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Updated: 18.12.2012 15:51
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Vor einer Verfassungsklage?

Prostitution zwischen Evaluation und Rebellion

Die Zwangsregulierung, die der politischen Klasse beim internationalen Kapital- und Finanzmarkt partout nicht gelingen will, ist auf dem Markt für sexuelle Dienstleistungen schnöder Alltag: Ein dichtes Gestrüpp von Gesetzen, Erlassen und Verordnungen unter Beteiligung nahezu sämtlicher Verwaltungsebenen sorgt im bundesdeutschen Prostitutionsgewerbe flächendeckend für Sanktionen, Strafen, Bußgelder, Überwachungen, Kontrollen und Razzien. Und damit einhergehend Entmündigung, Einschüchterung und Angst bei den Betroffenen: Mindestens 200000 Frauen, mehr als drei Viertel von ihnen Migrantinnen, sind hierzulande nach wie vor rechtlich diskriminiert und stigmatisiert.

Daran hat das 2002 in Kraft getretene und seinerzeit von einem gewaltigen Medienrummel begleitete Prostitutionsgesetz (ProstG) der damals rot-grünen Bundesregierung nichts geändert. »Rechtliche Verbesserungen« versprach der Gesetzgeber seinerzeit – von rechtlicher Gleichstellung mit anderen Berufen war schon damals nicht die Rede. Dem gesellschaftlichen Bewertungswandel von Prostitution wollte man Rechnung tragen. Deshalb sollte das diskriminierende Verdikt der so genannten »Sittenwidrigkeit« von Prostitution fallen, indem man drei Dinge neu regelte: Prostituierte sollten ihre Entgeltansprüche rechtlich einklagen können, erleichterten Zugang zur Sozialversicherung haben, und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse sollten für sie straffrei möglich sein.

Die zu diesem Zweck geschaffenen drei Paragrafen des ProstG sowie zeitgleich vorgenommene, homöopathisch dosierte Änderungen im Strafrecht haben sich allerdings – wie man heute weiß – auf die tatsächlichen Verhältnisse nicht wirklich ausgewirkt. Für die Betroffenen blieb im Wesentlichen alles beim Alten: bei rechtlicher Sonderbehandlung und gesellschaftlicher Ausgrenzung.

Das bestätigt auch die im Frühjahr 2007 mit zweijähriger Verspätung von der Bundesregierung vorgelegte Evaluation des ProstG. Der Grund für die Verzögerung der Evaluation lag darin, dass besagtes Gesetz offenkundig ein großer Flop war. Jede Evaluation hätte dies nicht nur feststellen, sondern die Gründe dafür darlegen und Perspektiven aufzeigen müssen. Daran aber hatten die für die Evaluation zuständigen, nunmehr als Großkoalitionäre in Regierungsverantwortung vereinten Parteien SPD und CDU kein wirkliches Interesse mehr. Also gab es erheblichen Abstimmungsbedarf hinter den Kulissen.

Um unliebsamen Überraschungen vorzubeugen, hatte man bereits bei der Auswahl des mit der Evaluation betrauten Instituts große Vorsicht walten lassen. Es fing schon damit an, dass das Bundesfamilienministerium, das für das ProstG politisch verantwortlich zeichnete, sich das für die Evaluation zuständige Institut selbst aussuchte. Einen unabhängigen Bericht durfte man unter diesen Umständen kaum erwarten. Die Wahl des Ministeriums fiel auf eine Einrichtung, die sich nahezu ausschließlich über Drittmittel finanziert und bereits in den Jahren 1998 sowie 2000 selbigem Ministerium zu Diensten war. Man kannte sich also.

Das mit der Evaluation beauftragte »Sozialwissenschaftliche FrauenForschungsInstitut der Kontaktstelle praxisorientierte Forschung e.V.« (kurz: SoFFI K.) war hinsichtlich der Beurteilung von Prostitution auch aus anderen Gründen nicht als unabhängig einzustufen. Denn das in Berlin ansässige Forschungsinstitut ist eine Außenstelle der Evangelischen Fachhochschule Freiburg. An seiner »Grundfinanzierung« ist die Evangelische Landeskirche in Baden beteiligt. Auch dies schützt die Auftraggeber vor unliebsamen Überraschungen bei der Evaluation, wenn man bedenkt, dass sich die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) im Vorfeld der Einführung des ProstG gegen eine rechtliche Anerkennung von Prostitutionstätigkeit ausgesprochen hatte.

Zu den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der Evaluation des ProstG zählten auch Prof. Dr. Barbara Kavemann und die Diplomsoziologin Beate Leopold. Erstere ist nicht nur Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, sondern lehrt Soziologie an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin. Mit ihrer Präsenz im Projekt bleibt der unerlässliche ökumenische Proporz hinsichtlich der Beurteilung von Prostitution gewahrt. Was sollte bei soviel Ausgewogenheit noch schief gehen? Frau Kavemann wie Frau Leopold sind bekannt für ihre Betonung von Gewalt in Geschlechterverhältnissen und für eine entsprechende Befürwortung staatlicher Kontrolle und Intervention in diesen gesellschaftlichen Bereichen. Insofern waren sie geradezu prädestiniert für die Befassung mit Prostitution, einem der am besten überwachten Gewerbe der Republik.

Nicht alles, was das noch unter sozialdemokratischer Verantwortung ausgesuchte Institut darlegte, fand offenbar die Zustimmung der später zuständigen Bundesfamilienministerin von der Leyen (CDU). Sie orderte weitere Expertisen, so dass die 2007 veröffentlichte Evaluation am Schluss aus einer ganzen Reihe unterschiedlicher Einzelberichte bestand: Erstens der 300-seitige »Auszug aus der Untersuchung ›Auswirkung des Prostitutionsgesetzes‹-Abschlussbericht« (Prof. Cornelia Helfferich, Prof. Kavemann, Claudia Fischer, Beate Leopold, Heike Rabe); zweitens die »Vertiefung spezifischer Fragestellungen zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes« in Bezug auf die Themen »Ausstieg aus der Prostitution« und »Kriminalitätsbekämpfung« (Helfferich, Kavemann u.a.); drittens das Gutachten »Reglementierung von Prostitution: Ziele und Probleme – eine kritische Betrachtung des Prostitutionsgesetzes« von Prof. Dr. Joachim Renzikowski; und schließlich noch der vom Bundesfamilienministerium veröffentlichte 80-seitige »Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des ProstG«.

Die Gesamtmenge des so beschriebenen Papiers stand in umgekehrtem Verhältnis zur praktischen Relevanz des in Frage stehenden Gesetzes für die Betroffenen.

Die Ergebnisse der Evaluation lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Sittenwidrigkeit: Ob die »Sittenwidrigkeit« – das zentrale juristische Konstrukt für die rechtliche Diskriminierung von Prostitution – mit diesem Gesetz wirklich abgeschafft worden sei, sei »nicht eindeutig geklärt«, so dass die Tätigkeit der Prostituierten weiterhin unter den Begriff der Unsittlichkeit subsumiert werde und entsprechende Urteile dem Moralempfinden von Ämtern und Behörden überlassen blieben.

Ziviles Vertragsrecht: Die zivilrechtlichen Regelungen des Gesetzestextes seien missglückt. Die fehlende Vereinbarkeit mit dem BGB sei verfassungsrechtlich bedenklich. Praktisch würden die Frauen diese Möglichkeit nicht wahrnehmen. Sozialversicherungsrecht: Die Absicherung von Prostituierten im Krankheitsfall sei »noch nicht gelöst«. Prostituierte würden sich unter dieser Berufsbezeichnung in der Krankenversicherung nicht anmelden und nutzten kaum die Möglichkeit der Pflichtversicherung, sondern vorwiegend die freiwillige Versicherung. Ihre Alterssicherung sei nach wie vor »problematisch«.

Arbeitsrecht: Es gäbe im Prostitutionsgewerbe nur vereinzelt arbeitsrechtlich geregelte Beschäftigungsverhältnisse und diese auch nur im Minijobbereich.

Arbeits- und Gesundheitsschutz: Arbeits-, Unfall- und Gesundheitsschutz seien im ProstG nicht geregelt; Berufskrankheiten nicht definiert. Die Berufskrankheitenverordnung gälte nicht für Prostituierte. Wegen mangelnder Arbeitsverträge greifen Arbeitsschutzgesetze nicht. Da Prostitution nach wie vor nicht als Beruf und Prostitutionsbetriebe nicht als Arbeitsstätten anerkannt seien, gäbe es keine Rahmenbedingungen für die Überprüfung von Arbeitsbedingungen.

Gewerberecht: Nach wie vor gäbe es keine Einigkeit bei der Einstufung von Bordellen als Gewerbe. Die Gespaltenheit im Gewerberecht sei Folge unterschiedlicher Auslegungen des Verständnisses von Sittenwidrigkeit. Die Prostitutionstätigkeit der Frauen selbst werde nicht als Gewerbe anerkannt. Gleichzeitig würden Regierung und Rechtsprechung die Anerkennung von Prostitution als »freiberufliche Tätigkeit« verweigern.

Gaststättenrecht: Auch hier fehle die gesetzgeberische Klarstellung zu der in diesem Gesetz erwähnten »Unsittlichkeit«.

Baurecht: Die Rechtsprechung verneine die Auswirkungen des ProstG auf das Baurecht: Prostitution gälte immer noch als »störender Gewerbebetrieb«, so dass Prostitution in allgemeinen Wohngebieten nicht zulässig sei.

Steuerrecht: Die Regierung favorisiere die Sonderbesteuerung nach dem »Düsseldorfer Verfahren« (dazu unten mehr). Die Finanzämter hielten die Besteuerung nach einem einheitlichen Pauschalverfahren mehrheitlich für ein Verfahren, dem die rechtliche Grundlage fehle.

Ausländerrecht: Im (neuen) Zuwanderungsrecht werde Prostitution weiterhin diskriminierend als »Gewerbsunzucht« tituliert und sanktioniert.

Ordnungsrecht: Nach wie vor bestehe ein Werbeverbot für Prostitution.

Strafrecht: Weiterhin würde die Beibehaltung des Straftatbestands »dirigistische Zuhälterei« das Eingehen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse verhindern. Die nach wie vor beibehaltenen Sperrgebietsregelungen seien »möglicherweise eine unzulässige Einschränkung der Berufsausübung«, heißt es.

Die hochtrabenden Erwartungen an das ProstG waren mithin eine polit-mediale Inszenierung, das Gesetz selbst ein Flickwerk, auf dessen Grundlage alles möglich ist, nur keine Legalisierung von Prostitution.

Eine Farce war auch die Evaluation selbst, wenn man Folgendes bedenkt: Noch ehe sie abgeschlossen bzw. veröffentlicht war und eine öffentliche Debatte darüber hätte geführt werden können, handelten die Bundesregierungen weiter in der Tradition althergebrachter Prostitutionsgegnerschaft. So sorgte noch Rot-Grün 2004 für die Prostitution diskriminierende Passagen im neuen Zuwanderungsgesetz (»Gewerbsunzucht«) und 2005 mit dem 37. Strafrechtsänderungsgesetz für eine erhebliche Verschärfung bei den so genannten »Menschenhandels-Paragrafen«, die vor allem Prostitutionsmigrantinnen kriminalisieren. Unter der CDU/SPD-Bundesregierung wurde 2008 der Einstieg in die Kriminalisierung von Prostitutionskunden beschlossen. Argumente und Bedenken der Evaluation spielten bei all dem nicht die geringste Rolle.

Nach der Evaluation

Nach der Evaluation stehen hinsichtlich der Frage, wie es im Umgang mit dem Prostitutionsgewerbe und den Frauen in der Prostitution weitergehen soll, im Wesentlichen vier politische Positionen im Raum, die im Folgenden dargestellt werden.

1. Die offizielle Regierungsposition der CDU/SPD-Bundesregierung

Das Festhalten der gegenwärtigen Bundesregierung an einem als praxisuntauglich erwiesenen Gesetz hat vor allem drei Gründe: Es habe zu keiner »De-facto-Bindung« von Frauen an die Prostitution geführt; Prostitution sei nicht als Beruf wie jeder andere anerkannt worden, und Razzien im »Rotlichtmilieu« könnten auch weiterhin »im früheren Umfang« durchgeführt werden. Was wollte die konservative Seele mehr?

Die offizielle Sprachregelung lautet nun: Mit dem ProstG sei »nur ein sehr begrenzter Regelungsansatz gewählt worden«. Die jetzige Bundesregierung plädiert dagegen für einen »umfassenden Ansatz der Reglementierung«. Man wolle Prostitution nicht »in jeder Hinsicht neutral« behandeln. Es gelte vielmehr, »den aus gleichstellungspolitischer Sicht problematischen Implikationen von Prostitution entgegenzusteuern«. Fazit: »Prostitution darf rechtlich nicht als zumutbare Option zur Sicherung des Lebensunterhalts gelten.«

Der Regierung gehe es vor allem um eine »Verbesserung der Kontrolldichte«. Wobei es angeblich nicht gegen die Prostitution, sondern nur gegen die mit ihr verbundene »Begleitkriminalität« gehe. So plädiert auch Regierungs-Gutachter Renzikowski für »überraschende Kontrollen« im Prostitutionsgewerbe und ist um Rechtfertigungen nicht verlegen: »Eine rechtliche Diskriminierung liegt in solchen Regelungen nicht«, »da die – mögliche – Ungleichbehandlung gegenüber anderen Berufen durch sachliche Gründe legitimiert ist.«

Hier wird Klartext gesprochen und offen gesagt, dass man für eine Ungleichbehandlung von Frauen in der Prostitution eintritt. Prostituierte haben aus Sicht der Rechtskonservativen nur einen ganz begrenzten Anspruch auf Rechte. Sie haben vor allem ein Recht auf Kontrolle und Überwachung. Die ständige Kontrolle sei schon deshalb nötig, weil »von den Prostituierten selbst nicht erwartet werden kann, dass sie ihre Rechte durchsetzen«, so Renzikowski in seinem Gutachten für die Bundesregierung. Deutlicher kann man den Anspruch auf Entmündigung von Frauen in der Prostitution nicht formulieren.

2. Die Position der Verfasserinnen des Abschlussberichts zur Evaluation

Auch wenn der veröffentlichte Teil des Abschlussberichts zur Evaluation des ProstG mit unzähligen stereotypen Vorurteilen gegenüber Frauen in der Prostitution versehen ist: Man würde den Verfasserinnen des Berichts Unrecht tun, wenn man die wenigen kritischen Passagen ihres Berichts – die in der öffentlichen Debatte unterschlagen werden – nicht zur Kenntnis nehmen würde.

Denn sie sprechen beim ProstG von »mangelnder Eindeutigkeit« hinsichtlich der beabsichtigten Abschaffung der »Sittenwidrigkeit« und fordern vom Gesetzgeber eine »politische Willensbekundung« sowie eine »rechtliche Klarstellung«: »Langfristig ist sicherlich der Gesetzgeber aufgefordert, für Klarheit in Bezug auf den Wegfall der Sittenwidrigkeit zu sorgen und dies gesetzlich festzuschreiben.« Man sollte meinen, genau dies sei mit dem ProstG von 2002 bereits geschehen. Offenbar ein Irrtum. Die genannten Forderungen der Verfasserinnen des Abschlussberichts verdeutlichen nicht nur eine Kritik am geltenden ProstG, sondern ein klares Misstrauen gegenüber der Politik, ob sie es mit dem verkündeten Ziel einer Entdiskriminierung von Prostitution überhaupt ernst meint.

Die kritischen Passagen im Abschlussbericht erwiesen sich allerdings letztlich ohne Biss, da sie politisch blauäugig als ein Problem »mangelnder Klarheit«, nicht aber als ein Problem der hinter dem Gesetz stehenden gesellschaftlichen Partikularinteressen formuliert wurden.

Von den politisch Verantwortlichen werden diese Anmerkungen beharrlich ignoriert und von einer unkritischen Fach- und Medienöffentlichkeit gar nicht erst zur Kenntnis genommen.

3. Die Position des KOK e.V.

Der bundesweite »Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess« (KOK) e.V. ist eine in Potsdam ansässige Dachorganisation von rund 30 Frauenberatungsstellen, die auch Prostituierte beraten und behaupten, sie insbesondere vor dem so genanntem »Menschenhandel« in Schutz nehmen zu wollen. Da der KOK dabei vom Bundesfamilienministerium sowie vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit finanziert wird, ist dessen Selbstdarstellung als »Nichtregierungsorganisation« lediglich eine Fiktion, die man nach außen zur Schau trägt. Enge Verbindungen bestehen darüber hinaus zur staatlich finanzierten GTZ sowie zu Bundeskriminalamt und Landeskriminalämtern, mit denen man kooperiert.

Im Juli 2008 ließ der KOK von Christiane Howe ein Gutachten zur Evaluation des ProstG anfertigen. Howe übernimmt die regierungsamtliche Sprachregelung, beim ProstG habe es sich um eine »begrenzte Regulierung« gehandelt, die man nun in einem zweiten Schritt »erweitern« müsse. Indem das ProstG damit als akzeptable Grundlage eigenen Handelns gewertet wird, fällt Howe hinter sämtliche – von ihr nicht erwähnten – kritischen Bemerkungen der Verfasserinnen des Abschlussberichts zurück. Nicht von Konstruktionsfehlern des Gesetzes, sondern von mangelnder Umsetzung desselben ist die Rede.

Ähnlich affirmativ ist auch ihre Haltung zum Regierungsbericht von der Leyens. Aus dem von ihr extrem selektiv wiedergegebenen Bericht schlussfolgert Howe, die Haltung der Bundesregierung zur Prostitution sei »weder klar noch stringent« (also auch nicht ablehnend), es sei »für jeden etwas dabei«, weshalb NGOs und Fachberatungsstellen sich darauf »positiv beziehen« könnten.

Howe geht es weniger um Rechte der Frauen in der Prostitution, als um die Umsetzung des staatlichen Kontrollbedürfnisses durch Überwachung der BetreiberInnen von Prostitutions-Etablissements und deren aktive Einbeziehung in die Überwachungskette. Ziel sei letztlich »ein von der Öffentlichkeit einzuforderndes zusätzliches Bemühen der Betriebe um Transparenz«. Standards müssten eingeführt und im Rahmen einer Konzessionierung überprüft werden können, um eine »Ausbeutung« der Frauen zu verhindern. »Ausbeutung lässt sich nur dann wirklich definieren und feststellen, wenn Verträge existieren, Bücher geführt werden und die Polizei die Möglichkeit hat, diese ökonomischen Zusammenhänge zu überprüfen.«

»Die Polizei – dein Freund und Helfer«: Davon wissen die Frauen in der Prostitution ein Lied zu singen. Warum ausgerechnet die Polizei eine bewährte Instanz im Kampf gegen ökonomische Ausbeutung sein soll, verrät die Autorin des Gutachtens nicht. Ebenso wenig, warum Finanzämter diesbezüglich hilfreich sein sollen: »Doch Ausbeutung lässt sich allein mit polizeilichen Mitteln nur schwer feststellen, wenn Finanzämter untätig bleiben.«

Es scheint das Ziel des vom KOK e.V. in Auftrag gegebenen Gutachtens zu sein, die ihm angeschlossenen Fachberatungsstellen für Prostituierte auf Regierungs- bzw. CDU-Linie zu bringen. Die Regierungsperspektive wird mit wenigen, unbedeutenden Akzentverlagerungen übernommen und als eine die Betroffenen schützende Politik hingenommen und verkauft.

Auf diese Weise biedert sich ein auf institutioneller Polizeikooperation basierender Polizeifeminismus öffentlich und ohne Scham als unverzichtbares Element von Regierungshandeln an. Doch hinter diesem naiven Etatismus verbirgt sich vor allem der brennende Wunsch nach staatlicher Alimentation der Helferszene. Die unerfüllten Anliegen der Frauen in der Prostitution sind dafür nur Mittel zum Zweck.

4. Die Position von Doña Carmen e.V.: neuer Anlauf zur Legalisierung von Prostitution

Wenn nicht die mangelnde Umsetzung des ProstG, sondern die Mangelhaftigkeit des Gesetzes selbst und die Prostitutionsgegnerschaft der dahinter stehenden Interessen das eigentliche Problem darstellen, so muss der seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts erste neue Anlauf zur Legalisierung der Prostitution hierzulande als gescheitert betrachtet und ein neuer »zweiter Anlauf« unternommen werden.

Die in Frankfurt/Main ansässige Prostituiertenselbsthilfeorganisation Doña Carmen e.V. vertritt seit Längerem diese Ansicht und belegt sie materialreich und argumentativ in der von ihr herausgegebenen und bundesweit vertriebenen Zeitung »La Muchacha«.

Ein wesentliches Argument für einen neuen Anlauf zur Legalisierung von Prostitution ist die Einsicht in die Tatsache, dass ein solches Vorhaben ohne Einbeziehung der Betroffenen selbst gar nicht funktioniert. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass Migrantinnen hierzulande die Mehrheit der in der Prostitution tätigen Frauen stellen. Sie sind als Subjekte im Prozess einer Legalisierung bislang überhaupt nicht ernst genommen, sondern mehrheitlich als Objekte von angeblichem »Menschenhandel« systematisch in die Rolle des unzurechnungsfähigen Opfers gedrängt worden. Damit ließ sich das althergebrachte und die rechtliche Ungleichheit von Prostituierten begründende System des ihnen aufgenötigten strafrechtlichen Sonderschutzes bestens rechtfertigen. Ein zentraler Punkt, zu dem das in der Schriftenreihe der Strafverteidigervereinigungen 2008 von Philipp Thiée herausgegebene Buch »Menschen Handel – Wie der Sexmarkt strafrechtlich reguliert wird« hervorragende Aufklärungsarbeit leistet.

Die komplette Entdiskriminierung und Entkriminalisierung des gesamten Prostitutionsgewerbes, nicht aber der unter dem Vorwand der Bekämpfung von »Ausbeutung« und »Menschenhandel« propagierte »Schutz« der Prostituierten vor der Ausübung von Prostitution – das ist das Minimalprogramm der Legalisierung von Prostitution im 21. Jahrhundert. Alles andere ist Prostitutionsgegnerschaft oder spielt ihr in die Hände.

Sonderbesteuerung von Prostituierten: Auf dem Weg zu einer Verfassungsklage?

Der zweite Anlauf zur Legalisierung von Prostitution muss – wie auch der erste – von den Betroffenen selbst ausgehen. Im Unterschied zur weitgehend deutschen Hurenbewegung der 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wird die neue Bewegung eine Bewegung von Migrantinnen ganz unterschiedlicher Herkunft sein, was die Sache nicht einfacher macht. Der »zweite Anlauf« folgt keinem Masterplan, und die Anlässe dazu sind momentan ebenso verschieden wie die Palette der Repressionen, denen die Frauen in der Prostitution unterworfen sind.

Ein zentraler Punkt, an dem sich gegenwärtig der Unmut der Frauen entzündet, ist die diskriminierende Form der Sonderbesteuerung, der sie zurzeit in sieben von sechzehn Bundesländern unterworfen sind. Nach dem so genannten »Düsseldorfer Verfahren« sollen Frauen unabhängig von ihrem Tagesverdienst täglich 25 Euro Steuervorauszahlung (Berlin: 30 Euro, Sachsen 15 Euro) über die Bordellbetreiber an die Steuerfahndung entrichten. Tun sie das nicht, sollen die Frauen eine ganze Liste persönlicher Daten abermals via BetreiberInnen den Steuerfahndern zuleiten. [1]

Eine täglich zu entrichtende Sondersteuer – wo außer im Prostitutionsgewerbe findet man das? Vermieter, die die Steuervorauszahlungen ihrer Mieter ans Finanzamt weiterleiten – wo außer im Prostitutionsgewerbe gibt es etwas derart Absurdes? Sonderbehandlung tritt an die Stelle von Gleichbehandlung mit anderen Wirtschaftszweigen.

Dass es sich hier offenkundig um Diskriminierung handelt, hat sich herumgesprochen – spätestens seitdem sich im März 2008 in einem von Doña Carmen initiierten Aufruf zu diesem Unrecht 222 Prostituierte an die Öffentlichkeit gewandt haben (abgedruckt in »taz« und »junge welt«). Mittlerweile hat sich auch die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) auf ihrem Bundeskongress im Juni 2008 die Anliegen der Frauen zu eigen gemacht.

Es verbreitet sich zudem die Einsicht, dass das so genannte »Düsseldorfer Verfahren« der Besteuerung von Prostituierten nicht verfassungskonform ist, sondern gleich mehrfach gegen Bestimmungen des Grundgesetzes verstößt: gegen Art. 3 GG (Gleichheitsgrundsatz), Art. 12 GG (Berufsausübungsfreiheit), Art. 19 GG (Rechtsweggarantie), Art. 20 GG (vollziehende Gewalt an Recht und Gesetz gebunden). Mithin ein Fall fürs Bundesverfassungsgericht. Vor diesem Hintergrund startet Doña Carmen e.V. gegenwärtig eine politische Öffentlichkeitskampagne für eine Verfassungsklage gegen die Sonderbesteuerung nach dem »Düsseldorfer Verfahren«.

Die aktuelle Auseinandersetzung um die Sonderbesteuerung von Prostituierten darf nicht nur ein Juristenstreit vor dem Verfassungsgericht sein. Es ist nicht nur ein Kampf um reguläre Besteuerung statt Sonderbesteuerung. Es ist und sollte immer auch eine politische Auseinandersetzung um das Selbstverständnis und die gesellschaftliche Rolle von Frauen in der Prostitution sein: Akzeptieren sie Entrechtung und Entmündigung? Oder wehren sie sich dagegen und nehmen ihre Geschicke selbst in die Hand?

Vielleicht ist diese Auseinandersetzung bereits ein Schritt zu einem zweiten Anlauf in Richtung konsequente Legalisierung von Prostitution. Das wird sich weisen. Noch sind es verstreute Aufmüpfigkeiten, mit denen die Frauen auf ihre Situation aufmerksam machen. Wie beispielsweise die vorübergehende Besetzung des Marburger Stadtparlaments durch zwanzig Prostitutionsmigrantinnen im September 2008. Aber warum sollte es bei solchen Aufmüpfigkeiten bleiben, solange in dieser Republik Rechte nach zweierlei Maß gewährt werden?

Juanita Rosina Henning arbeitet für Doña Carmen e.V., einem seit 1998 existierenden Prostituiertenselbsthilfeverein in Frankfurt a.M.

PS.: Ein Spendenkonto für die Einklagung der Verfassungsrechte auch für Prostituierte in punkto Steuern ist bereits eingerichtet. Spenden sind erbeten: Stichwort »Verfassungsklage gegen Sonderbesteuerung«, Konto 1246 210 132, BLZ 500 502 01, Frankfurter Sparkasse 1822

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11/08


(1) Vgl. dazu: »21 Argumente gegen die Sonderbesteuerung im Prostitutionsgewerbe« bei www.donacarmen.de externer Link


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