war’s noch nicht...« von Günter Busch und Werner Sauerborn im express 7/2010

Obwohl ich nicht in Stuttgart dabei war, und schon gar nicht an irgendwelchen Vorbereitungen beteiligt, maße ich mir an, mich sehr kurz zu zwei der sieben Thesen der Autoren zu äußern; Thesen, die ich, ganz unabhängig von konkreten Fällen, eher befremdlich finde. Ich weiß nicht, wie weit sich die beiden Autoren zu welcher Strömung der politischen Linken zählen, schon gar nicht, welche Debatten sie früher einmal mit bestritten haben, und habe – wie wohl die meisten LeserInnen – nur eine vage Ahnung, was hinter den Verrenkungen steht, die aus der Dokumentation bisheriger Auseinandersetzungen um die Stuttgarter Demonstration vom 12. Juni 2010 im LabourNet Germany peinlich deutlich werden.

  1. Ich weiß aber sehr wohl, dass jemand, der die »Gewaltfrage« dermaßen undialektisch behandelt, mit der bloßen Stigmatisierung »Die Gewaltbereiten« – nämlich: ohne Vorgeschichte, ohne jene vielen Bestandteile, die vom Begriff ausgegrenzt werden, schließlich ohne Beachtung des gesellschaftlichen Umfeldes – dass, wer so Stellung bezieht, bereits im Ansatz der Politik des Bürgertums nicht widerstehen kann, selbst, wenn es gewollt sein sollte. Weil bereits akzeptiert ist, was zu kritisieren wäre... »Die Gewaltbereiten« – nach diesem Etikett muss nicht mehr diskutiert oder gar überlegt werden; jegliches mögliche Ergebnis ist bereits im Begriff aufgehoben und negativ bewertet; bleibt nur noch zu überlegen, ob der folgende Polizeieinsatz angemessen war oder überzogen – aber solche Abwägungen können Zeit-Redakteure besser anstellen als die beiden Autoren; jene machen es auch schon länger. Ich ging bisher davon aus, dass verschiedenste linke politische Strömungen gemeinsam haben, dass sie »Hartz IV« für eine Trennlinie zu reaktionären Positionen halten. Eben auch deshalb, weil diese Art Verfolgung Demütigung bedeutet und Zwang. Irrtum meinerseits, es scheint diese Trennlinie, die ja einzig sowohl die Vorgeschichte als auch die gesellschaftlichen Bedingungen solcher Auseinandersetzungen genauer definieren könnte, nicht zu geben. Dementsprechend auch nicht: die Frage, ob denn Politiker, die Hartz IV verantworten, gewaltbereit sind... Zwar gehe ich davon aus, dass auch die beiden Autoren wissen, dass es genügend Situationen gibt, in denen auch der Gewerkschaftsbewegung Gewaltbereitschaft vorgeworfen wird – vom französischen Arbeitersport Bossnapping bis zu pakistanischen Spaziergängen zum Haus des Chefs – aber es geht ja auch nicht um Wissen, sondern um Wollen. Und sie wollen eben offensichtlich einem Lager zugehören – jenem nämlich, das zu klären hat, ob Polizeieinsatz oder wiederbelebter wehrhafter Ordnerdienst die Lösung gegen die Gewaltbereiten sind, über die dann noch einige dunkle Mutmaßungen geäußert werden. Man muß kein Freund autonomer Selbstreferentialität sein, um sich zu weigern, diese Gedankenwelt zu teilen.
  2. Die zweite These, zu der ich mich äußern möchte und die eng mit der ersten in Zusammenhang steht: Es gehe darum, die Parteien zu einem Transmissionsriemen der Gewerkschaftsbewegung zu machen; dies ist nur als Behauptung eine kühne – als politische Aussage erweist sie sich eher als erfahrungsresistente Traditionslinie. Diejenige der Autoren pflegt in etwas wie den Blair/Schröder-Papieren zu enden, oder eben neben den Hartzprotagonisten auf dem Podium. Gescheitert, wie so viele andere linke Ansätze, radikale und gemäßigte; aufrechterhalten von einem nicht nur selbstauferlegten Denkverbot über mögliche Neuansätze. Wer einen Teil des Protestes definierend ausgrenzt, ist konsequenterweise in Gefahr, im anderen Teil aufzugehen – bösartig auch Anbiederung genannt. Es gäbe ja – zumindest doch wohl theoretisch denkbar – die Alternative, politische Formationen durch Druck zur Änderung zu zwingen, diese Möglichkeit aber haben sich die Autoren durch ihre grundsätzliche Zustimmung zu Ausgrenzungen längst selbst verbaut. Was da aufscheint, sind die Grenzen einer politischen Linken, wie sie vom DGB gesetzt werden. Ein DGB, der ja nun an der Entwicklung von Hartz IV nicht unbeteiligt war... Wie die Kollegen selbst schreiben: Das war es wirklich noch nicht. Ein Beitrag zu Perspektiven von Bündnissen jedenfalls müsste weitaus offeneres Denken zeigen, was die Behandlung von Widersprüchen betrifft.

Helmut Weiss, Dortmund, 7. August 2010

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 9/10. express im Netz unter: www.express-afp.info , www.labournet.de/express


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