letzte Änderung am 11. Sept. 2003

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So lean, bis nichts mehr geht

IT-Berater als Standardisierungswaffen – ein Gespräch mit Ingo Ochs – Teil II*

Die Vernetzung von Produktionsabläufen auf internationalem Niveau führt zu einem Ende des Taylorismus und zu mehr Autonomie der Beschäftigten, dieses Credo politisch aufgeladener Debatten um die software-gestützte Erfassung und Kontrolle von Produktionsabläufen bildete den Hintergrund für das Gespräch mit Ingo Ochs, einem IT-Berater bei Plug & Play[1], einem großen Dienstleister der Unternehmensberatungsbranche. In Teil I fragten wir nach den strukturellen Veränderungen in der Beraterbranche selbst im Gefolge der Internationalisierung des Konzerns und der Krise der New Economy als Branche.

 

Könntest Du noch mal beschreiben, was in einem Unternehmen passiert, wenn SAP eingeführt wird und welche Zielsetzung dabei verlangt ist? Treten Unternehmen eher an Euch heran aus einer Situation der relativen ökonomischen Stärke heraus oder weil ihnen Rationalisierung als ultima ratio erscheint?

Ingo Ochs: Wenn ein Unternehmen darniederliegt, tritt es nicht an uns heran, dann hat es nämlich gar kein Geld, uns zu bezahlen. Man ist da zwar inzwischen auf unserer Seite relativ kreativ in Bezug auf Finanzierungsmodelle geworden, aber neben Handlungsdruck muss immer auch Geld vorhanden sein. Jeder, der einen Berater beauftragt, verspricht sich natürlich davon im weitesten Sinne so etwas wie Rationalisierung. Die unmittelbare Motivation unserer Auftraggeber muss aber nicht das Head-Counting, die Einsparung von x Mitarbeitern sein.

Sie treten also nicht an Euch heran mit der klaren Zielvorgabe: Wir wollen eine Rendite von x Prozent bei y Prozent Personalkosteneinsparung erreichen, wie kriegen wir das hin?

Ingo Ochs: Nein, das ist nicht der Fall, sondern die Zielsetzungen sind vorrangig in der Vereinheitlichung und Integration der betrieblichen Abläufe zu sehen, die dann natürlich mittelbar zu Rationalisierungen führen können. Dass das im Sinne einer Vorgabe an uns herangetragen würde oder gar entsprechende Rechnungen aufgestellt werden müssten, ist nicht der Fall. Im Gegenteil, die Zielsetzung ist eher, über die Software-Integration die Vereinheitlichung von Geschäftsprozessen zu erreichen. Bestätigt wird das durch die Kriterien für die Auswahl eines Beraters. Die teilweise erheblichen Kosten sind nicht immer entscheidend. Man erlebt durchaus Fälle, wo Unternehmen nicht den billigsten nehmen, sondern denjenigen, von dem sie sich aufgrund seiner Erfahrung versprechen, dass er ihre Prozesse in Ordnung bringt und die Software passend dazu einführt.

Controlling – die firmeninterne Durchsetzung von Marktbeziehungen

Du hast gesagt: Im Zuge der Krise gehen die Unternehmen immer mehr dazu über, sich keine individuellen Lösungen mehr anfertigen zu lassen oder gar selbst anzufertigen, sondern sie greifen auf standardisierte Software zurück. D.h. unter Umständen, dass man seine Unternehmensabläufe zum Teil dieser Software anpassen muss.

Ingo Ochs: Ja, das ist erklärtes Programm. Die heute durchgängig betriebene Einführung von Standardsoftware wird immer auch von der Intention getragen, Unternehmensabläufe zu vereinheitlichen. Lasst uns dazu über SAP reden, andere ERP-Systeme[2] basieren auf den gleichen Strukturen. Wenn ein Unternehmen heute SAP einführen will, dann ist es in seinen Geschäftsprozessen, die es dann damit abwickelt, an die Software gebunden. Auch dabei hat sich in den letzten Jahren ein Standardisierungsprozess vollzogen. Früher hat SAP, das ja historisch aus dem Rechnungswesen gewachsen ist, nur relativ unspezifische Unterstützung für Produktionsprozesse geboten. Deshalb waren viele Unternehmen gezwungen, die Standardfunktionen von SAP um branchenspezifische Eigenentwicklungen anzureichern – dazu bringt SAP eine Program-mier-Umgebung mit, mit der sich im Prinzip alle individuellen Erweiterungen bauen lassen. Heute hat SAP zahlreiche branchenspezifische Standardlösungen nachgerüstet. Die einsetzenden Unternehmen versuchen auf dieser Grundlage, möglichst vollständig auf individuelle Modifikationen oder Erweiterungen der SAP-Funktionalität zu verzichten, um die Kosten zu senken. Im Rahmen globalisierter Produktion stellt SAP so einen Katalysator zur weltweiten Vereinheitlichung von Unternehmensstrukturen dar.

Wirkt sich die Einführung dieser Technologie dann nicht doch aus auf die Zielsetzung im Unternehmen? Es gibt vielleicht eine zunächst eher unbestimmte Vorstellung, dass rationalisiert werden könnte in bestimmten Bereichen, und über die Einführung dieser Technologie entwickeln sich dann konkretere Vorstellungen davon, was rationalisiert werden soll. Ist hier ein Verselbständigungsprozess angelegt?

Ingo Ochs: Ja, klar. Oder von der anderen Seite betrachtet: Die Einführung der Software ermöglicht in gewisser Weise auch erst, bestimmte Rationalisierungsstrategien zu entwickeln. Das Ziel der Einführung von SAP besteht häufig nicht darin, die Abwicklung der Produktionsabläufe anders zu gestalten, sondern über dadurch bereit gestellte Controlling-Funktionen eine direktere Unternehmungssteuerung erst einmal zu ermöglichen, weil die Unternehmen de facto bisher nur eingeschränkt in der Lage waren, ein durchgängiges Controlling überhaupt zu handhaben. Die wahren Nutznießer der SAP-Einführungen sitzen in den Controlling-Abteilungen und beim nutzenden Management. In ihrer Studie über »Partizipation als Managementstrategie« weisen Hermann Kocyba und Uwe Vormbusch zurecht darauf hin, dass die Controlling-Funktionen von maßgeblicher Bedeutung bei der Einführung von solchen Systemen sind und dass diesen in der sozialwissenschaftlichen Debatte zu Unrecht eine eher unbedeutende Rolle zugewiesen wurde. Aus meiner Sicht sind die beiden aber ein Stück zu sehr befangen in einem dichotomischen Modell von Taylorismus und Partizipationsstrategien, wenn sie dort z.B. beklagen: »Während diese Produktionsstrategien Ende der achtziger Jahre radikal auf lean production, just in time und computer integrated manufacturing ausrichteten, bleibt das betriebliche Controlling weiterhin an den zentralen Parametern der tayloristisch-fordistischen Produktionsweise orientiert.«[3]

Kocybas/Vormbuschs Vorstellungen eines nicht-tayloristischen Controlling dagegen erscheinen mir faktisch zu aufgeblasen und in ihrer konzeptionellen Einbettung eher verdunkelnd. So reden sie davon, dass die Unternehmen sich darum bemühen, Kennziffersysteme zu entwickeln, die nicht mehr klassisch tayloristisch bewerten. Dabei geht es ihnen z.B. um Messgrößen wie first time through, mit denen ermittelt werden soll, wie viele Teile sofort beim ersten Produktionsdurchgang ohne Nacharbeit fertiggestellt worden sind. Oder sie reden von Kriterien für die Gesamteffektivität der Anlage, Einsatzbereitschaft, Leistungsfähigkeit, Qualitätsrate usw. Demgegenüber würde ich die einzelne Ausgestaltung von Kennziffernsystemen als wenig relevant ansehen im Verhältnis zu der qualitativen Veränderung, die sich mit der Machtergreifung eines Controlling auf der Basis integrierter IT-Systeme vollzieht.

Ich meine, egal welche Kennzahlen zur Steuerung herangezogen werden: Erst ein integriertes EDV-System lässt eine differenzierte Unternehmenssteuerung zu und erlaubt darüber Rationalisierungsstrategien. Ihre entscheidende Bedeutung liegt darin, dass sie die Einführung der Marktbeziehungen innerhalb der einzelnen Abteilungen und Organisationsstrukturen eines Unternehmens ermöglichen und damit eine neue Ebene von sozialen Strukturen in den Betrieben schaffen.

Damit wird zugleich erst die Möglichkeit des Outsourcings einzelner Funktionen oder Abteilungen geschaffen. Erst wenn ein Unternehmen seine einzelnen Funktionen gegeneinander abgrenzen und betriebswirtschaftlich bewerten kann, wird es in die Lage versetzt, diese Funktionen outzusourcen. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn viele Unternehmen dazu übergehen, ihre gesamte Transportlogistik zur Kosteneinsparung an einen Dienstleister zu vergeben, angefangen von der Lagerverwaltung bis zur Belieferung der Kunden, dann müssen diese zunächst ihre Lagerhaltungskosten genau kennen – egal nach welchen Kennzahlen im Einzelnen bewertet. Erst dieses Datenmaterial ermöglicht es, solche Rationalisierungsstrategien zu entwickeln. Das SAP-Schlagwort dazu heißt »Ergebnisrechnung« oder deutlicher auf englisch »profitability analysis«.

Kannst Du verdeutlichen, inwieweit der Einsatz von SAP darüber entscheidet, wie die Unternehmensorganisation funktioniert? Wenn wir uns z.B. die Frage der Costcenterbildung ansehen, dann können Costcenter im Prinzip natürlich über die ganze vertikale Fertigungstiefe hinweg gebildet werden. Wenn eine Kostenerfassung bis in kleinste Einheiten hinein nun im Detail möglich wäre, müsste anschließend immer noch eine Entscheidung darüber gefällt werden, wo nun ökonomische Einheiten gebildet werden. Welchen Anteil hat hier die Technologie selbst, also die mit ihr gegebenen Möglichkeiten, gegenüber den Unternehmensstrategien?

Ingo Ochs: Zunächst einmal bietet SAP solche Funktionalitäten der Kostenermittlung an. Ob es dann tatsächlich getan wird oder in welcher Form oder Tiefe das getan wird, ist dann die Entscheidung des jeweiligen Unternehmens. Dementsprechend wird das jeweilige SAP-System ausgeprägt. In den Firmen tut sich dann immer ein Konflikt zwischen den Abteilungen auf, weil der nahezu grenzenlose Wunsch des Controlling einer möglichst ausdifferenzierten Strukturierung in Costcenter bzw. Profitcenter für die logistischen Abteilungen mit Zusatzarbeit oder organisatorischen Veränderungen verbunden ist, denn irgendwie müssen die einzelnen Daten für die betrieblichen Leistungen ja ins System kommen.

Ein klassischer Fall ist die Musterabwicklung im Automobilzuliefererbereich. Ein Autohersteller tritt z.B. an einen Zulieferer heran und sagt: Ich brauche das und das Teil, mach mir einen Kostenvoranschlag. Und dafür gibt es dann genaue Spezifikationen. Dann setzt eine ganze Reihe von Prozessen ein, um solche Muster zu erstellen. Weil da viele Abteilungen dran beteiligt sind, wissen Firmen normalerweise gar nicht, was es sie kostet, solche Muster zu erstellen, die Produktkalkulation bleibt entsprechend unsicher. Ob nun SAP genutzt wird, solche Kosten zu erfassen und mit welchem Aufwand diese Kostenerfassung verbunden ist, das ist dann eine Abwägung des Unternehmens. Von daher ist SAP nur die technologische Plattform, aber die Bedingung der Möglichkeit ist geschaffen. Ein anderes Beispiel für die Bedeutung der internationalen Standortkonkurrenz: Ich weiß von einem Automobilzulieferer, einem großen US-Konzern, der in Europa verschiedene, ehemals selbständige Unternehmen aufgekauft hat und sich im Prinzip nach Produkten organisiert, die es für Autos gibt: ob das nun Lager sind oder Bremsscheiben usw. Der Konzern versucht eine Integration der zusammengekauften europäischen Werke mit ihren heterogenen Strukturen durch eine einheitliche SAP-Einführung herzustellen. Über die Gleichartigkeit der Unternehmensprozesse und insbesondere des Controlling möchte man Informationen bekommen, an welchem Standort in Europa mit welcher Rendite ein bestimmtes Produkt oder ein Vorprodukt gefertigt wird. Das setzt natürlich voraus, dass diese Unternehmen, diese verschiedenen Standorte in Europa im Prinzip alle nach den selben Prozessen, mit dem selben EDV-System integriert arbeiten. Nur dann sind solche Entscheidungen überhaupt möglich.

Standardisierte Kostenerfassung und Controlling ist also ein entscheidendes Moment der internationalen Standardisierung und Vergleichbarkeit von Produktion, und damit werden auch die Kollegen in den betroffenen Ländern zu unmittelbaren Konkurrenten...

Ingo Ochs: Ja. Das ist Benchmarking der internationalen Standorte. Die einzelnen Standorte können damit direkt in Konkurrenz um die Aufträge gesetzt werden. Mehr noch, auch die einzelnen Arbeitsschritte werden international nach Kostengesichtspunkten aufgeteilt, die Produktentwicklung wird in einem Land konzentriert, die Gießerei steht in einem zweiten Land, die Bearbeitung mit Maschinen erfolgt in einem weiteren usw. So etwas wird möglich, weil Transportkosten heute nahezu vernachlässigbar sind. Im Übrigen: Lohnkosten sind natürlich wichtig, aber da gibt es keine Unterscheidung in der Bewertung der westeuropäischen Länder, da werden z.B. Standorte in England geschlossen und die Produktion in die Türkei verlagert. Soviel zur Debatte der besonderen Lohnnebenkosten in Deutschland. Auch für die osteuropäischen Standorte bspw. ist das aber kein Schutz vor Rationalisierung. Neue Fertigungslinien werden natürlich auch dort auf dem höchsten technischen Niveau erstellt, mit allen Konsequenzen für Personalabbau.

Das betrifft das Verhältnis zwischen den einzelnen Unternehmensteilen, aber auch über verschiedene Sparten eines Unternehmens hinweg, die damit vergleichbar gemacht werden. Unsere Frage bezieht sich jetzt noch mal auf die Beschäftigungsverhältnisse. Wir hatten ja mal darüber diskutiert, dass es bei Marx diese Passagen gibt über die Organisation der Produktion selbst, die zunächst als ausgenommen von der Konkurrenz erscheint und auf ein Moment von Kooperation – man könnte fast sagen – angewiesen ist, damit ein Arbeitsablauf, der ja aus unzähligen Teilen besteht, als ganzer funktioniert. Jenseits der Verwertungsmöglichkeit des Produkts hinterher, sondern nur von der Arbeitsorganisation her gedacht, stellt sich die Frage: Wenn SAP eingeführt wird, und das basiert auf einer möglichst weitgehenden Erfassung und d.h. auch Zerlegung dieses Prozesses und dementsprechend ganz vielen Anknüpfungspunkten, an denen ich versuchen kann zu standardisieren, gibt es da aus Deiner Erfahrung kontraproduktive Effekte?

Ingo Ochs: Zunächst möchte ich Deiner ersten Bewertung nachdrücklich zustimmen. Sie bezeichnet in dem diskutierten Kontext für mich die entscheidende qualitative Veränderung in den Arbeitsbeziehungen durch die Herrschaft der Profitcenterrechnung im Controlling. Ich sehe bei Marx die sozialen Strukturen, Fetische und Verkehrungen der bürgerlichen Gesellschaft aus der Zirkulation heraus entwickelt, die Individuen treten sich hier als Warenbesitzer gegenüber, und die Produktion erscheint aus dieser Perspektive lediglich als produktives Kapital, d.h. Kapital in seiner produktiven Form während der Metamorphosen seines Kreislaufs. Im Produktionsprozess selbst, d.h. in den Sozialbeziehungen, die die beteiligten Individuen eingehen, treten sie sich dagegen nicht als Warenbesitzer, sondern als Glieder eines kooperativen Gesamtprozesses gegenüber. Man sollte mal die These diskutieren, inwieweit nicht die dargestellten Veränderungen die Zerstörung solcher nicht über die Warenförmigkeit definierter Sozialstrukturen bedeuten und der Kapitalismus mit der Konkurrenz in der Fertigung die reelle Subsumtion der Arbeit unters Kapital vollendet.

Zurück zur Empirie: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es solche kontraproduktiven, ja widerständigen Momente gibt, weil es natürlich immer auch lokale Interessen der einzelnen Unternehmen und eine unterschiedliche Stärke der einzelnen nationalen Standorte gibt. Das sind aber eher Widerständigkeiten seitens eines nationalen Managements, die Gestaltungsspielräume der Beschäftigten sehe ich als relativ gering an. In jedem Fall bleibt aber ein kontinuierlicher Konflikt um die Ausgestaltung oder Unterlaufung der Modellvorstellungen, die in der Software implementiert sind. Es wäre sicherlich eine auf Allmachtsphantasien beruhende Fiktion zu glauben, die Software könne die Stromlinienfähigkeit der betrieblichen Vorgaben sicherstellen, wenngleich die Freiräume für die Beschäftigten schon kleiner werden.

SAP – Produktionslogistik, nicht Fertigungssteuerung

Um auf eine andere Fiktion zurückzukommen: Man hat oft die Vorstellung – und darüber ist ja auch gerade im Produktionsbereich viel geforscht worden –, dass Standardisierung unverträglich sei mit Kooperation oder Gruppenarbeit, Teamarbeit usw. Würdest Du sagen, dass SAP eine Vorentscheidung über Formen der Arbeitsorganisation mit sich bringt? Sind also partizipative Mitarbeiterstrategien ausgenommen von Standardisierung?

Ingo Ochs: Wenn ich mir den unmittelbaren Fertigungsprozess anschaue, dann bleibt dort SAP immer noch weitgehend außen vor. SAP hört an der Stelle auf, wo man eine Fertigungsplanung und Vorschläge für Fertigungsaufträge erstellt, bevor angefangen wird, tatsächlich zu arbeiten. SAP kommt dann wieder ins Spiel, wenn die Fertigung im unmittelbaren Sinne abgeschlossen ist, nach der Fertigstellung des Produktes oder einer Zwischenstufe, die man ins Lager bringt oder verpackt oder wegschmeißt, wie auch immer. Für die Abwicklung der tatsächlichen Fertigungsabläufe bietet SAP keine Unterstützung. Natürlich gibt es daneben prozess-steuernde IT-Systeme. Das kann die CNC-Maschine sein. Es können auch ganze spezialisierte Systeme sein, die z.B. in einer Gießerei durch Qualitätsmessungen kontinuierlich die chemische Qualität des Gusses überwachen und den Arbeiter ggf. zum Eingreifen auffordern. Diese Systeme sind aber nicht oder nur sehr gering mit SAP vernetzt. SAP selbst bietet dazu nichts. Man muss schon sagen, dass SAP eigentlich eine kaufmännische Software ist – wenn man so will. Es wird dort gebraucht, wo die Produkte geplant, eingekauft, gelagert werden. Von daher würde ich sagen, dass der eigentliche Fertigungsprozess weitgehend unabhängig von SAP abläuft und sich die Debatte Taylorismus versus Gruppenarbeit insofern nicht entlang der Linie SAP führen lässt.

Diese These möchte ich allerdings wieder etwas einschränken, denn natürlich ist es so, dass so eine Software bestimmte Abläufe oder bestimmte Strukturen vorgibt und dass man sich daran mehr orientiert oder weniger orientiert. Von daher beeinflusst sie die Organisation des Produktionsprozesses im Unternehmen. Vor dem Hintergrund der genannten Bedeutung des Controlling ist dies bei SAP das Prinzip der permanenten Parallelität von Materialfluss und Wertefluss. Um es zu bewerten, muss ich kontinuierlich wissen, in welchem Zustand sich ein Material im Produktionsablauf befindet. Der Kerngedanke ist, dass jedes Material möglichst oft an einer bestimmten Stelle in einem bestimmten Lager bestandsmäßig erfasst wird. Entweder ist es gerade im Arbeitsprozess – und dann weiß SAP nichts darüber – oder es ist irgendwo eingelagert, damit hat man einen entsprechenden Lagerbestand. Wenn ich jetzt eine Arbeitsfolge von mehreren Arbeitsschritten habe, dann muss ich in meiner Produktionssteuerung entscheiden, ob zwischendurch, und sei es nur fiktiv gegenüber SAP, einzulagern ist. Bei hohen Freiheitsgraden der Beschäftigten, wo eigenverantwortlich bspw. entschieden wird, welches Material als nächstes verarbeitet wird und die Zwischenprodukte EDV-mäßig nicht erfasst irgendwo im Gang stehen, da hat SAP verloren. Insofern fördert SAP vielleicht eher taylorisierte Fertigungsstrukturen als Gruppenarbeit.

Das heißt, Du würdest auch sagen, dass informelle Anteile in Arbeitsabläufen über die Einführung von SAP formalisiert werden und dadurch Freiräume oder Nischen für die Beschäftigten einerseits, aber auch die berühmten »schwarzen Löcher« für die Unternehmen andererseits erfasst und tendenziell geschlossen werden sollen.

Ingo Ochs: Ich glaube, dass ein Teil der Motivation der Unternehmensführung darin besteht, solche schwarzen Löcher zu schließen. Dabei ist es allerdings nicht so, dass das EDV-System das Prozess- und Erfahrungswissen der Arbeiter ersetzt, aber die Möglichkeiten, dort Transparenz herzustellen und das auch für andere zu öffnen und nachvollziehbar zu machen, die werden damit natürlich gestärkt. Inwieweit diese Transparenz durch die Strukturierung von Fertigungsaufträgen tatsächlich hergestellt wird, das entscheidet sich in der organisatorischen Gestaltung, nicht durch SAP selbst.

Inwieweit ist damit die Kontrolle der einzelnen Arbeiter im Sinne von Leistungsmessung und Leistungsbeurteilung im Produktionsprozess möglich, erübrigen sich klassische Varianten der tayloristischen Leistungsmessung wie Refa- oder MTM-Instrumentarien?

Ingo Ochs: Ersetzen kann SAP diese nicht. Inwieweit das System für Kontrollfunktionen genutzt werden kann, entscheidet sich, wie gesagt, am Detaillierungsgrad der Fertigungsaufträge. Sie ist an den Rückmeldungen des Arbeiters auf den durchgeführten Auftrag erkennbar. Nehmen wir einmal an, es seien fünf Arbeitsschritte auszuführen: die Maschine rüsten, das Vorprodukt aus dem Lager holen, das Produkt bearbeiten, die Qualität prüfen und gegebenenfalls nacharbeiten. Nun kann ich festlegen, nach welchen Arbeitsschritten der Arbeiter seine Fertigstellung meldet und mit welchen Informationen (z.B. Bearbeitungszeit, Gründe für Maschinenstillstand, Anzahl Ausschuss-Teile usw.). Es ist klar, dass sich die Kontrollmöglichkeiten mit der Anzahl der Daten und der Rückmeldepunkte erhöhen. Zugleich sind die Interessen der Unternehmen ambivalent, denn jede zusätzliche Datenerfassung bedeutet auch Zeitverlust und damit höhere Kosten, eine zusätzliche mögliche Fehlerquelle, mögliche Auseinandersetzungen mit den Beschäftigten usw. Entsprechend wird immer abgewogen, wie wichtig einem der Detaillierungsgrad der Information ist.

Das heißt, man hätte einerseits eine größere Kontrolle, andererseits aber auch mehr Dokumentations- und sonstigen bürokratischen Aufwand und entsprechend weniger Zeit für die eigentliche Produktion. Nehmen wir den Smart als populäres Beispiel für eine extreme Senkung der Fertigungstiefe im Unternehmen aufgrund der sehr groben Zerlegung von Produktionseinheiten: Bei DC in Hambach gibt es nur noch acht Fertigungsschritte in der Montage, alle anderen werden von den Zulieferern gemacht. Geht die Entwicklung in Zukunft eher in Richtung einer solchen Modularisierung der Produktion, oder würdest Du sagen, SAP führt dazu, dass die Betriebsabläufe im Unternehmen bleiben und stärker kontrolliert werden?

Ingo Ochs: Wie sich das auch immer entwickelt, das entscheidet sich nicht an SAP, sondern daran, wie die Branche und wie die Firma organisiert ist, und in dem Zusammenhang bietet SAP nur die Möglichkeit, diese Prozesse integriert und durchgängig abzuwickeln. Aber die Entscheidung, sich entweder die Achsen komplett anliefern zu lassen, sie nur noch einzusetzen und im Prinzip die gesamte Organisation, Herstellung und Zusammenstellung einem anderen Unternehmen zu überlassen, oder dies im Unternehmen zu belassen und eine unternehmenseigene Abteilung damit zu beauftragen, diese Entscheidung ist durch SAP nicht vorgegeben.

Du hattest vorhin erzählt, dass sich die Unternehmensstrategien in den letzten Jahren verändert hätten, insofern nicht mehr in den Unternehmen eine Software installiert wird, die von den eigenen Beschäftigten genutzt wird, sondern diese Bereiche komplett outgesourct werden. Das heißt, dass man hier schon eine Entwicklung hätte, wo die Einführung einer solchen Technologie zugleich mit einer Rationalisierungsstrategie verbunden ist, die in der Tat dann auch Personalabbau bedeutet – und zwar sehr unmittelbar, wenn ich das richtig verstanden habe.

Outsourcing – der etwas andere Weg

Ingo Ochs: Grundsätzlich sind auch Outsourcing-Strategien oft von dem Interesse einer Standardisierung mit der Brechstange getragen, angesichts eines teuren externen Dienstleisters lassen sich individuelle Anforderungen der einzelnen Fachabteilungen gegenüber dem eigenen Management noch schwerer begründen. Trotzdem wird in den outsourcenden Unternehmen von einer anderen Grundsatzentscheidung ausgegangen. Wenn die einen sagen: Wir wollen eine Standard-Software in der Firma implementieren, dann heißt das letzten Endes, sie wollen investieren. Für die anderen bedeutet ihr Interesse am Outsourcing eigentlich: Wir wollen Geld haben. Denn dadurch, dass die ihre EDV verkaufen, nehmen sie ja Geld ein. Das ist ein zentrales Motiv des Outsourcing – und zwar oft sogar noch vor der Motivation, Personal loszuwerden oder Prozesse zu vereinheitlichen.

Ist dieses Outsourcing nicht auch ein Risiko für solche Unternehmen? Sie schließen zwar einen langfristigen Vertrag ab – und es ist doch anzunehmen, dass geregelt werden muss, dass der entsprechende Dienstleis-ter auch die Modernisierungen in dieser Technologie einführt; doch was macht das Unternehmen nach Ablauf des Vertrags, wenn es nun selbständig seine outgesourcten Dienstleistungen übernehmen muss und der Dienstleister sagt: Wir machen das nicht mehr weiter?

Ingo Ochs: Das ist erst mal nicht das Problem. Es gibt genug Dienstleister, die sofort einspringen würden in einem solchen Fall...

Geht das denn ohne weiteres?

Ingo Ochs: Mit einer gewissen Übergangszeit geht das. Das Problem ist eher an der Stelle zu sehen, wo die Unternehmen in dem Moment, in dem sie ihre IT outsourcen, ja gleichzeitig eine ganze Menge an Wissen und Know-how, das sie im Unternehmen haben, weggeben – und zwar ersatzlos weggeben. Dieselben Leute, auf die sie sich vorher verlassen hatten, agieren jetzt auf einmal für eine anderes Unternehmen. Das führt zum Teil dazu, dass das Unternehmen in eine massive Abhängigkeit von diesen Dienstleistern gerät und diesen Prozess auch nicht mehr so einfach rückgängig machen kann. Das Unternehmen kann zwar nach Auslaufen des Vertrages einen anderen Dienstleister suchen, aber es ist fast unmöglich, dass das Unternehmen entscheidet, das nun wieder selbst zu machen.

Die potentiellen Auswirkungen sind dabei davon abhängig, was man unter Outsourcing versteht. Die folgenden drei Varianten lassen sich unterscheiden: Das eine ist der reine Rechenzentrumsbetrieb, der aus Sicht des Unternehmens ein gewisses technisches Detail-Know-how benötigt, den man aber ohne große Probleme an jemand anderen delegieren kann. Das zweite ist das Betreiben und Weiterentwickeln der EDV-Sys-teme (Application-Outsourcing); dafür braucht man entsprechendes Know-how über das Unternehmen und die Produktionsabläufe etc. Wenn das Unternehmen dieses Know-how abgibt, ist es irgendwann nicht mehr in der Lage, das selbst zu machen. Das dritte ist das, was man unter Business-Outsourcing versteht. Das heißt, dass komplette Geschäftsprozesse an andere vergeben werden. Das findet man heute am ehesten im Personalbereich, dass also nicht nur die IT outgesourct wird, sondern die gesamte Personalabteilung, d.h. die Personalverwaltung, -abrechnung etc.

Erfahrungen mit allen drei Varianten gibt es auf internationaler Ebene schon eine Weile, in Deutschland hat das dagegen sicher eher später eingesetzt. Hier hat man IT lange Zeit für eine Kernkompetenz gehalten. Mir ist kein Fall bekannt, wo das Application- oder Business-Outsourcing zu einem massiven Schaden oder gar einer Pleite geführt hätte. Mir sind aber Fälle bekannt, wo die Firmen Probleme haben, weil sie sich in eine zunehmende Abhängigkeit von einem externen Dienstleister begeben.

Damit wären wir beim Thema Arbeitsteilung unter den Bedingungen der reellen Subsumtion von Produktionsabläufen unter den Bedingungen eines international denkenden Kapitals. Dazu bei anderer Gelegenheit mehr.

Wir danken für dieses Gespräch.

* Das Gespräch führten Kirsten Huckenbeck und Nadja Rakowitz. Eine ausführliche Fassung ist über die Redaktion erhältlich.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 8/03

Anmerkungen

1) Name des Gesprächspartners und der Firma pseudonymisiert.

2) »Enterprise Ressource Planning«

3) Ingo Ochs bezieht sich hier auf die Studie von Hermann Kocyba/Uwe Vormbusch: »Partizipation als Managementstrategie. Gruppenarbeit und flexible Steuerung in Automobilindustrie und Maschinenbau«, Frankfurt/M-New York 2000, S. 58

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