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Updated: 18.12.2012 15:51
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Betonfraktionen

Tom Adler* über Gewerkschaftspositionen zu S 21

Über die Fakten hinter dem umkämpften Projekt Stuttgart 21 braucht man im express nicht mehr zu schreiben. Sie sind inzwischen überregional bekannt. Wer es ganz genau wissen will, kann mittlerweile die Debatte zwischen S 21-Gegnern und -Befürwortern Woche für Woche live bei Phönix mitverfolgen.

Auch die Protestbewegung wird dokumentiert und analysiert, von der Universität Hohenheim bis zum Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Durchweg mit Ergebnissen, die die Propaganda-Abteilungen der »Tunnel«-Parteien Lügen strafen. Die hatten die S21-Gegner im Wechsel mal als bequeme, in der Vergangenheit sitzen gebliebene Rentner, mal als jugendliche radikale »Berufsdemonstranten« geschmäht, dann wieder als Vertreter der privilegierten Bewohner der Stuttgarter »Halbhöhenlagen«, die keine Ruhestörung und erst recht keine Bauschäden an ihren hochwertigen Immobilien wollten und dafür die »Zukunfsfähigkeit« der Industrie-Region samt Arbeitsplätzen aufs Spiel setzen würden.

Diese ständig wechselnden Denunziationsmuster seitens der S 21-Propagandisten haben versagt, die S 21-Gegner stützen sich in der Stadt und der Region auf ein breites, tragfähiges Fundament.

Sie sind weder von Rentnern noch von Jugendlichen dominiert, sondern stehen mitten im (Arbeits-)Leben: über 60 Prozent sind zwischen 40 und 64 Jahre alt. Der allergrößte Teil sind lohnabhängig Beschäftigte, An-gestellte sind deutlich stärker vertreten als ArbeiterInnen. Zwar sind die im Öffentlichen Dienst Beschäftigten die größte Gruppe (fast 30 Prozent), verarbeitendes Gewerbe und Dienstleistungsbereich stellen aber zusammen immerhin rund 42 Prozent und damit einen großen Teil der Stuttgarter »Berufsdemonstranten«.

Dass die Stuttgarter Bezirksverwaltung von ver.di die Bewegung gegen S 21 schon seit Jahren nicht nur mit papiernen Beschlüssen, sondern ganz praktisch unterstützt, kann LeserInnen des express nicht überraschen. In den Publikationen von ver.di ist Stuttgart 21 ein Thema. Auch die ver.di-Landesleitung und der Bundesvorsitzende Frank Bsirske haben sich auf die Seite der K21-Bewegung gestellt. So hat ver.di im Vorstand des DGB Baden-Württemberg dafür votiert, auf der landesweiten DGB-Kundgebung (Motto: »Deutschland in Schieflage«) am 13. November einen Vertreter der Gegner von Stuttgart 21 auf der Hauptkundgebung reden zu lassen. Was im Grunde eine Selbstverständlichkeit sein müsste. Schließlich hatten die Delegierten des DGB Baden-Württemberg, ein dem Landesvorstand übergeordnetes Gremium, im Frühjahr schon beschlossen, dass S 21 abzulehnen und die Bewegung gegen S 21 zu unterstützen ist. Und was sollte den Organisatoren einer Demonstration näher liegen, als alle Kräfte für eine gemeinsame Sache zu bündeln?

Nicht so die IG Metall. Sie hat im DGB-Landesvorstand alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das zu verhindern, Beschlusslage der DGB-Landeskonferenz hin oder her. Die Massenproteste gegen Stuttgart 21 sind für einen großen Teil des Apparats der IG Metall schlicht ein Unthema. Es kommt in den IGM-Medien einfach nicht vor. Beschlüsse von Basis-Gremien, die sich gegen Stuttgart 21 richten, werden nicht veröffentlicht, geschweige denn vom Apparat umgesetzt.

So hatten sich z.B. Eisenbahner (!) in der IG Metall klar gegen das Milliardengrab S 21 positioniert und um die Veröffentlichung ihrer Position gebeten. Das wurde erst abgelehnt, dann längstmöglich verschleppt.

Besonders tun sich dabei die Bezirksleitung und ihr Bezirksleiter Jörg Hofmann sowie die Spitze der IGM Stuttgart hervor. Kein Wunder: Kollege Hofmann ist offizieller und engagierter Unterstützer im sogenannten »Kommunikationsbeirat« pro S 21. Zwar hat auch in der Stuttgarter Verwaltungsstelle die Basis, die Delegiertenversammlung, einen Beschluss gegen Stuttgart 21 gefasst. Gegen den Widerstand der Bevollmächtigten, die sich danach trotzdem nicht gebunden fühlten, ihn umzusetzen. In Stuttgart geben den Ton schließlich die Betriebsratsvorsitzenden der Auto-Großbetriebe wie Erich Klemm und Uwe Hück an, beide auch bekennende Stuttgart 21-Befürworter. Beide hatten sogar damit gedroht, für die DGB-Demonstration am 13. November in ihren Betrieben nicht mobilisieren zu lassen, falls ein S 21-Gegner auf der Hauptkundgebung reden dürfte.

Was offiziell vorgebracht wird gegen ein Bündnis mit den Stuttgart 21-Gegnern ist samt und sonders unplausibel. Der Konflikt um Stuttgart 21 spalte die Organisation, wird z.B. argumentiert. Dabei haben die Delegiertenversammlungen aller IGM-Verwaltungsstellen der Region Stuttgart und etlicher darüber hinaus sich eindeutig gegen Stuttgart 21 positioniert. Außerdem dürfte es äußert unwahrscheinlich sein, dass die Mehrheitsverhältnisse in der Mitgliedschaft der IG Metall wesentlich andere sind als in der Bevölkerung. Es sind die deutlichen Mehrheiten gegen Stuttgart 21, die den Befürwortern große Sorge bereiten. Eine »Spaltung« zwischen IGM-Spitzen und Basis, in der Tat...

Weiter wird argumentiert, das Feld des politischen Konflikts um S 21 sei keines, das zu den Kernthemen der IGM gehöre. Also verbiete sich eine Positionierung, die in der Organisation polarisieren könne, erst recht. Auch diese Argumentation überzeugt nicht. Die Frage, wofür im »Lohnsteuer-Staat« Milliarden ausgegeben werden sollen, kein Kernthema? Außerdem: war da nicht die (begrüßenswerte) Beteiligung an den Protesten gegen die schwarz-gelbe Atompolitik? Oder der (ganz und gar nicht begrüßenswerte) öffentliche Einsatz der IGM-Spitze gegen die Kürzung der Milliarden im Rüstungshaushalt? Alles politische Themen, die sicher nicht das selbe Maß an »Geschlossenheit der Organisation« erwarten lassen wie eine Lohnforderung.

Diese Argumente sind offensichtlich vorgeschobene. Tatsächlich geht es darum, dass Apparatvertreter wie Jörg Hofmann oder Automobil-Betriebsratsfürsten wie Erich Klemm und Uwe Hück entschiedene S 21-Ver-fechter sind, denen nichts ungelegener käme als eine eindeutige, praktische Kritik der IG Metall an ihrem Agieren Seit’ an Seit’ mit den Vorstandschefs von Daimler, Porsche und den andern Großindustriellen, der schwarz-gelben Landesregierung und der SPD.

Mit denen käuen sie, unbeeindruckt von den Fakten, mantraartig die Propagandaformeln von der »Zukunftsfähigkeit« des Industriestandorts Baden-Württemberg wieder, der ohne Stuttgart 21 aufs Spiel gesetzt werde. Wenn sich Auto-Kapitalist und Auto-Betriebsrat gemeinsam leidenschaftlich für ein Bahnprojekt einsetzen, das nachweislich keine Verbesserung des öffentlichen Transports bringen wird, spricht allein das schon für sich.

Auffällig ist auch, dass die IGM-Bezirksleitung ihre Stahl-Beton-Position zu Stuttgart 21 erst modifiziert hat und für »Moratorium« – »Gespräche« – »Volksentscheid« eintritt, seit die Landes- und Bundes-SPD unter dem Druck der anhaltenden Massenbewegung auf diese Rückzugslinie zurückgewichen ist. Die Bündnis-Bereitschaft im außerparlamentarischen politischen Protest reicht bei den Sozialdemokraten Hofmann, Klemm und Hück (letztere übrigens stramme Unterstützer der Schröder-Politik in der SPD) eben genau so weit, wie es die Interessen der SPD zulassen: Beim Atom-Protest geht das heute, bei Stuttgart 21 nicht, weil die SPD hier nibelungentreu zu den Tunnelparteien CDU und FDP steht.

Aus gewerkschaftlicher Sicht spräche dagegen alles dafür, dass die IG Metall gemeinsame Sache mit den Stuttgart 21-Gegnern machen sollte. Auch das zeigt die »Soziologie des Widerstands«: Ein großer Teil der Demonstranten kommt genau aus den hochqualifizierten Schichten der lohnabhängig Beschäftigten, für die sich Gewerkschaften interessieren müssen. Über 50 Prozent haben einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss. Die große Mehrheit definiert sich selbst als eher links bis mitte-links orientiert und macht ihre Kritik an Stuttgart 21 vorwiegend an gewerkschaftlich »anschlussfähigen« Themen fest: der sozial- und verkehrspolitisch falschen Verwendung der Milliarden, der einseitigen Bedienung von Großkonzern-Interessen und den Demokratie-Defiziten in der Gesellschaft. Man bräuchte nicht einmal Demoskopie, um das festzustellen, sondern nur offene Augen und Ohren auf den Kundgebungen. Dort gibt es tosenden Applaus, wenn Redner die »soziale Schieflage« thematisieren.

Bisher haben daraus nur einige wenige Bevollmächtigte der IG Metall (u.a. Esslingen, Schwäbisch-Gmünd/ Aalen) die richtigen Schlussfolgerungen gezogen und unterstützen den Widerstand praktisch, auch mit eigenen Reden auf Kundgebungen, Demonstrationen und Veranstaltungen. Dass diese guten Beispiele Schule machen und die immer noch vorherrschende (gewerkschafts-)schädliche Partei-Borniertheit in großen Teilen des IGM-Apparats zurückgedrängt wird, ist eines der Anliegen der »Gewerkschafter gegen Stuttgart 21«.

* Tom Adler ist Betriebsrat bei Daimler in Untertürkheim.

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10-11/10

express im Netz unter: www.express-afp.info externer Link, www.labournet.de/express externer Link


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