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Updated: 18.12.2012 15:51
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Bericht über den Daimler-Aktionstag vom 15.7.

Pünktlich zum 100jährigen Jubiläum der Marke Mercedes bedachte das Management die Belegschaft mit einem 500 Millionen schweren Erpressungskatalog und provozierte damit den größten Protest in seiner Geschichte. Seit dem 3. Juli kam es in den Werken Sindelfingen und Untertürkheim zu Produktionsausfällen, weil an Samstagen Überstunden verweigert wurden und es immer wieder zu Abteilungsversammlungen kam. Betriebsversammlungen Anfang Juli wurden von den Beschäftigten genutzt, um ihrer Wut freien Lauf zu lassen. Manager wurden mit Pfeifkonzerten bis zu 10 Minuten daran gehindert zu reden. Transparente und Plakate machten die Versammlungen zusätzlich zu Protestkundgebungen. Vorläufiger Höhepunkt des Aufstands der Daimler-Beschäftigten war der von der IGM organisierte bundesweite Daimler-Aktionstag am 15.7. Die Nachtschicht im Düsseldorfer Daimler-Werk machte mit Arbeitsniederlegung und einem Fackelzug durch die Innenstadt den Anfang. In den anderen Werken von Hamburg bis Sindelfingen ( Bremen, Berlin, Kassel, Geggenau, Rastatt, Wörth) schmiss die Frühschicht am 15.7. die Brocken hin. 60.000 Kolleginnen und Kollegen insgesamt. Davon 30.000 im Mittleren Neckarraum. Und selbst im brasilianischen Werk bei Sao Paolo kam es zu einer Solidaritätsaktion und einer Grußadresse an die KollegInnen in Deutschland. Das Daimler-Werk wurde von der IGM umbenannt in „Erpress-Werk Daimler Chrysler“. Dazu wurde ein logo kreiert, das an diesem Tag tausendfach als Aufkleber und in Form von Transparenten bei der Protestkundgebung zu sehen gibt. „Ich war immer stolz darauf, beim Daimler zu schaffen. Das ist vorbei. Jetzt bin ich nur noch enttäuscht.“ So ein 46jähriger Polsterer gegenüber den Stuttgarter Nachrichten. Aber Enttäuschung und Wut über die Bonzen in den Chefetagen kann in erfolgreichen Widerstand umgesetzt werden. Diesen Beweis lieferte der Daimler-Aktionstag in aller Deutlichkeit.

„Ohne diese Menschen geht gar nichts“

„Der Jubiläumsslogan für Untertürkheim heißt: „Das Herz des Automobils“. Und wie jeder Organismus lebt dieses Werk nur wenn sein Herz schlägt. Und in dieser Stunde ist dieses Werk zum Stillstand gekommen, um dem Vorstand zu zeigen, nicht die Maschinen sondern die Menschen halten diesen Standort am Leben und ohne diese Menschen geht gar nichts“, so der Betriebsratsvorsitzende des Werks in Untertürkheim, Helmut Lense bei der Kundgebung vor dem Werkstor am 15.7. Tosender Beifall!!

Das Gefühl der Stärke war den 10.000 Kundgebungsteilnehmern vor dem Untertürkheimer Tor deutlich anzumerken. Die 2.000 Kolleginnen und Kollegen aus dem Werk Mettingen brachten sogar die stark befahrene B 10 zum Stillstand und nahmen die Bundesstraße als Weg zur Protestkundgebung zum Untertürkheimer Werk für eine Stunde in Beschlag. Auf ihrem Marsch von Mettingen nach Untertürkheim legten die Mettinger auf der B 10 auch eine „Steinkühler“-(Marsch)-Pause ein. Die Folge der ca. 1-stündigen Straßenblockade: 5 km Stau. „Wir wollten nicht mit der S-Bahn zur Protestkundgebung fahren, sondern ein Zeichen setzen“, so Betriebsrat Michael Clauss. Und das gelang. „Wir lassen uns nicht erpressen“ und „Vorstand weg, hat keinen Zweck“ skandierten die wütenden Demonstranten. Vorneweg zwei Transparente mit der Aufschrift „Lohnraub + Arbeitsplatzvernichtung – DaimlerChrysler-Kollegen wissen sich zu wehren.“ Und „Wir verabschieden die B.W. (Abkürzung für baden-württembergisch) Krankheit – den Vorstand in Möhringen (Sitz des DC-Hauptvorstands). Nach einem Bericht der Lokalzeitung ernteten sie damit Zustimmung von Passanten. „Lastwagenfahrer auf der Gegenfahrbahn hupten im Vorbeifahren, Mitarbeiter der Stadtreinigung und Passanten an der Untertürkheimer Stadtbahnhaltestelle zollten dem Zug Applaus. „Lasst Euch nichts gefallen“ rief ein Rentner zu. Zu den 10.000 KundgebungsteilnehmerInnen gehörten auch Delegationen aus den umliegenden Betrieben: Porsche, Alcatel, Siemens, Bosch, Hirschmann. Aus vielen Betrieben gab es Solidaritätserklärungen: VW, MAN, Opel, MTU Friedrichshafen, Bürgerhospital Stuttgart. Auf der Brücke am Kundgebungsplatz wehte ein ver.di-Fahne. Vertreter des Stuttgarter Arbeitslosenzentrums und Beschäftigte in prekären Arbeitsverhältnissen waren mit Transparenten gekommen um sich mit dem Daimler-Streiktag zu solidarisieren. Der Hass auf die steinreichen Vorstände brach sich Bahn im Sprechchor: „Vorstand weg“.

„baden württembergische Krankheit“

Mit der Verurteilung von einigen Regelungen der südwestdeutschen Tarifverträge (Steinkühler-Pause, Spätschichtzulage ab mittags 12.00 h) als „baden württembergische Krankheit“ hatte Mercedes-Boss Jürgen Hubbert kurz vor dem Protesttag zusätzliches Öl ins Feuer gegossen. Ein Redner machte bei der Kundgebung aber deutlich, dass die Sache ja die ist, dass die Arbeit an den Bändern so organisiert ist, dass man ohne Pausen noch nicht mal zum Pinkeln gehen kann. „Ihr nehmt uns die Pausen, dann nehmen wir euch die Ruhe.“ Mit diesem Slogan auf einem Pappschild konterte ein Kollege aus Sindelfingen den Angriff auf die Steinkühler-Pause. „Wir lassen uns unsere Pause nicht streichen. Wir arbeiten täglich mit 1.300 Grad heißem Material, da treibt uns ein Vorstand mit seinen Drohungen keine Angst ein.“ So ein Kollege aus dem Mettinger Werk. Als ein Kundgebungsredner auf die „baden württembergische Krankheit“ zu sprechen kam, gab es Sprechchöre mit „Hubbert raus, Hubbert raus...“

Demonstration in Sindelfingen

Im Sindelfingen Werk nahmen 20.000 an der Kundgebung teil und marschierten anschließend durch die Innenstadt. Mittendrin ein Plakat mit der Aufschrift „Es ist Krieg“. Auf einem Spruchband steht: „Wer Erpressung sät, wird Streik ernten.“ Selbst Kollegen, die die Maybach-Luxuslimousine Maybach in einer Manufaktur fertigen waren dabei: „Wir sitzen doch alle in einem Boot. Die Leute sind sauer, denn der Leistungsdruck nimmt immer mehr zu, und ständig müssen wir etwas abgeben, schimpft ein Manufaktur-Arbeiter. „Der Vorstand hat nun gut lachen, wenn sie uns zu NOMADEN machen.“ Mit diesem Reim auf einem Schild empört sich ein Auszubildender darüber, dass Daimler die Azubis nur noch in eine konzerneigene Personalservice-Agentur übernehmen und die hier Beschäftigten flexibel in den Werken einsetzen will, in denen gerade Personal fehlt. Und Gewerkschaftssekretär Uwe Meinhardt auf der Sindelfinger Kundgebung: „Ihr habt Angst. Aber ihr habt auch Wut. Und das ist ein explosives Gemisch. Ein Funke genügt, und der Laden fliegt in die Luft.“ 800 Autos Produktionsausfall ist das Ergebnis des Streiktages im Sindelfinger Werk.

Betriebsräte predigen Kompromissbereitschaft

Die Daimler-Beschäftigten haben am 15.7. ihre Kampfbereitschaft demonstriert. Die Betriebsräte dagegen haben die Kundgebung und davor bereits Betriebsversammlungen und VL-Vollversammlungen genutzt, um die Belegschaft auf Zugeständnisse einzuschwören. Ohnehin war es so, dass der Betriebsrat seit Wochen ohne Mandat durch die Belegschaft oder die Vertrauenskörper mit dem Daimler-Management Verhandlungen über Verschlechterungen führt. Vor dem Protesttag hatte der Betriebsrat bereits ein Paket von 180 Millionen angeboten. Am Ende des Protesttages war sogar von 200 Millionen die Rede. Bereits im April gab es einen gemeinsamen Antrag des Gesamtbetriebsrats von DC und der DC-Unternehmensleitung an die IGM zur Ausweitung der 40-Stundenverträge für über 20.000 Daimler-Beschäftigte in der PKW- und NFZ-Entwicklung, Forschung und Zentrale. „Wir haben aber auch immer betont, dass wir bereit sind eine faire Lösung zu suchen, die sicher auch auf unserer Seite Kompromissbereitschaft fordert“. Für dieses Einknicken erntete der Betriebsratsvorsitzende Helmut Lense in Untertürkheim Buhrufe und Pfiffe. Ein Kollege in den vorderen Reihen hielt ein Pappschild hoch mit dem Spruch „Keine Kompromisse. Mein Vermieter macht auch keine“. Bei der Kundgebung im Werk Sindelfingen verstieg sich GBR-Vorsitzender Klemm sogar zu der Aussage: „Wir wollen das profitabelste Werk des Konzerns bleiben.“

Häuserkampf

Weil die Metallunternehmer im Frühjahr bei der Tarifrunde mit der geballten IGM konfrontiert waren, haben sie damals einen taktischen Rückzug gemacht. Jetzt versuchen sie, das was sie wollen, im Häuserkampf zu holen. Die IGM-Führung hat den Unternehmern mit den im Tarifvertrag vereinbarten Öffnungsklauseln bereits grünes Licht dafür gegeben. Und die IGM-Führung lässt diesen Häuserkampf zu, wohlwissend dass er zur weiteren Auflösung des Flächentarifvertrags führt. Während IGM-Funktionäre die Kritik an dem Siemens-Abschluss (40-Stunden-Woche und 30% Lohnabsenkung für die Werke in Bocholt und Kamp-Lintfort) damit kontern, dass dieser Abschluss eine Ausnahme sei und sich nicht wiederholen dürfen, handelt die IGM-Führung weiter nach dem Motto „getrennt agieren, gemeinsam verlieren“. Und wenn bei Daimler die Belegschaft nicht massiven Druck aufbaut gegen die Co-Manager in den Reihen der Betriebsräte, dann sind die Daimler-Beschäftigten trotz ihrer enormen Kampfbereitschaft die nächsten Verlierer. Über einem vereinten Kampf der gesamten IGM und konkreten Kampfschritten der gesamten Gewerkschaft verlor der Erste Bevollmächtige von Stuttgart, Jürgen Stamm, bei seiner Rede bei der Kundgebung in Untertürkheim kein Wort. Er schloss seine Rede damit die Anwesenden darauf einzuschwören, dass sie nicht wie in Sindelfingen durch die Stadt marschieren oder nochmal eine Straße blockieren, sondern „diszipliniert nach Hause gehen“. Die Blockade der B 10 war von der IGM-Bürokratie nicht erwünscht. Laut Aussage von IGM-Vertrauensmann Andre Halfenberg hatte der VKL-Vorsitzende noch am Morgen versucht, die Belegschaft von dieser Aktion abzuhalten. Die Demonstration auf der B10 war eine mutige Bewegung von unten. Darauf können die Mettinger KollegInnen und insbesondere ihre kämpferischen Vertrauensleute und Betriebsräte zurecht mächtig stolz sein.

Tom Adler, Betriebsrat im Werk DaimlerChrysler-Werk Mettingen in einem Interview mit der Jungen Welt vom 12.07.04:

„Im Moment warten die Kollegen nur darauf, dass ihre Organisation ihnen endlich mal sagt: Geht raus und zeigt denen, was Sache ist. Es wird ganz klar verstanden, daß jede Arbeitszeitverlängerung die Vernichtung von Arbeitsplätzen zur Folge hat. Auch bei Aktionen mit einer Schärfe, die in diesem Land bisher nicht üblich war, würden die Leute absolut mitgehen. Der Stoff für eine Gegenoffensive ist also da. Die Frage ist aber, was die Führungen der IG Metall und der Betriebsräte daraus machen. Ich habe den Eindruck, dass diese die Tiefe der laufenden Kapitaloffensive nicht erkennen. Nur wenn die Unternehmer Angst haben müssen, die Kontrolle zu verlieren – wie 1996 beim Kampf um die Lohnfortzahlung – werden wir sie stoppen können.“ ....“Jetzt haben wir es mit einer koordinierten, fundamentalen Offesnive gegen das Tarifsystem zu tun. Dagegen sind massive, betriebsübergreifende Proteste, Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen notwendig.“

Fragen an Andre Halfenberg, Mitglied in der VKL Mettingen.

Der Betriebsratsvorsitzende Helmut Lense hat gesagt, die Belegschaft sei zu Kompromissen bereit. Spricht er in dem Fall nur für sich selber?

Andre Halfenberg: „Ich will nicht sagen, dass er nur für sich selber spricht. Aber er spricht nicht für die komplette Belegschaft. Viele sind nicht bereit zu verzichten. Denn es gibt nichts zu verzichten. Dem Unternehmen gehst gut. Von daher spricht er nur für einen Teil der Kollegen, ich sag mal vielleicht für die Hälfte. Aber die andere Hälfte sagt: kein Verzicht. Und ich glaub auch man muss die Leute aufklären und nicht anlügen. Und mit einer gut informierte Belegschaft kann man auch einen Kampf führen.

Wie kann es weitergehen?

Andre Halfenberg: „Angriffe sind ja überall, im öffentlichen Dienst, bei den Beamten, Kindergärten, Schulen, bei Arbeitern und Angestellten. Wenn wir alle zusammenstehen und wirklich mal einen Aktionstag machen, ich sag mal einen Generalstreik, können wir diesen Angriff des Kapitals abwehren. Man muss auch mal überlegen, ob wir nicht mal eine andere Gesellschaft haben wollen, ob dieser Kapitalismus, der ja die Reichen begünstigt und die Armen nochmal ärmer macht, ob der wirklich unser Ziel ist oder ob wir nicht eine Räterepublik wollen wie in den 20er Jahren, die damals von führenden SPD-Politikern niedergeschlagen wurde. Noske sagte: „einer muss den Bluthund spielen.“ Ich bin aber guter Hoffnung.

Leserbrief in der Stuttgarter Zeitung

Da gibt es jetzt nur noch ein Vorgehen: Stürmt die Zentrale in Möhringen. Zerrt die Manager auf die Straße. Unsere Wut ist grenzenlose.“ Elmar Heidricher, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung 17.7.2004


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