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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Der Spion, der aus der Wand kam - Aus dem Arbeitsleben eines Schlecker-Detektivs und der Beschäftigten Dank der Veröffentlichungen im Stern sind die Bespitzelungen der KundInnen und Beschäftigten im Einzelhandel wieder in die öffentliche und politische Diskussion geraten. Die technische Entwicklung hat zwar auch das Aus- und Hinterherspionieren im Einzelhandel verändert. Dennoch gibt es neben den High-Tech-Spionen auch heute immer noch den Detektiv in Menschengestalt. Davon können viele im Einzelhandel erzählen. Neben Beispielen, wie gegen die Menschenwürde und den Datenschutz der Beschäftigten verstoßen wurde, gibt es auch solche aus dem Arbeitsleben der Detektive. Und auch dieses Arbeitsleben ist nicht ohne! Bei Schlecker wurde in Filialen eine zweite Wand aus Sperrholz o.ä. mit Gucklöchern eingezogen. Vor Öffnung der Filiale und vor der Ankunft der Beschäftigten wurde der Spion in den Zwischenraum von erster und zweiter Wand eingelassen und musste dort seinen Job erledigen. In Filialen ohne mittägliche Schließung bedeutete dies einen Arbeitstag, der vor acht Uhr begann und bis nach 18/19 Uhr dauerte. Entsprechend sah die Ausstattung des Arbeitsplatzes aus: ein Eimer für die menschlichen Notdürfte, Zettel und Stift zum Festhalten der Beobachtungsergebnisse, Essen und Getränke, ein Tuch zur Lärmdämmung bei Husten und Niesen usw. Angesagt war absolut stilles Verhalten, denn sowohl KundInnen als auch Beschäftigte mussten überwacht werden. Im Vertrag des Detektivs hieß es: »…folgende Aufgaben: a)Verhütung von Diebstählen durch Beobachtung des Kundenverhaltens. b) Beobachten des Personals beim Verkauf und bei Kassiervorgängen; bei Fehlverhalten Meldung an die Geschäftsleitung bzw. an den Sicherheitsbeauftragten…« Der Arbeitstag zog sich in die Länge. Nach dem Einsatz galt: »…nach Auftragsende hat der Sachbearbeiter (Detektiv, Anm. A.K.) das Einsatzergebnis der Detektei bis um 21.00 Uhr telefonisch mitzuteilen.« Die Sollvorgaben setzten den Detektiv (und seine Blase) unter Druck. Denn: »Es werden von den einzelnen Auftraggebern Feststellungen erwartet. Bei der Fa. Schlecker sollten es mindestens 30 pro Monat sein. Dies ist ein Durchschnitt von 1,2 am Tag.« Bei diesem Leistungsdruck und der miesen Bezahlung wurde schon mal der o.g. Eimer, der vom Detektiv mitzubringen war, vergessen, oder dieser war zu klein, und das Ganze schwappte über und prägte dann den Arbeitsplatz zwischen den Wänden. Ein Schlecker-Detektiv beschwerte sich im schriftlichen Tagesbericht unter »Besondere Vorkommnisse: Hinter der Lochwand stinkt es immer noch nach Urin, obwohl der Detektiv schon so offt trum gebeten hatt den Überwachungsstand sauber zu machen.« Nicht auszuschließen ist, dass Erzählungen von Schlecker-Beschäftigten stimmen, wonach sie bewusst nicht sauber gemacht bzw. selbst die Arbeitsbedingungen des Detektivs verschlechtert haben. Denn die Anwesenheit der Detektive blieb nicht immer verborgen. Dazu trug auch bei, dass nicht nur einmal unter der Wand Urin in den Verkaufsraum floss. Hier ein Beispiel für die Überwachung des Personals, das Erklärungen, es ginge »nur um die Verhinderung bzw. Aufklärung von Diebstählen« widerlegt. In seinem Tagesbericht hielt unser Detektiv fest: »Frau M. raucht im Lager und läßt immer die Lager Türe offen, auch wenn wir im einsatz sind. Trotz öffteres Auffordern bleibt die Lagertüre offen, sodas ich die Kosmetik nicht überblicken kann, und wenn ich die Lager Türe zumache, weiß jeder, das ein Detektiv da ist (…) Die VVW (Filialleiterin, Anm. A.K.) Frau A. schaut Frau M. zu wie sie im Lager raucht und sag nicht, das es verboten ist, im Lager zu rauchen. Die VVW Fr. A. raucht selbst im Lager, und es stehen Aschenbecher herum.« Dieses Beispiel zeugt aber auch vom alltäglichen Kampf und der Phantasie von Beschäftigten gegen Bespitzelungen und Überwachungen. So wurde ein Spion »enttarnt«, indem Beschäftigte durch die Gucklöcher Zigarettenrauch in den Zwischenraum bliesen, bis der Detektiv hustend und fluchend hervorkam. Bei Schlecker wurden auch die Filialleitungen wegen der Kundendiebstähle »angespornt«: «Desweiteren möchte Ihnen die Unterzeichnerin mitteilen, dass pro Verkaufstelle und pro Monat mindestens eine Aufdeckung erforderlich ist.« Das »Anspornen« umfasste dann auch täglichen Druck, verschärfte offene und verdeckte Kontrollen in der Filiale. Zu den verdeckten Kontrollen gehörten z.B. so genannte Testeinkäufe. Beispiele aus Schleckers »Testeinkaufsvarianten«:
Es ging also darum, Beschäftigte in Versuchung zu führen bzw. sie reinzulegen. Weitere Varianten wurden ausformuliert für einen »Umtausch«, »Verursachen eines Fehlbons«, »Einlösung einer Gutschrift«, »Einkauf vor Geschäftsbeginn«, »Einkauf nach Geschäftsschluss«, »Einkauf durch ein Kind: Einem Kind wird der passende Geldbetrag und ein Einkaufszettel mit dem Artikel mitgegeben, das der Kassiererin übergeben wird.« Und damit alles auch klappt, wurde verfügt: »Testeinkauf niemals dem Personal bekannt geben!!!!!!!! (...)Testeinkäufe nie sofort danach nachprüfen!! Früh- oder Spätkontrolle einplanen!« Soviel aus der jüngeren Sozialgeschichte des deutschen Einzelhandels. Ohne weitere Worte das Wort an Friedrich Dürrenmatt: »Die Herrschenden müssen bewacht werden, nicht die Beherrschten.« Nachbemerkungen: Die oben genannten Darstellungen sind nur ein kleiner Teil des uns Bekannten – Folgen sind vorbehalten. Alle Zitate stammen aus Originalunterlagen. Namen wurden verändert. Die Broschüre zur Schlecker-Kampagne ist jetzt in der zweiten Auflage erschienen und über den express erhältlich. * Anton Kobel hatte als HBV-Geschäftsführer von Mannheim/Heidelberg 1994/95 die Schlecker-Kampagne entwickelt und mit KollegInnen und zahlreichen »Menschen guten Willens« realisiert. Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 4/08 |