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Joachim Kuhnke

Düsseldorf, 7.12.2001

An Georg Reinert

 

Lieber Georg,

wenn Personalabteilungen und Betriebsräte zu Hilfsorganen eines imperial agierenden Außenministeriums werden, ist Solidarität mit den von diesem Apparat verfolgten eine dringend notwendige Bürgerpflicht.

Deshalb hier meine Meinung zu den skandalösen Vorfällen im Zusammenhang mit Deiner Meinungsäußerung in einer Versammlung der Arbeitnehmer.

Meine Solidarität gilt all jenen, die durch Denkanstöße vermittelnde Diskussionen geholfen haben, den kriegsorientierten Kurs der Regierungen zu behindern mit den bescheidenden Mitteln der zivilcouragierten Meinungsäußerungen. Meine Solidarität gilt damit auch im Besonderen Dir, Kollege Reinert.

Kurz nach dem 11. September assoziiert ein junger Arbeiter, eben Georg Reinert, auf einer Betriebsversammlung der DC AG in Düsseldorf zum zuvor vielfach genannten Stichwort USA den Begriff "Imperialismus" - wie übrigens viele meiner US-amerikanischen Freunde auch. Darauf fühlte sich die Betriebselite ermächtigt, die unverantwortliche Losung eines Bundeskanzlers, von der "uneingeschränkten Solidarität mit den USA" mit der Unterdrückung der Meinung dieses Kollegen zu exekutieren: Eine disziplinarische Maßnahme von Seiten des Arbeitgebers mit Zustimmung des BR wurde gegen ihn verhängt.

Auf vielen Betriebsversammlungen ist im Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September viel gefährlicher Unsinn geredet worden, beispielsweise von Arbeitgebern, die erklärten, der Respekt vor den Toten gebiete es jetzt darauf zu verzichten, sich kritisch mit der Geschäftsführung auseinander zu setzen, wie es bei uns im Lenkungsbau geschehen ist. gefährlicher Unsinn genießt Meinungsfreiheit, dagegen der Hinweis auf die Gefahren, die aus der wissenschaftlich belegbaren Aggressivität einer Gesellschaftsordnung drohen, wird unterdrückt.

Wie an parallelen Fällen von Gesinnungsdisziplinierung in jenen Tagen wurde auch an diesem Fall des Kollegen Georg Reinert vielen Menschen klar, wie schnell üble Traditionen von erzwungener Meinungskonformität in Deutschland wiederzubeleben sind.

Der Lack einer angeblichen Zivilgesellschaft ist dünn, nur zu durchsichtig und offenbar provisorisch aufgepinselt.

Wir müssen die wenigen zivilisatorischen Errungenschaften, wie etwa den freien Diskurs, jetzt verteidigen gegen deren kommerzielle, ideologische wie disziplinarische Unterdrückung!

Andernfalls brauchen Arbeitnehmer in Zukunft noch einen neuen Instinkt um Kündigungen und anderen Disziplinierungen aus dem Weg zu gehen:

Sie müssen nämlich absolut treffsicher unterscheiden können zwischen

  1. solchen Massakern, die Feinde anrichten, wozu man unbedingt die Arbeit ruhen lassen muss um nicht fristlos gekündigt zu werden (wie der Kollege Metin Serefoglou, Arbeitnehmer der Firma Kostal in Lüdenscheid) und
  2. jenen Massakern, die Befreundete erledigen, aus deren Anlass man aber auf keinen Fall die Arbeit für Trauerminuten niederlegen darf, wenn man nicht auf die Straße fliegen will.

Die Entwicklung eines solchen neuen Instinktes muss uns erspart bleiben!

Selbstverständlich ist Meinungsfreiheit aufwendig und unbequem, oft verzögernd und auch nicht selten teuer. Das alles stört die Machteliten.

Und deshalb schlägt so ein Konzern eben zu, wenn ein von ihm Abhängiger öffentlich nicht unterwürfig die geforderte offizielle Meinung vertritt.

Um so mehr muss uns die Freiheit der Meinung jetzt gerade am Herzen liegen! Dies erst recht in diesem Konzern, der im 20. Jahrhundert genügend mit Zwang gegen Arbeiter angerichtet hat ohne bis heute dafür zur Verantwortung gezogen worden zu sein oder gar seine Untaten gutgemacht zu haben: wir müssen bei ihm besonders wachsam sein bei einem solchen jede Achtung vor fremder Meinung Hohn sprechenden Verhalten, wie es Dir, lieber Kollege Reinert, gegenüber praktiziert hat.

Joachim Kuhke, Düsseldorf
Mitglied im Betriebsrat Mercedes-Benz Lenkungen GmbH
Mitglied der IG Metall


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