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Updated: 18.12.2012 15:51
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Gralshüter ohne Gral?

Leonhard Regneri* über Umbrüche in der Bankenbranche

»Was ist Standortsicherung wert«?, so unsere skeptische Frage zu den Hintergründen betrieblicher Erpressungsszenarien, der wir anhand einer Artikelserie über die Entwicklungen in verschiedenen Branchen genauer nachgehen. Von unseren ExpertInnen wollten wir wissen, wie sie die ökonomische Situation in ihrer jeweiligen Branche sehen und haben sie daher gebeten, ihre Einschätzungen entlang folgender Fragestellungen zu formulieren: Wie stellt sich die Auftragslage bzw. Nachfrageentwicklung dar? Wie verändert sich die Wertschöpfungs- bzw. Produktionskette? Was zählt (noch) zum »Kerngeschäft«, welche Bedeutung haben Investitionen in dieses bzw. alternative Kapitalverwertungsformen? Und welche Konsequenzen hat dies für die Beschäftigungsentwicklung?

Nach dem Beitrag von Nicole Mayer-Ahuja über die Situation im Reinigungsgewerbe (express, Nr. 1/2006) folgt nun ein Blick auf die Bankenbranche.

Herr Ackermann erscheint als die Personifizierung der Rolle der Banken in der Globalisierung und der Durchsetzung neoliberaler Politik. Sein Gehalt als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank stieg im letzten Jahr um 18 Prozent und liegt bei zwölf Mio. Euro, während sein propagandistischer Lautsprecher Prof. Norbert Walter den Beschäftigten das Maßhalten predigt. Er orientiert die Deutsche Bank auf das Ziel einer Eigenkapitalrendite von 25 Prozent und nimmt - ganz angelsächsisch - für die letzten paar Prozent sogar weitere Entlassungen in Kauf. [1] Als Repräsentant des größten deutschen Bankinstituts wirkt er allenthalben an Strategien für die Bildung eines deutschen »Champions« auf dem Welt(finanz)markt.

Die Branchensituation insgesamt stellt sich freilich differenzierter dar. Die Märkte für die Finanzdienstleistungen der Banken entwickeln sich sehr unterschiedlich. Globalisierung und neoliberale Politik verändern die Bedingungen. Dabei sind die Banken gleichzeitig Betroffene und Akteure dieses Veränderungsprozesses.

»Kerngeschäfte« im Wandel

Die Banken sammeln einerseits Geld und investieren es klassisch über den Kredit in unternehmerische Tätigkeit. Auf der Finanzierungsseite ist Deutschland nach wie vor im internationalen Vergleich deutlich stärker kredit- und damit bankenbasiert. Allerdings ist die Bedeutung dieses klassischen Geschäfts in den drei Säulen des deutschen Bankgewerbes (Privatbanken, Sparkassen, Kreditgenossenschaften) sehr unterschiedlich. Während zwischen 1990 und 2003 bei Sparkassen und Kreditgenossenschaften der Anteil von Kundeneinlagen und Krediten an Nichtbanken von knapp 80 Prozent auf etwa 70 Prozent zurückgegangen ist, sank er bei den Großbanken in diesem Zeitraum von knapp 50 Prozent auf 26 Prozent. [2] Der Rest der Bilanz besteht aus Geschäften mit anderen Banken und Anlagen am Kapitalmarkt.

Auf der Einlagenseite dreht sich die heute gemeinhin »Vertrieb« genannte Sammelfunktion um das Volumen der volkswirtschaftlichen Sparquote von z.Zt. ca. 160 Mrd. Euro jährlich. [3] Die Banken nehmen die Einlagen in Verwahrung und verwalten und verzinsen diese Vermögen. Sie agieren aber auch als Vermittler für die Sparleistung, wenn sie Versicherungen oder Wertpapiere verkaufen. Nimmt man als grobes Indiz das Vermögen der privaten Haushalte in Deutschland, das der Armutsbericht der Bundesregierung auf etwa fünf Billionen Euro schätzt und stellt dagegen das Volumen der Einlagen von Nichtbanken bei den Banken in Höhe von ca. 2,5 Billionen Euro, so ergibt sich, dass die Banken etwa die Hälfte des gesamten Vermögens in ihren Büchern halten. [4]

Die Bedeutung, die die Tätigkeit der Banken als Akteur am Kapitalmarkt auf eigene Rechnung hat, ist besonders bei den Großbanken ausgeprägt. Nimmt man als Indiz für die Bedeutung dieses Geschäftszweiges das Handelsergebnis, in dem allerdings nur Teile der Erträge aus diesem Geschäft bilanziert werden, zeigt sich die hohe Volatilität dieses Geschäfts. So ist zwar bei den Großbanken das Handelsergebnis zwischen 1993 und 2000 fast um den Faktor 2,5 gestiegen, aber bis 2002 auch wieder auf die Hälfte gesunken. [5] Noch volatiler und konjunkturabhängiger ist die Rolle der Banken als Arrangeure bei der Emission von Anleihen oder Aktien und als Berater bei Firmenaufkäufen und Fusionen. Die Gewinne sind allerdings ebenso außerordentlich. Die Deutsche Bank hat jüngst für das erste Quartal 2006 erklärt, dass ca. 75 Prozent ihrer Gewinne aus dem Investment Banking stammten. [6] In dieser Gewichtsverteilung liegen auch die immer wieder aufkeimenden Spekulationen um eine Verlagerung des Sitzes der Deutschen Bank nach London begründet.

Im internationalen Vergleich zeigt die Branche einige Besonderheiten. Die klassischen Tätigkeitsfelder der Banken entwickeln sich aufgrund der anhaltenden Wachstumsschwäche in Deutschland eher unterdurchschnittlich. Gleichzeitig gehen die Trends bei der Unternehmensfinanzierung weg vom Kredit und in Richtung Kapitalmarkt. Der wiederum ist eher eine angelsächsische Domäne. Nimmt man als groben Indikator den Umsatz der Börsen, dann wird die Bedeutung von London und New York in diesem Geschäft deutlich.[7]

Gleichwohl sind die einzelnen Teilsegmente der Branche sehr unterschiedlich von diesen Entwicklungen betroffen. Kreditgenossenschaften und Sparkassen sind als lokal agierende und vom klassischen Einlagen- und Kreditgeschäft stark geprägte Institute besonders von der Binnenmarktschwäche betroffen. Mit besonders hohen Marktanteilen bei Arbeitnehmern, Rentnern, Arbeitslosen, kleinen und mittleren Unternehmen spüren sie die Folgen ungleicher Reichtumsverteilung und fortlaufenden Sozialabbaus am deutlichsten.

Die Struktur der Branche ist allerdings auch durch einen international eher untypisch hohen Wettbewerb gekennzeichnet. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau kommt in einer Studie zu dem Ergebnis, dass Deutschlands Bankensystem hoch produktiv im internationalen Vergleich sei. In keinem europäischen Land finde eine so ausgeprägte Weitergabe der Produktivitätsfortschritte an die Kunden statt, dementsprechend preiswert seien Bankleistungen im internationalen Vergleich.[8] Seit den 80er Jahren mit kurzen Unterbrechungen nach der Wiedervereinigung und Ende der 90er Jahre durch den Aktienboom sind die Unternehmensstrategien in den Banken deshalb nach innen auf Effizienzgewinne und Kostensenkung gerichtet. Es gibt einen anhaltenden Fusionstrend und einen in der Bankenkrise 2002-2003 stark beschleunigten Abbau der Beschäftigung. [9]

Sparkassen und Kreditgenossenschaften sind, betrachtet man sie jeweils als Gruppe, was durch die starke Verbundenheit und gemeinsame Strategien durchaus gerechtfertigt ist, die größten Player im nationalen Markt. [10] Den Großbanken fehlt deshalb aus ihrer Sicht das nationale Standbein für ihre internationalen Expansionsbestrebungen und eine aktive Rolle in der europäischen und weltweiten Konsolidierung der Bankkapitale.

Die Expansionsstrategien der Großbanken im nationalen Markt richten sich deshalb auf die Erschließung neuer Märkte. Kern der Begehrlichkeiten ist dabei die Sozialversicherung. Das Volumen der Beitragseinnahmen der Sozialversicherung liegt bei mehr als 440 Mrd. Euro. Damit beläuft es sich auf mehr als das 2,7-fache Volumen der Sparquote. Gelänge die vollständige Privatisierung der Sozialversicherung, käme das einem Goldrausch für die Banken gleich. Dementsprechend hoch ist der politische und ideologische Druck der Banken auf die Zerschlagung sozialstaatlicher Einrichtungen. [11]

Sparkassen: »Banken der kleinen Leute«?

Aus Sicht der privaten Banken gibt es eine weitere Expansionsmöglichkeit. Deutschland hat mit den Sparkassen und Landesbanken einen im internationalen Vergleich enorm großen öffentlichen Bankensektor. Kern der sog. S-Finanzgruppe sind die Sparkassen, die mit Ausnahme weniger als private Institute entstandener Sparkassen Anstalten des öffentlichen Rechts sind. Träger sind Kommunen oder kommunale Zweckverbände. Die Sparkassen haben einen öffentlichen Auftrag, nämlich den Sparsinn der Bevölkerung zu fördern und Privatpersonen und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen im Gebiet des Gewährträgers mit Krediten zu versorgen. Dadurch kommt ihnen ähnlich wie den auch nur lokal agierenden Genossenschaftsbanken ein hoher Stellenwert für die regionale wirtschaftliche Entwicklung zu. Eine weitere Besonderheit ist, dass die Tätigkeit der Sparkassen gemeinnützig sein muss und nicht der Gewinnerzielung dienen darf. Diese Eigenschaft ist gesetzlich durch § 40 des Kreditwesengesetzes geschützt. Ohne diese Voraussetzungen darf sich ein Institut nicht Sparkasse nennen. Neben den Sparkassen gibt es die Landesbanken, die als Girozentralen der Sparkassen entstanden sind, zunehmend aber eigene Geschäfte betrieben haben. Die Landesbanken gehören den Ländern und den Sparkassenverbänden und damit den Sparkassen selbst.

Die Sparkassen wirken ähnlich wie die Genossenschaftsbanken durch ihre Existenz einer Konzentration des Bankgewerbes entgegen. Sie gewährleisten damit, dass einerseits die hohe Wettbewerbsintensität des Bankgewerbes zugunsten der Kunden aufrecht erhalten wird und dass auch in der Fläche, außerhalb von Ballungsräumen und regionalen Zentren, Privatpersonen und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen mit Bankdienstleistungen versorgt werden.

In einer langfristig angelegten Strategie versuchen die Privatbanken, den öffentlichen Bankensektor zu zerschlagen und der privaten Kapitalverwertungslogik zu öffnen. Im ersten Schritt gelang es, über Brüssel die sog. Anstaltslast und Gewährträgerhaftung zu kippen. Dahinter verbirgt sich die Verpflichtung des Trägers, sowohl die Mittel für den Geschäftsbetrieb bereitzustellen als auch im Zweifel für Forderungen der Kunden gerade zu stehen. Seit 2005 gilt dies nur noch für Altforderungen. Diesen Bestandsschutz für die Institute tragen die Sparkassen und Landesbanken nun untereinander durch ihre Sicherungssysteme. Stärker als die dadurch steigenden Beiträge für die Sicherungssysteme schlägt insbesondere für die Landesbanken zu Buche, dass sich ihr Rating auf den Kapitalmärkten durch den Wegfall von Gewährträgerhaftung und Anstaltslast verschlechtert hat. Wurden sie bisher wie der Staat in der Regel mit der Bestnote (AAA) geratet, so sinkt ihr Rating auf A bis A+. Bei der Aufnahme von Geldern auf dem Kapitalmarkt sind damit Risikoaufschläge von 0,5 bis 1 Prozent gegenüber einem AAA-Rating verbunden. [12] Die Sparkassenorganisation reagiert regional mit unterschiedlichen Strategien auf diese Entwicklung. Eine bundesweite Strategie wird durch den starken landespolitischen Einfluss auf die Landesbanken verhindert. [13]

Im zweiten Schritt versuchen die Privatbanken durchzusetzen, dass sie einzelne Sparkassen kaufen können. Nach der bundesweit beachteten Auseinandersetzung um den gescheiterten Versuch, die Sparkasse Stralsund an Investoren zu verkaufen, liegt das Hauptaugenmerk nun auf Berlin. Die EU hatte die Hilfen des Landes Berlin zur Sanierung der Berliner Bankgesellschaft nur unter der Auflage genehmigt, dass die Berliner Bankgesellschaft mitsamt der ihr gehörenden Berliner Sparkasse verkauft wird. Das Land Berlin hat deshalb das Berliner Sparkassengesetz so geändert, dass ein privates Institut mit der Trägerschaft für eine Sparkasse, die eine teilrechtsfähige Anstalt öffentlichen Rechts bleibt, beliehen werden kann. Der Streit in Berlin dreht sich nun darum, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen klargestellt hat, dass ohne eine Erfüllung des Gemeinnützigkeitskriteriums im Sinne des Kreditwesengesetzes der Name Sparkasse nicht beibehalten werden kann. Damit gäbe es aber für die gemeinhin als wertvollster Teil der Berliner Bankgesellschaft betrachtete Sparkasse keine Interessenten mehr, denn kein Investor wird für eine Sparkasse, deren Gewinne er nicht privat vereinnahmen kann, Geld ausgeben. Im Kern geht es in Berlin um die Frage: Muss die Gewinnverwendung einer Sparkasse gemeinnützig sein?

In jedem Fall gibt es Handlungsdruck für die Sparkassenorganisation. [14] Das Regionalprinzip stößt angesichts von Direktbanken und Nischenanbietern wie Autobanken und der Konzentrationstendenz bei den Unternehmen an Grenzen. Der Streit um die Geschäftsmodelle der Landesbanken ist noch längst nicht zu Ende. Wegen der wechselseitigen Verflechtungen greifen Entwicklungen bei den Landesbanken unmittelbar auch bei den Sparkassen. Ob es gelingt, eine stärkere Integration der Sparkassengruppe voranzutreiben, ohne ihren Charakter als öffentlichen Bankensektor zu verändern, lässt sich im Moment nicht absehen. Dabei gibt es innerhalb der Gruppe auch Tendenzen, die die Unterschiede zwischen Privatbanken und Sparkassen in der Praxis verwischen und die Gemeinwohlorientierung für die Kunden nicht mehr erfahrbar machen. Für die Privatbanken ist die Auseinandersetzung um die Privatisierung der Sparkassen jedenfalls eine entscheidende im Sinne der Erschließung neuer Märkte und der Eroberung von Marktanteilen.

Industrialisierung von Bankprozessen

Unabhängig von solchen »Fraktions«auseinandersetzungen der Bankengruppen sind die Veränderungen der internen Prozesse und Strukturen in den Bankgruppen jedoch ziemlich gleichförmig. Dabei wird in Anlehnung an Konzepte aus der Produktion die Verringerung der Fertigungstiefe und Verkürzung der Wertschöpfungskette in den Vordergrund gerückt. Idealtypisch wird eine Trennung von Vertrieb und Produktion propagiert. Unter Vertrieb wird der Verkauf eines Produkts verstanden, die Produktion besteht sowohl aus der Entwicklung des Produktes als auch aus der dem Verkauf folgenden Betreuung oder Abwicklung. Erster Schritt ist die Aufspaltung interner Prozesse und die Konzentration spezialisierter Tätigkeiten in größeren und zentralen Einheiten. Grundlage dafür ist die fortschreitende Digitalisierung aller Informationen im Bankgeschäft.

So wird die Tätigkeit des Beraters in einer Filiale oder für einen Firmenkunden auf das Gespräch mit dem Kunden und die Vermittlung eines Bankproduktes reduziert. Soweit EDV-technisch möglich gibt er alle notwendigen Information in die EDV ein, die Verbuchung und die entsprechenden Zahlungsvorgänge und Übertragungen erfolgen automatisch. Wo das nicht geht (bei komplizierteren Passivprodukten oder Krediten) wird der Vertragsabschluss mit dem Kunden gemacht, die notwendigen Informationen für die Weiterbearbeitung an eine zentrale Stelle weitergeleitet, die den weiteren Prozess erledigt.

Der folgerichtige Schritt ist danach die Auslagerung der Weiterverarbeitung an spezielle Gesellschaften, sog. Abwicklungsfabriken. Diese Entwicklung hat, wenn auch noch nicht flächendeckend umgesetzt, bereits begonnen. So gibt es neben Zahlungsverkehrszentren auch Wertpapierabwicklungsbanken, Kreditfabriken und Dienstleistungszentren. Daneben sind in vielen Banken sog. bankfremde Tätigkeiten (Druckerei, Pförtnerdienste, Kantinen, Immobiliendienste) längst ausgelagert. Das Motiv dabei ist meist Lohndumping, weil diese Dienstleistungen oft von Firmen angeboten werden, die im Niedriglohnsektor agieren.

Lohndumping und Tarifflucht ist auch ein starkes Motiv für die ausgelagerten Abwicklungsfabriken. Die so genannte Industrialisierung der Bankprozesse wird mit einem stark von tayloristischen Vorstellungen geprägten Leitbild von Arbeit betrieben. Über die Standardisierung und Zergliederung der Arbeitsprozesse wird eine Senkung von Qualifikationsanforderungen angestrebt, die auch die Arbeitskosten signifikant senken soll.

Trend: »reine Vermittlung«

Es wird aber nicht nur der Vertrieb der Banken von der nachfolgenden Bearbeitung der Produkte abgetrennt, es erfolgt auch eine immer stärkere Konzentration auf Produkte, die nicht in der Bilanz der Bank enthalten sind. Für die Banken ist der Anreiz für die Vermittlung von Produkten außerhalb der eigenen Bilanz, dass der Ertrag aus in der eigenen Bilanz geführten Produkten abhängig von der Zinsentwicklung und damit bei längerfristigen Bindungen mit Risiken verbunden ist. Produkte hingegen, die nur vermittelt werden, werfen Provisionen ab, das Risiko ist ausgelagert. Klassisch ist dieser Mechanismus bei Wertpapieren. Aber auch bei Krediten gibt es Geschäftsmodelle, bei denen der Bankberater nur noch als Vermittler für den Kredit einer anderen Bank tätig wird. Der Anteil der Kunden-Geschäfte, die eine Bank nicht mehr auf eigene Rechnung ausführt, steigt. Damit wird zunehmend fraglich, was eigentlich das Kerngeschäft der Bank ist. Der Vertrieb wird rein transaktionsorientiert und auf den Umsatz gerichtet, weil nur dadurch die Provisionen als wesentliche Ertragsquelle fließen. Man fühlt sich dabei nicht zu Unrecht an die Beschreibung eines Versicherungsvertreters erinnert. Die Grenzen zwischen dem von den Banken verfolgten Konzept der sog. Vertriebsbank mit einem Versicherungsvertreter und den Strukturvertrieben wie MLP oder AWD, deren Vertreter rein auf Provisionsbasis arbeiten, verschwimmen, weil es auch in den Banken nur noch um den Umsatz geht.

Vor diesem Hintergrund ist das Experiment der Allianz-Gruppe, die Bankprodukte der Dresdner Bank über die Allianz-Niederlassungen zu vertreiben, hochinteressant für die weitere Entwicklung der Branche. Wenn es der Allianz gelingt, daraus ein Erfolgsmodell zu machen, wird nicht nur der ohnehin schon hohe Wettbewerb in der deutschen Kreditwirtschaft weiter verschärft und auch aufs flache Land getragen. Es entsteht dann ein stationäres Vertriebsmodell, Bankprodukte ohne Bank zu vertreiben. Am Ende könnte sich dann zeigen, dass man entgegen den Konzepten, die Banken durch Auslagerung von Produktentwicklung und -abwicklung auf ein vermeintliches Kerngeschäft Vertrieb zu konzentrieren, für den Vertrieb von Bankprodukten gar keine Bank braucht. Damit entstünde ein enormer Druck auf mehr als ein Drittel der Arbeitsverhältnisse in der Branche in Richtung Auflösung des klassischen Arbeitsverhältnisses und Umwandlung in eine freie Handelsvertretertätigkeit.

In den Abwicklungsfabriken gibt es einen hohen nationalen Konsolidierungsdruck. Fusionen, auch über die Bankgruppen hinweg, werden zu einer Zentralisierung und Konzentration der Anbieter führen. Auch erste Tendenzen der Europäisierung und Internationalisierung sind festzustellen. Dabei spielt für bestimmte, stark standardisierte Prozesse auch die Standortkonkurrenz mit Niedriglohnländern eine Rolle. Das Geschäft der Produktanbieter ist schon heute ein Geschäft international tätiger Banken.

Die Beratung des Kunden oder der Vertrieb, wie es in den Banken heißt, sind als personenbezogene Dienstleistung standortabhängige Tätigkeiten. Hier sind die Risiken für die Beschäftigten eher zunehmender Verkaufsdruck mit den entsprechenden gesundheitlichen Belastungen, die Kopplung der Entgelte an den Verkaufserfolg und die Veränderung des Arbeitsverhältnisses in Richtung eines selbständigen Handelsvertreters. Allerdings gibt es eine starke Tendenz zu einer europäischen Konsolidierung der Bankbranche (siehe Übernahme der HypoVereinbank durch Unicredit oder aktuell die geplante europäische Börsenfusion), die ebenfalls Standortfragen aufwirft.

Die branchenpolitischen Herausforderungen für die Gewerkschaft ver.di bestehen im Wesentlichen darin, die Unterwerfung des öffentlichen Bankensektors unter die Kapitalverwertungslogik zu verhindern und den Erhalt der Arbeitsplätze und tariflicher Standards im Umbruchprozess der Branche zu gewährleisten oder dort, wo Tarifflucht schon stattgefunden hat, die Tarifbindung wieder herzustellen.

Nach den leidvollen Erfahrungen aus der Bankenkrise 2002-2003 mit einem Rückgang der Beschäftigung um etwa zehn Prozent steht die Forderung nach einem Verbot betriebsbedingter Kündigungen für Unternehmen, die Gewinne machen, im Vordergrund. Gegen die Tarifflucht gab es in jüngster Zeit eine Reihe von Erfolgen. So ist es gelungen, u.a. in der größten Direktbank, der ING-Diba, sowie dem größten Wertpapierabwickler, der dwp-Bank, einen Tarifvertrag mit weitgehender Anerkennung des Branchentarifvertrages abzuschließen.

Daneben muss die Veränderung der Arbeit stärker in den Vordergrund gerückt werden. Die Gestaltung von Arbeitsprozessen und -inhalten, gesundheitliche Belastungen und die Verlagerung des unternehmerischen Risikos auf die Beschäftigten haben ebenfalls eine hohe Bedeutung für die Zukunft der Arbeit in der Bankbranche.

* Leonhard Regneri ist Vorsitzender des Fachbereichs Finanzdienstleistungen des ver.di-Bezirks Frankfurt/Main und Region und Betriebsratsvorsitzender der Frankfurter Sparkasse.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/06


Anmerkungen

(1) ver.di fordert in Reaktion auf die Debatte um die Legitimation solcher Maßnahmen das gesetzliche Verbot betriebsbedingter Kündigungen für Unternehmen, die Gewinne machen. Realisiert werden soll dies durch eine Änderung des Kündigungsschutzgesetzes, mit dem solche Kündigungen als sozial ungerechtfertigt klassifiziert werden, und durch eine echte Widerspruchsmöglichkeit für Betriebsräte gegen solche Kündigungen.

(2) Zur Bankenlastigkeit Deutschlands z.B. Prof. A. Weber, Präsident der Deutschen Bundesbank, Finanzsysteme im Wettbewerb, Rede vom 28. April 2005, www.bundesbank.de externer Link; zu den Marktanteilen der Bankengruppen: Eigene Berechnungen nach: Nils Fröhlich, Jörg Huffschmid: »Der Finanzdienstleistungssektor in Deutschland«, Düsseldorf 2004.

(3) Die Sparquote betrug 2005 10,8 Prozent bezogen auf das verfügbare Einkommen von 1468 Mrd. Euro.

(4) Im Vermögen sind auch die Verkehrswerte der Immobilien abzüglich der Kredite enthalten, in den Einlagen der Nichtbanken auch Einlagen von Firmen und öffentlichen Institutionen, so dass beide Angaben nur grobe Annäherungen sind.

(5) Fröhlich/Huffschmid, a.a.O., S. 44f.

(6) www.deutsche-bank.de externer Link, Investor Relations, Quartalsbericht 1. Quartal 2006

(7) Die NYSE (New York Stock Exchange) hatte im März 2006 ein Handelsvolumen von 1891 Mrd. US-Dollar, die LSE (London Stock Exchange) von 702 Mrd. US-Dollar und die Deutsche Börse von 248 Mrd. US-Dollar; vgl. »Von der Konfusion zur Fusion«, FTD, 26. April 2006

(8) KfW-Research: »Das deutsche Kreditgewerbe im internationalen Vergleich«, Nr. 17, Juli 2005

(9) Die Beschäftigtenzahlen sind in Genossenschaftsbanken um knapp fünf Prozent, bei Sparkassen und Landesbanken um knapp sieben Prozent und bei den Großbanken um fast 30 Prozent zwischen 2000 und 2005 zurückgegangen, vgl. ver.di: »Situation im Kreditgewerbe 2005/2006«

(10) Fröhlich/Huffschmid, a.a.O., S. 37: Der Anteil der Sparkassen an den Einlagen von Nichtbanken betrug 2002 26,5 Prozent, der der Kreditgenossenschaften 16,7 Prozent. Demgegenüber hatten alle Großbanken zusammen nur einen Anteil von 13,5 Prozent. Bei den Krediten an Nichtbanken betrugen die Zahlen 18,5 Prozent, 10,1 und 13,5 Prozent.

(11) Statistisches Bundesamt: www.destatis.de externer Link

(12) Gutachten des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung): »Untersuchung der Grundlagen und Entwicklungsperspektiven des Bankensektors in Deutschland (Dreisäulensystem)«, Berlin 2004, S. 50ff.

(13) Unicredit, die die Hypovereinsbank übernommen hat, ist z.B. aus dem Zusammenschluss mehrerer privatisierter italienischer Sparkassen hervorgegangen und ist sicher Vorbild mancher Landesbank-Strategen.

(14) Ein guter Überblick über die Auseinandersetzungen in und um die S-Finanzgruppe findet sich in: FR Plus Wirtschaft, 14. Mai 2006


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