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Mag Wompel/Gerhard Klas

Das Labournet Germany

Der virtuelle Treffpunkt der Betriebs- und Gewerkschaftslinken

Das Zeitalter der Informationstechnologie hat mittlerweile auch in der traditionell schwerfälligen Gewerkschaftspolitik Einzug gehalten. Doch nicht nur die Hauptvorstände vieler Einzelgewerkschaften und des Deutschen Gewerkschaftsbundes präsentieren sich im Internet. Dort hat sich jenseits der offiziellen Gewerkschaften ein internationaler Verbund verschiedener Homepages für Betriebs- und GewerkschaftsaktivistInnen, das Labournet, etabliert. Es ist aus dem 97er Streik der Liverpooler Docker hervorgegangen und sollte mit seinen Informationsseiten internationale Solidarität für den Streik der Werftarbeiter mobilisieren. Daraus entstand schon bald die Idee, das Internet auch für andere Arbeitskämpfe als Medium zu nutzen. Zunächst gab es nur eine internationale Homepage, mittlerweile sind auch die Länder Großbritannien, Kanada, Korea, Österreich und Deutschland im Internet präsent. Sie arbeiten mit dem in den USA schon länger existierenden Labournet zusammen. Das Labournet Germany wird seit 1998 von zwei GewerkschafterInnen erstellt: Dave Hollis (IG Metall-Betriebsrat, Nürnberg) und Mag Wompel (Industriesoziologin, Bochum). Mit Mag Wompel sprach Gerhard Klas über die Möglichkeiten und Grenzen des virtuellen Aktivismus.

Gerhard Klas: Was unterscheidet Labournet von den Homepages der Einzelgewerkschaften und des DGB?

Mag Wompel: Den wichtigsten und programmatischen Unterschied hat ausgerechnet der DGB-Informationsdienst einblick auf den Punkt gebracht: Labournet veröffentliche gewerkschaftliche News, die in keiner Zeitung stehen. Sie stehen in der Regel auch auf keiner anderen gewerkschaftlichen Homepage. Mit anderen Worten: Labournet veröffentlicht vor allem auch gewerkschaftlicherseits unterdrückte Nachrichten und Ansichten, die nicht zum mittlerweile breit akzeptierten Postulat der Wettbewerbsfähigkeit passen. Mir ist keine gewerkschaftliche Homepage bekannt, die sich wie das Labournet mit dem Kampf gegen den Neoliberalismus beschäftigt oder die Frage des Co-Managements durch Betriebsräte und Gewerkschaften zur Erhaltung des Standorts aufwirft. Wir stellen diese Haltung in Frage und veröffentlichen Artikel und Belegschaftszeitungen, die gegen diese Standortlogik argumentieren.

GK: Will Labournet in die Gewerkschaften hineinwirken oder eher dazu beitragen, eine eigene Struktur zu etablieren?

MW: Wir würden uns arg verheben, wenn wir eine neue Gewerkschaft gründen wollten. In unserer täglichen Arbeit sind auch wir gewerkschaftspolitisch engagiert und rufen oppositionelle Kräfte vielmehr dazu auf, die Gewerkschaften nicht zu verlassen, sondern sie zu verändern und Druck auszuüben.

GK: Welche Rolle spielt Labournet innerhalb der Gewerkschaftsopposition?

MW: Wir bezeichnen uns selbst als der virtuelle Treffpunkt der Gewerkschafts- und Betriebslinken. Labournet versteht sich als deren Bestandteil und will eine Informations- und Vernetzungsfunktion erfüllen. Die Struktur der Labournet-Homepage ist gewissermaßen die Grundlage dafür. Einerseits organisieren wir Solidaritätskampagnen und halten Informationen über Arbeitskämpfe, gerade die von unten, bereit. Dasselbe gilt für Aktionen und Anfeindungen gegenüber kämpferischen KollegInnen, auch innerhalb der Gewerkschaften, z.B. unter der Rubrik "Solidarität gefragt". Wie im Fall des DGB-Mitarbeiters Kreimer de Fries hat sich Labournet damit nicht nur Freunde gemacht: Das im Labournet veröffentlichte Material dokumentiert die Rolle des DGB als die eines Unternehmens, das sich in seiner Personalpolitik nicht von anderen unterscheidet. Wir berichten über Fälle, in denen kämpferische Kollegen gekündigt oder aus dem Betriebsrat ausgeschlossen werden. Die Branchenseiten des Labournet beschäftigen sich mit Basisaktivitäten in den Betrieben. Dort werden Belegschaftszeitungen präsentiert, die sich mit Möglichkeiten des Widerstands gegen die Konzernpolitik beschäftigen. Das Labournet hat vor allem zwei Funktionen: zu informieren und zu ermutigen. Durch die Homepage werden diese Initiativen über die Grenzen des Betriebs hinaus bekannt. Vielen wird erst dadurch deutlich, dass sie nicht alleine stehen und es in anderen Unternehmen Betriebsgruppen gibt, deren Aktionen man als Vorbild für die eigenen nehmen kann. Labournet hat auch einen Diskussionsbereich, denn wir wollen uns nicht nur mit Aktionen und deren Verbreitung beschäftigen, sondern auch darüber reden, welche Form von gewerkschaftlicher Arbeit wir wollen und welches Wirtschaftssystem wir uns vorstellen können.

GK: Nun ist eine Homepage zunächst eine sehr virtuelle Angelegenheit. Wie haben sich bisher die von euch angestoßenen Initiativen materialisiert?

MW: Ich wäre glücklich, wenn ich ad hoc eine Kampagne nennen könnte, die ausdrücklich als Erfolg des Labournet Germany zu bezeichnen wäre. Der letzte Versuch, etwas derartiges anzustoßen, war die Kampagne "Fünf Tage für mich". Dabei ging es um den Angriff auf den Anspruch auf Bildungsurlaub in Nordrhein-Westfalen. Es ist uns nicht gelungen, diese Gesetzesänderung zu kippen. Aber wir haben es geschafft, breiten Protest zu wecken. Einige Gewerkschaftsfunktionäre haben uns mitgeteilt, dass sie erst über das Labournet von der zustimmenden Haltung der Gewerkschaften zu dieser Gesetzesänderung erfahren haben. Es gab hunderte von Protestfaxen an Politiker und Gewerkschaftsvorstände in NRW. Andere Kampagnen und Aufrufe des Labournet werden beispielsweise von Betriebszeitungen aufgegriffen und veröffentlicht. Wir sind wohl Lückenbüßer für all die Mängel, die Gewerkschaften und Betriebsräte heute haben. Das zeigen uns auch die zahlreichen Reaktionen von BesucherInnen der Homepage. Sie loben das Labournet-Germany und sind gleichzeitig erschüttert, warum sie dies nicht von ihren Gewerkschaften, den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat oder den Betriebsräten erfahren haben.

GK: Welche Bedeutung misst Labournet den sozialen Bewegungen bei?

MW: Wir sind der Ansicht, dass sich Gewerkschaften von einem betriebsbornierten Denken verabschieden und selbst zu einer sozialen Bewegung werden sollten. Sie müssten sich bereits existierenden Bewegungen anschließen. Dies versuchen wir auf unseren Seiten zu spiegeln, indem wir nicht nur z.B. die Proteste gegen die Welthandelsorganisation WTO in Seattle aufgreifen, sondern auch der Erwerbslosenbewegung breiten Raum bieten.

GK: Würde es ausreichen, die betriebsbornierten Gewerkschaftsführungen durch progressivere Köpfe zu ersetzen oder geht es um ein strukturelles Problem?

MW: Wir gehören zu denjenigen, denen es nicht ausreicht, einzelne Funktionäre zu kritisieren, auch wenn die Kritik richtig und berechtigt ist. Das Problem der Gewerkschaften ist nicht nur ihre politische Ausrichtung, sondern auch ihre mangelnde innergewerkschaftliche Demokratie. Und mit falschen Analysen kann man nur zu falschen Schlussfolgerungen kommen. Labournet versucht, das einzelne Gewerkschaftsmitglied ernst zu nehmen, zum Nachdenken und natürlich zum eigenständigen Handeln aufzufordern. Wir lehnen die Stellvertreterpolitik der Gewerkschaften ab, die auch für viele Mitglieder sehr bequem ist. Man kann von außen immer kritisieren, dass Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte dieses "Wir regeln das für Dich, Kollege" drauf haben; vielen in den Belegschaften kommt dies allerdings entgegen. Wir würden gerne einen Teil dazu beitragen, dieses Verhaltensmuster aufzuheben. Nur selbstbewuste und politisch arbeitende Menschen können Veränderungen herbeiführen. Mit Labournet kann man die hierarchischen Strukturen in den Gewerkschaften umgehen und die Basismitglieder erreichen. Das funktioniert über ein Schneeballprinzip, denn in jeder Betriebsgruppe gibt es mittlerweile technisch kundige Mitglieder, die im Internet surfen, Labournet besuchen und die Informationen dann an ihre KollegInnen weitergeben.

GK: Es ist eine Machtfrage, die sich innerhalb der Gewerkschaften stellt. Ihre bürokratischen Apparate haben sich über Jahre etabliert und sind nicht nur durch Informationsaustausch und lebendige Diskussionen zu überwinden. Könnte Labournet darüber hinaus Bestandteil eines Organisierungsprozesses sein, der über die Kernarbeitsbelegschaften hinausblickend versucht, die Kräfte zu bündeln und massiveren Druck auszuüben?

MW: Würde so etwas anstehen, wären wir natürlich sofort dabei, so wie wir jetzt bei der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken dabei sind. Man muss allerdings bedenken, dass eine neue Organisation nicht unbedingt auch eine bessere wäre, denn bekanntlich hat jede "Basis" die Führung, die sie zulässt.

GK: Welche Rolle spielt die internationale Ebene?

MW: Neben dem Abschied von der Betriebsborniertheit ist der Internationalismus das Standbein unseres gewerkschaftspolitischen Selbstverständnisses. Insofern sind wir immer bemüht, über den Tellerrand hinaus zu schauen und breit zu informieren. Wir erfüllen eigentlich eine Funktion, die sich die Gewerkschaften zu eigen machen müssten. Das gilt auch für die Eurobetriebs- oder Weltbetriebsräte, die eigentlich über die Standortpolitik ihres Konzerns in anderen Ländern informieren sollten, damit die Belegschaften innerhalb eines Konzerns nicht gegeneinander ausgespielt werden. Zu diesem Thema liefern wir vor allem in der Chemie- und Autobranche zahlreiche Informationen und übersetzen diese, soweit es unsere Kapazitäten zulassen. Die internationale Zusammenarbeit nimmt bei uns einen viel größeren Raum ein, als wir es eigentlich wollten und angedacht haben. Das hängt mit binnenstrukturellen Problemen des internationalen Labournet-Verbundes zusammen. Es gibt keine Zusammenarbeit mehr mit einer internationalen Seite des Verbundes, die für all die nationalen Labournets eine Art Dachfunktion hatte. Die Synergieeffekte fallen zum Teil weg, und wir müssen nun völlig auf uns gestellt die Funktion einer internationalen Seite für den deutschsprachigen Raum mit abdecken. Allerdings laufen verstärkt internationale Kontakte, um diese Lücke wieder zu schliessen, was uns stark entlasten würde.

GK: Welche Konflikte stecken dahinter?

MW: Das Politikverständnis der jeweiligen Labournets war sehr unterschiedlich. Die Mailinglist, in der Informationen aus den einzelnen Ländern ausgetauscht wurden, verwaltete Chris Bailey, einer der Gründer des Labournets. Er interpretierte die Selbstdarstellung des Labournet ("what is Labournet") sehr eng als unpolitisch. Dave Hollis, mein Kollege bei Labournet Germany und ich haben dies zunächst als parteipolitische Neutralität interpretiert. Es hat sich aber bald herausgestellt, dass Chris Bailey etwas völlig anderes darunter verstand: Oppositionelle Gewerkschaftsarbeit hielt er auch auf dem Hintergrund einer politisch neutralen Position für möglich, während das Labournet Germany von vornherein Gewerkschaftsarbeit auch als politische Arbeit verstand und davon ausging, dass oppositionelle Gewerkschaftsarbeit einfach nicht neutral sein kann. Der große Bruch kam mit dem Kosovokrieg. Dave Hollis und ich hatten uns sofort dafür entschieden, gegen diesen Krieg Stellung zu beziehen. Auch wenn dies kein 'gewerkschaftspolitisches' Thema im engeren Sinne ist. Das gleiche haben auch unsere englischen Kollegen vom Labournet UK getan. Innerhalb von ein paar Stunden sind beide Labournets ohne Vorwarnung aus der internationalen Mailinglist des Labournet-Verbundes gestrichen worden und mussten anschliessend den Provider wechseln. Dieser Konflikt brodelte allerdings bereits seit unserem Selbstbekenntnis als der "virtuelle Treffpunkt der Linken in Betrieb und Gewerkschaft".

GK: Arbeitet Labournet mit anderen Medien zusammen?

MW: Labournet greift sehr oft auf die Produkte anderer Medien, vor allem aus dem Printbereich, zurück. Wir sind einfach nicht in der Lage, all die Themen zu behandeln, die wir als wichtig erachten. Geschweige denn, selbst Artikel zu schreiben, auch wenn wir es immer wieder auf der Grundlage eigener Recherchen tun, wie im Falle Rover, oder immer öfter exklusive Artikel und Erstveröffentlichungen bringen. Insofern kann Labournet als Internet-Medium auch niemals die anderen Publikationen ersetzen. Wir sehen uns in dieser Hinsicht eher als eine Art Portal für Belegschaftszeitungen, Diskussionen und die interessantesten Beiträge zu gewerkschafts- und wirtschaftspolitischen Themen. Wir leben von den anderen Medien und helfen ihnen gleichzeitig, z.B. durch Vorabdrucke einzelner Artikel, bekannter zu werden. Immerhin hat Labournet Germany eine tägliche Zugriffszahl von mehr als 200 BesucherInnen und einen weit darüber hinaus gehenden Verbreitungsgrad. Durch einen Spaziergang über unsere Internet-Seiten kann man leicht herausfinden, mit welchen Medien wir bevorzugt zusammenarbeiten: mit "Express", der Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, der "Sozialistischen Zeitung SoZ", mit der Hamburger Zeitung "analyse&kritik", mit der Zeitschrift "Arbeit & Ökologie-Briefe", mit "Sozialismus" und der Zeitschrift "Z". - nur um die wichtigsten zu nennen.

GK: Wie finanziert sich das Labournet?

MW: Bis letztes Jahr haben Dave Hollis und ich die Arbeit ehrenamtlich gemacht, d.h. ausschließlich durch unsere Jobs als Betriebsrat oder Industriesoziologin finanziert. Nun unterstützt uns die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt, wodurch ich mich stärker der Arbeit als Redakteurin des Labournet widmen kann und die Nachtarbeit etwas nachgelassen hat. Das reicht allerdings bei weitem nicht aus, zumal der Arbeitsaufwand immer größer wird. Wir sind zur Finanzierung der Betriebskosten als auch der Arbeitszeit dringend auf weitere Fördermitglieder und Spenden angewiesen.Hier sind wir vielleicht Opfer des Dienstleistungscharakters, dem sich die Gewerkschaften verschrieben haben - zu viele NutzerInnen halten unsere Arbeit für selbstverständlich. Unser Arbeitsaufwand kann aber auch durch unentgeltliche Hilfestellungen reduziert werden. Das sind vor allem dringend gesuchte Co-Redakteure, die in ihren Fachbereichen eingesandte Beiträge auf ihre Tauglichkeit fürs Labournet überprüfen könnten. Das wäre eine Entlastung, die wir auch gut im technischen Bereich brauchen könnten, z.B. bei der Umsetzung der Texte in das Internet-Format HTML. Das ist eine Arbeit, die bisher hauptsächlich von mir und Dave zusätzlich zu den redaktionellen Aufgaben geleistet wird. Wir haben nicht nur ca. 350 direkte Mitglieder in der Mailinglist des Labournet, sondern freuen uns auch ansonsten über einen wachsenden Bekanntheitsgrad. Das macht sich u.a. darin bemerkbar, dass wir immer mehr Beiträge unangefordert zugesandt bekommen. Dadurch vermehren sich auch der Begutachtungsaufwand, die Korrespondenz, die gesamte Redaktionsarbeit des Labournet. Unsere Zugriffszahlen minimieren sich natürlich durch die Mailinglist, mit der die AbonnentInnen (und eine zigfache Anzahl an MitleserInnen) täglich einen Überblick über die Neuerscheinungen im Labournet erhalten. Das Labournet zeigt aber auch mehr und mehr Präsenz in der Presse, wird z.B. zitiert. Auch innerhalb der Gewerkschaften erfreuen wir uns einer gesteigerten Akzeptanz, vor allem auf Kreis- und Bezirksebene. Dort gibt es immer mehr Homepages, die direkt auf uns linken. Dieser wachsende Erfolg ist eine deutliche Anerkennung und Bestätigung. Am schönsten wäre es allerdings, wenn unsere Arbeit wegen ihres Erfolges irgendwann überflüssig werden könnte.

Erschienen in Z. - Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 43 vom September 2000


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