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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Erneuerung gewerkschaftlicher Konfliktfähigkeit? Postlerinnen und Postler gegen die Deregulierung des Briefmarktes Im Bereich der Briefsortierung und -zustellung ist der "Wohlfahrtskapitalismus" in arge Bedrängnis geraten. Die Deutsche Post AG, hervorgegangen aus der sozialpartnerschaftlich geprägten Bundespost, hat in ihrer Briefsparte zahlreiche Arbeitsplätze abgebaut. Teilweise konnte diese Schrumpfung kompensiert werden - durch einen Zuwachs an Beschäftigten bei konkurrierenden Briefdienstleistern. Charakteristisch für das Gros dieser neuen Arbeitsplätze ist freilich ein prekäres Potenzial. Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sind bei den neuen Anbietern am Briefmarkt kaum anzutreffen. Es herrschen Arbeitsverhältnisse vor, die durch ein hohes Maß an Unsicherheit, Instabilität und Abhängigkeit gekennzeichnet sind. Viele Beschäftigte haben sich mit befristeten Arbeitsverträgen, Minijobs und mit ausgesprochen niedrigen Löhnen zu begnügen. Oftmals erzielen deshalb selbst Vollzeitkräfte bei den Konkurrenten der Deutschen Post kein existenzsicherndes Einkommen und müssen ihr Gehalt durch Arbeitslosengeld II aufstocken. Bisher besitzt die Deutsche Post ein Monopol zur Beförderung von Briefen bis 50 Gramm. Diese "Exklusivlizenz" soll nach den Plänen der Großen Koalition Ende des Jahres auslaufen. Beabsichtigt ist die Komplettöffnung des deutschen Briefmarktes. Sie droht die Tendenzen in Richtung Sozialdumping und Armutslöhne zu verschärfen. Und den Personalabbau bei der Deutschen Post zu beschleunigen. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) geht davon aus, dass über 30.000 sozial- und tarifvertraglich geschützte Arbeitsplätze beim "Gelben Riesen" verschwinden werden, falls die Bundesregierung an ihrem post- und wettbewerbspolitischen Kurs festhält. Vor diesem Hintergrund fand Mitte Mai in Berlin eine von ver.di organisierte Demonstration statt. Mehrere zehntausend Postbeschäftigte protestierten auf dem Potsdamer Platz "Gegen Liberalisierung ohne Sachverstand". Kritisiert wurde von den Demonstrantinnen und Demonstranten, dass die Bundesregierung auf europäischer Ebene eine Vorreiterrolle bei der Deregulierung der Briefmärkte spielt. Damit einher ging der Appell an die Große Koalition, die Exklusivlizenz der Deutschen Post über das Jahr 2007 hinaus zu verlängern. Oft zu hören waren außerdem Forderungen nach der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und nach verbindlichen sozialen Standards im Postgesetz, um Briefdienstleistern mit besonders prekären Arbeits- und Einkommensbedingungen den Marktzugang zu erschweren. Dass die Zahl der Demonstrantinnen und Demonstranten am 14. Mai höher ausfiel als erwartet, ist zweifelsohne ein erfreuliches Zeichen. Anscheinend haben die aktuellen Debatten über Niedriglohnbranchen und Billigjobs die Bereitschaft zu kollektivem Protest gegen den "Sachzwang Deregulierung" gestärkt. Feststellbar war aber auch: Auf dem Potsdamer Platz protestierten vorwiegend Postbeschäftigte, die im Bereich der Zustellung tätig sind und Vollzeit arbeiten. Kaum vertreten waren hingegen Kolleginnen und Kollegen aus den Briefsortierzentren. Ein möglicher Grund: Der klassische Bezugspunkt betrieblicher Gewerkschaftspolitik - der vollzeitbeschäftigte "Normalarbeitnehmer" - ist in diesen fabrikartigen Knotenpunkten der Postlogistik zu einer seltenen Spezies geworden. Die Belegschaft der Sortierzentren besteht hauptsächlich aus Teilzeitkräften mit oft befristeten Arbeitsverträgen. Sie für gewerkschaftliches Engagement zu gewinnen, bereitet ver.di offenbar erhebliche Schwierigkeiten. Ein weiteres Problem, das am 14. Mai zutage trat: Die Proteste neigen zu einem "Politizismus", der für die zu Recht kritisierten Entwicklungen in der Briefbranche ausschließlich "Berlin" und "Brüssel" verantwortlich macht. Sozialdumping und Lohndrückerei entspringen jedoch nicht nur neoliberal gefärbten Politikrezepten, sondern sind immer auch Ausfluss elementarer Funktionsmechanismen kapitalistischer Ökonomien. Kritische Gewerkschaftsarbeit sollte daher versuchen, einer zu starken Fixierung der Proteste auf Merkel, Glos und Co. entgegenzuwirken - indem sie kapitalismuskritische Reflektionen in die Diskussionen über Prekarisierung und Billigjobs einbringt. Und außerdem sollte sie sich gegen eine "Wir sitzen im selben Boot"-Ideologie wenden: Der Chef der Deutschen Post AG plädiert zwar für gesetzliche Mindestlöhne in der Briefbranche. Ihn als Verbündeten der Gewerkschaften zu betrachten, wäre aber ein Trugschluss. Klaus Zumwinkels wirtschafts- und tarifpolitische Leitbilder haben wenig mit ver.di-Positionen gemein. Erinnert sei an ein neoliberal geprägtes "Reformpapier", das der Post-Chef gemeinsam mit Prof. Klaus Zimmermann - dem Leiter des von der Post finanzierten "Instituts zur Zukunft der Arbeit" - vor knapp zwei Jahren in der FAZ veröffentlicht hat. Geert Naber (Oldenburg), Mai 2007 |