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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Ohne Solidarität machen sie jeden Standort platt! Gespräch mit Conti-Kollegen aus Mexiko Jahrelang hat Conti selbst Firmen aufgekauft, dann plattgemacht, zerschlagen oder verlagert und so zu einem Konzentrationsprozess in der Zulieferindustrie beigetragen. Mittlerweile ist der Multi selbst geschluckt worden und damit nicht mehr Subjekt, sondern Objekt dieser Strategie. Doch ob mit oder ohne den neuen Eigentümer Schäffler: Überkapazitäten und den Versuch, dieses Problem auf die Beschäftigten abzuwälzen, gab es auch vorher schon. Nicht überall gehen die Beschäftigten allerdings so duldsam mit dem Versuch um, die Krise über Entlassungen, Lohnkürzungen und Werksschließungen zu lösen, wie in Deutschland. Schon mehrfach hatten wir im express über Belegschaften im mexikanischen San Luis Potosi und in Euzkadi berichtet, die sich die Unternehmensentscheidungen nicht gefallen ließen – bis hin zur Besetzung des Werks in Euzkadi und der Übernahme der dortigen Produktion in Eigenregie. Ende April waren die Kollegen Federico Gonzalez und Alberto Rocha von der Gewerkschaft der Reifenarbeiter als Vertreter der Belegschaft von Conti aus San Luis Potosi (SLP) sowie der Berater der Gewerkschaft, Enrique Gomez, nun für einige Tage in Hannover. Anlass waren – wie schon in den Jahren zuvor – die Aktionärsversammlung von Conti und die in diesem Zusammenhang angekündigten Proteste deutscher und französischer Conti-Beschäftigter sowie die Möglichkeiten, sich auszutauschen und über die Unternehmenspolitik in Mexiko zu informieren. Sie wurden in Hannover begleitet und unterstützt vom Komitee Internationale Solidarität (KIS), einem Zusammenhang von Personen, die seit vielen Jahren bei Conti und Volkswagen mit länderübergreifenden Basiskontakten engagiert sind. Stephan Krull sprach mit den KollegInnen über ihre Antworten auf die Krise. Alberto, bitte erkläre uns, warum Ihr den Weg aus Mexiko hierher gemacht habt. Alberto: Kurz gesagt: Ohne gegenseitige Solidarität machen die Bosse von Conti jeden Standort einzeln platt – und zwar unabhängig davon, wer gerade Vorstandsvorsitzender oder Eigentümer ist. Da Solidarität keine Einbahnstraße ist, haben wir hier mit den Kollegen aus Frankreich und Deutschland gemeinsam protestiert. Das war ein guter Auftakt und sehr eindrucksvoll. Die längere Fassung der Antwort lautet so: Nachdem das Reifenwerk von General Tire in San Luis Potosi im Jahre 1998 von Conti aufgekauft wurde, wurden die Anlagen modernisiert, zum Zweck der Profiterhöhung und der Produktivitätssteigerung wurde investiert. Im Jahr 2005, nachdem die Investitionen getätigt waren, waren wir noch 1280 Beschäftigte, in den Jahren 2006 und 2007 wurden 200 und 300 Personen entlassen, jetzt sind wir noch 780 Arbeiter im Betrieb. Mit dem Argument der Standortkonkurrenz wurden Lohnkürzungen erpresst und soziale Rechte in großem Stil abgebaut. Allein im Jahr 2008 verlangte die Conti-Führung eine Lohnkürzung von 50 Prozent. Das musst Du Dir mal vorstellen. Und sie drohen immer wieder mit der Beendigung der Produktion, wenn wir nicht auf ihre Bedingungen eingehen. Wie ging die Auseinandersetzung um diese drastische Lohnkürzung aus? Wir können uns gar nicht vorstellen, dass die Beschäftigten damit einverstanden sind, auf 50 Prozent Lohn zu verzichten. Federico: In Mexiko gibt es einen Mindestlohn von umgerechnet ca. drei Euro täglich – wobei das ein Lohn ist, von dem kein Mensch existieren kann, schon gar keine Familie. Im Durchschnitt erhalten die legal beschäftigten Menschen sechs bis zehn Euro Lohn täglich. Aufgrund der starken Gewerkschaft, der hohen Produktivität und enormen Profite von Conti konnten wir einen Lohn von ungefähr 30 Euro täglich durchsetzen. Und der sollte nun um 50 Prozent reduziert werden. Dazu muss man wissen, dass die Inflationsrate aktuell bei etwa sechs Prozent liegt. Ergebnis der Auseinandersetzung war, dass der Lohn in drei Jahresschritten um einmal zehn Prozent und zwei mal fünf Prozent reduziert wird, im Gegenzug sollte die Beschäftigung bis zum Jahre 2015 gesichert, und die Inflationsrate ausgeglichen werden. Das würde bedeuten, dieses Jahr eine Lohnerhöhung von mindestens einem Prozent, also fünf Prozent Abzug und sechs Prozent Inflationsausgleich. An diese Vereinbarung fühlt Conti sich jetzt nicht mehr gebunden. Sie wollen den Tarifvertrag nachträglich aushebeln. Dafür wollen sie eine Klausel im mexikanischen Arbeitsrecht nutzen, nach der Lohnsenkungen bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten zulässig sind. Diese Klausel reklamiert Conti jetzt für sich und schafft damit ein Novum in der Automobil- und Zulieferindustrie. Unsere Gewerkschaft, die SNTGTM (Nationale Arbeitergewerkschaft von General Tire de Mexico), ist eine unabhängige, autonome Gewerkschaft und auch deshalb den Konzernen und vielen Politikern ein Dorn im Auge. Wissen sollst Du dazu noch, dass die regelmäßige Arbeitszeit bereits von 40 Stunden ohne irgendeinen Lohnausgleich auf 32 Stunden reduziert wurde. Auch bei uns ehemals »gut Verdienenden« – zumindest für mexikanische Arbeitsverhältnisse – wird es jetzt richtig eng! Wie sind nun Eure Eindrücke hier in Deutschland, was konntet ihr für Euch, für Eure Kolleginnen und Kollegen erreichen? Alberto: Die Eindrücke sind zwiespältig. Einerseits gibt es große Unterstützung vom Solidaritätskomitee, von attac Hannover, von denjenigen, die uns und die Arbeiter von Euzkadi schon in den zurückliegenden Jahren ihre brüderliche und schwesterliche Hilfe entgegenbrachten. Dazu gehört, dass wir bei unserem Besuch gute Gespräche hatten mit Parlamentariern von der LINKEN und von den Grünen. Wir wollen auf diesem Wege eine parlamentarische Initiative anstoßen, weil die Politik sich aus der industriellen Entwicklung nicht raushalten kann. Andererseits hatten wir Gespräche mit Vertretern der IG BCE und mit Mitgliedern des Aufsichtsrates – also solchen, die von den Arbeitern oder der Gewerkschaft dort hin delegiert wurden. Die Aufsichtsratsleute haben erklärt, dass sie sich zu diesen Vorgängen im Aufsichtsrat nicht äußern, weil das nicht ihrer Rolle dort entspricht. Und mit den IG BCE-Vertretern haben wir etwas aneinander vorbei geredet, weil sie uns erklären wollten, wie Gewerkschaften eigentlich funktionieren. Francesco: Sehr beeindruckend war in Hannover die Demonstration der Arbeiter von Conti aus Frankreich, zu der Vertretungen vieler Conti- und Schaeffler-Fabriken aus Deutschland gekommen sind. Die französischen Kollegen haben sehr dynamisch demonstriert, laut, stark und bunt. Wir hatten gute Gespräche miteinander und haben Kontakte geknüpft. Lustig dagegen die Polizei in Hannover, die wohl Angst hatte vor »französischen Verhältnissen«. Die haben an alle Teilnehmer ein Flugblatt verteilt, in dem sie die Auflagen mitteilten, die sie »in Kooperation mit den Gewerkschaften« verfügt haben, u.a. so ulkige wie
Aber das hat nicht wirklich jemanden beeindruckt, und die Polizei ist friedlicher geblieben, als das vielleicht in Mexiko der Fall wäre. Wir sind nach Hannover gekommen, um uns am Protest gegen die Schließung der Werke in Hannover und Clairoix zu beteiligen. Wie beurteilt Ihr die Lage der Conti-Arbeiter, der Beschäftigten in der Automobil- und Zulieferindustrie nach der Demonstration, nach der Aktionärsversammlung, nach den Gesprächen, die Ihr hier geführt habt? Federico: In San Luis Potosi haben wir vor drei Jahren ein erstes Treffen der Conti-Beschäftigten des amerikanischen Kontinentes organisiert. In Hannover hat nun eine erste gemeinsame Aktion europäischer Standorte stattgefunden. Voraussetzung für weiteres gemeinsames Handeln ist Klarheit über das Ziel. Die Manager von Conti wollen die Belegschaften gegeneinander ausspielen, um sie einzeln brechen zu können. Dagegen hilft nur internationale Solidarität der Arbeiter und der Gewerkschaften. Und daran müssen wir kontinuierlich arbeiten! Die gemeinsame Demonstration am 23. April war insofern historisch – aber die Kontakte bleiben schwierig wegen der Entfernungen, wegen der unterschiedlichen Sprachen, wegen der Kosten. Manchmal sind Gewerkschaften auch etwas schwer zu bewegen. Und deshalb ist es gut und wichtig, dass es neben den gewerkschaftlichen Kontakten noch politische Unterstützung gibt. Enrique: Conti ist sehr straff hierarchisch organisiert: Wenn der Vorstand etwas anordnet, wird das unverzüglich in allen Werken rund um den Erdball umgesetzt. Die Beschäftigten sind vergleichsweise schlecht organisiert, über Ländergrenzen hinweg wird es ganz schwierig, und die Interessen der Beschäftigten jedes einzelnen Standortes stehen scheinbar gegen die Interessen der Beschäftigten anderer Standorte. Deshalb ist gewerkschaftliche und politische Bildung unabdingbar. Solidarität ist ja etwas, was die Arbeiterinnen und Arbeiter lernen müssen. Wir müssen lernen und praktisch erfahren, dass wir gemeinsame Interessen haben, dass wir gemeinsam stärker sind und gemeinsam unsere Interessen besser durchsetzen können. Wir können uns nicht allein auf die gewerkschaftlichen und betriebsrätlichen Funktionäre verlassen. Die agieren oft nur formal, wenig inhaltlich. Der ehemalige Conti-Betrieb Euzkadi in El Salto konnte nur deshalb von den Beschäftigten genossenschaftlich übernommen werden, die konnten einen dreijährigen Streik nur deshalb durchhalten und gewinnen, weil sie eine unabhängige und autonome Gewerkschaft hatten, weil es politische Unterstützung innerhalb und außerhalb Mexikos gab. Deshalb benötigen wir ein Netzwerk von Solidarität, damit, sollte mal ein Faden reißen, das Netz von den anderen Fäden gehalten wird. In diesem Netzwerk muss auch unter sozialen, ökologischen und politischen Gesichtspunkten darüber diskutiert werden, wohin es mit der Auto- und Zulieferindustrie angesichts der weltweiten Überkapazitäten gehen soll. Dazu haben wir gemeinsam noch gar keine befriedigenden Antworten. Wenn wir sagen und wissen, dass die Conti-Strategie falsch ist, die Produktion aus Nordamerika und Westeuropa in Länder mit geringem Lohnniveau zu verlagern, dann ist damit ja noch nicht die Alternative formuliert, die wir für unsere Kolleginnen und Kollegen und ihre Familien brauchen. Von Euzkadi können wir in diesem Zusammenhang lernen, dass es besser ist, das »Schicksal« in die eigenen Hände zu nehmen, als es denen zu überlassen, die nur am Profit Interesse haben. Die Demonstration am 23. April war auch deshalb so bedeutsam, weil – wie wir gehört haben – erstmals seit 30 Jahren die Reifenproduktion an diesem Tage in Hannover stillstand. Federico: Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Conti aus ihrer Niederlage bei Euzkadi Lehren gezogen hat. Als in San Luis Potosi ein neuer Betrieb von Conti-Tech aufgemacht wurde, wurden Tarifverträge nicht mit unserer Gewerkschaft ausgehandelt, sondern – sozusagen als Schutzverträge – mit einer anderen Gewerkschaft vereinbart, noch bevor eine einzige Person dort beschäftigt war. Sie haben also die Spaltung systematisch organisiert mit einer willfährigen Gewerkschaft. Das mexikanische Arbeitsrecht gibt das her. Klar, dass die Konditionen dort schlechter sind als in unserem Betrieb und klar, dass wir damit erpresst werden sollen. Als weitere Lehre, die sie aus ihrer Niederlage bei Euzkadi gezogen haben, haben sie den Betrieb in San Luis Potosi in mehrere Betriebe aufgespalten: Einem gehört das Gelände, einem gehören Gebäude und Maschinenpark, und ein Betrieb beschäftigt das Personal. Sollte das Personal jetzt legitime Forderungen an den Betrieb stellen, so verfügt der weder über Kapital noch über Gebäude oder Maschinen. Wollen wir unsererseits von Euzkadi lernen, so werden wir einiges anders machen müssen, in der Entschlossenheit und Ausdauer jedoch müssen wir mindestens so gut sein wie diejenigen, die sich ihren Betrieb gegen die Kapitalinteressen erkämpft haben. Und wir müssen noch mehr Ideen entwickeln, was zu produzieren ist, wenn wir unseren Freunden von Euzkadi nicht als Konkurrenten entgegentreten wollen. Alberto, Federico und Enrique, herzlichen Dank für das Gespräch, viel Erfolg in Eurem weiteren Kampf, den wir mit Aufmerksamkeit und Sympathie begleiten werden. Dabei hilft sicher auch das Buch zu Euzkadi, das wir unseren Leserinnen und Lesern gerne empfehlen Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/09
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