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UlrichLeicht@t-online.de
Neben dem hier folgenden Einleitungsartikel zur Notwendigkeit der Debatte und zur Erläuterung und Stützung unseres Anliegens und von uns favorisierter Orientierungen haben wir 3 Beiträge anzubieten, einen neuen eigenen und zwei von anderen AutorInnen:
1. Helmut Weiss/Ulrich Leicht: Tradierte
Konzepte überwinden. Open Theory für die gewerkschaftliche Zukunft
- (Light) Version 1.2. Sieben Thesen. Mehrere Hochzeiten - und ein Todesfall?
[ http://www.labournet.de/GewLinke/do-open.html]
2. Mag Wompel (maintainerin www.labournet de.): "Fetisch Arbeit und die Gewerkschaftslinke" - zu finden unter: [http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/bfa-ak.html]
Ein hervorragender Artikel, der schon länger auch im Netz steht, aber in der Debatte, unserem Eindruck nach, leider nicht genug Beachtung findet. Er setzt sich anläßlich des "2. Bündnisses für Arbeit ..." in ähnlicher Weise auch kritisch mit dem Arbeitsfetischismus - wie der dritte noch ältere Text - und anderen Defiziten der Gewerkschaftslinken auseinander.
3. Robert Kurz: "Die deutsche Version
der sozialen Paralyse: ein 'Bündnis für Arbeit'"
[ http://www.labournet.de/GewLinke/do-kurz.html]
Das dritte Kapitel des Textes "Die letzten Gefechte. Ein Essay über den
Pariser Mai, den Pariser Dezember und das Bündnis für Arbeit. Im Rückblick
auf den Mai 68" von Robert Kurz, der vollständig unter
http://www.giga.or.at/others/krisis/r-kurz_die-letzten-gefechte_krisis18_1996.html
zu finden ist
Dieser Text setzt sich nicht nur konkret mit dem ersten "Bündnisses für Arbeit", sondern auch grundsätzlich mit der Entwicklung der Gewerkschaften in diesem Lande und ihrem Dilemma und möglichen Auswegen auseinander, und verleiht dabei dem aus unserer Sicht für die Debatte um Perspektiven notwendigen wert- und arbeitskritischen Aspekt besonderes Gewicht.
Das Ringen der Gewerkschaftslinken um eine Perspektive ist nach anfänglichen Bemühungen, Artikeln, Plattformen und Plattform-Weiterentwicklungen (wie die ohnehin im spannenden Punkt 15. abgebrochenen und dann nie weiter geführten, erstmals ansatzweise in neue Richtungen weisenden Thesen Bachmann/Riexinger) zum Stillstand gekommen.
Auch wenn die Programm-Gestaltung des jetzigen Kongresses in Frankfurt die Wiederaufnahme der Debatte nicht vorsieht, ist es für eine Gewerkschaftslinke, die diesen Namen auch verdient, existenziell, der Wiederbelebung der klammheimlich eingeschlafenen Debatte um einen Perspektivwechsel, also den notwendigen strategischen Teil der Klärung gewerkschaftlicher Politik, noch einmal auf die Sprünge zu helfen.
Natürlich ist es nicht falsch sich konkreten Themen zu widmen - Renten, Tarifpolitik, Mitbestimmung. Ohne Frage sind wir dort mit neuen Angriffen auf soziale Errungenschaften konfrontiert, die aber auch nicht nur Ergebnisse des konkret verabredeten Bündnisses Nr.2, sondern Folge schon immer auch solch weniger offiziell bzw. unter anderen etiketten betriebener Bündnispolitik bundesdeutscher Gewerkschaften schlechthin geschuldet sind.
Zumindest werden sich von alleine aus dem Tummeln auf den von kapitalistischen Marktfetischisten, Politik, Staat vorgegebnen konkreten Politikfeldern keine neuen Perspektiven ergeben, es besteht eher die Gefahr bzw. bewahrheitet sich schon, daß ohne die grundätzliche, strategische und für uns heißt das auch systemsprengende Orientierung diesen eben auch selbige fehlt oder abhanden kommt.
Was jetzt stattfindet ist ja alles andere als neu. Jetzt werden nur vorwiegend altbekannte Konzeptionen (versuchtes Revival von Keynes versus Neoliberalismus, "rheinisch-kapitalistisches Sozialpartnetschaftsmodell" gegen "angelsächsisch radikal-marktwirtschaftlichen Shareholder-Kapitalismus") gemeinsam von Kräften angegangen, die bis vor einiger Zeit nicht an einem Tisch, in gemeinsamen Arbeitsausschüssen usw. saßen. Für deutsche Verhältnisse und linke Streitkultur ist dies ja nicht wenig aber reicht das aus? Bleibt es nicht letztlich schön deutsch bieder, anbiedernd und althausbacken?
Wer beispielsweise seit zwei Jahren mit dem Konzept eines "Bündnis für Arbeit ..." als neuer Etappe des Sozialparterschaftsmodells à la BRD in Form des Korporatismus für den Fetisch Standort und Wettbewerb als Krisenbewältigungsmodell konfrontiert ist und sich als Linke nicht dazu aufraffen kann,
1. ein grundsätzliches Nein gewerkschaftlichen Engagements dagegen in den Mittelpunkt zu rücken und dort
2. eine neue wegweisende Perspektive jenseits der Slogans "Für eine neue Poltik", "Arbeit für alle", "Vollbeschäftigung", "soziale Gerechtigkeit" usw. also "Einforderung der Wahlwerbeslogans" zu entwicklen, der wird kein besseres Schicksal erfahren, und hat es auch nicht verdient, als die real existierenden bundesdeutschen Gewerkschaften - Auslaufmodell.
Für uns als leidenschaftliche Anhänger einer konkreten ver.di-Politik, die hätte sein können und müssen die Möglichkeit eines Neuansatzes und Runderneuerns bisheriger klassischer Gewerkschaftspolitik, stellen wir fest, dies gilt leider auch für die reale "ver.di"-Gewerkschaft (ob als "5er" oder noch schlimmer "4+1"- Variante) - gestorben bevor richtig geboren, ein megagroßer Papiertiger ohne Krallen, mit alten Inhalten und keinesfalls neuen und umwälzenden, weil Matrix-Strukturen, wie unsere geschätzte IG-Medien-Kollegin Sybille Stamm meint.
Da wir alle miteinander suchende und fragende sind, finden wir es richtig, daß nicht auf "Deubel komm raus" versucht werden soll, diesen Findungsprozeß durch Verabschiedung von Plattformen zu behindern oder auf falsche Kompromisse und Konsense einzufrieren. Das wäre nur die Kehrseite des jetzt eingetretenen Aussetzens der Debatte. Denn es steht ja außer Frage, daß sich in dieser Vernetzung, und das muß so sein, real sehr unterschiedliche Kräfte der Linken versammeln. Da der Punkt 15 in den Thesen "Linke Strömumg in den Gewerkschaften" vielleicht auch nicht zufällig noch aussteht, haben wir uns ja diesen notwendigen Klärungen auch über Vergangenes noch nicht gestellt.
Uns ist noch im Ohr die Intervention von Wolfgang Schaumberg (GoG Bochum) 1999 in Stuttgart "Was ist eigentlich links an dem, was wir hier veranstalten?". Denn wie Wolfgang haben natürlich etliche der Teilnhmer an diesen Runden als Gewerkschaftsmitglieder schon sehr konkrete, auch konfrontative und dennoch auch erfolgreiche gewerkschaftsoppositionelle Politik - z. B. mit oppsitionellen Listen zu Betriebsratswahlen (1972/1975 - einige von uns haben entsprechende Erfahrungen und an Bemühungen um Sammlung dieser Kräfte zu einer Vernetzung der Gewerkschaftsopposition vor mehr als 25 Jahren, die mißlang und KPD/ML-parteigelengt zu einer verfehlten Neuauflage der RGO in engeren Zusammenhängen pervertierte, teilgenommen).
Der Großteil der anderen Teilnehmer der jetzigen Vernetzung, stand diesen Ansätzen, sofern er sich damals links einordnete, nicht nur kritisch sondern in altlinker Manier "feindlich" und mit dem Vorwurf "Spaltungsmanöver" gegenüber. Während mancher Wortführer der Gewerkschaftslinken heute damals vielleicht Befürworter der Unvereinbarkeitsbeschlüsse war, befinden sich unsere anwesenden Gewerkschaftsoppositionellen aus dem Chemiebereich noch heute weitgehend im "Exil" und wurden und mußten nicht wie die Freunde von Opel Bochum oder Hoesch-Spundwand, deren Kämpfe und Engagement wir zurecht als ermutigende Beispiele heute hochhalten, wieder in die IG Metall aufgenommen werden.
Oder welche Schlüsse sind zu ziehen aus den Erfahrungen des Versuchs der Betriebs- und Gewerkschaftslinken um "express", eine antikapitalistische Perspektie aus "sozialistischer Betriebs- und Gewerkschaftspolitik" zu gewinnen?
Den am meisten angesehenen und sozusagen salonfähigen Part - auch in akademisch-wissenschaftlicher und gewerkschaftlicher Landschaft verankert und zumindest geduldet - spielt das Spektrum um das Forum Gewerkschaften von Sozialismus. Diese Nähe oder auch Teilhabe zu offizieller Gewerkschafts- und anderer Politik und akzeptierter Präsens in verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen kann eine Bereicherung sein, sie kann aber auch, wenn - wie es uns momentan der Fall zu sein scheint - als dominierendes Moment zu einer Blockade des Findens der dringend neuen Perspektiven sozialkritischen Engagements von Gewerkschaftern werden.
Deshalb plädieren wir für eine Wiederaufnahme und Fortführung auch der Perspektiven-Debatte, als eine offene, heißt: laßt verschiedene Ansätze sich präsentieren, zurren wir keine falschen zu engen Konsense per Plattform oder Aufrufen fest. Vielleicht könnte (wenn noch vorgesehen) das zu Ende geschriebene Thesenpapier (Bachmann/Riexinger) der Basistext für eine "open theory" gewerkschaftlicher Perspektiven sein, den wir in offener Debatte weiterentwickeln können: Das muß nicht vorwiegend auf bundesweiten Treffen sondern kann permanent im Netz stattfinden. Wenn die maintainer von labournet.de (Mag und Dave) es schaffen, sogar dort. Ansosnten holen wir uns Hilfe und Unterstützung bei den "free-software-Protagonisten" aus dem "Oekonux-Bereich", wo sie schon immer offene Debatten um eine andere Gesellschaft in der Tradition der Entwicklung von "wert- und marktfreier Software" wie Linux führen. Wer sich erkundigen will, wie mensch so etwas macht, schaue auf die webseite: http://www.opentheory.org
Unser eigener Ansatz, auch Hintergrund unserer Thesen, ist kurzgefaßt folgender:
Auch für Gewerkschaften und erst recht Gewerkschaftslinke gilt bzw. wird
heute möglicherweise mehr denn je aktuell, da die Aufgabenteilung zwischen
politischern Parteiformationen der Arbeiterklasse und treade-unions endgültig
obsolet geworden ist und auch bleiben sollte, was Marx in den bekannten Passagen
am Ende seiner Schrift "Lohn, Preis und Profit" zu der Aufgabe von Gewerkschaften
gesagt hat:
"... daß die ganze Entwicklung der modernen Industrie die Waagschale immer
mehr zugunsten des Kapitalisten und gegen den Arbeiter neigen muß und
daß es folglich die allgemeine Tendenz der kapitalistischen Produktion
ist, den durchschnittlichen Lohnstandard nicht zu heben, sondern zu senken oder
den Wert der Arbeit mehr oder weniger bis zu seiner Minimalgrenze zu drücken.
Da nun die Tendenz der Dinge in diesem System solcher Natur ist, besagt das etwa, daß die Arbeiterklasse auf ihren Widerstand gegen die Gewalttaten des Kapitals verzichten und ihre Versuche aufgeben soll, die gelegentlichen Chancen zur vorübergehenden Besserung ihrer Lage auf die bestmögliche Weise auszunutzen? Täte sie das, sie würde degradiert werden zu einer unterschiedslosen Masse ruinierter armer Teufel, denen keine Erlösung mehr hilft. Ich glaube nachgewiesen zu haben, daß ihre Kämpfe um den Lohnstandard von dem ganzen Lohnsystem unzertrennliche Begleiterscheinungen sind, daß in 99 Fällen von 100 ihre Anstrengungen, den Arbeitslohn zu heben, bloß Anstrengungen zur Behauptung des gegebnen Werts der Arbeit sind und daß die Notwendigkeit, mit dem Kapitalisten um ihren Preis zu markten, der Bedingung inhärent ist, sich selbst als Ware feilbieten zu müssen. Würden sie in ihren tagtäglichen Zusammenstößen mit dem Kapital feige nachgeben, sie würden sich selbst unweigerlich der Fähigkeit berauben, irgendeine umfassendere Bewegung ins Werk zu setzen.
Gleichzeitig, und ganz unabhängig von der allgemeinen Fron, die das Lohnsystem einschließt, sollte die Arbeiterklasse die endgültige Wirksamkeit dieser tagtäglichen Kämpfe nicht überschätzen. Sie sollte nicht vergessen, daß sie gegen Wirkungen kämpft, nicht aber gegen die Ursachen dieser Wirkungen; daß sie zwar die Abwärtsbewegung verlangsamt, nicht aber ihre Richtung ändert; daß sie Palliativmittel anwendet, die das Übel nicht kurieren. Sie sollte daher nicht ausschließlich in diesem unvermeidlichen Kleinkrieg aufgehen, der aus den nie enden wollenden Gewalttaten des Kapitals oder aus den Marktschwankungen unaufhörlich hervorgeht. Sie sollte begreifen, daß das gegenwärtige System bei all dem Elend, das es über sie verhängt, zugleich schwanger geht mit den materiellen Bedingungen und den gesellschaftlichen Formen, die für eine ökonomische Umgestaltung der Gesellschaft notwendig sind. Statt des konservativen Mottos: "Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk!", sollte sie auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: "Nieder mit dem Lohnsystem!"
(...)3. Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems."
Auch im Kampf der Gewerkschaften heute um soziale Emanzipation muss es gelingen, die Dialektik von Reform und Revolution, konkreter gefasst "täglicher Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems " und "endgültigen Abschaffung des Lohnsystem", zwischen systemimmanenten und systemübergreifenden und -sprengenden Orientierungen und Kämpfen zu bewerkstelligen. Wobei ersteres ohne eine Perspektive letzterer Art nicht zu machen und auch nicht durchzuhalten ist.
Wiederholte Neuauflagen auch in Varianten einer alten systemimmanent beschränkten Politik machen noch keine neue Politik und schon gar keine Perspektive aus.
Für Gewerkschaften hieße das:
Nein zunächst brauchen wir sicher eine Radikalisierung der Inhalte und neue Formen der Kämpfe: wie radikale Arbeitszeitverkürzung, "gesamtgesellschaftlicher Tarifkampf", der das billige Wohnen, die Existenz der immer größeren Zahl der working poor, der looser und Herausgefallenen, eben auch die Reproduktionsebene, und dabei auch die Ansätze nichtwarenförmiger Projekte und Vernetzungen einbezieht. Boykotte und andere Formen der Verweigerung, Computerattacken und ähnliche Aktionen, die heute mehr Räder still legen als das traditionelle Mittel des Streiks, das deshalb nicht aufgegeben werden soll, sondern möglichst um den politischen Streik erweitert werden müßte.
Welche Antwort finden wir auf die Frage "What's left? Eine Linke, die die Benennung des Kapitals als Kapital und des Profits als Profit schon für den Gipfel ihrer Kritik hält, weil sie die Bedingungen und Produkte der gesellschaftlichen Arbeit selbst nur noch in Kapitalform denken kann. Eine Linke, die (von Ausnahmen abgesehen) die "Suche" nach oder "Diskussion über grundlegende Alternativen [Plural!] zur kapitalistischen Marktwirtschaft" nur noch beschwört, um ihr "linkes" Gewissen zu beruhigen. Denn wenn sie die Beschwörung ernst meinte, würde sie die Suche selbst aufnehmen, ihre eigene Geschichte reflektieren und mit dem brechen, was bisher ihre einzige Beschäftigung war - dem vergeblichen Versuch, mit der illusionär gewordenen Perspektive eines Kapitalismus der vergoldeten Ketten die Lohnabhängigen zum Kampf gegen das Kapital zu mobilisieren. So aber wird sie bleiben, was sie ist: "linke" Randerscheinung einer Arbeiterbewegung, die "sich zur Arbeitsbewegung verharmlost hat". (W.Imhoff in: "Die Sackgasse der Betriebs- und Gewerkschaftslinken", auch zu finden unter: http://www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/sackgasse.html)
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