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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Entgleist und verspätet: Die fehlgeschlagene Reform der Deutschen Bahn Tim Engartner Noch vor wenigen Jahren warb die Deutsche Bahn mit einem Plakat, auf dem ein sich küssendes Pärchen zu sehen war. Dabei stand „Eigentlich wollte er den IC um 10.27, 11.27, 12.27 usw. nehmen.“ Die Aussage war klar: Unser Kunde darf spontan, frei und individuell sein, die Bahn ist ein flexibler Dienstleister. Heute müsste auf dem Plakat stehen: „Ich muss jetzt leider fahren, Schatz, mein Ticket gilt nur um 10.27.“ Es sind aber nicht allein die Träume der Fahrgäste von flexibel nutzbaren, preiswerten und pünktlich einlaufenden Zügen, die Tag für Tag in den Bahnhofshallen und auf den Bahnsteigen platzen. Auch die Blütenträume des Bahnmanagements vom baldigen Börsengang warten weiterhin auf ihre Umsetzung. Kommt nun also doch die „Bürgerbahn“ statt der „Börsenbahn“? Wohl kaum. Davon zeugt nicht nur der vor wenigen Monaten angekündigte Verkauf von 99 Bahnhöfen in Nordrhein-Westfalen. Statt eine Renaissance zu erleben, wie es die Verfechter der Bahnreform einst vollmundig versprachen, fährt die Bahn täglich tiefer in die Krise: Bahnhofsschließungen zeugen davon ebenso wie Streckenstilllegungen, Verluste in Höhe von 35 Mrd. Euro seit Beginn der Bahnreform im Jahre 1994 und ein drastisch rückläufiges Fracht- und Fahrgastaufkommen. So wickelt etwa die Deutsche Post AG mitsamt ihrem Frachtdienstleister DHL den Transport von Pake-ten und Briefen nunmehr ausschließlich über die Straße ab. Der Abwärtssog der Verkehrsanteile, in den der Verkehrsträger Schiene hineingeraten ist, wird auch daran deutlich, dass das grenzüberschreitende Transportvolumen der Bahn von 56% im Jahre 1950 auf nunmehr 15% gesunken ist – trotz wachsenden Transitverkehrs. Die amtierende rot-grüne Koalition, die einst angetreten war, das Land „ökologisch und sozial zu erneuern“ traf und trifft Entscheidungen, die den im Vorfeld der Bundestagswahl 1998 geäußerten Wahlversprechen diametral entgegengesetzt sind. Sie folgt im Bereich der Bahnpolitik konsequent dem Credo des „schlanken Staates“. Aufgrund der Krise der öffentlichen Haushalte zieht sie die Rückführung der Staats-aktivitäten den dringend notwendigen Investitionen in das Trassennetz vor. Lag die Bahnhofsdichte 1966 in Westdeutschland noch bei 4,1 km, so findet sich im Jahr 2004 entlang des drastisch gekürzten Schienennetzes nur noch alle 7 km ein Bahnhof. Das ist vergleichbar mit einer Streichung jeder zweiten Autobahnzufahrt und gleicht der Entwicklung, die sich seit Jahren in Großbritannien abzeichnet, wo sich zahlreiche wirtschaftlich weniger bedeutsame Regionen endgültig in ein land of waste verwandeln. Insbesondere mit Blick auf die ostdeutschen Bundesländer gilt, dass strukturschwache Regionen, die nur noch unzureichend an das Schienennetz angebunden sind, keinen Anschluss mehr an den Wirtschaftskreislauf finden. Die aktuelle Entwicklung der Deutschen Bahn verläuft ähnlich besorgniserregend wie die ihrer Schwester jenseits des Kanals. Zwar ergibt sich aus Art. 87e Abs. 4 des Grundgesetzes nach wie vor eine Allge-meinwohlverpflichtung des Staates im Hinblick auf den Verkehrsträger Schiene, der Statuswandel der Deutsche Bahn zur Aktiengesellschaft aber bedeutet auf lange Sicht die Abkehr von diesem einst ehernen Prinzip. Das von der Regierungskommission Bundesbahn ausgearbeitete Privatisierungskonzept empfahl neben dem Wechsel der Rechtsträgerschaft eine Bahn, die unabhängig von Subventionen agieren sollte. Die Verfehlung dieses Ziels wird daran deutlich, dass für den Aus- und Neubau des Schienennetzes noch immer öffentliche Zuschüsse von mehr als 3,5 Mrd. Euro pro Jahr fließen. Leider können die Zuwendungen der öffentlichen Hand jedoch nicht als Indiz für eine Neuausrichtung der Verkehrspolitik gewertet werden. Die seit Monaten ausbleibenden Einnahmen durch die LKW-Maut lassen die der Bahn gegebenen, ohnehin dürftigen, Zusagen haltlos erscheinen. Die Folgen der Bahnpolitik, die allein der Steuerungslogik „Konkurrenz und Auslese“ gehorcht, sind weithin sichtbar: Seit Jahren findet das Verkehrswachstum primär auf dem Asphalt statt. Von 1970 bis heute wuchs der Personenverkehr auf der Straße um 134%, der auf der Schiene um nicht einmal 22%. Dabei kann nur eine breiten-wirksame Bestandsoptimierung des Schienennetzes dem im Zuge der EU-Osterweiterung zunehmenden Transitverkehr Herr werden. Das Ziel muss eine Verkehrspolitik sein, die sich weniger an Emissionsgrenzen, Straßenbenutzungsgebühren und Tempolimits als vielmehr an einer Stärkung des Verkehrsträgers Schiene unter Be-tonung staatlicher Lenkungsmöglichkeiten orientiert. Die Bahn ist nämlich nicht nur das umweltverträglichste und sicherste motorisierte Verkehrsmittel, sondern auf-grund der öffentlichen Zugänglichkeit auch ein ausgesprochen sozialer Verkehrsträger. Es ist Zeit, die Weichen neu zu stellen – ohne dass die Bahn entgleist, verspätet ist sie schon häufig genug. |