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Updated: 18.12.2012 15:51
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PIN AG - Prekarisierung (nicht nur) im Norden

»Postmoderne« Privatisierungs-Probleme - von Kirsten Huckenbeck

Seit Anfang 1998 sind in Deutschland mit bestimmten Einschränkungen auch private Unternehmen als Postdienstleister zugelassen: Noch sind diese Anbieter laut Postgesetz gezwungen, bei der Versendung von Briefen bis zu einer Gewichtsklasse von 50 Gramm »besondere« bzw. »höherwertige« Dienstleistungen zu erbringen, wie z.B. die Abholung der Post beim Absender oder Eilzustellungen am selben Tag, und sie unterliegen, anders als die Deutsche Post AG, der Umsatzsteuer. Dies sichert der »gelben Post« bislang noch ein Quasi-Monopol, das allerdings mit einer ortsunabhängigen Zustellpflicht verbunden ist. Und es macht es ihren Konkurrenten schwer, preislich mitzuhalten, schon gar bei der Zustellung von Sendungen auf die berühmte schwäbische Alb oder die berüchtigte Nordsee-Hallig. Aus der Perspektive der privaten »Briefdienstleister« lohnt sich ein Engagement nur bei Großkunden wie Behörden und Unternehmen mit einem bestimmten Mindesttagesaufkommen an Briefsendungen. Entsprechend umkämpft ist dieses Marktsegment, verbunden mit der Konkurrenz um die beste Startposition vor dem Auslaufen der im Postgesetz verankerten Exklusivlizenzen für die gelbe Post zum Ende des Jahres 2007.

Der Markt, um den es dabei geht, ist kein kleiner: 10,2 Milliarden Euro wurden im Jahr 2005 mit Briefen umgesetzt. Auf den immer noch geschützten Monopolbereich entfielen davon rund 6 Mrd. Euro, und auch von den restlichen 4,2 Mrd. >sackt< die gelbe Post rund 3,5 Mrd. ein, die damit insgesamt einen Marktanteil von rund 90 Prozent hält (vgl. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 2. April 2006).

An die wollen die privaten Wettbewerber ran, damit sie bis zum endgültigen Fall des Monopols ein möglichst dickes Polster an Großkunden aufgebaut haben, denn davon wird abhängen, ob sie im Bereich der zustellpflichtigen Einzelkunden überhaupt konkurrenzfähig sind. Und: sie haben in den letzten drei Jahren nicht nur Marktanteile (2003: 3,9 Prozent, 2005: 6,9 Prozent) gewinnen können, sondern auch ihren Umsatz von rund 387 auf rund 704 Mio. Euro gesteigert. »Die Claims werden neu abgesteckt«, so beschreibt die PIN Group, eine der für den deutschen Markt bedeutendsten multinationalen Firmenzusammenschlüsse im Briefgewerbe, ihre Ambitionen. Zur PIN Group, die mehrheitlich von der Axel Springer AG, der WAZ-Mediengruppe und der Verlagsgruppe Holtzbrinck gehalten wird und ihren Sitz in Luxemburg hat, gehören in Deutschland u.a. folgende Unternehmen: ANNEN-POST, Brief Express Röder, CITIPOST, DBU - Die Briefunion, NET-DBS, PIN AG, Porto Sparen im Norden, Punkt Direkt Vertrieb, Speedy Express, Thüringer Post Service, Westdeutscher Post Service und künftig auch WEST MAIL. Der Ex-GEWler und ehemalige »SPD-Kanzler-macher« Bodo Hombach, zuletzt mit der Mission Kosovo betraut, sitzt für die WAZ im Verwaltungsrat der PIN Group.

Vermutlich wohlwissend um die wenig imageförderlichen Kollateralschäden seines Pionierfeldzugs schwadroniert der in freundlichem Grün agierende Zusteller auf seiner Homepage über rosige Aussichten für alle Beteiligten: »Vor allem die werden Erfolg haben, die sich frühzeitig positionieren. Die Chance von heute ist das Win-Win von morgen.« Wer auch immer hier gewinnt: Die Beschäftigten dürften nicht dazu zählen.

Bereits die Deutsche Post war nicht gerade zimperlich beim Kostensparen. Allein zwischen 1999 und 2004 hat sie von rund 177000 Beschäftigten 30000 »abgebaut«. Dem stehen lediglich 15800 neu eingestellte Beschäftigte der privaten Briefdienstleister gegenüber - was bei den Liberalisierungsideologen in der FAZ und der Süddeutschen, die sich beharrlich als Sprecher für die Abschaffung des Brief-Monopols einsetzen, wenig Beachtung findet.

Damit ist auch klar, woher die Privaten ihre Kostenvorteile nehmen müssen: Wenn nicht sonst wo stehlen, dann beim Personal. Die enorme Arbeitsverdichtung und der zunehmende Rückgriff auf prekär beschäftigte Aushilfskräfte ist bereits von der gelben Post bekannt. Dieser Trend zur systematischen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen als Folge der Teil-Privatisierung der Post setzt sich bei den Privaten fort.

Exemplarisch steht dafür die PIN AG, eines der zahlreichen, zum Großteil auf Franchise-Verträgen beruhenden Tochterunternehmen der Pin Group.

Die PIN AG gehörte nach dem partiellen Fall des Post-Monopols zu den ersten Privatanbietern, die Lizenzen für den Post- und Paketverkehr erhielten. Mit einem Umsatz von rund 35,5 Mio. Euro in 2004 und bis zu 600000 Sendungen täglich ist sie eigenen Angaben zufolge im Briefsegment der größte private Wettbewerber der Deutschen Post AG. Mit dem Slogan: »Sparen Sie sofort über 20 Prozent der Portokosten« peilt sie insbesondere die Portokassen der Kommunen an. Neben Berlin, dem Stammsitz der Firma, bedienen sich bereits weitere Groß-Kommunen wie Köln und Leipzig der Leistungen des Dumping-Mailers. Der Magistrat in Frankfurt am Main hatte sich, nach anfänglichem Liebäugeln der großen Koalition mit dem Zusteller, aufgrund von Qualitätsproblemen aus diesem Engagement zurück gezogen. Der rot-rote Senat in Berlin hingegen zeigte sich lange zufrieden mit dessen Leistungen. Er erteilte der PIN AG, von deren rund 1400 Beschäftigten bundesweit allein in Berlin ca. 900 arbeiten, im Bieterverfahren um Postdienstleistungen wiederholt den Zuschlag - derzeit stellt die PIN AG z.B. die Behördenpost zu. Für Briefsendungen bietet sie ein Porto von 48 Cent an - und liegt damit 7 Cent unter dem Porto der Post AG für Standardbriefe. Ob diese Rechnung aufgeht, muss dahin gestellt bleiben, denn zugleich muss das Land Berlin die Zusteller der Pin AG mit Arbeitslosengeld II unterstützen, weil deren Löhne oft unter dem Existenzminimum liegen und das Unternehmen mittels exzessivem Gebrauch aller Varianten prekärer Beschäftigung Sozialabgaben sparen will. Neben dem Berliner Senat und der Berliner Polizei zählen auch Kirchen sowie die Gewerkschaften Transnet, GdP und die IG BAU zu den Kunden der PIN AG.

Von den in Berlin arbeitenden Beschäftigten waren bis vor kurzem nur ca. 500 direkt bei der PIN AG angestellt. Mindestens 30 Prozent von ihnen hatten lediglich befristete Arbeitsverträge. Fast alle Zusteller waren erst Leiharbeitnehmer, bevor sie befristet bei der PIN AG eingestellt wurden. Weitere 350 Beschäftigte arbeiteten als LeiharbeitnehmerInnen auf Basis des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes für die PIN AG; über 300 von ihnen wurden von der Arbeitnehmerüberlassungsfirma Bering International in Frankfurt/Oder ver-mittelt. Hinzu kommen ca. 25 Subunternehmer und ihre jeweiligen Beschäftigten.

Die PIN AG hat Festanstellungen lange Zeit vermieden: ArbeitnehmerInnen wurden - meist über die Bering International - entliehen, in der Regel erst für ein Jahr und dann zweimal für je ein halbes Jahr befristet. Anschließend wurden diese Beschäftigten nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) wiederum befristet übernommen, wobei es sich in der Regel um drei Befristungen, verteilt über zwei Jahre handelt. Dem Fachbereich 10 (Postdienste, Speditionen und Logistik) von ver.di sind Fälle bekannt, bei denen die PIN AG auf ArbeitnehmerInnen zugegangen ist und eine Weiterbeschäftigung an eine dritte Runde in der Prekarisierungsschleife gekoppelt hat: »Zurück zu Bering«, lautete die Vorgabe.

Mittlerweile scheint sich die Strategie der PIN AG leicht geändert zu haben: Statt der teuren Provisionen für die Verleihfirma - die offenbar, so ver.di-Sekretär Benedikt Frank im Gespräch - nur so lange keine Rolle spielten, wie es sich bei dem Deal zwischen PIN AG und Bering International um eine Art verdecktes In-sich-Geschäft handelte, stellt die PIN AG nun selbst ein. Mitnichten ist damit jedoch eine Entprekarisierung oder Personalaufbau verbunden. Derzeit kursieren Überlegungen, verschiedene Abteilungen outzusourcen und das Unternehmen zu zerlegen.

Hinsichtlich der Lohn- und Arbeitsbedingungen sieht es nicht besser aus. Tarifverträge sind inexistent, auch eine Anlehnung an tarifvertragliche Regelungen findet nicht statt. Die Wochenarbeitszeit liegt bei 40 Stunden, der Urlaubsanspruch beträgt, unabhängig davon, ob die Beschäftigten eine 5- oder 6-Tage-Woche haben, 21 Tage. Im Fall der 6-Tage-Woche ist damit der hierfür gültige gesetzliche Mindestanspruch von 24 Tagen unterschritten. Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Mehrarbeitszuschläge: Fehlanzeige.

Die Grundvergütung für Zusteller beträgt 1020 Euro. Dies entspricht einem Stundenlohn von 5,86 Euro. Hinzu kommt eine Prämie von max. 410 Euro pro Monat bei Erreichung aller Zielvorgaben. Die Prämie ist freiwillig, kann jederzeit vom Unternehmen widerrufen werden, und die »Prämienordnung« hat es in sich: Von den 250 Euro »Anwesenheitsprämie« werden je Fehlzeit 125 Euro und je Krankentag 11,50 Euro abgezogen. »Fehler« führen bei der mit 80 Euro angesetzten »Qualitätsprämie« zu Abzügen oder zu deren kompletter Streichung. Das Nicht-Erreichen der »Zielvorgaben« führt zu einer Kürzung oder zum Wegfall der »Quantitätsprämie«, die ebenfalls mit max. 80 Euro angesetzt ist. Ein Teil der bei der PIN AG beschäftigten ZustellerInnen ist auf Grund der miesen Bezahlung, vor allem wenn längere Erkrankungen eintreten, berechtigt, über das ALG II Beihilfen zu beantragen.

Im Zuge der ver.di-Proteste zur Reduzierung der Ausbildungsplätze bei der Deutschen Post AG hatte die PIN AG gegenüber der Presse am 21. Februar 2005 noch erklärt: »Wir wollen ausbilden und haben uns immer wieder für dieses Ziel eingesetzt.« Bis März 2006 bot die Pin AG keinen einzigen Ausbildungsplatz an, und das trotz eines neu anerkannten Ausbildungsberufs »Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen«. Nach massivem Druck von ver.di entschloss sich die PIN AG zwar, Ausbildungsstellen zu schaffen, doch weil sie sich weigerte, betriebsinterne Azubis zu übernehmen und stattdessen Externe einstellen wollte, verweigerte die IHK die Ausbildungserlaubnis. Seit neuestem wirbt die PIN AG auf ihrer Homepage damit, dass qualifizierte Ausbildung »eine Investition in die Zukunft« und die »hohen Qualitätsanforderungen« ihrer Kunden sei - und will insgesamt sechs Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anbieten.

Ein Betriebsrat existiert zwar seit 2003, doch dessen Mitglieder waren überwiegend in leitenden bzw. Vorgesetzten-Positionen tätig. Wie schon bei anderen Tochterunternehmen der PIN Group, in denen es zu Abmahnungen für gewählte BR-Mitglieder kam, gab es auch im Vorfeld dieser Wahl nach Angaben von ver.di massive Behinderungen durch die Geschäftsleitung. Am 11. März 2006 wurde nun im regulären Turnus neu gewählt, wobei sich auf dem gewerkschaftlichen Listenvorschlag überwiegend Zusteller zur Wahl stellten. In das elf-köpfige Gremium wurden dann sechs Angestellte in leitender Stelle gewählt, der BR-Vorsitzende ist zugleich Büroleiter des Geschäftsführers. ver.di glaubte nicht an Zufälle und vermutet eine manipulierte Wahl. Die Gewerkschaft stützte ihre Anfechtungsklage auf ein beschädigtes Siegel der Wahlurne und auf den Umstand, dass Briefwahlunterlagen nicht bestimmungsgemäß aufbewahrt worden seien (vgl. taz, 1. April 2006).

Ihre Klage hat sie mittlerweile gewonnen, doch glücklich ist Benedikt Frank von ver.di Berlin deshalb nicht. Nicht nur hat die PIN AG bereits angekündigt, in die 2. Instanz gehen zu wollen. Auch lässt der noch amtierende BR verlautbaren, er wolle die anstehenden Ausgliederungen »begleiten«. Wohlwollend, so ist anzunehmen nach den bisherigen Ankündigungen, und das bedeutet, dass die ohnehin bestehenden Differenzen zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat eher größer als geringer werden.

Die Gewerkschaft hatte sich schon in der Vergangenheit in die Nesseln gesetzt mit ihrer skandalisierenden Öffentlichkeitsarbeit - der BR warf ihr vor, Kunden zu vergraulen.

Aktuell fordert ver.di eine Reduzierung der Zahl der eingesetzten Leiharbeitnehmer und befristeten Beschäftigungsverhältnisse zugunsten sozial abgesicherter Dauerarbeitsverhältnisse. Außerdem will ver.di branchenübliche Arbeits- und Bezahlungsbedingungen durchsetzen und fordert eine Anbindung an den Flächentarifvertrag der Speditions-Logistikbranche aus dem Jahr 2005. Hier sind für die Tätigkeitsmerkmale der Zusteller von Kurier-, Express- und Postdienstleistungen in Berlin 9,47 Euro ohne KFZ und 9,87 Euro mit KFZ vorgesehen.

Um das Unternehmen unter Druck zu setzen und zur Aufnahme von Verhandlungen zu zwingen, hatte ver.di Kontakt aufgenommen zu den Kunden der PIN AG: Während der Berliner Senat sich zunächst bedeckt hielt, reagierten IG Bau, Transnet und die Polizeigewerkschaft mit einem Brief an die PIN AG. Man sei zwar momentan noch Kunde, werde aber in der nächsten Zeit genau beobachten, wie sich die Arbeitsbedingungen bei dem Zusteller weiter entwickelten.

Mittlerweile haben sich auch die für die Niederungen der Ökonomie zuständigen Arbeitsgruppen »Betrieb & Gewerkschaft« von Linkspartei.PDS bzw. »AG Betriebe« der WASG in Berlin gemeinsam (!) mit dem Fall beschäftigt und einen »Arbeitskreis PIN AG« gegründet. Der soll z.B. das Gespräch mit VertreterInnen der Senatsverwaltung aus der eigenen Partei suchen, parteiinterne und gewerkschaftliche Aktivitäten zur PIN AG koordinieren und sich - auch gegenüber der eigenen Partei - für die Forderung nach einem Landestariftreuegesetz einsetzen.

Ein Resultat der Wühlarbeiten des Basis-Parteivolks: Im Gespräch mit ver.di äußerte Harald Wolf, PDS-Se-nator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen, man werde sich mit dem Fall auseinandersetzen. Immerhin konnte sich der Senat nun dazu durchringen, einen Brief an die PIN AG zu schreiben, in dem zum Ausdruck gebracht wurde, dass das Unternehmen unter Beobachtung steht.

Keineswegs jedoch, hier dürften sich Parteibasis und -obere wieder einig sein, sei es das Ziel, »die PIN AG auf dem Berliner Postverteilermarkt zu diskreditieren«. (Ergebnisprotokoll des WASG/PDS-Treffens vom 23. Mai 2006)

Warum eigentlich nicht?

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 7-8/06


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