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Updated: 18.12.2012 15:51
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Alternatives Transportsystem statt "Umbau der Autoindustrie"

Diskussionsthesen zur Vorbereitung des Kongresses "auto.mobil.krise" am 29.-30. Oktober 2010 in Stuttgart von Wolfgang Schaumberg (Februar 2010)

I. Was mich erschreckt

1. Das herrschende Transportsystem ist systemrelevant für den globalen Kapitalismus.

Sinnvoll die Forderung nach einem vernünftigen Transportsystem für alle realisieren zu wollen bedeutet, einen Angriff zu wollen

  • auf die mächtigsten Konzerne der Welt, die multinationalen Autokonzerne samt ihren Banken
  • und ihren Regierungsbastionen in den mächtigsten Industrienationen der Erde samt China und Indien
  • und auf ihre ökonomische und ideologische Macht über Millionen von Auto-Beschäftigten weltweit in relativ privilegierten und umworbenen Arbeitsverhältnissen
  • bedeutet auch einen Angriff auf ihre ideologische Herrschaft über den größten Teil der Industrieländer-Bevölkerungen , die Einkommenserhalt als Arbeitsplatzerhalt in Verbindung mit Konkurrenzfähigkeit und Wirtschaftswachstum wie eine natürliche Voraussetzung zu einem akzeptablen Lebensstandard gelernt haben und mit Hilfe der Organe der Herrschenden wie Medien, Schule, Wissenschaftlermehrheit samt den meisten Experten der sog "Zivilgesellschaft" auch weiterhin lernen
  • bedeutet auch einen Angriff auf den Erfolg der Autokapitalisten, die in den letzten 100 Jahren das Auto als wichtigstes Transportmittel in den Industrieländern und das Bedürfnis der größten Teile ihrer Bevölkerungen sowie der Menschen in den übrigen Ländern der Erde durchgesetzt haben, auch ein Auto oder ein "besseres" Auto haben zu wollen.

2. Statt das gesamte Verkehrssystem in den Blick zu nehmen, wird oft zu schnell und unbedacht "Umbau der Auto-Industrie" gefordert, ohne genau hinzusehen:

Was könnte und vor allem sollte denn Sinnvolles in den Autofabriken produziert werden, in ihren Blechteile-Presswerken, den Rohbau-Abteilungen, den Lackierereien, an den mit Massen von Menschen laufenden Montagebändern der Fertig- und Endmontagen? In den Motoren-, Getriebe- und Achsenwerken? Und in all den vor- und nachgelagerten Produktions- und Vermarktungsbetrieben?

Was immer man sich ausdenken mag: Jedenfalls würden wohl Unmengen von Arbeitsplätzen, Maschinen, Anlagen und Gebäuden überflüssig werden, auch ein "Umbau" würde viel Zeit erfordern und eben Macht.

Fazit:

Die Größe der Aufgabe und unsere eigene Minderheitsposition samt unserer Differenzen und Schwächen in theoretischer wie praktischer Hinsicht zu erkennen ist Voraussetzung für ein sinnvolles Angehen der Aufgabe ein vernünftiges Verkehrssystem durchsetzen zu wollen. Die ökonomische, politische und ideologische Macht der herrschenden Auto-Kapitalisten ist für ein vernünftiges Transportsystem zu durchbrechen. Das verlangt eine internationale Massenbewegung. Schon konkrete Reformforderungen stoßen dabei auf Hindernisse, die die Infragestellung der gesamten herrschenden Produktionsweise erfordern.

II. Was mir Mut macht

Im Alltag nutzbare Erfahrungen für eine Debatten-Offensive sind zahlreich:

1.

  • Fahrgemeinschaften zur Schicht und zurück haben auch in Autobetrieben viele KollegInnen organisiert; oft im unbewussten Widerspruch zu ihrem Alltagsgerede "wir leben nun mal vom Auto", "die Autos müssen ja verkauft und verbraucht werden." usw., denn dann müssten sie ja mit dem eigenen Auto kommen.
  • Firmentickets für den ÖPNV gibt es, aber in zu wenig Betrieben, oft zu wenig attraktiven Preisen und Verbindungen. Wo sind positive Abkommen wie erreicht worden.
  • Betriebsbusse organisieren massenhaft die Fahrt zur Arbeit eher in Entwicklungsländern, wo sich die Mehrheit der Belegschaften noch kein Auto leisten kann. Gäbe es zur Früh-, Mittags- und Nachtschicht regelmäßige Firmenbus-Angebote (bis vor die Hauptabteilungen oder Waschräume und zurück in die Wohnbereiche), würde massenhaft das Auto stehen gelassen.
  • Perspektivisch kann die Arbeitsan- und Abfahrt von den Betrieben aller Art organisiert werden, mit Bahntickets, Bussen, Kleinbussen, Gemeinschaftstaxis.

2.

  • Sozialtickets wurden und werden in zahlreichen Städten gefordert und z.T. erkämpft. Konkrete Erfahrungen sind zu sammeln und zu publizieren.
  • Car-Sharing und Mitfahrzentralen sind immer noch vielen unbekannt. Vor- und Nachteile sind zu diskutieren , positive Erfahrungen sind zu verbreiten.
  • Shuttle-Angebote zu Massenveranstaltungen, in die Innenstädte, zu Einkaufszentren, Flughäfen etc und zurück zu Wohnorten, Bahnhöfen etc könnten Angebotsteil von Eintrittskarten/Tickets/Einkaufsgutscheinen werden.
  • "Grüner-Punkt" - Bewegung: der Phantasie keine Grenzen! Kostenlose Mitnahme-Angebote, bzw. gegen Benzinkostenbeteiligung, könnten öffentlichen Druck auf die Angebote und Preise der ÖPNV- und Taxi-Unternehmen bewirken.
  • Perspektivisch kann Nulltarif geplant werden in einem ausreichenden und bequemen Transportangebot in und zu den Zielorten, Städten, Regionen, etc.

3.

Für die Aufklärungs- und Mobilisierungsarbeit nutzbare Schwächen der Beherrscher des Verkehrssystems

  • Die Auto-Multis und ihre Regierungen in aller Welt müssen auf die massenhafte Einsicht reagieren, dass die Ressourcen für die gewohnten Antriebsenergien begrenzt sind und die Umweltbelastungen immer bedrohlicher werden. Ihre gemeinsame Antwort: Festhalten und Ausbau des Individualverkehrs, also der globalen Blechkisten-Verbreitung (z.B. in China, Indien) , samt Auto- und Untergrundbahnen etc, aber mit anderen Antriebstechnologien. Die massiven Versuche der Herrschenden, diese als Lösung der Ressourcen- , Umwelt- und Arbeitsplatzprobleme in den Köpfen zu verankern, müssen und können durch genaue Analyse und Kritik zersetzt werden.
    Alle Auto-Konzerne wie ihre nationalen Regierungsbastionen setzen weiter auf Sieg im Konkurrenzkrieg. Massenwirksame Propaganda für ihre Scheinlösung wird nicht nur von BILD und FAZ etc, TV, Werbung , verbreitet, sondern insbesondere im Betriebsalltag auch von den herrschenden Fraktionen in den Gewerkschaften und Betriebsräten der Großbetriebe, wo alle Hoffnung auf neue Antriebstechnologien und den Konkurrenzsieg gelenkt wird ( z.B. IGM-Chef Berthold Huber : "Wir brauchen ein Gegengewicht gegen den Angriff der angelsächsischen Investoren auf deutsche Unternehmen. ." und: "Unser Ziel als Ankerinvestor ist ein Wechsel in ökologische Themen, die Verteidigung der technologischen Spitzenposition in Deutschland." (Frankf. Allg. Sonntagsztg, 23.08.09)
  • Die Anzahl der Auto-Beschäftigten nimmt aufgrund der Produktivitätsfortschritte tendenziell ab, zumindest in den führenden Industrieländern. Auch ihre Arbeitsplätze werden unsicherer , corporate identity schwieriger durchzusetzen, working class identity eher diskutierbar.
    In den neuen Auto-Fabriken sind die Jobs zwar immer noch sehr erstrebt und privilegiert, aber von Beginn an unsicher und unter hartem Konkurrenzdruck. (z.B. bei Honda in Guangzhou haben alle nur befristete Verträge)
  • Die Krisenentwicklung und das global allseitig bejammerte Weiterauseinandergehen der Schere zwischen Arm und Reich behindert die Marktausweitung für die Auto-Kapitalisten und die Steigerung ihrer Profitraten. Auto-Kauf oder -Kredit werden schwieriger, das Bedürfnis nach günstigem Gemeinschaftstransport wächst. Dabei sind die öffentlichen Verkehrsmittel bereits in massenhafter Kritik, die weiter vertieft und verbreitet werden kann und muss, Und woran konkrete Verbesserungsforderungen geknüpft werden können, damit nicht nur aus Not auf´s Auto verzichtet wird.
  • Perspektivisch bedeuten alle Stärkungen des Gemeinschaftsverkehrs durch die Reduzierung der Privatauto-Benutzung einen Absatzrückgang bei den Auto-Multis samt Arbeitsplatzabbau; umso nötiger die Debatte: wofür wird sinnvoll gearbeitet? Eingesparte Arbeitszeit kann umverteilt werden. Mehr freie Zeit mag das Transportbedürfnis verstärken, aber nicht das Bedürfnis, möglichst schnell irgendwo ankommen zu müssen. Im Gegenteil: Alles kann langsamer gehen, bequemer, lustiger.

III. Was nicht zu vergessen ist

Für das Privatauto können trotzdem gute Gründe auch in Zukunft bleiben:

  • Ist ein Bedürfnis nach individuellem Transport, im selbstbestimmten Fahr-Raum, allein, mit Familie oder Freunden, sowie die persönliche Regie beim Transport (samt Gepäck), von der Haustür an, über selbst gewählte Wege, mit spontanen Unterbrechungen und Zielentscheidungen etc. anzuerkennen? In welchen Situationen wäre das "eigene" Auto immer noch sinnvoll?
  • Geschwindigkeitserlebnis, Fahrkunst, Rennsport, vom Auto-Scooter über Go-Kart-Fahren bis zu Ralley-Clubs und zur Formel 1 , - alles nur ein Ergebnis des in den letzten 100 Jahren erreichten Auto-Sieges? Um so ein Bedürfnis befriedigen zu können, ist jedenfalls kein "eigenes" Auto sinnvoll.

Fazit:

Keine Massenbewegung für ein anderes Transportsystem ohne kontinuierliche und systematische Aufklärungs- und Mobilisierungsarbeit. Aktionen für konkrete Verbesserungen sind mit der Perspektivendebatte gut zu verbinden. Die Hoffnungen auf ein Wahlkreuz für "bessere" Vertreter zu lenken, unterschätzt die herrschenden Machtverhältnisse.

Damit nicht in 3 oder 5 oder 10 Jahren ein linker Expertenkongress wieder danach fragt, warum man immer noch in machtloser Minderheitsdebatte klebt, muss und kann Massenaufklärung und -Mobilisierung in den Innenstädten, vor und in den Betrieben und Verwaltungen, Schulen aller Art, bei Massenevents etc organisiert werden, anknüpfend an den Alltagserfahrungen der Leute und den Schwächen und Widersprüchen der Herrschenden .


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