letzte Änderung am 23. Juli 2003

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So lean, bis nichts mehr geht

IT-Berater als Standardisierungswaffen – ein Gespräch mit Ingo Ochs (Teil 1)

Anlass des folgenden Gesprächs mit Ingo Ochs*, einem »IT-Berater« in einem großen Dienstleister der Unternehmensberatungsbranche, waren die sozialwissenschaftlichen und politischen Debatten um den Aufstieg und Fall der so genannten New Economy – insbesondere jedoch deren Mythen-be-frachtete Interpretation in Negri/Hardt’s »Empire« und in jenem Teil der Linken, der seine Hoffnung auf die Befreiung der Arbeitsverhältnisse über Kommunikationstechnologie setzt. Die Formel dieses »Nintendo-Sozialismus« lautet, vereinfacht ausgedrückt: »Internationalisierung und Vernetzung von Kommunikations- und Kontroll-Technologien = mehr Überblick über die Produktion, Aufhebung des Fordismus, Ende der Arbeitsteilung, flachere Hierarchien, mehr Autonomie und mehr Kooperation« Zwar wurde mit Lüthje/Sprolls Studien über das »Contract Manufacturing« jüngst auch eine solide Untersuchung über die ökonomischen Hintergründe und Veränderungen im Bereich der Computerindustrie vorgelegt. Und die belegt das genaue Gegenteil des hohen Lieds vom Ende des Taylorismus und vom Anfang der Autonomie. Doch die Studie blieb auf den Bereich der Hardware-Produk-tion beschränkt. Grund genug, sich die Branche anzusehen, die – wenn man so will – die »Software« bereit stellt für alles, was mit »globaler Vernetzung« in den und um die Unternehmen zu tun hat – die IT-Beratungsunternehmen.

 

express: Bevor wir auf unsere drei Themen für dieses Gespräch – die Erfahrung der Globalisierung in einem aufstrebenden Unternehmen der IT-Beratungsbranche, die Krise der so genannten New Economy und deren Auswirkungen auf die Unternehmenspolitik und schließlich deren Auswirkungen wiederum auf die Beschäftigungsverhältnisse und die Beschäftigten – eingehen: Könntest Du uns etwas zu Deinem Job und zu der Firma erzählen, in der Du arbeitest?

Ingo Ochs: Ich habe vor ca. 20 Jahren angefangen bei Plug & Play zu arbeiten, zunächst als Programmierer, inzwischen eher als typischer IT-Berater oder Projektleiter. Angesichts der Tatsache, dass ich in dieser Branche arbeite und gleichzeitig in gewissem Umfang Interesse und Vorkenntnisse in Bezug auf sozialwissenschaftliche Fragestellungen mitbringe, empfinde ich einen relativ hohen Grad an Unzufriedenheit mit den politischen Einordnungen und sozialwissenschaftlichen Erklärungsversuchen, die sich auf die Entwicklungen in dieser Branche beziehen. Das gilt insbesondere für die mythologisierenden, verkürzenden Diskussionen um die IT auf politischer Ebene, aber auch für betriebssoziologische Untersuchungen. Hier habe ich den Eindruck gewonnen, dass diese, auch wenn sie kritisch gemeint sind, keinen wirklichen Einblick gewinnen und fast durchweg daran kranken, dass sie – unbewusst – gefilterte Propaganda wiedergeben. Der Grund dafür ist ganz banal: Diese Untersuchungen stützen sich vor allem auf solche Personen, die die Außendarstellung der Unternehmen übernehmen können und für sich übernommen haben. Als Gesprächspartner kommen verständlicherweise einerseits nur Personen in Frage, die einen gewissen Überblick haben, also nicht die einfachen Beschäftigten, sondern Verantwortungsträger, Personalvorgesetzte etc. Dafür qualifizieren sich aber andererseits nur Leute, die schon bewiesen haben, dass sie sich die Sicht der Unternehmen zu eigen gemacht haben. Das gilt übrigens nach meiner Einschätzung auch für viele Betriebsratsmitglieder.

Jetzt zur Firma: Als ich angefangen habe bei Plug & Play war die Firma noch ein mittelständisches deutsches Unternehmen der IT-Beratung, Ende der 60er Jahre gegründet und dann bis in die Boom-Phase kontinuierlich gewachsen. In den 90er Jahren wurde Plug & Play dann von einem US-Konzern aufgekauft. Nach kontinuierlichem und starkem Wachstum hatte Plug & Play zum Zeitpunkt des Aufkaufs etwa 2000 Beschäftigte. Der Besitzer stand auf Grund finanzieller Engpässe – auch auf Grund der Internationalisierung des Marktes – vor der Entscheidung, dass es so nicht mehr weiter gehen konnte. Mittlerweile können wir auf acht Jahre Erfahrungen mit der Internationalisierung eines Konzerns zurück blicken. Diese Erfahrungen aus den letzten Jahren nach dem Aufkauf – also die Internationalisierung der Konzernstrukturen – sind hilfreich für ein Verständnis der Branche und m.E. auch verallgemeinerbar.

Der Wachstumsprozess hat sich nach dem Aufkauf fortgesetzt, d.h. wir haben es hier nicht mit den Phänomenen zu tun, wie man sie nach dem Einbruch der IT-Branche 2001ff beobachten konnte, auch wenn das Geschäft in den letzten beiden Jahren sicher eher stagniert hat. Heute arbeiten hier im deutschsprachigen Raum ca. 4500 Leute. Seitens der Käufer war der Aufkauf hauptsächlich dadurch motiviert, ein Standbein im deutschen Markt zu bekommen, nachdem das mit eigenen Kräften über Jahre hinaus nicht gelungen war. Der zweite Grund war, angesichts des sich schon damals vollziehenden SAP-Booms eine Anzahl von qualifizierten Mitarbeitern zu integrieren, um dieses Marktsegment personell abdecken zu können. Die deutsche Niederlassung von Plug & Play firmiert mittlerweile unter dem Namen Plug & Play Central Europe und hat für den europäischen Markt insgesamt eine herausragende Bedeutung.

Wie groß ist der Gesamt-Konzern? Wie viele Mitarbeiter hat er?

Ingo Ochs: Weltweit hat Plug & Play ca. 86000 Beschäftigte und macht einen Jahresumsatz von 11,4 Mrd. US-$, davon 720 Millionen Euro in Central-Europe. Organisatorisch gibt es hier faktisch zwei Unternehmensteile, einen Bereich der klassischen IT-Beratung, in dem ich arbeite, und einen, der die Outsourcing-Aktivitäten bündelt.

Derzeit wird in den Medien zurecht auf die wachsende Bedeutung des Outsourcings von IT-Dienstleistungen angesichts der anhaltenden Marktschwäche in der IT hingewiesen. In gewisser Weise lässt sich diese Veränderung an Plug & Play selbst beobachten. Der Mutterkonzern in den USA ist dort als Outsourcing-Unter-nehmen gewachsen und hatte mit der IT-Beratung eigentlich wenig zu tun. Schwergewichte waren dort IT-Dienstleistungen für den öffentlichen Dienst und das Militär. Auch heute ist es noch so, dass ca. ein Drittel des Weltumsatzes mit der Übernahme von outgesourcten Rechenzentrumsdienstleistungen für den militärischen Bereich und für den öffentlichen Sektor in den USA gemacht werden. Ein weiteres Drittel macht der private Markt in den USA aus, und nur das letzte Drittel wird vom Rest der Welt beigesteuert.

Lassen sich Aussagen über ökonomische Tendenzen im Bereich der Unternehmensberatungen bzw. der IT-Dienstleistungen treffen? Wie hoch ist bspw. der Konzentrationsgrad, bzw. wie viele Unternehmen tummeln sich in diesem Markt noch?

Ingo Ochs: Wenn man sich die global player im Bereich sowohl dieser Outsourcing-Geschäfte als auch der globalen IT-Beratung anschaut, dann teilen sich diesen Markt noch mehr oder weniger 5–6 Großkonzerne. Ob das jetzt Accenture ist oder IBM oder Plug & Play. Das hängt auch mit der Krisenentwicklung innerhalb des Beratungsgeschäfts selbst zusammen. Die Veränderungen haben sich dahingehend vollzogen, dass der Anteil des Outsourcing-Geschäfts z.B. in Deutschland überdurchschnittlich gewachsen ist und dass auch stärker versucht wird, mit diesen Outsourcing-Geschäften Geld zu verdienen.

Das heißt, wenn man von Unternehmensberatungen spricht, dann redet man nicht nur über Beratung, sondern zugleich immer über IT-Dienstleister?

Ingo Ochs: Nicht ganz. Es gibt nach wie vor zwei eigenständige Geschäftsbereiche, die getrennt voneinander sind: zum einen die klassische IT-Beratung und zum anderen die Outsourcing-Sparte, also die Übernahme von IT-Dienstleistungen für andere Unternehmen. Wobei es zwischen beiden Wechselwirkungen gibt bzw. versucht wird, diese herzustellen. Sei es, dass die einen für die Outsourcer arbeiten oder umgekehrt, dass man versucht, über Kontakte zu Kunden, mit denen man Beratungskontrakte hat, in Outsourcing-Ge-schäfte einsteigen zu können.

Kann man quantifizieren, welchen Anteil die Beratungstätigkeiten – also das, was man sich z.B. bei einem Unternehmen wie McKinsey vorstellt – im Verhältnis zu IT-Dienstleistungen ausmachen?

Ingo Ochs: Ich will das anhand des deutschen Marktes, auf den ich mich hier erst mal beschränke, verdeutlichen. Hier ist es nach wie vor so, dass die deutliche Mehrheit der Belegschaft im Beratungsumfeld aktiv ist. Die Leute, die im Outsourcingbereich arbeiten, sind vor allem deshalb in das Unternehmen gekommen, weil sie vom jeweils outsourcenden Unternehmen abgegeben, d.h. an den Käufer, also an den IT-Dienstleister, mitverkauft wurden. Das hatte natürlich ein enormes Personalwachstum in diesen Bereichen zur Konsequenz.

Wichtig wäre mir, darauf hinzuweisen, dass man bei IT-Beratung nicht unbedingt McKinsey assoziieren sollte, weil McKinsey oder auch Roland Berger eher im klassischen Sinne einer Unternehmensberatung aktiv sind – Personalplanung, Strategieentwicklung, Steuerung von Unternehmensprozessen etc. Das wird zwar bei Plug & Play auch als Leistung angeboten, aber die Marktrelevanz von Plug & Play resultiert daher, dass es vorrangig im Umfeld der IT-Aktivitäten von Unternehmen Leistungen anbietet. Das schließt die Beratung bei Geschäftsprozessen mit ein, ist aber näher am operativen Tagesgeschäft. Der Arbeitsbereich von McKinsey spielt für Plug & Play letztlich keine Rolle, wird aber manchmal ideologisch aufgeblasen. Anders gesagt: Wenn es darum geht, Personalmaßnahmen oder Umstrukturierungen zu planen, wird vielleicht eher McKinsey gerufen, wenn dagegen z.B. eine unternehmensweite Einführung oder Umsetzung von SAP geplant ist, würde Plug & Play gerufen. Das ist der Unterschied.

Interessant für die Frage, welche Macht etwa ein Unternehmen wie Plug & Play in Bezug auf weltweite Veränderungen der Produktions- und Arbeitsabläufe hat, ist das Verhältnis von Plug & Play zu der Vielzahl von kleineren Unternehmen, den vielzitierten »IT-Klitschen«. Denn die sind es, die üblicherweise angeführt werden, wenn man über den Boom der New Economy redet. Um es zuzuspitzen: Folgt die Unternehmens- bzw. IT-Beratung dem Trend der Konzentration, oder hatte man es da eher mit einem Boom von vielen kleinen Unternehmen zu tun?

Ingo Ochs: Wenn man sich jetzt mal die Kunden anschaut, die von so einer Firma wie Plug & Play betreut werden, dann sind das allesamt große Kunden – ob das jetzt DaimlerChrysler, die Deutsche Bank oder die Bundeswehr ist. Das sind alles Unternehmen, die auch im internationalen Bereich agieren. Schon aufgrund dieser Kundenstruktur können die Klitschen im Gesamtmarkt keine entscheidende Rolle spielen. Der zeitweise Boom dieser kleinen Klitschen war ja auch ein bisschen an diese Internet-Thematik gebunden. Das würde ich nicht wirklich ernst nehmen. Natürlich gibt es Marktsegmente, in denen solche Klein-Unternehmen bzw. einzelne Programmierer auch zum Einsatz kommen. Aber da, wo es tatsächlich um große Aufträge geht, trifft man immer wieder auf dieselben Firmen – schon aufgrund der finanziellen Belastung, die damit für die großen Konzerne verbunden ist, und natürlich wegen der Sicherheit eines internationalen Konzerns. Es geht hier um weniger als zehn Unternehmen. Die anderen kommen vielleicht ins Spiel in der Form, dass sie sich in bestimmten Marktsegmenten tummeln, also z.B. Speziallösungen anbieten, oder einen lokalen Markt bearbeiten. Wenn z.B. ein kleines mittelständisches Unternehmen, das nur im Rhein-Main-Gebiet sitzt, Programmierer sucht, dann wird es wahrscheinlich nicht zu uns kommen. Tagessätze zwischen 800 und über 1000 Euro pro Person könnte sich ein solches Unternehmen wahrscheinlich auch nicht leisten. Aber in dem Moment, in dem es tatsächlich um große Aufträge geht, kann man ganz klar von einer hohen und fortschreitenden Konzentration reden.

Damit wären wir bei der Frage, welcher Art die Aufträge sind, die Ihr bekommt.

Ingo Ochs: Die Art der Aufträge hat sich natürlich auch weiter entwickelt in den letzten 20 Jahren. Darauf wird auch von der Marketing-Abteilung immer Wert gelegt: Man hat als so genannter body-leaser angefangen, der Arbeitskraft tageweise verkauft, z.B. für Programmierleistungen. An Stelle dieser Aufträge ist immer mehr das eigenständige Abwickeln von definierten Projekten als Werkvertrag zum Festpreis getreten, zunächst noch eher im nationalen Maßstab. Spätestens aber, als Aufträge hinzukamen, die auch den Roll-Out für international agierende Unternehmen umfassten, war eine Größe, Infrastruktur und Organisation erforderlich, die eine Klitsche gar nicht mehr leisten kann. Diese großen und/oder internationalen Projekte bilden mittlerweile das Hauptmarktsegment, Mittelständler mit weniger als – um mal ein Zahl zu sagen – 250 Mio. Euro Jahresumsatz gehören wahrscheinlich nicht zu den Kunden von Plug & Play.

Außerdem haben sich die Aufträge wegbewegt von der Erstellung von Individuallösungen, d.h. dem maßgeschneiderten Konzipieren und Programmieren von IT-Anwendungen entsprechend der ganz spezifischen Anforderungen des jeweiligen Kunden. So etwas gibt es kaum noch. An die Stelle dieser Aufträge ist die Einführung von Standardsoftware getreten, wobei sich diese Entwicklungen in den einzelnen Branchen zeitversetzt vollzogen haben.

In der Industrie, aber auch im öffentlichen Sektor kam viel früher der Punkt, an dem die Unternehmen gesagt haben, sie könnten sich diese Eigenentwicklungen nicht mehr leisten. D.h. die Bedeutung der Einführung von Standard-Software hat gegenüber früher noch mal massiv zugenommen. Die reine Managementberatung und die reine Programmierleistung gibt es als Randbereiche natürlich auch noch immer irgendwie, diese beiden Bereiche sind zumindest für Plug & Play aber nicht relevant.

Mit dem Fortschreiten der Krise und mit der Verringerung des verfügbaren Kapitals versuchen die Firmen immer mehr, sich auf dem reinen Standard zu bewegen und wegzukommen von individuellen Erweiterungen und Anpassungen, die dann spezifisch auf die Prozesse des jeweiligen Unternehmens bezogen werden sollen. Zumindest sind das die Vorgaben der oberen Management-Ebene, die nach unten durchgesetzt werden sollen. Der tägliche Kampf der Berater, also von mir und meinen Kollegen, besteht darin, bei den operativen Einheiten der Kunden die Standardisierung durchzusetzen, gegen die sich die Beschäftigten dort mit Blick auf ihre bisherigen Arbeitsabläufe sträuben. Insofern sind wir die Waffen der Unternehmensleitungen bei den Kunden zur Kosteneinsparung durch Standardisierung.

Noch eine Frage, bevor wir auf die Auswirkungen der Einführung von solchen Anwendungen kommen: Als wir nach der Art der Aufträge gefragt haben, ging es auch um die Frage, ob damit tatsächlich eine homogene, universell in jedem Unternehmen verbreitete Software gemeint sein kann.

Ingo Ochs: Also, lass es uns doch beim Namen nennen, wir reden von SAP.

Daneben gibt es derzeit kein anderes Produkt, das von Relevanz wäre?

Ingo Ochs: Es gibt andere Unternehmen, aber die spielen nur eine marginalisierte Rolle. Wie man aus den Berichten in den Medien über Oracle, Peoplesoft und J.D. Edwards sehen kann, ist der Konkurrenzkampf unter diesen marginalen Konkurrenten trotzdem oder gerade deshalb beinhart. Ich würde aber sagen, dass der SAP-Markt heute der Sättigung entgegen geht und es auch in diesem Markt Umbrüche gibt. Das führt z.B. dazu, dass die Einführungsprojekte abnehmen und eher nach Zusatzkomponenten oder danach gefragt wird, wie man andere Anwendungen daran anbinden kann (Stichwort wäre z.B. Customer Relationship Management). Aber die Einführungen »auf der grünen Wiese« sind – bei den großen Firmen zumindest – weitgehend abgeschlossen.

Von der Kooperation zum Mitarbeiter als Feind

Was hat sich verändert mit dem Aufkauf Eurer Firma durch den US-Konzern? Hat sich an der Art der Auftragsvergabe, der Auftragsabwicklung etc. und damit verbunden, z.B. an den Länderspezifika bei der Vergabe und Abwicklung von Aufträgen etwas verändert?

Ingo Ochs: Bis in die zweite Hälfte der 90er Jahre haben sich die Führungsriegen in USA und GB eher zurückgehalten. Die Veränderungen sind vorrangig in den letzten drei Jahren erfolgt und waren in jeder Hinsicht erheblich. Zum einen hat sich der Einwirkungsgrad des europäischen Headquarters vergrößert. Z.B. müssen Angebote über einem bestimmten Volumen zwingend von einem europäischen, sprich englischen Gremium freigegeben werden, was früher nicht der Fall war. Gut, es gab früher auch nicht so große Aufträge. Das zeigt sich aber auch daran, dass der Finanzvorstand inzwischen ein US-Amerikaner ist, und dass die Handlungsspielräume des deutschen Vorstands geringer werden in dem Maße, wie die entsprechenden Renditevorgaben nicht eingehalten werden.

Es gibt jetzt also zentrale Renditevorgaben?

Ingo Ochs: Ja, die gibt es. Es gibt längerfristige Planungen, die aber angesichts der Schnelllebigkeit des Marktes eher als Simulation denn als Rationalität zu bewerten sind. Und es gibt Jahresplanungen, die speziell für die jeweiligen Organisationseinheiten eine Zielrendite vorgeben und anhand derer die Leute gemessen werden. Inzwischen ist es so, dass ein relativ hoher Teil der Belegschaft erfolgsabhängige Gehaltsanteile in der Größenordnung von 20 bis 40 Prozent hat, die letzten Endes an diese Zielvorgaben gekoppelt sind – nicht bei den Berufseinsteigern, aber zumindest bei den operativ aktiven Mitarbeitern mit Berufserfahrung.

Wir gehen davon aus, dass Plug & Play an der Börse notiert ist. Haben diese Vorgaben etwas mit der Börsennotierung des Unternehmens zu tun?

Ingo Ochs: Ja, das ist es. Aber damit haben diese Vorgaben nachvollziehbar nicht so viel zu tun. Ich hatte lange den Eindruck, dass die sich einfach auf den Umsatz und die Rendite des letzten Jahres bezogen haben. Man hat uns also gesagt: Wir hatten in den letzten Jahren Steigerungsraten von x Prozent, da schlagen wir mal noch etwas drauf, und Ihr guckt dann, wie Ihr das hinkriegt. Im Moment ist die Situation, dass wir zum ersten Mal in einem Geschäftsjahr die Renditevorgaben deutlich verfehlt haben...

Was nicht heißt, dass ein Minus gemacht wurde...

Ingo Ochs: Nein, natürlich nicht. Im Gegenteil. Es gab noch nie die Situation, dass rote Zahlen geschrieben wurden – zumindest nicht über das gesamte Unternehmen hinweg, höchstens mal in gewissen Sparten. Aber das Wachstum von früher ist nicht mehr da. Man muss jetzt mal abwarten, wie sich diese veränderte Renditesituation in den Vorgaben für das kommende Jahr niederschlägt.

Fakt ist, dass sich die Auseinandersetzungen im Unternehmen derzeit nicht um Neueinstellungen, sondern um Abfindungen und die Auflösung von Arbeitsverträgen drehen. Neueinstellungen stehen als Strategie nicht mehr zur Diskussion. Früher hat man gesagt: Ihr habt eine bestimmte Renditevorgabe, und wenn Ihr es mit Euren Leuten nicht schafft, diese zu erreichen, dann stellt Ihr eben noch so und so viel Leute mehr ein, und die erwirtschaften dann die entsprechende zusätzliche Rendite. Sie gingen davon aus, dass das jedes Jahr so weiter geht mit immer steigenden Raten. Man ist also nach dem Unendlichkeitsprinzip verfahren, d.h. dass es einen unendlich großen Markt gibt. Der einzig beschränkende Parameter war die Anzahl der qualifizierten Mitarbeiter.

Also nach einer ganz einfachen mehrwerttheoretischen Formel: Je mehr v das Unternehmen hat, um so mehr m wird erwirtschaftet?

Ingo Ochs: Ja, genau so. Du hast in dem Sinne ja kein nennenswertes »c« in dieser Branche.

Gibt es Strategien des Unternehmens, dem seit ein bis zwei Jahren gebrochenen Wachstumsoptimismus zu begegnen – etwa, indem Schwerpunkte verlagert oder neue Produkte geschaffen werden, oder indem von den Mitarbeitern mehr verlangt wird, z.B. sich bei gleichem Geld stärker um die Akquisition zu kümmern. Ausweitung der Märkte durch neue Produkte vs. Intensivierung der Ausbeutung also.

Ingo Ochs: Zunächst zu den organisatorischen Konsequenzen: Es gehört hier zum guten Ton, jedes Jahr ein neues operation-model aus dem Hut zu zaubern. Das war schon immer so. Schon aus Marketing-Gesichtspunkten muss man sich immer neu organisieren. Ich frage mich manchmal, was für ein Bewusstsein man hier den Beschäftigten – ob zurecht oder nicht – unterstellt, wenn man glaubt, über interne Umorganisation die Akzeptanz erhöhen zu können. Die ökonomische Sinnhaftigkeit dieser These hat mir noch keiner nachgewiesen. Wenn man eine Weile hier gearbeitet hat, bildet sich eine gewisse Apathie heraus gegenüber diesen internen Umorganisierungen: Im nächsten Jahr ändert es sich sowieso wieder – aber es wird nicht besser dadurch... Natürlich hat das Unternehmen z.B. durch solche Umorganisationen versucht, der Krisensituation zu begegnen. Man muss dazu sagen, dass das Unternehmen nach Branchenstrukturen organisiert ist: Es gibt den Finanzdienstleistungsbereich, den Bereich für Industrie und Handel, den öffentlichen Bereich, den Bereich Post und Telekom etc. Als es bei letzteren kein ausreichendes Geschäft mehr gab, hat man den Bereich zu gemacht und die Mitarbeiter verteilt. Das nennt sich dann Umorganisation. Das ist die eine Reaktion auf die Krise. Die andere besteht in der Ablösung der Vertriebsstrukturen von den eigentlichen produktiven Strukturen. Man hat sich also weder neue Branchen ausgedacht, in denen man aktiv werden will, noch völlig neue technologische Themen, die bearbeitet werden sollen, sondern man hat einerseits Bereiche zugemacht oder zusammengelegt und andererseits versucht die Vertriebsstrukturen umzuorganisieren.

Und man ist dazu übergegangen, einen sehr viel rigideren Umgang mit den Mitarbeitern zu pflegen. Man hat sich darüber eine Kosteneinsparung erhofft, dass man bestimmte Prozesse »gestreamlined« hat. Aber im Prinzip ist der Umgang mit den Mitarbeitern dadurch ein anderer geworden, sehr viel formaler und restriktiver. Eine weitere Reaktion bestand darin, Mitarbeiter loszuwerden. Allerdings gab es – auch aus ideologischen Gründen – bisher keine betriebsbedingten Kündigungen, obwohl das immer wieder, und jetzt auch wieder, im Raum steht. Man ist also den Weg über Auflösungsverträge gegangen. Dazu wurden nach sachlich völlig undurchschaubaren Kriterien Listen von Mitarbeitern erstellt, die man loswerden wollte. Denen wurde dann ein Auflösungsvertrag mit Abfindung angeboten. Ich würde sagen, dass das aus Sicht des Unternehmens bisher kein erfolgreiches Vorgehen war.

Inwiefern?

Ingo Ochs: Insofern, als die Abwicklung von Auflösungsverträgen nicht zu einem signifikanten Sinken der Beschäftigtenzahlen geführt hat. Bislang betraf der Beschäftigungsabbau nur den ›nicht-produktiven‹ Bereich, d.h. die Verwaltung, und das nicht nur ideologisch. Das geht über die Entlassung bzw. Nicht-Verlängerung von Verträgen der Vorstände bis zum Abbau von als redundant eingestuften Vertriebsstrukturen. Gerade vor kurzem war wieder zu lesen, dass zwei Vorstandsverträge nicht verlängert werden und die Leute jetzt ein Dankeschön bekommen für die aktive Mitarbeit – und das war’s dann.

Heute heißt es: Dieses Potential ist eigentlich erschöpft. Im Moment steht die Aussage des Vorstands im Raum, dass man die internen Prozesse jetzt so lean gemacht habe, dass da eigentlich nichts mehr zu sparen ist. Es steht in solchen Situationen, also auch jetzt wieder auf der Tagesordnung, wie man damit umgeht.

Heißt das, dass das Unternehmen durch die Rationalisierung qua Personalabbau an eine Grenze bezüglich zukünftiger Aufträge gestoßen ist?

Ingo Ochs: Nein, noch nicht, lediglich die internen Prozesse können nicht mit noch weniger Personal gemacht werden. Wenn jetzt noch Leute abgebaut werden sollen, geht es an den operativen Bereich.

Aber das ginge dann an die Substanz...

Ingo Ochs: Ja, deshalb ist die Strategie eher, das zu vermeiden, zum einen in der Hoffnung, dass die Konjunktur wieder anspringt und man die Leute dann wieder braucht, und zum anderen, weil man es aus Marketing-Gesichtspunkten nicht für eine sinnvolle Strategie hält, Leute zu entlassen. So was spricht sich ja herum...

Aus anderen Beratungsfirmen habe ich von viel rigiderem Hire and Fire gehört. Da wird einfach mit dem Kalkül entlassen, dass nur ein Bruchteil der Betroffenen vors Gericht geht. In jedem Fall ist man die Leute erst Mal los, das ist die Hauptsache, mögliche Kosten aus einem Urteil werden als eher vernachlässigbar angesehen.

Ist das nicht der umgekehrte Weg der Rationalisierung? Die Entwicklung der 80er und 90er Jahre könnte man doch – zumindest im Automobilbereich – so begreifen, dass Rationalisierung zunächst über die Intensivierung der Arbeitsleistung erfolgte, also Produktivitätssteigerung durch Leistungsverdichtung bei gegebenem Personalstand. Das Mittel hierfür war die Einführung des Wettbewerbsprinzips in die Produktion selbst, z.B. Bildung von Profit Centern bis auf die kleinsten operativen Einheiten herunter, Benchmarking zwischen diesen und zwischen ganzen Werken etc. Die These wäre, dass echte Entlassungen erst massenhaft einsetzten, als es mit dieser Strategie nicht weiter ging. Welche Freiräume haben also bis jetzt bestanden, wie rigide waren die Vorgaben oder direkter: Wurden denn schon alle Poren des Arbeitstags ausgenutzt?

Ingo Ochs: Was ich jetzt erzähle, hängt natürlich auch an der Geschichte von Plug & Play und an der Branche. Es handelt sich hier sicherlich um eine Branche, in der es so etwas wie Taylorisierung auch in Ansätzen nie gab. Im Gegenteil: Im Wachstum von der Klitsche hoch hielt man immer große Stücke darauf, dass mit sehr großen Freiräumen und hoher Eigenverantwortung der Beschäftigten die besten Ergebnisse zu erzielen seien – und es ist auch gelungen, das in den Köpfen der Mitarbeiter zu verankern. Das schlug sich nieder im »Familienklima« und in der Arbeitsatmosphäre. So etwas wie Zeiterfassung gab es nicht, im Prinzip galt immer nur das Selbst-Aufschreiben; es wurde relativ viel Geld in soziale Veranstaltungen investiert, vom Grillen bis zur Weihnachtsfeier; die steuernden Abteilungen haben sich weitgehend herausgehalten aus einzelnen Projekten, solange das Ergebnis den Wünschen entsprochen hat; es gab auch sehr kurze Wege zwischen den verschiedenen Einheiten, die miteinander über informelle Wege kommuniziert haben. Das ist alles weg heute.

Teil II folgt im nächsten express.

* Name des Gesprächspartners und der Firma pseudonymisiert. Falls – wider die Ergebnisse unserer Recherchen – eine Firma namens »Plug and Play« existieren sollte, können wir versichern, dass sie nicht gemeint ist.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6-7/03

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