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Updated: 18.12.2012 15:51
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Verteilten Daimler-Manager Babies aus Folterkammern?

Während der argentinischen Militärdiktatur (1976-83) wurden nicht nur mindestens 12.000 Regimegegner ermordet. Es „verschwanden“ auch 500 Babies, die in den Folterkammern zur Welt kamen und illegal adoptiert wurden. Ihre (gefangenen) Mütter wurden ermordet. Die argentinische Justiz ermittelt gegen deutsche Manager.

Von Gaby Weber

Juan Ronaldo Tasselkraut wurde am 5. April 1941 in Buenos Aires geboren. Mit seinem Eintritt bei Mercedes Benz Argentina (MBA) eröffnete sich dem jungen Techniker eine steile Karriere, zum Schluß war er Produktionschef. Bei den Arbeitern war er verhaßt, und nach dem Militärputsch von 1976 gingen in seinem Büro die Militärs ein und aus. Die Polizei wollte den Gewerkschafter Héctor Ratto im Betrieb verhaften, der Produktionschef holte ihn von seinem Arbeitsplatz und übergab ihn den Repressionskräften. In Rattos Beisein überreichte Tasselkraut die Adresse des Kollegen Diego Núñez, der in der selben Nacht verschleppt und, wie Ratto, in die Heereskaserne Campo de Mayo verbracht wurde. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Ratto überlebte.
Tasselkrauts rechte Hand in der Fabrik war der Sicherheitschef, Rubén Lavallén, zuvor Komissar in San Justo und Folterer. Lavallén hatte sich vor seinem Eintritt in die Firma (1978) die 22 Monate alte Paula angeeignet und als seine leibliche, gerade geborene Tochter eingetragen. Ihre Eltern waren in seinem Revier gefangen, auch von ihnen fehlt jede Spur.

Die Morde an Diego Núñez und Paulas Eltern sind wegen der Amnestiegesetze ungesühnt. Ausgenommen von der Amnestie war aber immer der Straftatbestand der „Änderung der Identität“. Das betrifft die Babies und Kleinkinder der Verschwundenen, etwa 500, schätzen die „Großmütter vom Maiplatz“, die bis heute nach ihren Enkelkindern suchen. Gefunden wurden bisher erst 80. Wegen Kindesraubes – und nicht wegen Folter und Mord – konnten die Junta-Kommandanten inhaftiert werden.

Während der Diktatur gab es „Wartelisten“, in die sich Adoptionswillige eintrugen, um in den Besitz eines in einem illegalen Haftzentrum zur Welt gekommenen Babies zu gelangen. Und wo es eine Nachfrage gibt, muß das Angebot sicher gestellt sein. Es mußte verhindert werden, daß bei der Folter schwangerer Frauen die Ware beschädigt oder gar vernichtet wurde. Dies geschah in neun Fällen, so die „Großmütter“. Für die Priester, die in den Kasernen ein und aus gingen, waren sie „Unschuldige“ – obwohl Brut von Terroristen.

Die Armee richtete in der Abteilung Epidemiologie des Militärhospitals der Kaserne Campo de Mayo eine geheime Wöchnerinnen-Station ein, denn die Anwesenheit von Gefangenen „störte den normalen Krankenhausbetrieb“, so die Aussage des Militärarztes, Chef der Gynäkologie. Die technischen Bedingungen bei diesen Geburten waren unzureichend, zumindest anfangs.

Im Wahrheits-Tribunal in La Plata sagte der frühere Justiziar von Mercedes Benz Argentina, Rubén Pablo Cueva, unter Eid aus, daß seine Abteilung Brutkästen für das Hospital in Campo de Mayo gespendet habe. Seine Zeugenaussage strahlte der Kanal 7 im März 2004 in meinem Dokumentarfilm „Wunder gibt es nicht“, landesweit aus.

Juan Ronaldo Tasselkraut war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bei MBA tätig. Auf den Aktionärsversammlungen von DaimlerChrysler war seine Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen angeklagt worden und er hatte seinen Hut nehmen müssen. Aber sein Sohn Diego ist dort angestellt. Diego ist dunkel, schwarze Haare, „cabecita negra“, Schwarzköpfchen sagen die Argentinier. Für die Kollegen war der Fall klar: Waren seine biologischen Eltern Subversive gewesen?

Es gibt keinen Vorgang über eine legale Adoption. Laut Geburtsurkunde ist Diego am 19. August 1974 im Metropolitano Hospital auf die Welt gekommen. Auf dem Formular ist die Adresse - Alsina 2184 – handschriftlich korregiert: Lavalle 1970. Das Hospital ist aber erst 1975 von der Straße Lavalle in die Alsina gezogen. Eine Nélida Valaris hat die Urkunde unterzeichnet, Hebamme im Metropolitana und ab 1974 im Militärhospital von Campo de Mayo. Heute leitet sie eine Privatklinik in einem Vorort von Buenos Aires.

Sie bestreitet, daß sie die Geburtsurkunde unterschrieben hat, es sei nicht ihre Unterschrift, die Urkunde sei ungültig wegen der falschen Adresse und Eintragungen mit verschiedenen Handschriften. Sie gibt zu, und hat dies auch zeugenschaftlich getan, in Campo de Mayo Gefangene behandelt zu haben, denen bei der Geburt die Augen verbunden und die Hände gefesselt waren. Sie habe aber nur Befehle ausgeführt, keinen militärischen Rang besessen.

Diego weiß, daß er „adoptiert“ ist. Er könnte sich einem kostenlosen Gentest unterziehen und seine Daten mit den in der staatlichen Genbank hinterlegten Daten der Blutsverwandten der Verschwundenen abgleichen lassen. Bisher wollte er keine Gewißheit. „Ich weiß alles, was ich wissen muß“, sagt er.

Weigert er sich weiter, aus Rücksicht auf seinen Adoptivvater oder seinen Arbeitgeber – wird wahrscheinlich ein Richter den Gentest anordnen. Die „Änderung der Identität“ ist ein Verbrechen, das nicht verjährt. Die Geburtsurkunden sind am Mittwoch der Staatsanwaltschaft in Buenos Aires übergeben worden.

Bereits ermittelt wird gegen den Bruder von Juan Ronaldo, Alejandro Tomás Tasselkraut. Auch er hat zwei Söhne, die nicht im Adoptionsregister verzeichnet sind: Andrés Gerardo und Pablo Daniel. Sie sind im Standesamt des Vororts San Martín eingetragen, um die Ecke von Campo de Mayo. Die Urkunden hat eine Edith Guzmán „in Vertretung“ unterschrieben. Diese Beamtin ist in mehrere Verfahren verwickelt, in denen es um in Folterzentren geborene Babies geht.

Andrés wurde am 1. August 1979 geboren, bestätigt die Hebamme Rosa Petitto. Sie hat damals in San Martín gearbeitet und die Identität von in Folterkammern geborenen Babies verfälscht. So hat sie die Geburtskunde des Sohnes von Damián und Alicia Cabandié unterschrieben, beide sind verschwunden. Petitto hat sich selbst ein Kleinkind angeeignet – Iván Axel Ajler. Ein Gentest ergab, daß Iván Axel nicht ihr Kind ist, wie es die Beamtin Edith Guzmán bescheinigt hatte. Seine Geburtsurkunde ist von der Hebamme Ángela Cuppari unterschrieben, Nichte von Petitto. Der Kreis schliesst sich: Cuppari hat die Urkunde von Pablo Daniel Tasselkraut unterzeichnet. Sie bestreitet dies. Ihre Unterschrift sei gefälscht, sie war bei dieser Geburt nicht dabei, kenne die Familie nicht.

Auch Andrés ist „cabecita negra“, in seinem Freundeskreis hat er nie ein Geheimnis draus gemacht, adoptiert zu sein. Ob seine leiblichen Eltern Verschwundene sind? Er muß sich diese Frage sein ganzes Leben gestellt haben. Aber auch er will sich keinem Gentest unterziehen.

Schon bald soll in Buenos Aires die mündliche Verhandlung über den systematischen Kindesraub anberaumt werden. Im Rahmen dieses Verfahrens werden die Fälle Tasselkraut vermutlich zur Sprache kommen. Die Präsidentin der „Großmütter“, Estela Carloto, will die Herkunft der drei Tasselkraut-Kinder „bis zur letzten Konsequenz“ untersuchen. Und hoffentlich auch die Rolle, die die Firma Mercedes Benz Argentina, heute DaimlerChrysler, während der Diktatur gespielt hat. Hat sie die Brutkästen an das Folterzentrum Campo de Mayo „gespendet“ – oder hat sie investiert? War ihr Produktionschef – und vielleicht noch andere? – für die Verteilung der Ware „Baby“ zuständig?

Und welche Rolle hat die Deutsche Botschaft gespielt? Juan Ronaldo Tasselkraut hat 1982 die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und an seine Kinder weiter gegeben. Das Geburtszertifikat von Diego weist gravierende Fehler auf. Wie konnte es trotzdem als Grundlage für die Übertragung der Staatsbürgerschaft werden? Dazu verweigert heute der Konsul die Auskunft, ebenso auf die Frage, ob auch die Kinder des Bruders, Andrés und Pablo, deutsche Staatsbürger sind. „Aus Datenschutzgründen“.

Im Auftrag und bezahlt von DaimlerChrysler hat der Berliner Professor Christian Tomuschat im Dezember 2003 ein Gutachten erstellt. Auszug:

Wenn man annimmt, daß die Spenden [Geräte Neonatologie an das Militärhospital von Campo de Mayo] tatsächlich gemacht worden sind, läßt sich daraus doch nichts Entscheidendes ableiten. Vielmehr wurden neben weiblichen Soldaten auch die Ehefrauen der Soldaten aufgenommen. Folgerichtig hatte das Militärkrankenhaus Campo de Mayo auch eine Geburtshilfeabteilung. Die Zuwendung von medizinischen Geräten für die Versorgung von Neugeborenen hätte also nicht zwingend einen ungewöhnlichen Beigescmackt gehabt. Was man aus der Schenkung also ablesen könnte, wäre lediglich die Tatsache, dass MBA um die Herstellung und Pflege eines guten Verhältnisses zu den argentinischen Streitkräften bemüht war“. (S. 127)

Es ist die Langfassung des Beitrags von Gaby Weber in der Frankfurter Rundschau vom 24.02.2005 externer Link: „Verschwundene Babys. Die "Großmütter vom Plaza de Mayo" wollen die Identität eines Kindes klären, das ein Mercedes-Manager adoptierte“


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