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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Verfahren, auch ohne Krise Achim Bigus* zu Notwendigkeit und Grenzen des »ökologischen Umbaus« der Autoindustrie Aus Anlass und in Vorbereitung der am 27./28. August und vom 28.–30. Oktober dieses Jahres stattfindenden Konferenzen zur Automobilindustrie setzen wir hier unsere Reihe zu dieser Branche in der Krise fort. Nach den kritischen Thesen zum »Umbau der Autoindustrie« von Wolfgang Schaumberg und der Kontroverse, die sich am Offenen Brief der attac-AG ArbeitFairTeilen an den Gesamtbetriebsrat von Opel/GM und der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung statt Massenentlassungen entzündet hatte (beide Beiträge im express 2/2010), nimmt Achim Bigus im vorliegenden Beitrag die Hoffnung auf das »grüne Auto« und eine technologisch verstandene Konversion als Auswege aus der Krise unter die Lupe. Einen Teil der aktuellen Weltwirtschaftskrise bildet die Krise der internationalen Automobilindustrie als einer Schlüsselbranche des heutigen Kapitalismus. [1] In dieser Branchenkrise verflechten sich verschiedene Aspekte der allgemeinen Krise:
Das »grüne Auto« als Alternative? Ein zentrales Element der Krisenbewältigung der Autokonzerne ist das »grüne Auto« mit Elektro- oder Hybridantrieb als »neues Geschäftsmodell«. Winfried Wolf leistet eine ausführliche Kritik dieser »Reformlüge der Autoindustrie« [4]. Eine »alternative Mobilitäts- und Transportpolitik«, die ein »Recht auf Mobilität« für möglichst viele Menschen mit möglichst geringem Ressourcenverbrauch und Schadstoffausstoß erreichen will, muss mehr »umbauen« als nur Automotoren. Die Palette der hierfür nötigen Maßnahmen beginnt bei einer anderen Stadt- und Regionalplanung zur Schaffung »kurzer Wege« und endet nicht beim Wiederauf- und Ausbau schienengestützter Verkehrssysteme. [5] So greift auch die IG Metall entschieden zu kurz, wenn sie »Autos auf neue und sichere Bahnen (!) lenken« will [6] – allerdings passend zum Einsatz von IGM-Spitze und Gesamtbetriebsräten der Autokonzerne im Streit um die EU-Abgasnormen 2007 an der Seite »ihrer« deutschen Produzenten schwerer, »durstiger« und CO2-intensiver Luxusfahrzeuge. Maßgebliche Kräfte in der IG Metall haben sich offensichtlich weit entfernt von der vor über 20 Jahren entwickelten kritischen Sicht auf »Auto, Umwelt und Verkehr« [7]. Gegen »Arbeit um jeden Preis« argumentierte bereits August Bebel. Er entgegnete vor 110 Jahren im Reichstag den Befürwortern der kaiserlichen Flottenrüstung, welche die ablehnende Haltung der damals noch marxistischen Sozialdemokratie mit Hinweis auf die durch Rüstung entstehenden »Arbeitsplätze« angriffen: »Es kommt doch nicht bloß darauf an, dass man Arbeit schafft, sondern es kommt vor allem darauf an, welche Arbeit man schafft und für welche Zwecke Arbeit geschafft wird, ob ich Arbeit schaffe für Zwecke, die wir von unserem Standpunkte aus in ihren notwendigen Wirkungen und Folgen als kulturwidrig und kulturfeindlich ansehen müssen, oder ob wir Arbeitsmittel und Arbeitszwecke schaffen, die wir als kulturfördernd und kulturhebend ansehen müssen.« [8] »Grüne Mobilität« – Antwort auf die Autokrise? Umstellung auf »ökologische Mobilität« wäre notwendiger Bestandteil einer Produktionsweise, die den Menschen und nicht den Profit in den Mittelpunkt des Wirtschaftens stellt. Dabei geht es nicht nur um ferne »Visionen«, sondern auch um – bei entsprechenden Kräfteverhältnissen – durchaus im Kapitalismus erreichbare Ziele, wie die Verteidigung und den Ausbau einer Bahn im öffentlichen Eigentum, Verhinderung und Rücknahme von Streckenschließungen oder (Wieder-)Aufbau von Stadtbahnen in mittleren und großen Städten. Aber: ist »Konversion« auch die Antwort auf die Arbeitsplatzvernichtung in den Autobetrieben? Eine »Konversion« von Auto- und Zulieferbetrieben stößt zunächst einmal auf technische Probleme wegen der oft hoch spezialisierten Produktionsanlagen. Doch auch die Umstellung auf Kriegsproduktion zu Beginn und auf zivile Produktion nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde technisch gelöst. So baute z.B. Karmann in Osnabrück während des Krieges Flugzeugteile und danach unter anderem – Straßenbahnwaggons! Ein »Investitionsprogramm, das Verkehrswende, Klimaschutz und Schaffung neuer Arbeitsplätze kombiniert« [9], könnte auch in den Automobilregionen »Ersatzarbeitsplätze« für wegfallende Autoarbeitsplätze schaffen. Wie Stephan Krull aber richtig feststellt, »löst das Elektroauto das Problem der Überkapazität nicht« [10]. Dies gilt ebenso für alle Träger »alternativer« Mobilität und für alle »alternativen« Produkte. Die Ursachen von Überproduktionskrisen haben ausführlich Marx und Engels dargestellt, aber auch »Kronzeugen« mit größerer Nähe zum Kapital wie Guido Reinking, Herausgeber der Fachzeitschrift »Automobilwoche«: »Weil die Autokonzerne mit jedem Modellwechsel ihre Produktivität steigern und deshalb mit gleicher Mannschaft 10 bis 20 Prozent mehr Fahrzeuge bauen können, sind die Werke wegen der stagnierenden Nachfrage immer weniger ausgelastet.« [11] Oder John J. Rascob, langjähriger Vizechef von General Motors und maßgeblicher Manager des Chemiekonzerns DuPont (damals Großaktionär bei GM) 1930 mit Blick auf die damalige historische Krise des Kapitalismus: »Wir haben die Produktion so erfolgreich vorangetrieben, dass wir vor dem Problem stehen, wie die Güter, die wir produzierten, zu konsumieren sind.« [12] Diese Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise wirken, unabhängig von den produzierten stofflichen Gebrauchswerten, für die Produktion von Fahrrädern, Waggons, Windrädern oder Solaranlagen genauso wie für Benzin-, Diesel-, Hybrid- oder Elektroautos. Der Umbau von Mobilität und Transport ist somit eine notwendige Antwort auf die ökologische Krise der »Autogesellschaft«, nicht aber auf den ökonomisch verursachten Arbeitsplatzabbau. Eine naheliegende und einleuchtende Aktionslosung ist er darum eher für Umweltaktivisten und Bahnbeschäftigte. In den Autobelegschaften liefert die Abhängigkeit vom Produkt »Auto« eher Anknüpfungspunkte für »Branchenkoalitionen« zur Verteidigung »ihres« Produkts gegen ökologische Kritik und Auflagen, vor allem bei einer entsprechenden Politik ihrer Gewerkschaft. Wer dies verhindern will, muss den Automobilarbeitern glaubwürdige Antworten auf ihre Beschäftigungssorgen geben. Die langfristige Frage lautet: »Was ist zu tun, einen Umbau dieser Branche, der gesellschaftlich und ökologisch nötig ist, so zu gestalten, dass er nicht auf dem Rücken der Beschäftigten und ihrer Familien ausgetragen wird?« [13] Dies verbindet sich kurzfristig mit der Verteidigung der heute bedrohten Arbeitsplätze. Arbeit, Umwelt, Sozialismus... Stephan Krull betont zutreffend, dass zur Überwindung der »Krise der Autogesellschaft« an »gesellschaftlicher Planung von Produkten und Produktion kein Weg vorbei führt.« [14] Winfried Wolf zeigt mit seiner Analyse des »spezifischen Gewichts« der Auto-, Öl- und Flugzeugkonzerne, gegen welche mächtigen gesellschaftlichen Interessen Alternativen durchgesetzt werden müssen. Beides verweist auf die Notwendigkeit eines Bruchs mit der kapitalistischen »Marktwirtschaft« und mit den herrschenden Macht- und Eigentumsverhältnissen: Wer »grün« sein und Arbeitsplätze verteidigen will, muss »rot« werden! Das erfordert die Entwicklung von Gegenmacht der Arbeiterbewegung. Hoffnungen, der von der IG Metall geforderte »Branchenrat Automobile Zukunft« könne ein Ansatz für einen Umbau der Branche sein,[15] dürften enttäuscht werden. Denn realistisch betrachtet, so Ulrike Schmitz, erinnere dieser »Branchenrat von Unternehmen und Politik sehr an die Konzertierte Aktion«, und: »Eine Einbeziehung der Beschäftigten, ja ein Widerstandskonzept fehlt völlig. [16] ...und Arbeitszeitverkürzung Winfried Wolf verweist für den Zeitraum 1960 – 2007 auf die »extreme Auseinanderentwicklung von Output (= Vervierfachung) und dem weitgehend konstanten Beschäftigungsniveau« als »Ausdruck der gerade in der Autobranche dokumentierten immensen Steigerung der Produktivkraft«. [17] Die kapitalistische Nutzung dieser enormen Produktivitätssteigerung ist eine entscheidende Ursache der Arbeitsplatzverluste – nicht nur in der Autoindustrie. Eine klassische Antwort der Arbeiterbewegung ist die Verkürzung der Arbeitszeit – bei vollem Lohnausgleich, was einen harten Kampf um die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums erfordert. Ist es ein Zufall, dass die Debatte in der IG Metall über Alternativen zum Auto in der Zeit am weitesten fortgeschritten war, als sich diese mit einem auch praktisch erfahrbaren Ringen um kürzere Arbeitszeiten, um eine andere Verteilung von Arbeit und Einkommen verbinden konnte? * Achim Bigus ist Betriebsrat und Vertrauenskörperleiter des ehemaligen Karmann-Werks in Osnabrück, dessen Restbestandteile ohne den 2009 geschlossenen konzerneigenen Zulieferer unter dem Namen Fahrzeugbau von VW übernommen und als »Volkswagen Osnabrück GmbH« weitergeführt werden. Dieser Beitrag wurde ursprünglich für die online-Zeitschrift »T & P – Theorie und Praxis«, herausgegeben vom Arbeitskreis Sozialismus in Wissenschaft und Politik, verfasst und für den express leicht überarbeitet. Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 4/10 1) Zum »spezifischen Gewicht« des Öl-, Auto- und Flugzeugkapitals in der stofflichen Struktur des Weltkapitals siehe: Winfried Wolf: »Weltwirtschaftskrise & Krise der Autoindustrie«, in: Lunapark 21 Extra 02, Oktober 2009, S. 12. Diese Broschüre halte ich insgesamt für eine unverzichtbare Analyse der aktuellen Automobilkrise. 3) Tom Adler: »Ein Kompass für den Standort Solidarität«, in: Winfried Wolf, a.a.O, S. 2 4) Wolf, a.a.O., S. 37-40, vgl. auch Stephan Krull: »Wohin mit der Autoindustrie«, in: Z. Zeitschrift für Marxistische Erneuerung, Nr. 80, Dezember 2009, S. 61-70, hier: S. 62 5) Wolf, a.a.O., S. 26/27, Krull, a.a.O., S. 61 6) Zur »Branchenkonferenz« der Hans-Böckler-Stiftung im März 2009 s. Krull, a.a.O., S. 68 8) August Bebel, Reichstagsrede vom 10. Februar 1900, in: August Bebel: »Diesem System keinen Mann und keinen Groschen«, Berlin/DDR 1961, S. 46 11) Financial Times Deutschland, 26. November 2004, Hervorh. A.B. 12) Wolf, a.a.O., S. 22; Marxistische Blätter, Nr. 1/09, S. 53 13) Ulrike Schmitz: »Umgestalten nicht auf dem Rücken der Beschäftigten«, Unsere Zeit, Nr. 47, 20. November 2009 17) Wolf, a.a.O., S. 8f., vgl. auch Marxistische Blätter, Nr. 1/09, S.46 – 48 |