Home > Branchen > Einzelhandel > Lidl > Darst | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Der »Schwarz(e) Riese« Lidl – Dimensionen eines Konzerns Mit einem europaweiten Gesamtumsatz von rund 20 Milliarden
Euro brutto, (Managermagazin, 9/2003) im vergangenen Jahr ist der Discounter
Lidl eine der erfolgreichsten Ketten Europas. Die Kette ist Teil der Unternehmensgruppe
Schwarz, Neckarsulm. Die Gruppe betreibt neben Lidl-Discount (ca. 6000
Filialen in Europa) die Vertriebslinien Kaufland SB-Warenhäuser (ca.
551 Filialen in Europa, Umsatz ca. 10 Milliarden Euro) und Handelshof-Concord-Verbrauchermärkte. Expansionsmotor der Gruppe ist die Discount-Kette Lidl. Allein im vergangenem Jahr eröffnete Lidl europaweit 422 neue Filialen. Rund die Hälfte des Umsatzes erzielt Lidl inzwischen im europäischen Ausland. In der Unternehmensgruppe Schwarz arbeiten europaweit rund 85000 Beschäftigte, davon rund 60000 Beschäftigte bei Lidl. Die Schwarz-Gruppe tritt derzeit bereits in 18 europäischen Ländern auf. Weitere Eröffnungen stehen in Kürze bevor. Das Unternehmen gehört somit zu den ökonomisch erfolgreichsten internationalen Handelsunternehmen. In bundesweit 2500 Lidl Discount-Filialen und 23 Niederlassungen (Lager/Logistik, die im August 2004 aus dem Unternehmen ausgegliedert wurden) sind derzeit rund 35000 ArbeitnehmerInnen beschäftigt. In den 500 – 1000 m² großen Lidl-Filialen werden rund 1300 Artikel, darunter auch Obst, Gemüse, Tiefkühlkost und in neuen Läden auch Frischfleisch und Kosmetik angeboten. Knapp ein Drittel des Umsatzes erzielt Lidl mittlerweile im Non-Food Bereich, die Tendenz ist steigend. Lidl tritt dadurch auch zunehmend in Konkurrenz mit Verbrauchermärkten (Extra, Neukauf), SB-Warenhäusern (Real, Globus, Wal-Mart), Kauf- und Warenhäusern (Karstadt, Kaufhof) sowie dem Facheinzelhandel (besonders Textil-Einzelhandel). Hinter dem undurchschaubaren, der Publizitätspflicht ausweichenden und mitbestimmungsfrei konstruierten Unternehmensgeflecht mit zahlreichen Beteiligungen steht der öffentlichkeitsscheue, 64-jährige schwäbische Unternehmer Dieter Schwarz. Einer der Hauptfinanziers der rasanten Lidl-Expansion und Mitglied im Beirat der Unternehmensgruppe ist der Drogerieunternehmer Anton Schlecker, Ehingen/Donau, der Anfang des Jahres 2004 Schwarz mit einem Kredit von ca. 75 Millionen Euro unterstützte. Arbeitsbedingungen, Gewerkschaft und Betriebsräte In Lidl-Filialen arbeiten in der Regel zwischen zehn und 25 Beschäftigte. Meist ist nur die Filialleitung vollzeitbeschäftigt. Selbst die Stellvertretung der Filialleitung und alle weiteren Beschäftigten sind Teilzeitbeschäftigte oder Minijob-Beschäftigte. Die Arbeitsbedingungen in den Filialen sind schlecht, die Filialen sind chronisch unterbesetzt. Druck und Arbeitsbelastung sind für die überwiegend weiblichen Beschäftigten enorm. Lange Öffnungszeiten und unsoziale bzw. familienfeindliche Arbeitszeiten sowie Überstunden prägen den Arbeitsalltag. Überall müssen gravierende Verstöße gegen Tarifverträge und gesetzlichen Arbeitnehmerschutz festgestellt werden. Kontrolle und Überwachung von Beschäftigten stehen auf der Tagesordnung. Niedrige Personalkosten bei Lidl und anderen Discountern erzeugen Druck auf die Arbeitsbedingungen und Betriebsräte im Handel insgesamt. Die Folgen sind Vernichtung von weiteren Vollzeitarbeitsplätzen durch Umwandlung regulärer Arbeitsplätze in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, Stundenkürzungen mit weiteren gesellschaftlichen Auswirkungen wie hoher Arbeitslosigkeit und Finanzierungsprobleme in den Sozialversicherungen. Betriebsräte anderer Unternehmen haben in Folge dieser direkten Konkurrenz und der Dumping-Politik des Discounters Lidl bei der Interessenvertretung gegenüber ihren Arbeitgebern zunehmend erhebliche Probleme, wenn es um die Abwehr von massiven Verschlechterungen für »ihre« Be-schäftigten geht. Beschäftigung bei Lidl ist gekennzeichnet durch Befristungen, nicht existenzsichernde Teilzeitstrukturen und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Tarifliche Bezahlungen sind nicht durchgängig gesichert, oft werden Tarifregelungen zur Arbeitszeit (min. drei Stunden täglich) missachtet. Besonders problematisch wirkt sich die dauerhafte Unterbesetzung auf die Arbeitszeiteinteilung und die Bezahlung tatsächlich geleisteter Arbeitszeiten (sog. »graue« Überstunden) aus. Arbeits- und Leistungsdruck, mangelnde Arbeitsschutzvorkehrungen
und dauerhafte Unterbesetzung prägen den Arbeitsalltag und wirken
sich besonders hart auf schwangere, kranke oder ältere Beschäftige
aus. In allen Filialen werden die Beschäftigten nicht nur an ihren
Arbeitsplätzen kontrolliert und überwacht. Regelmäßig
werden Kleidung, Spinde oder Privat-PKW kontrolliert und durchsucht. Abmahnungen,
Androhungen und Druck durch Vorgesetze gehören zum regelmäßig
angewandten Instrumentarium der Personalführung bei Lidl. Diese und
weitere Methoden werden vor allem auch gezielt gegen gewerkschaftlich
aktive Beschäftigte eingesetzt. Bundesweit existieren derzeit lediglich sieben Einzel-Betriebsräte in Lidl-Filialen. Lediglich in den Lidl-Niederlassungen (Lagern) konnten, allerdings vor deren Herauslösung aus dem Konzern im Sommer 2004, in 15 von 23 Niederlassungen Betriebsräte gewählt werden. Auswirkungen auf Einzelhandelsstruktur und Kunden Die Ansiedlung von Lidl und weiteren Discountern verändert örtliche Einzelhandelsstrukturen enorm. Besonders Innenstädte, Stadtteile und Umlandgemeinden verlieren Einkaufsmöglichkeiten und fußläufige Versorgung. Leidtragende sind Ältere, Behinderte, Arme, Menschen ohne PKW, Frauen mit kleinen Kindern, die nur eingeschränkt beweglich sind. Zwischenzeitlich bilden sich an verschiedenen Orten auch Bürgerinitiativen gegen die Ansiedlung von neuen Lidl-Filialen. Verbraucherschutzorganisationen warnen vermehrt vor gezielter Irreführung, vorgetäuschten Rabatten und Fehlkäufen bei Discountern. Konkurrenz schafft Lidl und die Unternehmensgruppe auch durch gezielte Angriffe auf Ladenschlussregelungen und die volle Ausschöpfung der gesetzlich höchstzulässigen Ladenöffnungszeiten zwischen 6 Uhr und 20 Uhr montags bis samstags und zahlreiche Sonntagsöffnungen. Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen bei Beginn und Ende der Arbeitszeiten gibt es mangels Betriebsräten in den Lidl-Discount-Filialen nicht. Durch die enorme Expansion und deren Auswirkungen auf die
Konkurrenzunternehmen bestimmt Lidl auch die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel
wesentlich mit. Über die niedrigen Personalkosten übt Lidl deutlichen
Kostendruck auf Konkurrenzunternehmen und andere Vertriebslinien des Einzelhandels
aus. Die Personalkosten betragen bei Discountern, wie Lidl, durchschnittlich
3 – 4 Prozent; bei SB-Warenhäusern 6 – 9 Prozent, bei
Kauf- und Warenhäusern 11 – 15 Prozent und im Facheinzelhandel
bis zu 20 – 25 Prozent des Netto-Umsatzes. Achim Neumann Erschienen im express,
Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit,
9/04 |