letzte Änderung am 11. März 2004

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Mittäter und Komplizen setzen sich als Opferanwalt in Szene. Sturm der Entrüstung gegen Schließung von Postfilialen und Demontage von Briefkästen

Als vor 10 Jahren der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit das gigantische Projekt der Privatisierung der Deutschen Bundespost und Umwandlung ihrer drei Säulen Post, Telekom und Postbank in Aktiengesellschaften beschloß, wurde dies in der bürgerlichen Öffentlichkeit als notwendiger Übergang von der „verstaubten“ Behörde zum modernen, kundenorientierten und flexiblen Dienstleistungsunternehmen gefeiert.
CDU/CSU und FDP betrieben damals mit ihren Postministern Schwarz-Schilling (CDU) und Bötsch (CSU) konsequent die Privatisierung und konnten sich für die zur Grundgesetzänderung notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit auf die Mehrheit der (unter gewerkschaftlichem Druck in dieser Frage gespaltenen) SPD-Fraktion stützen. Für die Post-Privatisierung stimmte 1994 auch der „Pivatisierungskritiker“ und Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL, Manfred Schell, der als Nachrücker und CDU-Abgeordneter ein Jahr lang im Bundestag saß.

Die Deutsche Postgewerkschaft (inzwischen in ver.di aufgegangen) und linke Privatisierungskritiker warnten allerdings schon damals vor den Folgen, die die Liberalisierung und das Ende der flächendeckenden staatlichen Daseinsvorsorge und Gemeinwohlverpflichtung der Post vor allem für Kleinkunden in Stadt und Land mit sich bringen würden. Doch es sollte Jahre dauern, bis eine breitere Öffentlichkeit hautnah die unerträglich gewordenen Folgen der Privatisierung zu spüren bekam und sich lautstark zu Wort meldete.

Ob in Hamburg-Eimsbüttel, Berlin-Lübars, Erkrath im Rheinland, Rheinböllen im Hunsrück oder Althengstett in Baden-Württemberg – überall haben die vom Post-Management vorangetriebene Demontage von Briefkästen (die Zahl bundesweit wurde von 140.000 auf 108.000 reduziert) und die Schließung von Post-Filialen in den letzten Monaten einen Sturm der Entrüstung mit Protestversammlungen, Unterschriftenlisten und anderen Aktivitäten ausgelöst und Lokalpolitiker auf den Plan gerufen. Dabei setzten sich desöfteren auch die Mittäter von damals wirkungsvoll als Anwalt der Opfer in Szene – so zum Beispiel der CDU-Politiker Hans-Joachim Fuchtel, der seit 1987 den Wahlkreis Calw (Nordschwarzwald) im Bundestag vertritt, 1994 mit seinem Votum die Privatisierung abgesegnet hatte und jetzt nach Hinweisen aus seinem Wahlkreis empört beim Post-Management gegen die Demontage von Briefkästen intervenierte.

Als der hessische Ministerpräsident Roland Koch (aus seinem CDU-Landesverband stammt der frühere Postminister Schwarz-Schilling) im November 2003 mit einer massiven landesweiten Protestbewegung gegen seine Politik des sozialen Kahlschlags konfrontiert war, versuchte er es angesichts der Unzufriedenheit mit der Postversorgung im Lande mit einen „Befreiungsschlag“: Seine Landesregierung griff publikumswirksam den Volkszorn über die Post auf und kündigte eine Bundesratsinitiative an. Ziel dieser Initiative: Durch Änderungen an Postgesetz und Post-Universaldienstleistungsverordnung sollen die Zahl der Briefkästen auf 100.000 festgeschrieben und eine Schließung von Postfilialen in Ortsteilen mit mehr als 2000 Einwohnern verhindert werden.

Einen solchen „Populismus“ seitens örtlicher CSU-Größen beklagt auch niederbayerische Postler und Gewerkschafter Karsten Wettberg: „Scheinheilig ist, wenn konservative Mandatsträger JETZT über die Situation schimpfen. War es doch gerade die CSU, die uns (der Deutschen Postgewerkschaft) die Unterstützung verweigert hatte, als wir gegen die Postreform 1 und 2 demonstriert und auf die Folgen für die Bürger hingewiesen haben. Jetzt ist es für die Betroffenen sichtbar und spürbar: Die Privatisierung der Post bringt dem Flächen-Regierungsbezirk Niederbayern nur Nachteile. Die postalische Versorgung auf dem Lande ist zunehmend gefährdet, außer es werden entsprechende Preise bezahlt. Denn die früher sozialen Postgebühren werden der Firmenstrategie eines "Global Players", der sich an der Börse behaupten muss, nicht mehr gerecht. Es lebe die Börse - der brave, einfache Bürger ist der Leidtragende.“

Während Post-Bedienstete in früheren Jahrzehnten zwar keinen üppigen Lebensstandard, aber wenigstens ein erträgliches Auskommen und soziale Absicherung hatten, kritisiert Karsten Wettberg auch den Umgang der Post-Manager mit ihrem Personal: „Auch die Gehalts- und Lohnpolitik im Rahmen der neuen Strukturen der letzten Jahre bringt die Postlerinnen und Postler immer mehr in die Nähe des Sozialhilfeniveaus. Ganz besonders dann, wenn die körperliche Leistungsfähigkeit nach Jahrzehnten anstrengenden Postdienstes nachläßt.“

Die alte Bundespost in der alten BRD mit ihren Säulen Post, Telekom und Postbank war kein maroder defizitärer Betrieb. Ende der 80er Jahre warf sie noch einen jährlichen Überschuß in Höhe von rund fünf Milliarden DM ab, der dem Bundeshaushalt zugute kam. Doch den Privatisierern ging es nicht um eine Senkung der Staatsdefizite und flächendeckende Versorgung der Bürger mit erschwinglichen Postdiensten, sondern um Rosinenpickerei – um die Privatisierung der Gewinne und die Sozialisierung der Verluste. Die Pensionen für die betriebsbedingt in Frühpension geschickten Postbeamten und Angestellten wurden von der Bundesregierung ebenso übernommen wie die teuren milliardenschweren Investitionen in Post und Telekom-Infrastruktur Anfang der 90er Jahre.

Unterdessen treiben das SPD-geführte Bundesfinanziministerium und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) den Ausverkauf der Post mit Nachdruck voran. Wie Post-Chef Klaus Zumwinkel dem Wirtschaftsmagazin „Capital“ mitteilte, sollen noch im Bundesbesitz befindliche Aktien des einstigen Staatsunternehmens so rasch am Markt veräußert werden, daß der Bundesanteil bis zum Jahre 2007, wenn das noch bestehende Post-Monopool für Briefe bis 200 Gramm ausläuft, auf null sinkt.

Was tun, wenn sich die Manager der privatisierten Post auf der Jagd nach Rendite starr und gegenüber Bürgerprotesten uneinsichtig zeigen, aber andererseits Einwohnerschaft und örtliche Gewerbebetriebe nicht auf eine funktionsfähige und vollwertige Postfiliale vor Ort verzichten können und wollen? Vor dieser Frage standen in den letzten Wochen die Kommunalpolitiker in Althengstett (Baden-Württemberg), einer Gemeinde im Wahlkreis des Abgeordneten Fuchtel. Nachdem die Post-Manager trotz massiver Proteste aus der Bevölkerung und örtlichen Geschäftswelt an ihrem Beschluß zur Schließung der bisher gut frequentierten Postfiliale in der Kerngemeinde festhielten und andere von der Post vorgeschlagene „Lösungen“ sich als unbefriedigend erwiesen, griff die Gemeindeverwaltung selbst ein. Die Kommunalpolitiker beschlossen, in den bisherigen Räumen der Postfiliale ab dem 2. Januar 2004 selbst eine Postagentur zu betreiben. Gleichzeitig konnte erreicht werden, dass die bisherige Leiterin der Postfiliale der Gemeinde für diese Aufgabe überlassen und – zunächst auf ein Jahr befristet – zur Gemeinde abgeordnet wurde. Im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinden hat Althengstett damit auch weiterhin eine qualifizierte Poststelle zur Verfügung, und den meisten Benutzern wird der Unterschied seit vergangenen Freitag gar nicht ins Auge springen. Ob dieser Althengstetter Anflug von „Staatsinterventionismus“ allerdings nur auf ein Jahr beschränkt bleibt oder auch anderswo oder gar bundesweit Schule macht, bleibt abzuwarten.

Hans-Gerd Öfinger

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