Home > Branchen > Chemische Industrie > Continental > Euzkadikampf > carstensen
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

„ Und ausserdem ist es ja jetzt unsere Fabrik“

Wie die ehemaligen EUZKADI/Continental-Arbeiter die Produktion jetzt selber in die Hand nehmen.

Einige Tage nachdem die Gewerkschaft SNRTE im Januar 2001 infolge der illegalen Schließung des Werkes der Continental A.G. den Streik ausgerufen hatte, wurde der Gewerkschaftsführer Jesús Torres Nuño nach der, seiner Meinung nach bestmöglichen Lösung für den Konflikt befragt. Er antwortete: „Wenn die Continental der Meinung ist, aus dieser Fabrik sei nichts rauszuholen, dann sollen sie sie doch uns überlassen, wir machen dann daraus eine Kooperative“. Heute lacht er darüber, denn dass der langjährige Konflikt so einen Ausgang finden würde, hätte bis vor kurzem niemand geglaubt. Wer als Besucher die COC S.A. (Corporación de Occidente S.A. de C.V.) betritt wird freudig mit den folgenden Worten begrüßt: „Fühl dich hier wie zu hause, jetzt können wir das ja sagen, jetzt ist das nämlich unsere Fabrik“.

Dazwischen liegen über drei Jahre Streik, mehr als tausend Tage, in denen die Arbeiter das Werktor bewachten, damit der Megakonzern Continental die Maschinerie nicht abbauen konnte, demonstrierten, um Solidarität baten, Besuche bei der Aktionärsversammlung der Continental und im Europäischen Parlament abstatteten, Bündnisse knüpften, Rundreisen machten. Und gleichzeitig ohne Lohn und ohne Kranken- oder Sozialversicherung für den Lebensunterhalt der Familien aufkommen, dem Spott der Nachbarn und ehemaligen Kollegen und den Drohungen der Continental standhalten mussten. Und dann war da noch die ständige Versuchung, doch die Abfindung anzunehmen und sich aus dem Streik mit all seinen Risiken zurückzuziehen. Nicht alle haben das geschafft, viele Familien sind zerbrochen, von den ursprünglich 1164 sind es nur ungefähr 600 Kollegen, die seit Mitte 2005 die Arbeit in der neu gegründeten Kooperative aufgenommen haben.

Wie ist es zu dieser, für Continental doch so verlustreichen Lösung gekommen? Am 19. Februar 2004 wurde der Streik von der Regierung als zulässig, die Werksschließung als illegal, da unbegründet, erklärt. Dieser juristische Sieg kann als das Resultat des beharrlichen und aktiven Streikes mit Unterstützung einer breiten internationalen und mexikanischen Solidaritätsbewegung gesehen werden. Mit diesem Urteil gewannen die Streikenden das (eigentlich niemals verlorene) Recht auf ihre Abfindungen und die ausgefallenen Löhne für die drei Jahre des Streiks zurück. Zusammengelegt eine Menge Geld- genug um eine halbe Fabrik zu kaufen. So kam es, dass ein Jahr später, am 18.01.2005 das Reifenwerk in El Salto, Jalisco, den Besitzer wechselte und seitdem unter dem Namen COC S.A zur einen Hälfte den, in der Kooperative TRADOC (Trabajadores Democráticos de Occidente) organisierten Arbeitern und zur anderen Hälfte der mexikanischen Firma Llanti Systems gehört.

Im Juli verließen die ersten Reifen die wieder in Betrieb genommene Fabrik, schneller als erwartet, in den drei Jahren des Streiks waren die Maschinen eingerostet, das Gelände verdreckt und zugewuchert. Und dann war da ja noch so einiges, was die frischgebackenen Kooperativsten neu lernen mussten- jetzt, wo sie eine ganze Fabrik zu verwalten hatten. „Das ist eine große Herausforderung. Wir möchten der Welt zeigen, dass wir, die Arbeiter, die Fabriken selber verwalten können“, sagt Jesús Torres Nuño und erzählt, dass einige der Kollegen sich derzeit bereits weiterbilden, zum Beispiel an technischen Aufbaustudiengängen teilnehmen und dass es besonders in der Vermarktung an Wissen fehlt.

Im Vertrieb zahlt sich die Partnerschaft mit dem mexikanischen Unternehmen Llanti Systems aus: Llanti Systems verfügt über langjährige Erfahrung im Vertrieb von Reifen und brachte außerdem die eigenen Marken Pneustone, Blackstone, und Rockstone in die Kooperative ein.

So konnte besonders am Anfang der Absatz der produzierten Reifen gesichert und ein neuer Kundenstamm aufgebaut werden. Auch wenn das Werk noch lange nicht voll ausgelastet und noch nicht alle Kollegen wieder in der Produktion beschäftigt sind, ist die derzeitige Situation der Kooperative gut. Im Durchschnitt werden täglich 4200 Reifen produziert, bei der derzeitigen Belegschaftsgröße wären theoretisch 7500 Reifen am Tag möglich. Zusätzlich zu den eigenen Marken produziert COC S.A. derzeit Traktorenreifen für EUZKADI und demnächst auch Lastwagenreifen für Continental.

Wo es nämlich nicht an Kenntnissen und Fähigkeiten fehlt, das ist in der Produktion. Viele der Mitarbeiter hatten vor Streikbeginn bereits zwischen zehn und zwanzig Jahren im Werk gearbeitet und kennen so die Produktionsabläufe und die Maschinen ganz genau. Grund um einmal an anderer Stelle als gewöhnlich Stellen einzusparen: „Früher gab es für alles Direktoren, heute haben wir eine sehr horizontale Struktur, keine Vorarbeiter und Supervisoren mehr“ erklärt Jesús Torres.

Probleme in der Produktion werden, wenn möglich direkt vor Ort und im Einverständnis aller gelöst, die wichtigsten Entscheidungen in der Vollversammlung der Kooperative getroffen und von einem Verwaltungsrat ausgeführt. Dort haben Llanti Systems und die Kooperative TRADOC gleichberechtigte Stimmenanteile.

„ Die Arbeit bei Conti war wie ein Wettrennen, weil man für das bezahlt wurde, was man geleistet hat. Jetzt ist es ruhiger, und außerdem ist es jetzt unsere Fabrik. Wir versuchen je nach Situation, alle Probleme unter uns zu lösen. Wir können die Sachen ja nicht mehr die da oben machen lassen, weil wir es ja jetzt sind, die die Sache zum Laufen bringen. Was runterfällt, das müssen wir eben auch aufheben“, erzählt Sixto Salcedo Muñoz, eines der über 600 Mitglieder der Kooperative.

Die Umstellung von der früheren Hierarchie im Arbeitsalltag auf die Arbeitsorganisation in einer Kooperative ist nicht einfach, Luis Alberto Nuñez verrät jedoch warum es bei TRADOC erstaunlich wenig Probleme gibt: „Ohne den Streik wäre das anders gewesen. Jetzt wissen wir zu schätzen, was wir hatten, was wir verloren haben und was wir jetzt haben. Jetzt fühlt sich jeder dafür verantwortlich, dass unser Projekt voranschreitet.“

Eine Gratwanderung, denn: „wenn wir nur romantische Ideen im Kopf haben und sagen: Wir respektieren uns nur, und wenn uns gleichzeitig die Märkte nicht interessieren, dann würden wir falsch liegen. Wir müssen die transnationalen Konzerne herausfordern und gleichzeitig demonstrieren, dass wir dabei unsere Rechte respektieren“, sagt Jesús Torres Nuño. Wichtig sei es daher, nicht zu vergessen, dass erst die nationale und internationale Solidarität diesen Ausgang des Konfliktes überhaupt ermöglicht hat. Jetzt sind es die ehemaligen EUZKADI/Continental-Arbeiter, die sich dafür verantwortlich fühlen, andere Bewegungen zu unterstützen. Ein zukünftiges Projekt ist daher der Aufbau eines internationalen Solidaritätszentrums wo andere Belegschaften Hilfestellung und Ermutigung für die Lösung ihrer Konflikte finden sollen.


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang