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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Brandbeschleuniger
statt Achtungserfolg
Nachbetrachtungen zu den Kämpfen bei DaimlerChrysler In ak 486 hatte Jürgen Drieling eine erste Bewertung der Kämpfe bei DaimlerChrysler (DC) vom Juli diesen Jahres gewagt. Sein Urteil der erzielten Ergebnisse war sehr differenziert ausgefallen. Jetzt nimmt Tom Adler, Betriebsrat bei DC in Untertürkheim, Stellung zu einer Auseinandersetzung, die es in solcher Schärfe kaum vorher gegeben hat. Die Erpressungsversuche des DaimlerChrysler-Vorstands hatten
im Juli 2004 zu einer breiten Mobilisierung der gesamten Belegschaft geführt.
Die Unternehmensleitung hatte angedroht, trotz ökonomisch guter Situation
des Konzerns in großem Umfang Arbeitsplätze zu verlagern, sollten
die Beschäftigten nicht bereit sein, auf mindestens 500 Millionen
Euro zu verzichten. Dieser Vorstoß war zweifellos primär politisch
motiviert: Nach Siemens sollte DC die nächste große Angriffswelle
von Kapital und Kabinett gegen die lohnabhängige Bevölkerung
anführen. Die Entscheidung des Gesamtbetriebsrats (GBR), die Gesamtbelegschaft
zu mobilisieren und sich nicht Werk für Werk einzeln abkassieren
zu lassen, war vor diesem Hintergrund völlig richtig. Die damit entwickelte
Kampfkraft war gigantisch und hatte dazu beigetragen, dass die öffentliche
Meinung gegen die erpresserischen Praktiken der Unternehmensvorstände
umgeschlagen ist. Abschluss auf der schiefen Ebene Jürgen Drieling, alter Kampfgefährte seit den
späten 1970er Jahren und Betriebsratskollege aus dem Bremer DC-Werk,
schrieb in ak 486 über die Auseinandersetzung und ihr Ergebnis. Bis
an diese Stelle, scheint mir, decken sich seine und meine Einschätzungen.
Jürgens Darstellungen zur Vorgeschichte des Kampfes, zu den strategischen
Manövern des GBR und zum Verhandlungsergebnis greifen m.E. jedoch
zu kurz. Da kann man sicherlich ausgiebig diskutieren und dieser Beitrag
soll dazu beigetragen. Im Gegenzug hat der GBR das Kostensenkungspaket so akzeptiert,
wie es der Vorstand von Anfang an gefordert hatte: Einsparungen von 500
Mio. Euro. Dazu gehört auch eine Lohnkürzung: Ab 2006 wird die
Lohnlinie um 2,79% reduziert und damit die Basis für alle künftigen
Lohnerhöhungen absenkt. Anders als nach außen behauptet, ist
dies durchaus eine reale Lohnsenkung, und das in einem Konzern, der derzeit
wegen seiner hohen Profite trotz aller Schlupflöcher wieder Gewerbesteuer
zahlen muss. Dies wird zwar 2006 noch nicht im Geldbeutel spürbar
sein, aber nur, weil in diesem Jahr Einmalzahlungen fällig werden,
die im ERA-Tarifvertrag festgelegt worden sind (Ein Schelm, wer Böses
dabei denkt: 2006 sind Betriebsratswahlen.). Dasselbe gilt auch für die so genannten "Dienstleistungsbereiche": Eine in der IG Metall hochumstrittene Strategie wurde in die Verhandlungen mit hineingepackt. Die Mobilisierungen der Belegschaft wurden als "trojanisches Pferd" missbraucht, um Ergänzungstarifverträge zur Arbeitszeitverlängerung und für die DienstleisterInnen durchzupauken. Statt einer ausführlichen und offenen Diskussion über die richtige Strategie gegen Auslagerungen werden so politisch vollendete Tatsachen geschaffen. Diese Politik kann man nicht einfach mit der Feststellung abhaken, "der Zug (sei) schon weitgehend abgefahren. Im Kern konnte es leider nur noch darum gehen, diese Arbeitsplätze sozial abgefedert zu retten und weitere, bereits ausgelagerte Bereiche wieder einzugliedern." (Drieling, ak 486 ) Es wäre mehr drin gewesen Der Ergänzungstarifvertrag "Industrielle Dienstleistungen"
vereinbart eine stufenweise reale Arbeitszeitverlängerung auf 39
Stunden, wobei die Mehrarbeit im Gegensatz zu den Entwicklungsbereichen
nicht bezahlt wird. Das bedeutet Stundenlohnkürzung um rund 10% plus
eine Lohnliniensenkung ab 2006 um 3%. Dafür sollen die entsprechenden
Bereiche, für die Werk für Werk noch Betriebsvereinbarungen
geschlossen werden müssen, vom Unternehmen nicht fremdvergeben werden.
Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung wird somit allen Ernstes
als Instrument akzeptiert, um Fremdvergabe zu verhindern. Wer dieser Logik
folgt und solche Vereinbarungen macht, bringt die Gewerkschaften praktisch
und politisch auf eine derart schiefe Ebene, dass es ständig schwerer
wird, Haltepunkte gegen die aggressive Politik der Lohnsenkung und Arbeitszeitverlängerung
zu finden. Über die Signalwirkung dieses Abschlusses nach außen braucht man sich keine Illusionen zu machen. Die Botschaft lautet: "Erpressung lohnt sich". Und sie wird offenbar von den Unternehmern landauf, landab auch so verstanden. Die Erklärungen der Verhandlungsführer auf GBR und IG Metall-Seite, mit diesem Abschluss sei der Angriff auf die Tarifverträge abgewehrt worden, erinnert da an das Pfeifen im Wald. Unmittelbar nach dem Abschluss titelte das Handelsblatt: "DC-Abschluss setzt Autoindustrie unter Druck". Leider drückt dies keineswegs ein Defizit der Journalisten beim Verstehen der komplizierten Materie aus, wie gewerkschaftsoffiziell immer argumentiert wird. Die Presse zeigt damit vielmehr ein klares Verständnis von der Dynamik, die solche Abschlüsse auslösen. Inzwischen, nach den Erfahrungen von Opel und VW und nach den katastrophalen Stellungnahmen der DGB-Spitze zu den aktuellen Forderungen nach längeren Arbeitszeiten, liegt es klar auf der Hand: Die Stuttgarter Vereinbarung war weder "Achtungserfolg" noch "Etappensieg in der Verteidigung des Flächentarifvertrags" (Meinhard/Abelmann, Sozialismus, 9/2004), sondern ein Brandbeschleuniger für dessen Zersetzung und für die Angriffe auf alle erreichten Standards der Lohnabhängigen. Die politische Bewertung des Kampfes bei DaimlerChrysler muss noch weitere Faktoren miteinbeziehen. Zu allererst ist da die Frage, ob die Kräfteverhältnisse nichts Besseres erlaubt haben. Die Mehrzahl der Betriebsräte bei DC würde dies in der Tat so sehen. Dem wäre aber entgegenzuhalten: Selten hat es eine dermaßen starke Mobilisierung gegeben, die zudem bis zum Schluss ständig gewachsen war. Und nie war im Empfinden der KollegInnen die Konfrontation gegen die Konzernspitze dermaßen scharf. Mit dieser Belegschaft hätten die Auseinandersetzungen noch länger und härter geführt werden können, das "Ende der Fahnenstange" war noch längst nicht erreicht. Der Zorn hatte darüber hinaus ein ausgesprochen politisches Potenzial. Er drückte die ganze Wut darüber aus, wie ArbeiterInnen und Angestellte im Betrieb und von der Politik behandelt werden, vom täglichen Druck in der Firma bis zur Agenda 2010. Die Mobilisierungs- und Kampfbereitschaft war auch nach vier Wochen voller Aktionen längst nicht am Ende, sondern ausbaufähig. Und sie hätte verbunden werden können zu breiten gemeinsamen (mindestens regionalen) Mobilisierungen weit über die Betriebsgrenzen hinaus: Kaum ein Betrieb, dessen Belegschaft nicht ebenfalls mit Verzichtsforderungen konfrontiert war und wo die KollegInnen nicht ermutigt auf die Aktionen der Daimler-Belegschaften schauten. Nach dem 3. April, mit bundesweit 500.000 Menschen auf der Straße, war das Presseecho eindeutig: "Die Gewerkschaften sind wieder da!". Die Mobilisierungen bei DC hätten ein Ansatzpunkt sein können, um daran anzuknüpfen und Schritte aus der Defensive zu beginnen. Die breite, aber meist passive Ablehnung von "Verzicht im Betrieb" und "Sozialabbau in der Gesellschaft" lässt sich nicht mit Kugelschreiber und Unterschriftensammlung in der Hand zum aktiven, praktischen und wirkungsvollen Widerstand wenden und politisch festigen. Das muss aus Situationen wie bei DC heraus erfolgen: wo Massen in Bewegung sind, Herzen auf Seiten der Gewerkschaften schlagen und Köpfe frei zum Denken von viel weit reichenderen Alternativen werden! Diese Chancen nicht genutzt zu haben, wiegt ebenso schwer wie das Verhandlungsergebnis selbst. Das Heft in die eigene Hand nehmen Jürgen teilt offenbar die Einschätzung, welche Potenziale in dieser Auseinandersetzung lagen, wenn er schreibt: "Nie war der Zeitpunkt für ein reales Kräftemessen mit dem Vorstand günstiger. Ein einziger Funke hätte einen Flächenbrand auslösen können, weit über die Konzerngrenzen hinaus. Alle Betroffenen waren sich einig: ,Wir hätten in dieser Republik mehr als nur einen Ruck ausgelöst!`" (ak 486) Ausgehend von dieser Position wirkt die von ihm formulierte Quintessenz jedoch ziemlich fatalistisch: "Das Ergebnis dokumentiert die Stärken oder eben auch die Schwächen unserer Belegschaften und der Betriebsräte, der Vertrauensleute und der IG Metall als Organisation. (...) So aber war bei den gegenwärtigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen mehr ,noch' nicht machbar. Dies ist zwar bitter, aber es ist die Realität." Selbstverständlich: die Auseinandersetzung dokumentiert auch Stärken und Schwächen, aber doch wohl jeweils sehr unterschiedliche. Die sollte man benennen und diskutieren. Eine der Schwächen der Vertrauensleute und der Belegschaften besteht z.B. darin, dass sie noch nicht in der Lage (und Willens?) sind, den Verhandlungsführern das Heft aus der Hand zu nehmen und die Möglichkeiten einer Situation zu nutzen, wie sie im Juni/Juli bestanden hatte. Was notwendig ist, um dem näher zu kommen, darüber sollte die Linke in den Gewerkschaften gemeinsam diskutieren. Vielleicht im Januar beim Kongress der "Vernetzung der Gewerkschaftslinken" in Stuttgart. Tom Adler ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr 489 vom 19.11.2004 Die Zeitung ak erscheint alle vier Wochen
und kostet pro Exemplar 4,20 EUR, Jahresabo 53,- EUR.
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