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Updated: 18.12.2012 15:51 |
"Ein kräftiger Schluck aus der Pulle" - diesmal für die Geschäftsleitung und die ATs Bericht aus Hamburg von Kolonne,28.11.2005 Der neue Geschäftsführer von Philips Semiconductors Hamburg, Kuckhermann, und die IGM Berufsreformerin Jutta Blankau (SPD) haben sich geeinigt. Monatelanges Gezerre und am Schluss einigt man sich nach guter alter Tradition "per Handschlag" auf die Hälfte dessen, was ursprünglich gefordert wurde. Der "soziale Konsens" ist jedenfalls nach außen wieder hergestellt. Ist da wirklich jemand überrascht? War das nicht immer so? Der Unterschied zu früher: Ab jetzt fordert nicht mehr die Gewerkschaft, sondern das Kapital. "Die Arbeitskosten müssen sinken" - mit dieser Forderung zieht das Kapital überall in die Schlacht. 25% war die Ursprungsforderung bei Philips und 12% sind das Ergebnis, welches die IGM Chefin Blankau der Presse in typischer SPD Manier, als "kleineres Übel", welches "das Schlimmste verhindert hat" , zu verkaufen versucht. Die Schlacht ist geschlagen, die Gewerkschaften sind gebrochen. Was fehlt ist die Kapitulationsurkunde. Denn was "DIE WELT" dank Frau Blankau schon weiß - die "Einigung" und "Empfehlung" der Annahme durch die IGM-Küste sind beschlossene Sache. Allerdings wissen die Mitglieder der Tarifkommission und die IGM-Mitglieder bei Philips davon noch nichts. In der Öffentlichkeit und in der Belegschaft redet man schon über "Einigung" und gibt indirekt über Tarifinfos und direkt in den Medien eine Empfehlung ab, dem "Kompromiss" zuzustimmen, obwohl der Tarifkommission die endgültige Fassung bis heute (28.11.) nicht vorliegt und über eine Empfehlung noch niemals abgestimmt worden ist. Selbst darüber, worüber man nach 15-stündiger Verhandlung am Samstag früh (19.11.) um 00.30 Uhr überhaupt abgestimmt hat, bestehen innerhalb der Tarifkommission Unstimmigkeiten. Die Mehrheit ist sich jedenfalls darüber einig, dass man sich bis heute nicht auf einen Tarifvertrag geeinigt hat. Kann man auch gar nicht, denn nach dem "Handschlag" am 19.11. wurde der Entwurf durch die Geschäftsleitung "redaktionell bearbeitet", mit anderen Worten es wurde noch ein wenig nachgelegt. In einem Schreiben vom 23.11. an die Vertrauensleute heißt es: " Der Tarifvertragstext ist im Moment noch in der redaktionellen Abstimmung zwischen Tarifkommission und GL. Es gab hier auch einseitige Änderungen der GL, die geklärt werden müssen." Darüber wurde am Freitag (25.11.) weiter verhandelt. In der letzten Tarifinfo vom 25.11. heißt es dazu: "H eute haben beide Seiten über die Fassung des endgültigen Tarifvertragstextes beraten. Es gab eine Reihe von Meinungsverschiedenheiten, über die heute keine Einigung erzielt werden konnte. Es wurde verabredet, das Gespräch mit beiden Verhandlungskommissionen unter Beteiligung von Herrn Kuckhermann und Frau Jutta Blankau fortzusetzen mit dem Ziel, eine Lösung zu finden. Das Gespräch findet am kommenden Freitag, den 2.12.2005, 15.30 Uhr statt." Was aber auch das letzte Mitglied der IGM inzwischen begriffen haben dürfte - unsere Meinung ist nicht (mehr) gefragt! Gewerkschaftsinterne Demokratie funktioniert nur solange, wie es den Bürokraten an der Spitze in den Kram passt. Solange dieser Konflikt währte, befand sich die IGM in der Defensive. Die Funktionäre versteckten sich hinter den Mitgliedern und liefen mit, anstatt zu führen. Oft hörten wir von ihnen den Satz: "Die IGM seid ihr - Euer Wille geschehe". Und über ein Jahr lang sah es tatsächlich so aus. Ein Führungswechsel in der GL (der Böblinger Chef Kuckhermann übernahm das Ruder) und der "engagierte Einsatz" der IG-Metall-Chefin J. Blankau, brachte "endlich" neuen Schwung in die festgefahrenen Verhandlungen. Kuckhermann, der sich ja auch mit IGM-Vietze Huber in Böblingen schnell einig wurde, drängte auf "Vier-Augen-Gespräche" und mit einem ("goldenen"?) Handschlag wurde man sich dann tatsächlich schnell einig. Gerade noch rechtzeitig, bevor das Arbeitsgericht ein Urteil in einem der ca. 100 anhängigen Klagen gegen die Streichung der Schichtzulagen sprechen konnte. Und weil sich Tarifkommission und die Mitglieder anders verhielten als erwünscht und bereit waren, länger zu kämpfen und durchzuhalten als man von ihnen erwartet hatte, begann die "Führung" zu führen, und führen hießt seitdem "Bremsen" und zurück rudern. Alle Prinzipien und Grundsätze wurden über den Haufen geworfen, der Wille der Mitglieder (Votum der Mitgliederversammlungen) und die Beschlüsse der Tarifkommission unterlaufen und ignoriert - man spaltet und schafft einfach Tatsachen. Die Mehrheit der Tarifkommissionsmitglieder ist sich darüber einig, dass das "Verhandlungsergebnis" vom 19.11. die letzte Möglichkeit einer einvernehmlichen Einigung darstellt. Andernfalls wären die Verhandlungen endgültig gescheitert. Da die meisten Mitglieder der Tarifkommission aber nicht die Verantwortung für ein Scheitern der Verhandlungen übernehmen wollen, akzeptierten sie das Verhandlungsergebnis und wollen die Entscheidung über eine Annahme den Mitgliedern überlassen. Die meisten Mitglieder der Tarifkommission lehnen das "Ergebnis" persönlich ab. Daher wird es keine Empfehlung der Tarifkommission an die Mitglieder geben. Die wirtschaftliche Situation bei Philips Semiconductors in Hamburg ist im Moment hervorragend. Der Betrieb ist voll ausgelastet und arbeitet profitabel. Vor nicht langer Zeit hätte man in so einer Situation eine Erfolgsbeteiligung gefordert und bekommen. Nach den Plänen von Jutta Blankau bekommen nun aber nur etwa 500 ATs (außertarifliche Angestellte), Spitzenverdiener mit Durchschnittsgehältern von ca. 6250 Euro pro Monat, am Jahresende einen Extrabonus, während man dem Rest der Belegschaft das Weihnachtsgeld auf Dauer kürzt. Der Weitsicht und Skrupellosigkeit unserer Geschäftsleitung und den naiven und/oder korrupten "üblichen Verdächtigen" des Betriebsrates haben wir es zu verdanken, dass wir durch die Kündigung unserer Zulagen erpressbar geworden sind. Viele unserer Kollegen befinden sich in großen finanziellen Schwierigkeiten. Aber ist der von Frau Blankau vorgeschlagene "Kompromiss" wirklich eine Lösung und ein Ausweg? Wenn die Gewerkschaft ehrlich und offensiv argumentieren würde müsste sie den Beschäftigten erklären (vorrechnen), dass ein Scheitern der Tarifverhandlungen aus rein materiellen Gründen günstiger für sie wäre, als ein Abschluss. Ein Scheitern erspart den Tarifangestellten einen Verlust von 12 % und sie behalten ihr Weihnachtsgeld in voller Höhe. Für die 3-Schicht bedeutet ein Scheitern der Verhandlungen ebenfalls, das sie anstatt 12% zu verlieren, den Verlust ihrer Schichtzulagen im nächsten Jahr durch bezahlte Mehrarbeit (incl. Zuschlägen), Erschwerniszulage, pünktliche Lohnerhöhungen, volles Weihnachtsgeld und ERA Komponenten usw. ausgleichen. Auf die Wochenendschicht trifft das gleiche wie für die 3-Schicht zu. Durch die Besonderheiten ihrer Arbeitsverträge haben sie aber eine noch größere Chance, die Individualklagen zu gewinnen und so den höheren Verlust wieder auszugleichen. Aber selbst wenn der unwahrscheinliche Fall eintritt und sie die Klagen verlieren, ist ein Verlust von 7% und die Möglichkeit freiwilliger bezahlter Mehrarbeit immer noch besser, als ein freiwilliges und sinnloses Opfer von 12%. Seit über einem Jahr sind ca. 100 Einzelklagen beim Arbeitsgericht in Hamburg gegen die Streichung der Schichtzulagen anhängig. Weiterhin gibt es eine Klage des Betriebsrates und eine Klage der IG Metall auf Zahlung einer 6% Erschwerniszulage. In wenigen Tagen war mit ersten Entscheidungen zu rechnen. Diese Verfahren werden durch den "Kompromiss" nun durch die IGM-Führung sabotiert. Die Klagen werden mit einer Einigung entweder hinfällig, oder die Einigung würde die Erfolgsaussichten der Klagen erheblich verschlechtern. Bisher argumentierte die Gewerkschaft immer damit, dass eine allgemeine Erhöhung der Arbeitszeit zu einer Gefährdung von Arbeitsplätzen führen würde. Dafür gibt es auch genügend Beispiele. Mit der dauerhaften Erhöhung der Arbeitszeit auf über 38 Wochenstunden will man laut Blankau nun "Schlimmeres verhindern" . Und dass in Zeiten der Vollauslastung und von Maximalprofiten. Wenn es mit Hilfe der Gewerkschaft nun gelingt, in Boomzeiten die Beschäftigten verstärkt auszuplündern, dann ist es um die Zukunft der Firma, der Gewerkschaft und der Beschäftigten nicht gut bestellt. Spätestens im nächsten Abschwung wird man uns die eigentliche Rechnung für unsere heutige Kompromissbereitschaft präsentieren. Denn es ist fast jedem hier klar, dass man durch das Zugeständnis von unbezahlter Mehrarbeit ein Tabu bricht, was mit Sicherheit in Zukunft weitere unverschämte Forderungen nach sich ziehen wird. Der Wettlauf um die schlechtesten Arbeitsbedingungen ginge damit in die nächst Runde. Der sich abzeichnende "Kompromiss", wahrscheinlich schon vor Wochen ausgehandelt, muss aber noch demokratisch verkauft werden. Das erweist sich, wahrscheinlich sehr zum Ärger einiger Berufsfunktionäre, als viel schwieriger als erwartet. Daher inszenieren Geschäftsleitung und IGM-Führung im Moment ein Kasperle- oder Schmierentheater, dass möglicherweise in die Tarifgeschichte eingehen wird. Die Chefin der IGM-Küste, Jutta Blankau, erklärte bereits öffentlich, dass "alles in trockenen Tüchern" ist. "Die IG Metall Küste empfiehlt die Annahme des Ergebnisses" und die "IGM Küste" ist Jutta Blankau. Wie in Böblingen soll hier ein fauler Kompromiss gegen den Willen der Mitglieder von oben nach unten durchgedrückt werden. Die Tarifkommission von Philips wird nach meiner Überzeugung diese Empfehlung nicht geben. In der Presse wird jedenfalls schon der Eindruck erweckt, dass der Konflikt beigelegt ist. Aber was machen wir mit der undisziplinierten Tarifkommission die nicht folgen will? Da kommen dann die Geschäftsleitung von Philips und "die üblichen Verdächtigen" des Betriebsrates der armen Jutta zu Hilfe und veranstalten sogenannte Townmeetings in den Abteilungen, um die Belegschaft zu überzeugen, welchen Vorteil Einbringschichten (unbezahlte Mehrarbeit) und Kürzung des Weihnachtsgeldes den Beschäftigten bringen werden. Da wird dann mit Hilfe des BRs und einiger Gewerkschafter erstmal Panik gemacht mit der " Androhung negativer Folgen für Standort und Arbeitsplätze im Falle eines Scheiterns" und im Falle eines Scheiterns " weiterer "Stress" für die Beschäftigten " in Aussicht gestellt. Aber Gott sei`s gedankt haben wir mit Hilfe der "Vernünftigen" in der IGM "Schlimmstes" verhindert. Die Aufführung ist an "Dramatik" kaum zu überbieten und am Ende sind alle erleichtert (glauben und hoffen die Profi-Strippenzieher im Hintergrund), dass es nicht noch Schlimmer gekommen ist. Aber es gibt immer noch einen gar nicht so kleinen aktiven, unbestechlichen harten Kern von Kollegen, die in der Lage sind ihre Interessen zu erkennen und Widerstand zu organisieren. Diese Kollegen, die nach gründlicher Abwägung von der Richtigkeit ihrer Meinung sehr überzeugt sind, und sie deshalb auch vertreten, auch wenn viele etwas anderes meinen, finden es zum Totlachen, wenn man einen Wolf zum Schaf sagen hört: "Laß uns zusammen etwas unternehmen" - während er es verschlingt. Machen wir uns nichts vor, DGB-Gewerkschaften sind ihrer Geschichte und Struktur nach immer nur Defensivorganisationen gewesen. Arbeitskämpfe waren immer dazu da, die Ausbeutung zu kontrollieren, bestenfalls einzudämmen, nicht, sie abzuschaffen. Und selbst das, können sie nicht mehr leisten. Nun liefert man sich nur noch Schein- und Rückzugsgefechte! Meine Kritik gilt jenen Intellektuellen innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften, die den Fleiß und das Wissen hätten aufbringen können, zumindest theoretisch den Kampf gegen Lohndumping, Hartz und Agenda2010 in Klassenkampf zu transformieren, die den Gewerkschaften die Gebrauchsanweisung hätten erarbeiten können, wie man aus der Defensive hätte herauskommen können. Stattdessen haben sie den Gewerkschaften nur die Juristerei bei der Sache erarbeitet. Die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft sind das Ziel. Der Kampf gegen Lohndumping ist ein Mittel unter anderen, dieses Ziel zu erreichen, d.h. die Diktatoren in Wirtschaft und Gesellschaft zu entmachten. Das schafft man aber nicht, wenn man sich nur gegen den Wechsel von der großen in die kleine Gefängniszelle wehrt und darüber vergisst, den Ausbruch vorzubereiten. Von einigen Kollegen hörte ich die Aussage: "Damit kann ich leben." Wenn dieser Satz zukünftig zur Grundlage der Entscheidung der IGM Mitglieder wird, dann sehe ich eine schlimme Zukunft auf uns zukommen. Es gibt in Deutschland heutzutage Menschen, die können von 1 Euro oder 3,5 Euro Stundenlohn leben. Es gibt auch tausende Menschen in Deutschland, die können ohne festen Wohnsitz leben. Wenn man will kann man sich an (fast) alles gewöhnen und damit leben. Die Frage, die man als Gewerkschafter stellen muss ist doch nicht, ob man mit den Zumutungen leben kann, sondern wie man in Zukunft leben will . Wenn es also in Zukunft die Aufgabe der Gewerkschaft sein soll, herauszufinden welche Zumutungen für den einzelnen noch tragbar sind, wenn es nur noch darum geht die Schmerzgrenze (die bei jedem unterschiedlich ist) der Mitglieder herauszufinden um den Standort und die Arbeitsplätze "zu retten", werden am Ende nur noch Masochisten gewerkschaftlich "organisiert" sein. Das Grundgesetz der BRD besagt im Abs. 1, Artikel 1: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Diese Aussage wird wie folgt fortgesetzt: "Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Die Forderung der GL nach unbezahlter Mehrarbeit betrachte ich als einen Angriff auf meine Würde. Denn die Würde von Menschen wird immer dort angetastet, wo andere meinen, uns »verfügbar« machen zu können. P.S.: In der Tarifinfo vom 21.11.2005 der IGM heißt es zur Bewertung des "Verhandlungsergebnisses": "Der Tarifkonflikt stand unter dem Druck der Streichung der Schichtzulagen und der Androhung negativer Folgen für Standort und Arbeitsplätze im Falle eines Scheiterns. " " Wir hoffen , trotz vieler Zugeständnisse einen den Umständen entsprechenden [u] Kompromiss gefunden zu haben. " "Aber die Alternative wäre gewesen: kein Tarifabschluss = weitere Streichung der Schichtzulagen (mit unsicheren Aussichten, diese per Gericht zurück zu holen) / weitere Drohungen der GL und des Konzerns bzgl. Arbeitsplätze und Standort / dadurch weiterer "Stress" für die Beschäftigten." Falls sich IG-Metall-Bezirksleiterin Jutta Blankau mit ihrer Kompromisslinie durchsetzt beantrage ich folgende Satzungsänderung der IGM : # Vorschlag für eine Satzungsänderung Streichung des § 2 Abs. 2 Aufgaben der IG Metall sind insbesondere: 2. Erzielung günstiger Lohn-, Gehalts- und Arbeitsbedingungen durch den Abschluß von Tarifverträgen; . Dafür bitte folgende Punkte aufnehmen: Die IGM ist sich ihrer Verantwortung als Sozialpartner der Arbeitgeber bewusst. Daher strebt die IGM angesichts der wachsenden weltweiten Konkurrenz (Globalisierung) eine Sicherung des Standortes durch nachhaltige Maßnahmen der Lohnkostenreduzierung, kontinuierliche Erhöhung der Arbeitszeit- und Kostenflexibilität an. Im Interesse der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit wollen wir mit betrieblichen Bündnissen und Zusatztarifverträgen einen Beitrag leisten, um vorhandene Arbeitsplätze zu retten. Daher ist es die Aufgabe der IGM dem Management von Unternehmen bei der Erzielung von mindestens zweistelligen Kapitalrenditen und von international üblichen Managergehältern behilflich zu sein. Um zukünftigen Stress bei unseren Mitgliedern zu vermeiden, der ihnen durch die Androhung negativer Folgen für Standort und Arbeitsplätze durch die Arbeitgeber entstehen kann, ist es unser höchstes Ziel, jederzeit realistisch und kompromissbereit Schlimmstes zu verhindern. Im Interesse der Wahrung des sozialen Friedens erklären wir in Zukunft daher den freiwilligen Verzicht auf alle Arbeitskampfmaßnahmen.
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