letzte Änderung am 17. Februar 2004 | |
LabourNet Germany ARCHIV! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany |
|
Home -> Branchen -> Dienstleistungen -> Transport -> Bahn -> international -> Wicks | | Suchen |
Im Oktober vergangenen Jahres verabschiedete das EU-Parlament das zweite Paket zur Schaffung eines europäischen Eisenbahnraumes. Damit soll nicht nur das Geschäft für die Bahnen, sondern vor allem auch mit den Bahnen (über Verkauf von Unternehmensanteilen) wiederbelebt werden. Ge-werkschaften in den verschiedenen EU-Ländern befürchten, dass über die bereits für 2006 geplanten Liberalisierungsmaßnahmen vor allem die Qualität leidet – nicht zuletzt aufgrund weiteren Personal-abbaus. Martin Wicks, Aktivist der RMF (National Union of Rail, Maritime und Transport Workers) analysiert, warum ein Festhalten an oder Zurück zu »Staatsbahnen« nicht ausreicht – denn auch hier haben die Briten den Festlandseuropäern einiges voraus. Darüber wollte er auch auf der TIE/ex-press-Konferenz sprechen, um dort mit KollegInnen von der SUD Rail und von »bahn von unten« über eine engere Kooperation auf europäischer Ebene zu beraten. Seine Gewerkschaft setzt sich für einen gesamteuropäischen Eisenbahnerstreik ein, mit dem für die Qualitäten öffentlich angebotener und nutzbarer Mobilität geworben werden soll. Wir dokumentieren den Beitrag von Wicks, der seine Konferenz-Teilnahme leider krankheitsbedingt absagen musste.
Im Zuge ihrer Privatisierung wurde British Rail in über 100 Unternehmen
aufgeteilt:
Verspätungen wurden vor diesem Hintergrund zum Anlass für heftige Auseinandersetzungen, da jede Minute Verspätung entweder Railtrack, den IMCs oder den TOCs zugerechnet werden musste. Die TOCs erhalten staatliche Subventionen, die eigentlich schrittweise abgebaut werden und schließlich ganz wegfallen sollten. Tatsächlich erhalten sie aber heute mehr Geld als zu Zeiten von British Rail.
Im Rahmen des Eisenbahngesetzes von 1993 wurde zudem der Posten des Bahnregulierers (Rail Regulator) geschaffen. Dieser sollte »die kontinuierliche Verbesserung einer sicheren, gut unterhaltenen und effizienten Eisenbahn erreichen, die den Bedürfnissen ihrer Nutzer entspricht, und dafür sorgen, dass in die Fähigkeit investiert wird, der erhöhten Nachfrage im Passagier- und Güterbereich nachzukommen.« In dieser Funktion legte er auch die Gebühren für die Infrastrukturnutzung fest, die den Großteil der Einkünfte von Railtrack ausmachten.
Für Bahnreisende war die Privatisierung ein Desaster. Die Bahn als Verkehrsmittel ist inzwischen sehr viel unzuverlässiger und häufiger verspätet, unter anderem aufgrund von Geschwindigkeitsbeschränkungen, die wiederum auf verrottende Schienen zurückzuführen sind. Reisen ist auf der Schiene zwar immer noch viel sicherer als auf der Straße, aber es hat auch eine Reihe katastrophaler Unfälle gegeben, meist aufgrund von handwerklichem Pfusch.
Auch für die Beschäftigten war die Privatisierung ein Desaster. Sie hat Belegschaften gespalten, und die Gewerkschaften müssen nun eine ungeheuere Anzahl von Unternehmen organisieren. Die RMT hat die Privatisierung zwar besser überstanden als die Gewerkschaften anderer privatisierter Sektoren, aber im Gefolge von Massenentlassungen und Problemen mit der Organisierung einer zersplitterten Arbeiterschaft hat auch sie einen starken Mitgliederrückgang hinnehmen müssen (um ca. ein Drittel).
Im Jahr 2001 meldete Railtrack Konkurs an, und der Handel mit den Aktien des Unternehmens wurde gestoppt. Damit war nicht nur das absolute Fehlschlagen der Bahnprivatisierung nicht mehr zu übersehen, sondern auch das fundamentale Versagen der Eisenbahn-Politik von New Labour. New Labour hatte gedacht, man könne die Eisenbahn durch »Regulation« transformieren, wobei es keine Rolle mehr spiele, wem sie gehöre. Es waren auch Stimmen zu vernehmen, das Problem liege nicht in der Privatisierung an sich, sondern in deren noch auf die Tories zurückgehender Struktur. Wie auch immer: Die Umwandlung von Railtrack zum Blue-Chip-Unternehmen bedeutete unausweichlich eine Orientierung des Unternehmens auf Profite und Dividenden für die Aktionäre. Dies – und nicht unbedingt schlechtes Management – ist der Grund für die Talfahrt des Bahnnetzes. Es war nicht möglich, das Profitmotiv mit der Vorhaltung eines öffentlichen Dienstes zu vereinbaren. Zur Wahrung des Profites konzentrierte sich Railtrack eher auf die Vermeidung von Verschlechterungen denn auf Verbesserungen im System. Aber sogar dieses nicht eben ehrgeizige Ziel wurde verfehlt: Das Netz hat sich sehr wohl verschlechtert.
Im Oktober 2002 trat Network Rail an die Stelle von Railtrack. Network Rail war mehr oder weniger dasselbe Unternehmen, allerdings mit einem neuen Chef – Ian McAllister, der bei Ford GB für die Vernichtung von 30 Prozent der Arbeitsplätze verantwortlich zeichnete. Das Unternehmen ist als privates konzipiert, muss jedoch keine Dividenden erwirtschaften, d.h. es gibt keine Aktionäre. Network Rail ist ein kommerzielles Unternehmen (immerhin: sollte es jemals Profite erwirtschaften – was allerdings äußerst unwahrscheinlich ist –, würden diese in die Infrastruktur gesteckt).
Anfang 2003 verkündete Network Rail, es werde in drei (von insgesamt 18) Regionen die Instandhaltung der Infrastruktur nunmehr direkt kontrollieren, um die Kosten genauer überprüfen und die Ergebnisse der Überprüfung als Benchmark für eine realistischere Preisgestaltung gegenüber den Subunternehmen nutzen zu können. Kurz darauf folgte die Entscheidung, alle Arbeiten in Eigenregie zu übernehmen, die bis dahin der größte Subunternehmer Jarvis ausgeführt hatte, welcher inzwischen im Zusammenhang mit mehreren Zugkatastrophen ins Zwielicht geraten war – immerhin 40 Prozent des Gesamtvolumens. Nur Wochen später beschloss Network Rail, alle Instandhaltungsarbeiten wieder selbst zu übernehmen. Diese Entscheidung wurde zum einen begründet mit den Schwierigkeiten, die Subunternehmer und deren Netz von Sub-Subun-ternehmern zu kontrollieren und zum anderen mit der Notwendigkeit, die Kostenspirale bei der Instandhaltung zu unterbinden.
Auf der Basis dieser Entscheidung werden 18500 Beschäftigte Ende 2004 von Subunternehmern zu Network Rail wechseln. Dies wurde von der RMT begrüßt, die lange gegen das absurde Kontraktsystem gekämpft hatte. Diese Entwicklung wird unsere Mitglieder bei Network Rail (ca. 17-18000) konzentrieren und potenziell unsere Schlagkraft erhöhen, indem sie Beschäftigte der Bereiche Signalbedienung, Schienen- und Signalunterhaltung wieder zusammenführt.
New Labour hat dieser Entscheidung unter der Voraussetzung zugestimmt, dass dies ein Mittel zur Kosten-senkung ist, damit in Zukunft nicht mehr so viel öffentliche Gelder in Network Rail gepumpt werden müssen. Der Verkehrsminister plapperte McAllister nach, es gehe hier »nicht um Renationalisierung, sondern um Rationalisierung«.
2001 hatte die Regierung die so genannte Strategic Rail Authority (SRA) eingesetzt. Sie ist für die strategische Umsetzung eines Zehnjahresplanes der Regierung verantwortlich, der eine Steigerung der Passagier-zahlen um 50 Prozent und ein Wachstum des Güterverkehrs um 80 Prozent beinhaltet. Die SRA »managt und vergibt Franchiseverträge für die Personenbeförderung, entwickelt und finanziert größere Infrastrukturprojekte, managt das Gütergeschäft, veröffentlicht einen jährlichen Strategieplan und ist für einige Aspekte des Konsumentenschutzes verantwortlich.«
Die angesetzten Steigerungsraten waren von vornherein utopisch, vor allem vor dem Hintergrund der sehr komplexen Struktur der privatisierten Eisenbahn. Und dass die Passagierzahlen tatsächlich gestiegen sind, liegt eher am wachsenden Chaos auf den Straßen als daran, dass die Bahn durch einen verlässlichen Service attraktiver geworden wäre.
Die »Verkehrspolitik« der Regierung gleicht heute einem Trümmerfeld. Ihre Ziele sind faktisch aufgegeben worden. Vizepremier John Prescott hatte sich einst, als er noch ein von der RMT finanziell unterstütztes Parlamentsmitglied war, mit der vollmundigen Ankündigung hervorgetan, er werde es als sein persönliches Versagen werten, wenn im Falle eines Wahlsiegs von New Labour nach fünf Jahren keine signifikante Verlagerung des Personen- und Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene stattgefunden haben werde. Als die fünf Jahre um waren, beschloss er, wir hätten seine Aussage damals bloß missverstanden. Inzwischen hat die Regierung die Idee von der Verlagerung komplett aufgegeben und ein riesiges Straßenbauprogramm gestartet.
Die Bahnindustrie sieht sich mit einer massiven Finanzierungskrise konfrontiert. Der Geschäftsplan 2003 von Network Rail veranschlagt eine Summe von 35 Milliarden britischen Pfund (ca. 50 Mrd. Euro), die für die Instandhaltung und Sanierung des Bahnnetzes im Laufe der nächsten fünf Jahre notwendig seien. Der Haushalt sieht dagegen nur 14 Mrd. vor. Daraufhin schraubte Network Rail die geforderte Summe auf 24,5 Mrd. herunter. Der Vorschlag des Bahnregulierers in der Sache lautet, die Regierung solle 22,7 Mrd. genehmigen. Auch dazu konnte sich die Regierung bisher aber noch nicht durchringen.
Die SRA schlägt für Network Rail eine Politik der »differenzierten
Netzinstandhaltung« vor. Im Klartext: Strecken, die als »sekundär«,
»ländlich« oder »nur für Gütertransporte«
klassifiziert werden, müssen mit bis zu fünfzigprozentigen Kürzungen
der Mittel für Instandhaltung und Sanierung klarkommen, was offensichtlich
einen Verfall von Teilen des Bahnnetzes bedeuten wird. Die Zielvorgaben von
Network Rail beinhalten bereits die absehbare Zunahme von Geschwindigkeitsbegrenzungen
aufgrund kaputter Schienen und damit auch die Zunahme von Verspätungen.
Die SRA hatte hierzu die brillante Idee, die Fahrtzeiten einfach länger
zu veranschlagen, um so die Zahl der verspäteten Züge im Rahmen zu
halten.
Unter dem massiven finanziellen Druck strebt das Management von Network Rail
nun nach mehr »Effi-zienz«. Daher war es McAllister auch so wichtig
zu betonen, dass es hier um Rationalisierung, nicht um Wiederverstaatlichung
geht: darum, die direkte Verantwortung für die Arbeit wieder zu übernehmen
und Kosten zu senken. 2000 Beschäftigungsverhältnisse sind inzwischen
beendet worden – davon 700 unfreiwillig. Außerdem soll für
Beschäftigte, die ab April 2004 neu eingestellt werden, die bisher gültige
Ruhestandsregelung, bei der die Höhe der Pension auf der Basis des Lohns
der letzten zwei Beschäftigungsjahre errechnet wird, nicht mehr gelten.
(...)
Die RMT spricht sich nach wie vor für eine Wiederverstaatlichung des gesamten
Eisenbahnnetzes aus. Die Übernahme der Netzinstandhaltung durch Network
Rail ist ein erster Schritt, um aus der privatisierten Bahn wieder ein Ganzes
zu machen. Angesichts der Tatsache, dass es keinen politischen Partner mehr
gibt, der die Interessen der Arbeiterklasse befördern oder sich ernsthaft
der Krise von Umwelt und Verkehr stellen würde, gibt es allerdings in den
Gewerkschaften inzwischen eine Debatte darüber, wie sinnvoll es ist, mit
New Labour einer Partei verbunden zu bleiben, die sich dem Neoliberalismus verpflichtet
hat.
Auf ihrer letztjährigen Generalversammlung hat die RMT daher beschlossen,
das Monopol von New Labour auf politische Unterstützung zu beenden. Die
Genehmigung durch die jeweilige Leitung vorausgesetzt, dür-fen Betriebs-
und Regionalgewerkschaften nun auch Kandidaten anderer Parteien unterstützen.
(...) Dies wäre ein offener Bruch mit der bereits über hundert Jahre
existierenden Bindung an Labour. Und natürlich ist eine politische Alternative,
die eine Wiederverstaatlichung der Eisenbahn ins Rollen bringen könnte,
weit und breit nicht in Sicht, obwohl eine breite Masse dies unterstützen
würde.
Auf jeden Fall markiert die Entscheidung von Network Rail den Anfang vom Ende der privatisierten Eisenbahn. In den nächsten Jahren wird es unausweichlich zu einem Kräftemessen zwischen dem Unternehmen und der RMT kommen, das darüber entscheiden wird, ob wir die Gewerkschaft mit Hilfe des Einflusses unserer Mitglieder aus dem Bereich Infrastruktur stärken können.
Ob es weitere Schritte zur Reintegration der zersplitterten Eisenbahn geben
wird, wird davon abhängen, wie sich die Krise entwickelt und wie die Regierung
auf sie reagieren wird. Unwahrscheinlich ist, dass das Management von Network
Rail in der Lage sein wird, die finanzielle Krise zu bewältigen, wenn es
bei den 30000 Beschäftigten, die Network Rail bis Ende 2004 haben wird,
nicht drastisch kürzen kann. Aber auch dann bliebe immer noch die Tatsache,
dass das Netz ohne mehr Geld vom Staat nicht erhalten, geschweige denn saniert
werden kann.
Unter dem Druck der Verhältnisse wird es vielleicht Ansätze geben,
weitere Teile der Eisenbahn zu reintegrieren; möglicherweise wird aber
auch versucht werden, »unwirtschaftliche« Strecken in ländlichen
und anderen Gebieten zu schließen.
Angesichts des Stellenwertes des Verkehrs für die Wirtschaft und die sich verschärfende Umweltkrise kann die Krise der privatisierten Bahn nur mit einer radikalen Strategie angegangen werden, die in der Vorhaltung von Transport als öffentlichem Dienst die zentrale Aufgabe der Eisenbahn sieht. Eine Bewältigung der Umweltkrise ist ohne signifikante Verlagerung von Personen- und Gütertransport auf die Schiene nicht denkbar.
Kann Renationalisierung ein Weg aus der Krise sein? Ja, vielleicht, aber das
hängt von dem »Wie« ab. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein
ausgelaugtes Bahnnetz verstaatlicht, das während des Krieges überstrapaziert
und zur Ausbeutung durch private Unternehmen freigegeben worden war. Die Regierung
zahlte weit über dem Marktwert veranschlagte Entschädigungen an die
privaten Besitzer, deren immense Profite historisch in einer extremen Ausbeutung
der ArbeiterInnen gründeten, ja sogar mit dem Blut von ArbeiterInnen und
Passagieren erwirtschaftet worden waren. Die überhöhten Entschädigungen
verursachten einen Schuldenberg, der sich vor der nun verstaatlichten Industrie
auftürmte.
Der neuen staatlichen Bahn wurde, beginnend mit dem Gründungsjahr 1948,
abverlangt, jedes Geschäftsjahr mit einer ausgeglichenen Bilanz abzuschließen,
was Investitionen einen Riegel vorschob. Diese wären allerdings angesichts
des erbärmlichen Zustandes, in dem die Privatbesitzer und das während
des Krieges massiv erhöhte Transportaufkommen das Netz hinterlassen hatten,
mehr als notwendig gewesen. Später wurde die Eisenbahn auch noch kommerziellen
Kriterien unterworfen, was in dem Wahnsinn mündete, dass unter Richard
Beeching (Ökonom und Vorstandsvorsitzender von British Rail 1961-1965,
d.Ü.) 8000 Kilometer Strecke stillgelegt wurden. Damit war der Weg frei
für die (im wahrsten Sinne des Wortes) giftige Expansion der »Auto-Ökonomie«,
die Thatcher so am Herzen lag.
Die Labour-Regierung der Nachkriegszeit weigerte sich außerdem, Gewerkschaften oder Belegschaften in irgendeiner Weise in Entscheidungen mit einzubeziehen. Stattdessen wurde eine bürokratische Struktur etabliert, die das Wissen und die Ideen der Beschäftigten außen vor ließ. Natürlich wollen wir zu einer solchen British Rail nicht zurück kehren. Was bliebe den Gewerkschaften aber stattdessen zu fordern?
Der zentrale Punkt ist: Wir wollen eine integrierte Eisenbahn – also eine, die sämtliche privatisierten Unternehmen wieder unter einem Dach zusammenfasst. Und wir wollen sie als öffentlichen Dienst, aus dem der Profit als Motiv verbannt wird. Als radikale Antwort auf die Krise könnte bei der Eisenbahn eine Politik ansetzen, die sich mit der Umweltkrise auseinandersetzt und die Logik der Kapitalakkumulation auf Kosten von Menschen und Umwelt bekämpft. Wenn Menschen und Güter tatsächlich von der Straße auf die Schiene umsteigen sollen, muss der Service verlässlicher und billiger werden. Dies würde die sozialen Kosten des Straßenverkehrs senken – z.B. gäbe es weniger Autounfälle, deren Rechnung dem staatlichen Gesundheitssystem präsentiert wird.
Nach der kapitalistischen Profitlogik erhöht Privatisierung die Effizienz. Letztere wird allerdings ausschließlich an Profiten und Dividenden gemessen, während die sozialen Kosten in dieser Rechnung gar nicht erst auftauchen, sondern direkt an Staat und Steuerzahler weitergereicht werden. Immer noch dominiert z.B. die Einschätzung, Railtrack sei vor 1998 viel effizienter gewesen, obwohl diese »Effizienz« für den Verfall des Schienennetzes und eine ganze Serie von Katastrophen verantwortlich ist.
Was wir brauchen, um die Krise der Bahn zu überwinden, ist eine vergesellschaftete (socialised) Eisenbahn: eine, die als öffentlicher Dienst verstanden und von den Beschäftigten und Nutzern kontrolliert wird. Um eine solche Perspektive zu realisieren, wäre allerdings eine neue politische Bewegung der Arbeiterklasse vonnöten.
In ihrer Satzung hat die RMT »die Überwindung des kapitalistischen Systems« als Ziel festgeschrieben, wel-ches praktisch allerdings nie eine Rolle gespielt hat. Historisch hat vor allem die RMT-Vorgängerin Amalga-mated Society of Railway Servants (ASRS) auf dem Gewerkschaftskongress die Resolution lanciert, die 1900 zur Schaffung des Labour Representation Committee und schließlich 1906 zur Gründung der Labour-Partei führte. Die RMT hat sich auch heute noch nicht völlig von Labour losgesagt. Dass sie sich aber inzwi-schen vorbehält, bei Wahlen auch Kandidaten anderer Parteien zu unterstützen, ist ein neuer politischer Kurs – nicht freiwillig, sondern notgedrungen, da New Labour trotz aller bitteren Erfahrungen unbeirrt an der Privatisierung festhält.
Natürlich ist eine Gewerkschaft keine sozialistische Organisation, und die RMT steht allen ArbeiterInnen im Transportsektor offen. Dennoch liegt die Krise in der Bahnindustrie ganz klar im Scheitern der Privatisierungspolitik begründet und kann nur mit Hilfe sozialer und politischer Lösungen bewältigt werden, die mit der kapitalistischen Logik selbst brechen. Wenn die RMT und andere Gewerkschaften also etwas gegen die Krise ausrichten wollen, müssen sie sich am Aufbau einer politischen Alternative zu New Labour beteiligen, die nicht einfach die Lebensbedingungen unter kapitalistischen Bedingungen verbessern will – so wichtig dies für unsere Mitglieder auch sein mag –, sondern sich für eine neue Gesellschaft stark macht, die sich nicht dem Profitstreben unterordnet, sondern an einer Produktion für menschliche Bedürfnisse orientiert.
Aufgrund der EU-Gesetzgebung bedroht die »Liberalisierung« der Eisenbahn alle Bahnbeschäftigten in Europa. Der Widerstand gegen die Privatisierung hat daher eine europaweite Dimension angenommen. Leider haben die »offiziellen« Gewerkschaften es versäumt, klar gegen Privatisierung Stellung zu beziehen. Auf dem letzten Europäischen Sozialforum tadelte ein RMT-Sprecher den Europäischen Gewerkschaftsbund dafür, dass er der Privatisierung auf EU-Ebene keinen Widerstand entgegensetzt.
Inzwischen haben eine Reihe von Treffen zwischen Vertretern der RMT, der französischen SUD Rail, der italienischen ORSA, der spanischen CGT und anderer Gewerkschaften zur Absprache konzertierter Streik-aktionen stattgefunden. Die RMT hat es leider nicht geschafft, die getroffenen Absprachen einzuhalten, aber die anderen Gewerkschaften haben alle gleichzeitig gestreikt.
Der Kampf in den Massengewerkschaften muss mit den Aktivitäten kleinerer
radikaler Gewerkschaften wie der SUD oder ORSA abgestimmt werden. Auch wenn
die »offiziellen« Apparate von einem Bündnis der RMT mit solchen
Organisationen nicht gerade begeistert sind: Im Interesse der Arbeiterklasse
ist es unbedingt erforderlich, alle zur Verfügung stehenden Kräfte
auf jeder gewerkschaftlichen Ebene zu bündeln, um sich dem neoliberalen
Konsens entgegenzustellen, den die gewerkschaftlichen Bürokratien bereits
geschluckt und den Gewerkschaften aufgezwungen haben. Für diesen Kampf
sind die Erfahrungen aus Großbritannien durchaus wertvoll: An ihrem abschreckenden
Beispiel können Privatisierungsgegner hervorragend demonstrieren, welches
Schicksal andere europäische Länder auf dem neoliberalen Weg erwartet.
Übersetzung: Anne Scheidhauer
* Martin Wicks ist RMT-Aktivist und Mit-Herausgeber der Gewerkschaftszeitung Solidarity. Die Zeitschrift ist mittlerweile auch im Internet präsent: http://uk.geocities.com/solidarity_magazine
LabourNet Germany | Top ^ |