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Updated: 18.12.2012 15:51
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Krank aus Verantwortung

Berliner S-Bahner lernen französisch: »Spontan-Seuchen« gegen wettbewerbsfähige Dienstpläne und andere Privatisierungsfolgen

Der kommende Streik der bei der GdL organisierten LokführerInnen wirft seine »Schatten« voraus. Glaubt man den Vorab-Einschätzungen in der Presse, wird dieser Arbeitskampf Wogen der Empörung auslösen: über die Unverschämtheit der Lohnforderung (bis zu 30 Prozent), die Spaltung der Arbeitnehmer, die vor allem die Transnet-Führung beunruhigt, die unvertretbaren Personalkosten und die riesigen Einbußen, die die Bahn befürchtet, bis zur Verärgerung der Kundschaft über eine notorisch unzuverlässige Bahn, die sich meist am Personal auslässt. Dagegen hilft es vielleicht ausnahmsweise, sich ein Beispiel an der Zeitung mit den großen Buchstaben zu nehmen. Anlässlich des überregional kaum beachteten Kampfs der Berliner S-Bahner gegen einen neuen, »integrierten Dienstplan«, der im Zuge der geplanten Privatisierung eingeführt werden sollte, hat sie so genannte »Blaumacher« nach den Gründen für ihren Ausstand gefragt. Demnach scheint es, dass die individuelle und kollektive Verweigerung das Gegenteil von Verantwortungslosigkeit war. Vielleicht zeigt sich in dieser Art von Verweigerung ein Akt von Zivilcourage am Arbeitsplatz oder gar eine neue Arbeitskampfform? So würde das die Zeitung mit den großen Buchstaben nie sehen – mehr dazu in dem folgenden Beitrag von Willi Hajek und Kirsten Huckenbeck.

»Blaumacher legen S-Bahn lahm! 60 Zugführer melden sich auf einen Schlag krank: Chaos überall. Was heute droht, worum es geht?« (Berliner Kurier, 4. Juni 2007)

»Die S-Bahn-Sauerei! 60 Lokführer erkrankten zum Start des neuen Dienstplans. Berlin: eine mysteriöse Spontan-Seuche beeinträchtigt seit zwei Tagen den Verkehr der S-Bahn erheblich. Hintergrund ist offenbar die Unzufriedenheit der Lokführer mit den neuen Dienstplänen. Rund 60 meldeten sich gleichzeitig krank vom Dienst ab.« (Berliner Kurier, 4. Juni 2007) »Sind die Fahrer etwa gar nicht krank?«, fragt Bild den Betriebsratsvorsitzenden Heiner Wegner: »Doch. Die Lokführer sind überarbeitet, völlig ausgebrannt. Manche können die Verantwortung für die Menschen, die sie befördern, nicht mehr übernehmen.« Und Bild fährt fort: »Der wahre Erreger der Seuche: seit Ende Mai müssen die Fahrer statt 35 jetzt 40 Wochen die Woche ranklotzen. Denn 2008 soll ein Teil des Schienennetzes privatisiert werden. Betriebsrat Wegner empört: ›Die neuen Dienstpläne nehmen kaum noch Rücksicht auf den Wohnort unserer Lokführer‹, ›Wenn ich um 16 Uhr in Köpenick aufhöre und am nächsten Morgen um 4 Uhr in Wannsee anfangen muss, habe ich kaum 9 Stunden Ruhezeit‹, klagt Markus W. aus dem Prenzlauer Berg, seit 20 Jahren Lokführer. Wenn er nachts todmüde nach Hause will, muss er ein Taxi bezahlen. ›Wir sind oft übermüdet. Doch in der Lok darf ich nicht müde sein. Alle zwei Minuten wartet ein Stopp-Signal. Nicht auszudenken, wenn ich das übersehe.‹«

Soweit die Schlagzeilen aus der Presse. Immerhin, Bild interessiert sich für die Arbeitswelt und lässt sogar Kollegen zu Wort kommen, die genauestens ihre Lage beschreiben: Die neuen Dienstpläne führen zu erhöhten Belastungen. Die Antwort der Kollegen war zunächst individuell, sie war mutig, ungehorsam, und sie wurde zu einer kollektiven Aktion, die große Teile des Bahnverkehrs spürbar beeinträchtigte.

Wie kommt es zu solchen Aktionen der Gehorsamsverweigerung von Arbeiter-Individuen und einem Betriebsrat, der offensiv gegen die Pressehetze die Gründe benennt und die Kollegen für ihre mutige Aktion verteidigt?

Die S-Bahn Berlin ist ein Betrieb mit fast 4000 Beschäftigten, die zumeist aus dem Osten Berlins kommen. Der Betriebsrat dagegen war lange Zeit bestimmt von Kollegen der Transnet aus dem Westen. In den letzten Jahren gab es große Unzufriedenheit mit der Informationspolitik des Betriebsrats. Vor einigen Jahren bildete sich eine Gruppe unzufriedener KollegInnen, die »Transparenz für die Basis« (TFB), in der sich Mitglieder der verschiedenen Bahngewerkschaften, d.h. der Transnet und der GDL (der Gewerkschaft der Lokführer), sowie Nicht-Organisierte zusammenfanden, sich zusammen engagieren und diese Verhältnisse ändern wollten. Angefangen vom Ablauf der Betriebsversammlungen bis hin zu Diskussionen im Betriebsrat stellten sie sich die Frage: »Wie führen Bahn-Kollegen in Frankreich ihre Streiks im Transportbereich durch, damit sie eine Unterstützung in der Öffentlichkeit und unter den Nutzern bekommen?«

Eine öffentliche Unterstützungsaktion wird gestartet: »Bürger, schützt die öffentliche Bahn gegen Privatisierung.« 40000 Unterschriften werden auf den Bahnsteigen gesammelt. Im Berliner Tagesspiegel erscheinen konkrete Berichte aus dem Betriebsalltag der S-Bahn. Dort werden die Folgen der Sparmaßnahmen für die Nutzer der S-Bahn benannt, die sich aufgrund der zunehmenden Belastung der Lokführer ergeben, z.B. die stärkere Verschmutzung der Züge und auch Sicherheitsprobleme. Bis heute kennt niemand die Informanten, doch die Berichte wurden gelesen, und die S-Bahn Leitung beschwerte sich über diese Veröffentlichungen, diesen »Geheimnisverrat« im öffentlichen Interesse.

Bei den letzten Betriebsratswahlen erreicht die TFB die Mehrheit im Betriebsrat und stellt seitdem auch den Betriebsratsvorsitzenden. Im Betriebsrat sind nun vier verschiedene Gewerkschaften vertreten: neben Transnet und GdL auch ver.di und die GDBA.

Im vorletzten »unabhängigen Blatt«, so nennt sich die Betriebszeitung der TfB-Gruppe, beschäftigen sich die KollegInnen mit der Dienstplangestaltung und benennen Beispiele aus anderen Verkehrsunternehmen, die zusammen mit den Beschäftigten einen »Wunschdienstplan« erarbeitet haben. Die Dienstpläne haben einen sehr großen Einfluss auf das soziale Umfeld eines jeden Mitarbeiters. Die praktischen Beispiele aus anderen Verkehrsunternehmen in der BRD beweisen den S-Bahnern in Berlin, dass es geht. Doch das S-Bahn-Management in Berlin geht in die andere Richtung mit seiner Dienstplangestaltung, nimmt keine Rücksicht auf das soziale Leben der Mitarbeiter.

»Der Fahrbetrieb in unserem Unternehmen steht somit vor der Wahl, entweder die vorhandenen Erkenntnisse zu nutzen, um unsere Dienstplangestaltung entsprechend der Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern hinsichtlich der Vermeidung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren vorzunehmen bzw. weiterzuentwickeln oder, alle Erkenntnisse ignorierend, die krankheitsbedingten Ausfallzeiten unserer Lokführer in die Höhe zu treiben und die Unfallhäufigkeit zu favorisieren oder zumindest billigend zu beschleunigen«, so die KollegInnen im »unabhängigen Blatt« (Nr. 5/2007, vgl. www.tfb-s-bahn.de)

Die KollegInnen wussten, wie sie diese Frage beantworten wollten. Eine große Anzahl der Lokführer reagierte dementsprechend am 2. Juni, dem Freitagabend nach Bekanntwerden der neuen Dienstpläne. Drei Tage später zog die S-Bahn-Leitung den neuen Dienstplan zurück, der alte Dienstplan wurde übergangsweise wieder in Kraft gesetzt und dem Betriebsrat neue Verhandlungen angeboten.

Die S-BahnerInnen haben französisch gelernt! Sie begründen ihren Protest gegen die neuen Dienstpläne wie folgt:

»Bei der Einführung der 40-Stundenwoche für unsere Lokführer wurden die »integrativen Dienstpläne« als »Allheilmittel des 21. Jahrhunderts« angesehen – zumindest von der Geschäftsführung. Allen Warnungen zum Trotz wurden sie mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, gegen den Willen des BR, durchgesetzt und eingeführt. Es trat genau das ein, was in nahezu jedem Gespräch von den Arbeitnehmervertretern vorausgesehen und von diesen als Spiel mit dem Feuer bezeichnet wurde. Die ›Mörderpläne‹, wie sie von den Kolleginnen und Kollegen bezeichnet werden, forderten bereits in den ersten Tagen ihren Tribut. Spitzenwerte von 120 kranken Lokführern machten die Runde. Die Boulevardpresse beschimpfte verantwortungsbewusste Lokführer, wider besseres Wissen, als Blaumacher. (...) Dass sich unsere Lokführer aus Verantwortungsbewusstsein dienstunfähig gemeldet hatten, ist der Boulevardpresse nicht in den Sinn gekommen. Die Angst unserer Lokführer, eventuell zu Mördern zu werden, interessiert diese Schmierfinken nicht.

Wo lagen nun die Ursachen dieses Desasters? Hier nur eine Auswahl der Gründe:

  • rücksichtslose Ausschöpfung der Rahmenbedingungen der geltenden Tarifverträge durch den Arbeitgeber, bei welcher sowohl soziale und menschliche Belange als auch arbeitsmedizinische Erkenntnisse vollständig außen vor blieben;
  • geplante Ruhezeiten von elf, teilweise nur neun (!) Stunden; [1]
  • Wegfall des wohnortbezogenen Einsatzes, Lokführer, die mit den letzten Zügen aneinander vorbeifahren – bei teilweise exorbitanter Erhöhung der Ausbleibezeit von 16 Stunden und mehr;
  • Freistellung von mehr als 40 Lokführern bei Fortzahlung von deren Bezügen, wobei diese aufgrund hausgemachter Dispositionsprobleme dann auch kurzfristig nicht mehr zur Arbeit herangezogen werden konnten. (...)

Wer bei der Optimierung von Betriebsabläufen zur angeblichen Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit die eigenen Mitarbeiter ignoriert, fällt fürchterlich aufs Maul!

Jeder Arbeitslose kann die Arbeitsbedingungen, unter denen die Lokführer arbeiten müssen, als unzumutbar ablehnen. Ein Blick in das SGB II, § 10, und SGB III, § 121, genügt, um zu erkennen, dass ein Lokführer, die aktuellen Arbeitsbedingungen betreffend, schlechter gestellt ist als ein Langzeitarbeitsloser. Mit welchem Recht werden die Lokführer unter diesen menschenunwürdigen Bedingungen »gehalten«? (...)

Die innerbetriebliche Auseinandersetzung darf nicht auf dem Rücken unserer Kunden ausgetragen werden, und ich bin davon überzeugt, dass wir es hier mit keinem illegalen Streik zu tun hatten.« (»Das unabhängige Blatt«, 5. Jg., Nr. 6/2007, www.tfb-s-bahn.de externer Link)

Wer weiß, vielleicht haben ja auch die Kontakte zwischen unseren französischen KollegInnen und den S-Bahnern dazu beigetragen, dass sich eine solche gemeinsame Sprache entwickeln konnte. Vom 11.–14. Mai hatten wir Besuch von KollegInnen der sud-rail, einer alternativen, basisbezogenen Gewerkschaft der Beschäftigten der Bahn aus Frankreich. Den ersten Kontakt hatte es in Paris bei einem Treffen basisgewerkschaftlicher Initiativen aus Deutschland im Januar 2007 gegeben. An diesem Treffen hatten auch KollegInnen der Gruppe »bahn von unten« teilgenommen, und es entstand eine gemeinsame deutsch-französische Erklärung für eine »öffentliche Bahn im vereinigten Europa« (siehe www.bahnvonunten.de). Daraufhin nahm eine Delegation aus Deutschland von »bahn von unten« auch am nationalen Aktionstag der französischen Eisenbahner gegen die drohende Privatisierung am 8. Februar d.J. teil. Als der Gewerkschaftschef der Transnet, Norbert Hansen, davon erfuhr, schrieb er einen Brief an »bahn von unten« mit der ultimativen Aufforderung, sofort alle Kontakte zur sud-rail abzubrechen. Diese Gewerkschaft gehöre nicht dem internationalen Transportarbeiterverband an, meinte er. Der Briefwechsel ist ausführlich auf der Website der »bahn von unten« dokumentiert. (S. auch express, Nr. 3-4/2007)

Nun kamen die GewerkschafterInnen der sud-rail also zum Gegenbesuch nach Berlin, u.a. um an dem Filmfestival »globale 07«, in dessen Rahmen Filme aus der Arbeitswelt gezeigt wurden, teilzunehmen. Präsentiert wurde auch ein Film über die großen Streikbewegungen in Frankreich von 1995, in dem die Eisenbahner eine sehr wichtige Rolle spielten. In diesem Streik entstanden auch die sud-Gewerkschaften. Bei den Diskussionen nach dem Film waren zwei Bahnkolleginnen beteiligt, die bei »bahn von unten« aktiv sind.

In Frankreich ist es heute selbstverständlich, dass die KollegInnen von der Basis in alle Diskussionen, die sie unmittelbar existentiell betreffen, direkt einbezogen werden, ganz gleich, ob gewerkschaftlich organisiert oder nicht. Auch bei Aktionen werden zumeist Komitees oder Koordinationen von den streikenden Abteilungen oder Belegschaften gewählt. An diesen Komitees nehmen gewerkschaftlich Organisierte wie Nicht-Organisierte gleichberechtigt teil. Die Streikversammlungen entscheiden dann über den Verlauf und das Ende der Streikbewegungen. Seit den großen Streiks von 1995 heißen diese Streiks reconductibles – das bedeutet: Entschieden wird nicht in den Zentralen der verschiedenen Gewerkschaften, sondern unten, vor Ort in den Streikversammlungen. Und allein auf diese Weise ist heute ein wirklich dynamischer Generalstreik noch vorstellbar.

Von daher waren Gruppen wie »bahn von unten« und »Transparenz für die Basis« für die GewerkschafterInnen aus Frankreich sehr vertraut, denn ein Konzept, wie es die Kollegen der »Transparenz für die Basis« auf der betrieblichen Ebene vertreten, kommt ihrer Vorstellung einer basisbezogenen, betriebsübergreifenden und demokratischen Gewerkschaftsbewegung sehr nahe, die auch immer die Interessen der Nutzer der Bahn im Auge hat.

Im Rahmen dieses viertägigen Gegenbesuchs waren wir vom Betriebsrat der S-BahnerInnen eingeladen, einen Blick in den ›Motor‹ des S-Bahn-Alltags zu werfen. Vorne bei den Lokführern und in den Werkstätten hatten wir Zeit, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den französischen Anlagen zu entdecken.

Insgesamt war dieser Besuch in Berlin für uns vier – Roger aus Metz, Christian vom Gare de Lyon in Paris, Emmanuelle vom Gare de l’Est in Paris und Willi von tie-europe aus Berlin – der Beginn einer solidarischen Zusammenarbeit von BasisgewerkschafterInnen, die gerade in einem vereinigten Europa viel lebendiger und vor allem auch handlungsfähiger werden muss. So besteht ein alternatives Netzwerk der Bahngewerkschaften zwar schon seit längerem, und 2003 organisierte dieses Netzwerk auch einen gemeinsamen Streik gegen die Privatisierungsrichtlinien aus Brüssel, doch deutsche Beteiligung gab es bis dahin nicht. Das scheint jetzt vorbei zu sein – es war auch höchste Zeit.

Alle BahnerInnen aus Berlin und Umland sind nun herzlich eingeladen zu einem Besuch an den Pariser Bahnhöfen oder anderswo in Frankreich. Gleichzeitig ist ein weiteres Treffen von EisenbahnerInnen in Rouen, einem der größten Bahnknotenpunkte in Frankreich, im Spätherbst geplant. (Weitere Informationen und Nachfragen dazu über tie-germany oder hajek.willi@berlin.de)

Merci à vous tou(te)s / Danke an Euch alle sagen auf diesem Weg:

Christian Mahieux (sud-rail, Mitglied der nationalen Koordination), Emmanuelle Bigot (sud-rail, internationale Kommission), Roger Zanini (sud-rail – Delegierter der Betriebswerkstätten in Metz), Willi Hajek (tie-europe – basisgewerkschaftliches Netzwerk, das den Aufbau solcher Kooperationen unterstützt, fördert und eine Infrastruktur bereitstellt)

Weitere Informationen:

»Eisenbahnen in Europa: Wohin rollt der Zug? Für einen Öffentlichen Dienst anstelle von Privatisierung!
«, Ränkeschmiede Nr. 15, Bezug über: www.tie-germany.org externer Link oder: express, Niddastraße 64, 60329 Frankfurt a.M., Tel. (069) 679984, email: express-afp@online.de

»Transformatoren«

– ein Lesetipp:

Eine ausführliche Analyse solcher Formen von »Selbstverteidigung, Selbstermächtigung und Selbstbestimmung« findet sich in dem gleichnamigen Aufsatz von Willi Hajek in dem gerade erschienenen Buch »Selbstorganisation. Transformationsprozesse von Arbeit und sozialem Widerstand im neoliberalen Kapitalismus«. An zahlreichen Beispielen aus der jüngeren Vergangenheit wird in einem Vergleich »deutsch-französischer Einblicke« untersucht, wie sich aus zunächst individuellem Protest Formen des kollektiven Ungehorsams und der Verweigerung, gemeinsame Interessen und Aktionsformen entwickeln (können), die den Horizont des Kampfs um Wettbewerbsfähigkeit, Standortsicherungen oder ständischer Gewerkschaftspolitik verlassen und andere Formen einer Vergesellschaftung hervorbringen. Es zeigt sich dabei, dass »französisch lernen« keine Frage der Nationalität ist. Gegenstand dieser Untersuchungen sind z.B. Auseinandersetzungen bei Bayer-Leverkusen, im Münchener Siemenswerk, bei Gate Gourmet, in der französischen Arbeitsagentur ANPE, in der (ehemaligen) Bundesanstalt für Arbeit, auf dem Flughafen Orly, bei der AWO, in deutschen Krankenhäusern u.v.m. Immer geht es dabei um die Perspektive, wie aus einer individuellen Erfahrung von Angst oder Ohnmacht, aus Gleichgültigkeit oder aus defensivem Festhalten an vermeintlichen Sicherheiten Aus- und Aufbrüche und neue Formen einer gemeinsamen, auch gewerkschaftlichen Organisierung werden (können). In anderen Worten: »Ein derartiges Verständnis gewerkschaftlicher Arbeit lässt sich auch als Prozess sozialer Transformation begreifen, in dem sich die abhängig Beschäftigten nicht mehr gleichgültig verhalten zum Inhalt ihrer Tätigkeit und ihrer Folgen, sondern Ansprüche aus der Gesellschaft aufnehmen und eigene Ansprüche an ihre Arbeit stellen. Sie verhalten sich so nicht mehr als Lohnarbeiter, sondern als geselschaftliche Produzenten. Ausgerüstet mit dem praktischen Wissen, das sie täglich für die Produktion und Reproduktion der Gesellschaft brauchen, entwickeln sie so neue Wege zu einer anderen menschenwürdigeren Praxis, deren vollständige Verwirklichung über die gegenwärtige Gesellschaft hinausweist.« (Ebd., S. 157)

Der Band, herausgegeben von Sergio Bologna, Michael Danner, Willi Hajek, Holger Heide, Athansios Karathanassis und Lars Meyer, ist erschienen im Verlag »Die Buchmacherei« (ISBN 978-3-00-021396-0). Eine ausführliche Besprechung folgt in einer der nächsten Ausgaben des express.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6/07


(1) Anm. d. Red.: Gesetzlich vorgeschrieben ist grundsätzlich eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden (ArbZG § 5 Abs. 1). Davon kann wie folgt abgewichen werden: »Die Dauer der Ruhezeit des Absatzes 1 kann in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen, in Gaststätten und anderen Einrichtungen zur Bewirtung und Beherbergung, in Verkehrsbetrieben, beim Rundfunk sowie in der Landwirtschaft und in der Tierhaltung um bis zu eine Stunde verkürzt werden, wenn jede Verkürzung der Ruhezeit innerhalb eines Kalendermonats oder innerhalb von vier Wochen durch Verlängerung einer anderen Ruhezeit auf mindestens zwölf Stunden ausgeglichen wird.« (ArbZG § 5 Abs. 2).


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