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Updated: 18.12.2012 15:51
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Einleitung zur Plattformdiskussion auf dem Kongress der Gewerkschaftslinken am 2. Oktober 2005 in Frankfurt

Kolleginnen und Kollegen,

seit Jahren erleben wir, wie die offizielle Gewerkschaftspolitik sich mehr und mehr an die Vorgaben neoliberaler Politik anpasst und Sparzwänge akzeptiert, die letztlich nur dazu führen, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden.

Nun ist wahrscheinlich hier im Saal weitestgehend unbestritten, dass der Marburger Bund eine Standesorganisation ist und bestimmt nicht das ist, was wir Gewerkschaftslinke unter einer kämpferischen oder klassenbewussten Gewerkschaft verstehen.

Aber haben die Krankenhausärzte, die im Marburger Bund organisiert sind, nicht Recht, wenn sie gegen Gehaltskürzungen und für Arbeitszeitverkürzung eintreten, und dafür kämpfen? Haben sie nicht Recht, wenn sie aus diesem Grund die Tarifgemeinschaft mit ver.di aufkündigen, eben weil sie der Sparlogik nicht folgen wollen?

Auch in neoliberalen Zeiten könnte eine andere Gewerkschaftspolitik betrieben werden. Wenn ver.di diese KollegInnen von ihrem Standesbewusstsein abbringen will und sie wirklich zu konsequenten GewerkschafterInnen machen will, dann muss ver.di ihre Verzichtspolitik aufgeben und für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen kämpfen und für noch mehr Flexibilisierung akzeptieren, was zu einem Lohnverlust von 5% führt. 3500 Neueintritte in den Marburger Bund in den letzten Wochen sind der beste Beleg dafür, was es bringt, konsequent die Interessen der abhängig Beschäftigten zu vertreten.

Lasst mich ein zweites Beispiel geben dafür, dass auch in neoliberaler Zeit gekämpft werden kann. Die Seeleute der Fährgesellschaft SNCM (Korsika) kämpfen gegen die Privatisierung ihres Betriebs und sie genießen die Sympathie nicht nur der anderen Gewerkschaften sondern auch der großen Mehrheit der Lohnabhängigen in Frankreich. Diese große Mehrheit der Lohnabhängigen hat auch ein deutliches Nein zur neoliberalen EU-Verfassung bewirkt. Es wäre nicht schlecht, wenn wir heute unter dem Punkt "Verschiedenes" eine Solidaritätsadresse an die kämpfenden Seeleute von Korsika verabschieden könnten.

Am kommenden Dienstag (4. Oktober) wird es in Frankreich landesweit Demonstrationen und Streik gegen die Politik der Regierung Villepin geben. Dies wird erneut zeigen, dass Widerstand möglich ist. Aber auch in der BRD gibt es diese Beispiele. Das herausstechendste der letzten Zeit ist wohl der Kampf der Belegschaft von Alstom in Mannheim. Es ist also keine Frage der angeborenen Mentalität.

Damit eine solche Politik in der BRD in den Gewerkschaften und in den Belegschaften mehrheitsfähig wird, müssen wir uns auf einem anderen Niveau vernetzen bzw. organisiert wirken als bisher. In diesem Zusammenhang steht die Diskussion über eine Plattform der Gewerkschaftslinken.

Wenn wir uns heute darüber verständigen, was die Plattform der Gewerkschaftslinken sein soll, dann nicht , weil wir uns ein Ersatzparteiprogramm schaffen wollen. Wir brauchen vielmehr eine Definition der Grundlage, auf der wir gemeinsam wirken wollen und zwar als gewerkschaftliche Strömung. Damit sind zwei Dinge ausgedrückt:

  1. Zunächst das " Wirken wollen ": Gegenüber der Situation bei der Gründung des Netzwerkes (1999) hat sich die allgemeine Lage drastisch verschlechtert, und zwar nicht nur auf der Ebene der Erwerbslosigkeit, der Billiglöhne und der ungeschützten Beschäftigung, sondern vor allem, weil die Gewerkschaften dramatisch an Glaubwürdigkeit und Durchsetzungskraft verloren haben (was sich nicht nur in den Mitgliedszahlen ausdrückt). Der deutlichste Ausdruck davon ist die schwindende Bindekraft des Flächentarifvertrages (das allerletzte Beispiel ist VW). Insgesamt diagnostizieren wir eine Aufgabe des Kampfes um die Arbeitsplätze. Die Gewerkschaften lassen sich erpressen. Ein eigenständiger Kampf, der die Existenzberechtigung der Gewerkschaften als tatsächliche Interessenvertretung unter Beweis stellen würde, findet nur noch in Randbereichen statt. Der Bedeutungsverlust der Gewerkschaften kann uns nicht kalt lassen, denn wenn das so weiter geht, haben wir bald amerikanische Verhältnisse.
    Im Verlauf der letzten ein bis zwei Jahre hat sich deshalb in der Gewerkschaftslinken die Einschätzung herausgebildet, dass ein bloßer Gedankenaustausch nicht mehr ausreicht. Die Bedingungen für betriebliche und gewerkschaftliche Gegenwehr sind so schlecht geworden, dass wir gefordert sind, in organisierter Weise in die Entwicklung gewerkschaftlicher Positionen einzugreifen.
  2. Das zweite, was mit der Eingangsfeststellung ("gemeinsam wirken wollen als gewerkschaftliche Strömung") verbunden ist, liegt auf der Betonung " gewerkschaftliche Strömung". Wenn wir uns zur Kennzeichnung der Positionen, für die wir uns stark machen wollen, eine Plattform geben wollen, dann nicht als ein enges Programm, sondern als etwas Offenes, das das Eintreten für weitergehende Forderungen und für Themen, die hier nicht angesprochen sind, nicht ausschließt, sondern ausdrücklich offen hält. Die Plattform soll also möglichst breit sein, mit anderen Worten, alle KollegInnen ansprechen, die für Gegenmachtpositionen gewonnen werden können . Andererseits soll diese Plattform aber auch so konkret sein, dass sie eine reale Aussagekraft hat und den Unterschied zur heute vorherrschenden Linie in den Gewerkschaften deutlich macht.

Unser Ziel muss es sein, über die reale Vernetzung betrieblicher Widerstandsaktivitäten (die Aktionen bei Alstom Mannheim sind ein kleiner Beleg dafür, oder sagen wir besser ein gutes Beispiel dafür) und über den organisierten Kampf für eine andere Gewerkschaftspolitik dazu beizutragen, dass wir aus der Defensive rauskommen. Wenn es im Betrieb und überbetrieblich keinen organisierten Widerstand gibt, nutzt auch eine starke linke Fraktion im Bundestag herzlich wenig. Diese Fraktion wird uns hoffentlich unterstützen, aber unsre Aufgabe ist es, die KollegInnen für eine andere Gewerkschaftspolitik zu gewinnen. Dies kann nur in organisierter Form geschehen.

Die Plattform versucht, die für die Gewerkschaftsarbeit heute zentralen Achsen zu benennen und dafür eine Perspektive zu weisen, die über tagesaktuelle Fragen hinausgehen.

Die Politik unsrer Gewerkschaftsvorstände und im Besonderen des DGB (von wegen "stille Diplomatie") zeichnen sich heute durch zwei Merkmale aus:

  • Erstens gilt bei den Gewerkschaftsvorständen generell die Maxime der Konfliktvermeidung. Eine Gewerkschaft aber, die keine Konflikte durchzustehen bereit ist, hat ihre Existenzberechtigung verloren.
  • Zweitens haben sie über weite Strecken neoliberales Denken verinnerlicht.

Das letzte und wahrscheinlich dramatischste Beispiel ist die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst und der Abschluss vom Februar und vom 13. September diesen Jahres.

  • Wie will man glaubhaft gegen Niedriglöhne vorgehen, wenn man selbst eine Gehaltsstufe einführt, die um 300 Euro unter der bisher niedrigsten Gehaltsstufe liegt?
  • Wie will man einen glaubwürdigen Kampf gegen die Erwerbslosigkeit führen, wenn man selbst der Arbeitszeitverlängerung für Millionen Beschäftigte zustimmt?
  • Wie will man die Reallöhne sichern, wenn man bereitwillig im Tarifvertrag die Arbeitszeit flexibilisiert und dadurch Überstundenzuschläge wegfallen?
  • Wie will man gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit bewahren, wenn man einer Günstigkeitsklausel zustimmt, nach der ein Arbeitgeber das Recht erhält, über Absenkungen zu verhandeln, wenn ein anderer Arbeitgeber in einem anderen Bundesland die Gewerkschaft über den Tisch gezogen (oder erfolgreich erpresst) hat? Das Günstigkeitsprinzip auf den Kopf stellen ist das Gewerkschaftsprinzip auf den Kopf stellen.

Diese Zugeständnisse an die Vorgaben der Sparpolitik sind nur verständlich vor dem Hintergrund des Einschwenkens auf neoliberale Positionen. Und das wiederum kann nur geschehen, wenn man/frau keinen konsequenten gewerkschaftlichen Standpunkt hat und wenn man/frau auch keine Vorstellung von einer anderen, einer menschlichen Gesellschaft hat.

Wer keine eigenen Zielvorstellungen mehr hat, kann nur der Logik der Wettbewerbsfähigkeit folgen mit allem, was dazugehört: Erwerbslosigkeit, Armut, Existenzängste und so weiter und so fort.

Weil wir diese Logik nicht akzeptieren und weil wir für diese Logik nicht verantwortlich sind, folgen unsre Forderungen gerade nicht der Maxime der Vereinbarkeit mit der bestehenden Wirtschaftsordnung.

Der Maßstab für uns lautet: Ein menschenwürdiges Leben führen können und die Verteilungsfrage neu aufwerfen, aber auch, und nicht zuletzt, gesamtgesellschaftliche Vernunft durchsetzen (im Gegensatz zur nur betriebswirtschaftlich ausgerichteten Vernunft, also der Profitmaximierung auf Kosten der Allgemeinheit).

Wie können 25 000 Einkommensmillionäre 100 mal und 200 mal mehr bekommen als andere, die z. T. die beschissensten Jobs ausüben?

In der BRD ist heute kein menschenwürdiges Leben zu führen, wenn mensch nicht wenigstens 10 € in der Stunde verdient. Das ist eine klare Absage nicht nur an alle Formen der Zwangsarbeit und der 1-Euro-Jobs. Es ist euch ein klares Nein zu 7,50 € Mindestlohn (ver.di), weil damit vielen KollegInnen, die leicht darüber liegen, eine Absenkung auf diesen Betrag droht.

Dies stellt Niedriglöhne insgesamt in Frage, aber auch Hartz IV und indirekt die gesamte Agenda 2001

Die zweite und mindestens ebenso wichtige Achse konsequenter Gewerkschaftspolitik sehen wir in der Notwendigkeit, den Kampf für eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich aufzunehmen. Nur wenn sie in großen Schritten erfolgt und nur wenn es nicht den geringsten Zweifel am eisernen Willen der Gewerkschaft gibt, den vollen Lohnausgleich durchzusetzen, kann eine solche Forderung die KollegInnen mitziehen, sie wieder begeistern. Und nur so kann ein Erfolg versprechender Kampf angepackt und durchgestanden werden. Es ist offensichtlich, dass dazu in der Gewerkschaft einiges grundsätzlich anders angepackt werden muss. Und: Eine solche grundlegende Richtungsänderung ist nur durch eine koordinierte und organisierte Arbeit möglich.

Mit Arbeitszeitverkürzung und Mindestlohn ist die Sache nicht getan:

  • Auch für Erwerbslose muss es ein garantiertes Grundeinkommen geben. Wir denken, dass dies mindestens 500 Euro + Warmmiete sein müssen.
  • Wir setzen uns ein für Festgeldforderungen als Instrument gegen die weitere Lohnspreizung und gegen Billiglöhne, von denen hauptsächlich Frauen betroffen sind.
  • Wir wenden uns gegen ertragsabhängige Lohnbestandteile, weil damit die KollegInnen auch im Kleinen zu Geiseln der Profitwirtschaft gemacht werden.
  • Wir wollen eine einheitliche bedarfsdeckende Krankenversicherung und wir wollen keine Privatisierung öffentlicher Einrichtungen. Im Gegenteil: Dort, wo Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge privatisiert wurden, muss dies rückgängig gemacht werden. Dazu gehört auch eine kostenlose Bildung und Ausbildung für jede und jeden.

Wer uns nach der Bezahlung fragt: Wir sind zwar nicht darauf fixiert, die Bezahlbarkeit unter den gegebenen wirtschaftlichen Bedingungen hervorzuheben, aber klar ist, dass die benötigen Mittel durch Abzug von den Profiten zu finanzieren sind, also zu allererst durch das Rückgängigmachen aller Gewinnsteuersenkungen der letzten Jahre.

Die Ergänzungen, die der Kollege Bernd Riexinger vorschlägt, sind sinnvoll, ob wir sie so in dem Text unterbringen können, ist eventuell in einer Arbeitsgruppe zu klären. Auch die Ergänzungsvorschläge, die in dem gelben Flugblatt gemacht werden [GewerkschafterInnen und Antifa], können sehr wohl integriert werden und stehen in absolut keinem Widerspruch zur Linie des Plattformentwurfs. Speziell die dort zitierten Passagen aus der Plattform der Kölner Gewerkschaftslinken können sicherlich ohne Probleme übernommen werden. Aber.

Wir sollten auch bedenken. Der Text sollte kurz gehalten werden, aber er muss auch aussagekräftig sein. Ein paar Allgemeinplätze oder ein paar Schlagworte sind nicht hilfreich.

Dass auch große Teile der Mitgliedschaft den Shareholder-Value-Kapitalismus hinnehmen und keine Alternative sehen, ist sicherlich richtig. Dies haben wir auch schon auf der Januarkonferenz dargelegt und ist auch schon oft wiederholt worden.

Dennoch bleibt festzuhalten: Gewerkschaftsführungen haben eine besondere Verantwortung . Ihnen kann mensch allein schon aufgrund ihrer ständigen Beschäftigung mit gesellschaftspolitischen Fragen nicht zugute halten, sie seien nicht informiert oder sie haben noch nie etwas von Alternativen gehört. Wofür hat denn letztes Jahr der Perspektivenkongress stattgefunden?

Welche Politik brauchen wir gegenüber der Erpressungsstrategie des Kapitals bei Standortvereinbarungen? Zum einen muss international Solidarität organisiert werden (das Gegenbeispiel zur Verzichtspolitik bei VW ist der Kampf der Hafenarbeiter, Wolfgang Täuber hatte das letzte Mal darüber referiert).

Zum anderen müssen wir mit einem entschiedenen Kampf für eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich in die Offensive kommen.

Die Bindung des gewerkschaftlichen Hauptamtlichenapparates (zumindest was die oberen Etagen angeht) an die SPD wird wohl auch und gerade mit dem Einzug der Linkspartei in den Bundestag hoffentlich ein Stück weit angeknackst. Aber das ist kein Selbstläufer. Wir sollten uns für die Unabhängigkeit der Gewerkschaften, aber auch für politischen Pluralismus in den Gewerkschaften einsetzen. Um diese Ziele durchzusetzen brauchen wir eine kämpferische Tendenz in den Gewerkschaften. Diese Tendenz als für die KollegInnen erkennbare Strömung zu etablieren, wird nur in organisierter Weise möglich sein. Auch und gerade dafür brauchen wir eine Plattform, die in gewisser Weise eine Visitenkarte darstellt, auch wenn allen hier im Raum klar sein muss: Damit allein ist es natürlich längst nicht getan. Eine solche Plattform ist eine notwendige aber bei weitem keine hinreichende Bedingung. Die Entwicklung überregionaler Aktivitäten der Gewerkschaftslinken und die Entwicklung der lokalen Verankerung können sich gegenseitig stützen.

Klar sein sollte für uns: Auf das tatsächliche gemeinsame Wirken, ganz besonders bei Tarifrunden, kommt es an. Es gibt also viel zu tun, packen wir es an.

Jakob Schäfer


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