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Updated: 18.12.2012 15:51
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Erneute Verdachtskündigung gegen Kassiererin in Witten – Ein erster Prozessbericht

»Hält man uns eigentlich für komplett bescheuert?«

Das oder ähnliches wird sich der geneigte Beobachter nach den Gütetermin im Arbeitsgerichtsverfahren Edeka-Markt Bertram in Witten gegen die Kassiererin Gaby Gramckow gefragt haben. Und geneigte Beobachter gab es viele: KollegInnen von Frau Gramckow, ver.di KollegInnen, Freunde, Vertreter der Partei Die Linke und Journalisten waren an diesem kalten Mittwoch, dem 18. Februar zum Arbeitsgericht nach Bochum gekommen, um Ihre Solidarität vor und im Gericht zu demonstrieren oder über ihn zu berichten. Ach ja, die »Gegenseite« war natürlich auch anwesend. Marktleiter, Inhaber und Namensgeber von Edeka-Bertram in Witten, Herr Norbert Bertram und seine Rechtsanwältin.

Was war geschehen?

Ich bin geneigt zu sagen: Nichts! Jedenfalls „nichts“ Ungewöhnliches mehr in diesem Land: In diesem Fall wird ein Filialbetrieb der Edeka Regionalgesellschaft Rhein-Ruhr „privatisiert“. Der neue Eigentümer übernimmt das Geschäft samt Personal (für ihn wahrscheinlich ärgerlich genug), ein Betriebsrat wird gegründet (schwer genug für die KollegInnen und ganz schwer zu ertragen für den neuen Besitzer), es gibt Konflikte zwischen beiden Parteien, es hagelt Abmahnungen seitens der Filialleitung gegen die Betriebsrätinnen und der Druck auf sie wird weiter erhöht, der Betriebsrat gibt nicht auf und schwupp die wupp finden sich bei der Vorsitzenden zwei Uhren im Betriebsratsschrank. Diebstahl! Kündigung! Nichtzustimmung des Betriebsrates! Prozess!!

So darf man völlig unbekümmert den Sachverhalt und den Anlass eines Prozesses vor dem Bochumer Arbeitsgericht unter der Leitung der Richterin Frau Groeger zusammenfassen, dessen Auftakt mit einer Güteverhandlung am Mittwoch dem 18.02.2009 begann.

Kesseltreiben! Komplott!

Genau diese Worte waren es, welche im Saal, zu sagen wir mal, einer gewissen »Erheiterung der Massen« geführt haben. Sie stammten nämlich von der Rechtsanwältin des Arbeitsgebers, wohlgemerkt! Es war nicht der (eher gelassen und zuversichtlich auftretende) Anwalt von Frau Gramckow, der wahrscheinlich allen Grund gehabt hätte, mit ähnlichen Worten die Behinderung der Betriebsratsarbeit oder des nun angeklagten Diebstahls zu bezeichnen. Nein, die Arbeitgeberseite hat irgendwie Schwierigkeiten damit, wie der Fall in der Öffentlichkeit behandelt wird und empfindet die bisherige Presseberichterstattung und wohl auch die vielen Anwesenden im Gerichtssaal als »Kesseltreiben« gegen ihren Mandaten und diesen dann wohl auch als Opfer eines »Komplotts«.

»Scheiß der Hund drauf«

Jetzt ist, meinem bescheidenen Wissen nach, ein Komplott eine heimliche Handlung, eine Verabredung zur Verschwörung. Tja, so ist das wohl und insoweit hat Frau Anwältin in ihrer Wortwahl wohl auch recht. Denn „heimliche Handlung“ und „Verabredung zur Verschwörung“ scheinen den Sachverhalt sehr gut zu treffen.

Denn da sind jetzt zwei Uhren (Gesamtwert ca. 35€), da ist ein Betriebsratsschrank mit zwei Schlüsseln in der Hand des Betriebsrates, da ist eine Detektivin und da ist ein Ladeninhaber.

Und wenn ich den Anwalt von Frau Gramckow an dieser Stelle richtig verstanden habe, spielte sich so ungefähr folgendes ab: Die Detektivin, eine gewisse Frau W., welche nicht im Gerichtssaal vertreten ist, behauptet laut Aktenlage, den Marktleiter Herrn Bertram am 23.12. des letzten Jahres auf »Ungewöhnliches« aufmerksam gemacht zu haben. Sie will angeblich beobachtet haben, wie Frau Gramckow ganz offen mit zwei Tchibo-Uhren und einem Paket Kaffee in den Aufenthaltsraum gegangen sei. Später habe Frau Gramckow ohne Uhren, aber mit dem Paket Kaffee den Pausenraum wieder verlassen. Wohlgemerkt: Sie beobachtete dies von einer Position außerhalb des Pausenraumes, konnte also nicht sehen, was mit den angeblichen Uhren in der Zwischenzeit passierte.

An dieser Stelle sei kurz erwähnt, dass Frau Gramkow dies natürlich entschieden zurückweist. Und dies zurecht: Kein Mensch, erst recht keine Betriebsrätin, die unter permanenten Beschuß durch die Geschäftsleitung steht, keine Betriebsrätin, die weiß, dass das kleinste Vergehen, der kleinste Verstoß unnachgiebig durch die Geschäftsführung bestraft werden wird, latscht völlig unbekümmert mit 2 Uhren und einem Paket Kaffee an einer Ladendetektivin vorbei, die ihr und dem ganzen Personal übrigens seit langem bekannt ist, und kommt aus der Pause dann ausgerechnet nur mit dem Paket Kaffee wieder raus. Aber dazu gleich mehr.

Zunächst wird’s nämlich erst mal richtig merkwürdig: Herr Bertram bestreitet den Vorgang nämlich so und bleibt, auch nach Rückfrage durch den Anwalt von Frau Gramckow, bei seiner Behauptung, erst am 29.12.2009 »eine Info von der Detektivin erhalten« zu haben. Am dem besagten Tag, dem 23.12. um 18:45 habe sich die Detektivin hingegen nur verabschiedet und frohe Weihnachten gewünscht. Merkwürdig genug, aber wie sagen wir in Bochum: »Scheiß der Hund drauf« Also 23.12. oder 29.12. Irgendwann wird’s der Herr schon erfahren haben.

Dumm nur, dass er nicht umgehend gehandelt hat. Dumm nur, dass er wusste, dass »Auffälliges vorging« und nicht umgehend eine Anzeige wegen Diebstahl bei der Polizei erstattet hat, sondern wartete und wartete, ob ein oder zwei Wochen sei mal völlig dahingestellt und Frau Gramckow an ihrem ersten Arbeitstag im neuen Jahr damit beglückte, sie auf etwas »Unangenehmes« ansprechen zu müssen. Aber lassen wir doch den Kollegen Gunar Klapp, Gewerkschaftssekretär bei ver.di Südwestfalen erzählen. Die Kollegen haben nämlich umgehend gehandelt, die Presse und die Öffentlichkeit informiert und bereits am 6. Januar in der Edeka-Filiale ein Flugblatt an die KollegInnen verteilt:

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Glaubt Ihr, Eure Betriebsräte klauen Uhren?

Am ersten Arbeitstag des neuen Jahres hat Herr Bertram (in Begleitung der Detektivin Frau W.) die Kollegin Gaby Gramckow auf etwas "Unangenehmes" angesprochen; sie möge doch den Betriebsratsschrank öffnen. Dies hat sie getan – und siehe da: im Betriebsratsschrank fand er 2 Tchibo-Uhren, die da nicht rein gehören!

Wie die Uhren da hineingekommen sind -wir wissen es nicht und der Betriebsrat und die Kollegin Gramckow wissen es nicht.

Wer etwas wusste, war Herr Bertram (und Frau Wendtland?): er wusste jedenfalls, dass sich im Schrank etwas "Unangenehmes" befand. Woher er das wusste -wir wissen es nicht. Er (und vielleicht Frau W.?) wird es wissen und er wird den zuständigen Behörden, zu allererst der Kriminalpolizei, die wir zum Schutz der Kollegin Gramckow einschalten, erklären und erklären müssen, wie sich das alles zugetragen hat mit den 2 Uhren, die sich im Betriebsratsschrank vorfanden und die er offenbar ahnungsvoll dort vorausgesehen hatte.

Glaubt Ihr, Eure Betriebsräte klauen Uhren (-und deponieren sie im Betriebsratsschrank) ?

Herr Bertram glaubt dies offenbar, jedenfalls hat er die Kollegin Gramckow freigestellt und Frau W.(!) stellte eine Strafanzeige in Aussicht. (Dass die Kollegin Gramckow sich bei einer Freistellung nicht mehr um Überstunden und um ordnungsgemäße Temperaturen und um einiges Anderes im Interesse der Kolleginnen und Kollegen kümmern könnte, ist von Herrn Bertram sicherlich nicht beabsichtigt, schließlich lagen ihm alle diese Dinge auch ohne den Betriebsrat immer sehr am Herzen -aber zwei Uhren im Betriebsratsschrank -was soll er da schon machen!?!)

Glaubt Ihr, Eure Betriebsräte klauen Uhren (-und deponieren sie im Betriebsratsschrank) ?

Wir glauben das nicht! Wir glauben vielmehr, dass ein aktiver Betriebsrat zukünftig an der Interessenvertretung für die Belegschaft gehindert werden soll. Dem werden wir uns mit allen Mitteln widersetzen. Wir werden alles daran setzen, dass dem Betriebsrat und der Kollegin Gramckow und Euch allen, um deren funktionsfähige Interessenvertretung es geht, Gerechtigkeit widerfährt!

Wir sind zuversichtlich, dass das "Geheimnis der 2 Uhren im Betriebsratsschrank" bald gelüftet und die Wahrheit ans Tageslicht kommen wird!

Wir sind solidarisch mit der Kollegin Gramckow, mit dem Betriebsrat und Euch allen! Haltet Augen und Ohren offen –wir informieren weiter!

Also um es klar zu sagen: Selbst wenn man die Aussage der Detektivin, sie habe Frau Gramckow mit 2 Uhren und einem Paket Kaffee in den Pausenraum gehen sehen, nicht in Frage stellt, die Tatsache, dass die Detektivin, wiederum laut eigener Aussage, nicht gesehen hat, was mit den Uhren dort passierte und dann sofort und ohne zu zögern auf den Betriebsratsschrank zeigt, spricht für sich.

Aber das ist noch nicht alles! Unabhängig also davon, dass in seinem schönen Edeka-Markt »irgendwas vorgeht«, was offensichtlich nicht sofortiger Klärung bedarf, dass Herr Bertram eine Detektivin anstellte, die laut ihrer eigenen Aussage, einen angeblichen Diebstahl beobachtete und nicht umgehend einschritt, gibt’s da ein weiteres Mysterium.

Zwei oder drei Schlüssel – Eine hochinteressante Frage!

Jetzt ist der Schrank in dem sich die Uhren gefunden haben, nicht irgendein x-beliebiger Schrank. Nein! Der Schrank steht sozusagen nicht freiwillig dort, er musste nämlich beim Arbeitsgericht mühsam erkämpft werden, genauso wie der Raum für den Betriebsrat auch. Und da wird’s wieder interessant. Da kauft oder besorgt also ein Herr Bertram seinem innig geliebten Betriebsrat einen Schrank, natürlich nicht ohne vorher die Gerichte zu bemühen (wär ja auch langweilig, das Leben sonst), lässt ihn also ins, logischerweise vorm Arbeitsgericht erkämpfte Betriebsratsbüro stellen, gibt dem Betriebsrat alle (zwei?) Schlüssel und bedankt sich artig für die tolle Kooperation. Dann wird noch kurz mal eben komplett bestritten, die Arbeit des Betriebsrates überhaupt jemals irgendwie behindert zu haben. (Siehe dazu: „Betriebsratsvorsitzende soll gekündigt werden: Edeka-Leiter wirft ihr Diebstahl vor“ Artikel von Lisa Timm in den Ruhr-Nachrichten vom 8. Januar 2009 externer Link und auf die Frage der Ruhrnachrichten, woher er denn gewusst habe, dass sich zwei Uhren im Schrank befinden, „Dazu mache ich keine Angaben.“ mit Verweis auf ein schwebendes Verfahren geantwortet. Nun bin ich kein Jurist, ich besuche auch nicht laufend Kündigungsprozesse, aber wenn einer von mir verlangt zu glauben, dieses »Kündigungsszenario« sei nicht konstruiert, der muß mich für komplett bescheuert erklären.

Diese »kleine Möglichkeit«, dass es noch einen dritten Schlüssel geben könnte, dass unter Umständen auch Detektive mal Erfolge, sagen wir mal, »erzwingen« könnten oder unter Umständen irgendwelche Personen sonstwie Zugang zu einem möglicherweise vorhandenen dritten Schlüssel haben könnten, die nur persönliche Rache an Frau Gramckow nehmen wollen, die wird bestehen bleiben und so wie ich die Richterin richtig verstanden habe, auch Gegenstand der weiteren Beweisaufnahme sein müssen.

Dieser Prozess ist von Anfang an unsinnig und verfolgt einen ganz eindeutig gewerkschaftsfeindlichen Aspekt. Der Prozess besitzt einzig und allein den »Vorteil«, dass diesmal die Beklagte, Frau Gramckow, eine gestandene Gewerkschafterin ist, die von vorneherein klar macht, dass sie sich so eiskalt nicht abservieren lassen wird und die Stärke beweisen wird, das hat man ihr angesehen. Und dass ver.di hinter ihr steht, ebenfalls. Denn ohne Öffentlichkeit, ohne permanent Druck auf den speziellen Edeka-Markt und auf die übergeordnete Edeka Handelsgesellschaft Rhein-Ruhr mbH auszugeüben, also letztendlich auch ohne den Druck des Kunden, der vor sich bei Herrn Bertram beschwert, ist diese zwar billige, aber dennoch sehr ernst zu nehmende Verdachtskündigung nicht zu bestehen. Und die Beweise, nein, nach diesem ersten Verhandlungstag, mache ich mir da keine Sorgen, da sind keine Beweise gegen Frau Gramckow, aber da sind unzählige Hinweise darauf, welches Klima im Umgang mit Beschäftigten im Einzelhandel herrscht. Nicht nur bei Aldi, Schlecker, Lidl und Kaiser‘s und wie sie alle heißen. Sondern eben auch bei Edeka. Und damit muß Schluß sein, wir sind doch nicht komplett bescheuert!

Ein Termin für den nächsten Verhandlungstag (Kammertermin) steht noch nicht fest.

Ralf Pandorf, Bochum, 09.03.2009


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