Home > Branchen > DL: Reinigungsgewerbe > mayerahuja | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Zwischen Privatisierung und Niedriglohnstrategie Das Reinigungsgewerbe im Zeichen neoliberaler »Standort«-Sicherung von Nicole Mayer-Ahuja* »Was ist Standortsicherung wert?«, so unsere skeptische Frage zu den Hintergründen der allgegenwärtigen betrieblichen Erpressungsszenarien zu Anfang letzten Jahres. Im nächsten halben Jahr wollen wir dieser Frage anhand eines Überblicks über die Entwicklungen in verschiedenen Branchen - Chemieindustrie, Automobilindustrie, Banken, Versicherungen, Reinigungsgewerbe, Einzelhandel u.a. - genauer nachgehen. Von unseren AutorInnen und »BranchenexpertInnen« wollten wir wissen, wie sie die ökonomische Situation in diesen Branchen sehen und haben sie daher gebeten, entlang folgender Fragen ihre Einschätzungen zu formulieren: Wie stellt sich die Auftragslage bzw. Nachfrageentwicklung dar? Wie verändert sich die Wertschöpfungs- bzw. Produktionskette und die Fertigungstiefe? Was zählt (noch) zum »Kerngeschäft«, welche Bedeutung haben Investitionen in dieses bzw. in alternative Kapitalverwertungsformen? Für die Dienstleistungsbranchen stellt sich hier analog die Frage nach dem Grad und den Auswirkungen der Privatisierung. Den Beginn machen wir mit einem Beitrag zur Situation des Reinigungsgewerbes. Das Reinigungsgewerbe gehört sicher nicht zu den ersten Branchen, an die man denkt, wenn vom »Standort Deutschland« und dessen Gefährdung durch die Internationalisierung von Wirtschaftsstrukturen und -prozessen die Rede ist. Immerhin handelt es sich beim gewerblichen Putzen um eine derjenigen Dienstleistungen, die aufgrund ihrer örtlichen Bindung an Reinigungsobjekte kaum ins Ausland verlagert werden können. Trotzdem war und ist die Entwicklung des bundesdeutschen Reinigungsgewerbes in den letzten Jahrzehnten in mindestens zweierlei Hinsicht durch neoliberale Strategien der »Standortsicherung« geprägt: durch die fortschreitende Privatisierung von Aufgabenbereichen des öffentlichen Dienstes sowie durch die staatliche Förderung eines Niedriglohnsektors in- und außerhalb privater Haushalte. Dreigeteiltes Reinigungsgewerbe Im Reinigungsgewerbe lassen sich diese Strategien nicht zuletzt deshalb gut beobachten, weil gewerbliches Putzen in drei Organisationsformen stattfindet: Zum Reinigungsgewerbe zählt erstens der öffentliche Reinigungsdienst, also diejenigen Reinigungskräfte, die direkt in Schulen, Krankenhäusern oder öffentlichen Verwaltungen beschäftigt sind; zweitens das Gebäudereiniger-Handwerk, also die Angestellten privater Reinigungsfirmen; und drittens die statistisch nach wie vor schwer fassbare Gruppe derjenigen, die (mehrheitlich auf Basis sozialversicherungsfreier Minijobs) private Haushalte reinigen. [1] In den vergangenen Jahrzehnten war die Entwicklung des Reinigungsgewerbes nun insofern durch eine doppelte Privatisierung geprägt, als immer mehr Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst abgebaut und die Reinigungsaufgaben an private Gebäudereinigungsunternehmen vergeben wurden, während ungefähr gleichzeitig die Zahl der Putzstellen in privaten Haushalten zunahm. Doppelte Privatisierung des Reinigungsgewerbes Die Verlagerung von Putzstellen aus dem öffentlichen Reinigungsdienst in das Gebäudereiniger-Handwerk als (auch chronologisch) erster Teil dieser doppelten Privatisierung begann in den 1960er Jahren, als Wirtschaftsboom und Arbeitskräftemangel es schwierig machten, die sozialversicherten Voll- und Teilzeit-Putzstellen im Öffentlichen Dienst zu besetzen. Daher erhielten zunehmend private Reinigungsfirmen den Auftrag, öffentliche Gebäude zu reinigen. Diese Firmen fanden leichter Personal, weil »Familienfrauen« (speziell die Gattinnen von Arbeitern und Angestellten, von denen viele in dieser Generation erstmals nicht erwerbstätig waren) zwar ausdrücklich nicht »arbeiten gehen« wollten, den »kleinen Zuverdienst« durch stundenweises Putzen aber durchaus attraktiv fanden. Zusammen mit den Ehefrauen der ersten »Gastarbeiter«-Generation stellten sie die schnell expandierenden Belegschaften der Reinigungsfirmen. Mit Einsetzen der Wirtschaftskrise um 1973 änderte sich die Situation: »Öffentliche« Putzstellen wurden für Frauen (mangels Alternative) wieder interessanter, doch inzwischen hatten Kommunen die Erfahrung gemacht, dass Eigenreinigung teurer war als die Fremdreinigung durch Firmen, die vorwiegend mit »geringfügiger Beschäftigung« operierten, also mit Minijobs, die Anfang der 1960er Jahre explizit von der Sozialversicherung ausgeschlossen worden waren. [2] Zudem schlug nun die Stunde neoliberaler Ideologen: Das »Diktat der leeren Kassen« sei zweitrangig, betonte 1976 der CSU-Landtagsabgeordnete (und heutige bayrische Finanzminister) Kurt Faltlhauser, denn selbst wenn der Staat manche Dienstleistung nachweislich billiger erbringen könne, seien private Unternehmen vorzuziehen: »Wir können ordnungspolitische Grundsatzentscheidungen nicht der Zufälligkeit von Preisentwicklungen und Kostenstrukturen überlassen. Eine derartige Denkungsweise wäre ein entscheidender Schritt zum Sozialismus«. [3] Die Folgen sind in der amtlichen Statistik nachzulesen: Der Mikrozensus, der vor allem GebäudereinigerInnen im Öffentlichen Dienst und im Gebäudereiniger-Handwerk umfasst, registrierte 1973 ungefähr 517000, 1995 (nach beachtlichen Schwankungen) etwa 514000 und im Jahre 2000 dann 793000 Reinigungskräfte. Der Bundesinnungsverband des Gebäudereinigerhandwerks (BIV) hingegen registrierte im Jahr 1973 »nur« 157000 Beschäftigte privater Reinigungsfirmen, 1995 bereits 454700 und für das Jahr 2004 schließlich knapp 720000 Beschäftigte. [4] Der Anteil der Reinigungsfirmen an der Mikrozensus-Gruppe wäre demnach von ca. 30 Prozent (1973) auf 88,5 Prozent (1995) gestiegen. Diese Zahlen vermitteln insofern ein schiefes Bild, als z.B. geringfügig Beschäftigte eher in den BIV-Angaben als im Mikrozensus erfasst sind. Zudem zeigen die Zahlen nicht, dass seit den 1980er Jahren (nach schlechten Erfahrungen mit Reinigungsfirmen) vielerorts eine Re-Kommunalisierung von Reinigungsaufgaben stattfand - als jüngste Entwicklung ist hier die Gründung kommunaler Eigenreinigungs-GmbHs zu nennen, die sich (etwa in Lohnhöhe oder Leistungsvorgaben) oft kaum von privaten Firmen unterscheiden. Trotzdem ist nicht zu bezweifeln, dass ein immer geringerer Anteil der Mikrozensus-Reinigungskräfte auf den öffentlichen Reinigungsdienst, ein immer größerer Teil hingegen auf private Reinigungsfirmen entfällt. Immerhin war nach Ergebnissen einer vom BIV veröffentlichten SINUS-Marktstudie die Unterhaltsreinigung schon 1996 zu 79 Prozent, die Fenster- und Glasreinigung sogar zu 92 Prozent ausgelagert. [5] Etwas später als im Gebäudereiniger-Handwerk scheint die Zahl der Putzstellen in privaten Haushalten zugenommen zu haben, wobei es sich hier fast ausschließlich um Minijobs handelt. Einer BIV-Schätzung zufolge waren 1978 nur ca. 70000 Reinigungskräfte in Privathaushalten tätig, während die erste repräsentative Statistik 1986/87 schon von 667000 Stellen ausging. 1993 wurden dann etwa eine Mio. und 1997 etwa 1,2 Mio. Hausangestellte gezählt, von denen allerdings nur 586000 (1993) bzw. 467000 Personen(1997) mit Reinigungsarbeiten betraut waren (Friedrich 1993, 1998). Neuere Zahlen liegen leider nicht vor; bedenkt man aber, dass 1998 insgesamt ca. 5,85 Mio. geringfügige Beschäftigungsverhältnisse gezählt wurden, während die (2003 eingerichtete) Minijob-Zentrale der Bundesknappschaft im April 2004 (trotz unrealistisch geringer Meldungen aus Privathaushalten) von 7,3 Mio. Minijobbern ausging, so liegt die Vermutung nahe, dass die Gesamtzahl der Minijobs real deutlich höher ist und speziell im Privathaushalt mehr Arbeitsplätze bestehen, als die verfügbaren Zahlen nahe legen. Reinigungsgewerbe und Niedriglohnstrategie Die doppelte Privatisierung des Reinigungsgewerbes ist nun engstens mit der staatlichen Förderung des Niedriglohnsektors verbunden, die seit den 1970ern vor allem drei Formen annahm.
Reinigungsgewerbe - zwischen Auslaufmodell und Wachstumsbranche Insgesamt macht es die Dreiteilung des Reinigungsgewerbes schwer, allgemeine Aussagen zur (wirtschaftlichen) Situation der Branche zu machen. Einerseits erscheint der öffentliche Reinigungsdienst als Auslaufmodell, da weiter Arbeitsplätze abgebaut und Löhne wie Arbeitsbedingungen immer stärker an die Standards von Reinigungsfirmen angeglichen werden: Man putzt außerhalb »öffentlicher« Dienstzeiten und bei flexibilisierten Arbeitszeiten immer größere Flächen pro Stunde, was weniger durch Maschineneinsatz als durch schnelleres Arbeiten und entsprechend reduzierte Reinigungsqualität gewährleistet wird. Man hat keine der (belastenden, aber auch die Belegschaftsintegration fördernden) Nebentätigkeiten (von Blumengießen bis Patientenversorgen) mehr, die Reinigungskräfte im öffentlichen Dienst früher auszeichneten, und man ist teilweise (etwa in Eigenreinigungs-GmbHs) nicht einmal mehr in den Verwaltungen oder Krankenhäusern angestellt, die man reinigt, was die Zuständigkeit der dortigen Personalräte beseitigt. Andererseits erlebt das Gebäudereiniger-Handwerk seit Jahrzehnten einen bemerkenswerten Aufschwung: Betriebs-, Beschäftigten- und Umsatzzahlen sind (trotz leichter Schwankungen) seit den 1970er Jahren kontinuierlich gestiegen, und obwohl der Bundesinnungsverband noch immer mangelndes Interesse an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen beklagt, ist es erheblich leichter als früher, Personal für die (nach wie vor dominierenden) Minijobs zu rekrutieren. Je weiter die Arbeitslosenzahlen steigen und der Druck auf BezieherInnen von Arbeitslosengeld und ALG II wächst, desto größer ist der Andrang auf die wenig prestigereichen und körperlich beanspruchenden Jobs in Reinigungsfirmen. Zwar sind weibliche Migrantinnen dort weiterhin überrepräsentiert, doch finden sich in den Belegschaften zunehmend auch deutsche Frauen sowie Männer mit Migrationshintergrund. Die Beschäftigungsbilanz privater Haushalte schließlich ist unklar - trotz stetiger Interessenbekundungen an diesem angeblichen Wachstumssektor sind bis heute keine aussagekräftigen Statistiken erstellt worden. Entsprechend kann man nur vermuten, dass die Zahl der Putzstellen weiter zunimmt, obwohl der allgemeine Nachfrageeinbruch auch in diesem Feld zu spüren sein dürfte. Für die Beschäftigten ist der Abbau sozialversicherter Teil- und Vollzeitarbeit im öffentlichen Dienst bei gleichzeitiger Zunahme von Minijobs in Reinigungsfirmen und Privathaushalten bereits in den letzten Jahrzehnten mit einer massiven Unterschreitung materieller, rechtlicher und betrieblicher Integrationsstandards einhergegangen (Mayer-Ahuja 2003b). In Zukunft dürfte sich diese Tendenz noch verstärken, da Massenarbeitslosigkeit und Hartz-Gesetze die Verhandlungsposition der Beschäftigten weiter schwächen. Zudem droht Ungemach in Gestalt der EU-Dienstleistungsrichtlinie, denn selbst wenn öffentlicher Reinigungsdienst und Privathaushalte davon nicht direkt betroffen sein sollten, dürfte der »Bolkestein-Hammer« zumindest die Konkurrenz privater Reinigungsfirmen um Aufträge und damit deren Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen weiter erhöhen. Dies gilt umso mehr, als es im Gebäudereinigerhandwerk schon heute transnationale Konzerne mit mehreren Zehntausend Beschäftigten gibt. Der Branchenriese Pedus etwa operiert derzeit noch von Deutschland aus - doch was würde ihn hindern, Leistungen künftig von Polen aus zu polnischen Konditionen anzubieten? Dass der ehemalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement gerade in den Aufsichtsrat der Dussmann-Gruppe eingezogen ist, zu der auch Pedus gehört, zeigt übrigens eindrücklich, wie verdient er sich offenbar mit seinem Beitrag zur arbeitsmarktpolitischen Niedriglohnstrategie um die Sache privater Reinigungsfirmen gemacht hat. Tarifliche Monatseinkommen im Reinigungsgewerbe
* Nicole Mayer-Ahuja ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e.V. Soweit nicht anders angegeben stammen die obigen Informationen zur Entwicklung von Arbeit im Reinigungsgewerbe aus Mayer-Ahuja 2003. Literatur
Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/06 (1) Hinzu kommen jene Reinigungskräfte, die in anderen Industrie- und Dienstleistungsbranchen direkt angestellt (und dort ähnlich wie im Öffentlichen Dienst von Outsourcing betroffen) sind, etwa Reinigungstrupps in Automobilfabriken oder Einzelhandelsunternehmen. Über sie liegen kaum (statistische) Informationen vor, weil sie nicht von anderen ArbeiterInnen der jeweiligen Branche gesondert erfasst werden. (2) Bis zu diesem Zeitpunkt konnte der »Zuverdienst von Ehefrauen« weitgehend unabhängig von Einkommenshöhe und Arbeitszeit für sozialversicherungsfrei, selbst geringe Einkommen von Witwen oder alleinstehenden Müttern hingegen für sozialversicherungspflichtig erklärt werden, um die Absicherung der Betreffenden zu verbessern (Mayer-Ahuja 2003, S. 71-72). (3) Befragt - gesagt: »Dienstleistungen, die von Privatfirmen erledigt werden können, soll nicht der Staat ausführen!« Rationell reinigen 10/76, S. 14-15. (4) Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit i.A. des Instituts für Arbeit und Technik, 2004. Demzufolge arbeiten im Gebäudereiniger-Handwerk 718924 Personen in 9376 Betrieben. 81 Prozent dieser Betriebe sind Kleinbetriebe mit weniger als 500000 Euro Jahresumsatz, die insgesamt 15 Prozent des Branchenumsatzes erwirtschaften. Ihnen stehen zwei Prozent der Unternehmen mit über fünf Millionen Euro Jahresumsatz gegenüber, die für 46 Prozent des Brancheumsatzes aufkommen (und teilweise bis zu 40000 Beschäftigte haben). (5) Nähere Informationen unter www.gebaeudereiniger.de. Entsprechend sollen künftig (noch) mehr Fullservice-Angebote (inklusive Catering- oder Hausmeisterdiensten) gemacht werden. |