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Updated: 18.12.2012 15:51
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Ein Beitrag für eine kritische Auswertung des Telekom - Streiks

Bewertung eines Telekom-Kollegen vom September 2007

Der Streik bei der Telekom, der im April 2007 mit Warnstreiks begann und dann von Mai bis Juni andauerte war zunächst trotz aller schlechter Vorzeichen ein durchaus positives Ereignis. Man müsste den Aufsichtsratsvorsitzenden René Obermann schon fast dafür loben, dass er die ArbeiterInnen und Angestellten zum ersten Mal in einen flächendeckenden Streik getrieben hat.

Indessen war die erklärte Absicht des Aufsichtsrates, die zu dem Streik geführt hatte, ca. 50.000 langjährige Telekom - Beschäftigte - einschließlich Beamte - mit verlängerter Arbeitszeit und deutlich schlechterer Bezahlung - in eine Billiglohn - GmbH auszugliedern.

Unter schlechten Vorzeichen hatte der erste flächendeckende Streik in dem ehemaligen Staatsbetrieb begonnen: Die jetzt streikführende Gewerkschaft ver.di hatte in der Vergangenheit bereits wesentliche Weichenstellungen, die zu der derzeitigen Situation - vor allem starker Konkurrenzdruck durch private Billig-Netzanbieter - geführt hatten, nämlich im wesentlichen die Privatisierung des staatlichen Betriebes zur AG, arbeitskampflos hingenommen und lediglich ,kritisch begleitet'.

So war für ver.di auch diesmal von Anfang klar: Es ging in dem Streik nicht prinzipiell gegen die Auslagerung - diese wird vom Gewerkschaftsrat grundsätzlich (ebenso wie das Recht auf private Verfügungsgewalt über Produktionsmittel) als legitim angesehen -, es ging von vornherein nicht um das Ob, sondern nur um das Wie. Nicht nur dadurch, sondern auch durch die Wahl des Zeitpunktes - bereits unter Helmut Ricke, spätestens im Oktober des vorausgegangenen Jahres war klar, was der Aufsichtsrat vorhat - waren die Beschäftigten in der Defensive, die der schlechteste Ausgangspunkt für einen Streik, für einen Sieg in einem Arbeitskampf ist.

Das schlechte Tarif-Ergebnis wurde zum Ende des Streiks schöngeredet - darüber wurde viel berichtet. Mir geht es aber um eine Auswertung der Aktionen und des Kampfes, um für absehbare weitere Kämpfe daraus zu lernen.

Aufgaben

Aber auch der Verlauf des Streiks zeigte viele Schwächen: Abgesehen davon, dass die Belegschaft zwar groß, aber völlig streikunerfahren war, war der Streik vor allem deshalb im Wirkungsgrad gemindert:

  • Ein hoher Anteil an Beamten unter den Betroffenen haben sich wegen eines angeblichen Streikverbots für Beamte nicht an dem Streik direkt beteiligt, dennoch konnten die bewußteren unter Ihnen durch "Dienst nach Vorschrift" den Streik indirekt unterstützen.
  • Der bereits hohe Anteil an Subunternehmern der Telekom, deren Beschäftigte sich nicht an dem Streik beteiligten, erlaubte der Telekom, den Service teilweise aufrechtzuerhalten. Diese Beschäftigten müssen zukünftig frühzeitig auf einen Streik eingestimmt werden.
  • Der hohe Automatisierungsgrad vor allem im Netz - Infastrukturbereich verhinderte, dass die Telekomunikation selbst flächendeckend zum Stillstand gebracht werden konnte im Sinne von "alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will". (Der "Arm" hätte hier nicht durch Unterlassung, sondern nur durch Aktion, durch ,Stillegen' zum Stillstand führen können). So machten sich die Streikfolgen nur für mehr oder weniger einzelne Kunden durch Verzögerungen bei der Beseitigung von Störungen und Einrichtungsaufträgen bemerkbar.
  • Die Vielzahl selbst großer Netzknoten war für die relativ geringe Zahl aktiv am Streik Beteiligter schwer zu blockieren, d.h. gegen Streikbrecher abzuriegeln. Hierzu wäre - wie z.B. bei Gate Gourmet eine größere Zahl externer Unterstützer hilfreich gewesen. Dies wurde aber auch von den Streikenden nicht wirklich wirkungsvoll organisiert.
  • Bei notwendigen Blockadeaktionen müssten dabei vor allem diejenigen Netzknoten im Vordergrund stehen, die Orten hoher Dichte von - oder große Geschäftskunden (Industrie- und Gewerbegebiete und -zentren) anbinden. Der Streik richtete sich nicht gegen die Kunden, schon gar nicht gegen Millionen kleiner Kunden, die Geschäftskunden müssen allein deshalb im Vordergrund stehen, weil dort Streikfolgen wesentlich mehr Wirkung zeigen als bei einzelnen Privatanschlüssen.

Nur lasche Aktionen gegen Streikbrecher - aber gepaart mit antisemitischer "Judasgeld" - Kampagne

Als die Telekom im Mai, um den streikbedingten Arbeitsausfall zu vermindern 300 Euro Streikbrechergeld für besonderen Arbeitseinsatz während des Streiks anbot - nicht zuletzt, um auch einen Teil der Streikenden zum Streikbruch zu ködern -, setzte Ver.di-Baden Württemberg dem lediglich eine Flyer-Kampagne mit antisemitischem Zungenschlag entgegen. Der besagte Flyer stellte die vergrößerte Kopie eines 300 Euro-Scheines dar, auf dem der Aufdruck "'Judasgeld' return to sender" platziert ist. Er enthielt kein ver.di - Logo und keine weitere textliche Erläuterung und wurde in der Öffentlichkeit auf Ver.di Streik-Demonstrationen in Offenburg, Karlsruhe, Ravensburg und Ulm in der Öffentlichkeit zur Schau getragen (z.B. auf ver.di-Fahnen befestigt und an Demo- Spruchbändern und Schildern befestigt)und verteilt, so zum Beispiel mit oder ohne ver.di Streikinfos unter die Scheibenwischer parkender Autos geklemmt.

Von vielen Streikteilnehmern wurde der Flyer zunächst aus Gedankenlosigkeit kritiklos von Funktionären zum Verteilen angenommen. Erst auf den antisemitischen Zungenschlag des Machwerks angesprochen erkannten etliche den Fehler und unterließen dessen Verbreitung. Andere reagierten überhaupt nicht oder verteidigten die Verteilung des Flyers, weil der "gut gehe". Erschreckend war auch die Haltung der meisten Funktionäre, die - darauf angesprochen, den antisemitischen Charakter des Flyers entweder - mit Verweis auf die Bibel - bestritten, oder bestenfalls als Streitfrage abtaten.

Auf einen ersten brieflichen Protest der Sprachwissenschaftlerin Dr. Heidrun Kaemper pdf-Datei vom Institut für Sprachforschung in Mannheim wurde von dem verantwortlichen Funktionär Karl-Heinz Wahl überhaupt nicht reagiert, ein späterer offener Brief der Soziologin Beatrice Morgenthaler pdf-Datei von der "Arbeitsgruppe ,Rechtsextremismus' in ver.di Berlin Brandenburg" beim Pressesprecher von Ver.di Baden Württemberg hatten lediglich eine laue Distanzierung und später wohl die Zurückziehung einer Presseinformation vom 22.5.2007 zur Folge, in der die "Judasgeld" - kampagne vorgestellt worden war.

Aktionen, die den Beifall von Nazis erhalten, sind entsolidarisierend und bringen die Arbeiterbewegung in gefährliche Bahnen

Fakt ist wohl, dass dieser antisemitische Flyer ebenso von Nazis stammen könnte bzw. Nazis ihn wohl liebend gern innerhalb einer ver.di - Demonstration verteilen würden. Solche Machwerke haben in gewerkschaftlichen Kämpfen nichts verloren und müssen auf die Abscheu und den Widerstand jedes antirassistischen Gewerkschafters stoßen. Gezeigt hat diese Episode eine abgrundtiefe Unwissenheit, fehlende Sensibilität bis Borniertheit vor allem bei den beteiligten ver.di Funktionären, die diesen weitgehend erfolglosen Streik geführt haben.

Im Kern geht es bei der ganzen Sache um die Frage des richtigen Kampfes gegen Streikbrecher ohne in antisemitische Klischees oder Rassismus z.B. gegen Leiharbeiter zu verfallen. Notwendig ist eine Auswertung aller Erfahrungen im Kampf gegen Streikbrecher im nationalen und internationalen Umfang, um daraus zu lernen.


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